Die Diskrepanz zwischen Prinzipien und den dazugehörigen Handlungen

Laut einer Barna-Studie hält bei Evangelikalen nur ein kleiner Bruchteil (4%) eine Abtreibung für moralisch akzeptabel, während es bei den Atheisten eine überwiegende Mehrheit (71%) ist1. Da die Barna Group eine evangelikales Meinungsforschung-Unternehemen ist, gehe ich jetzt mal einfach davon aus, dass diese Zahlen der Wahrheit entsprechen.

Das Center For Reason untersuchte 2006 die Fragestellung, ob Christen wirklich weniger Abtreibungen haben als Nicht-Christen, wie dies von Christen gern behauptet wird. Das hat sich aber nicht bestätigt. Es gibt in diesem Punkt offenbar keinen signifikanten Unterschied zwischen den Religionen (inkl. Nicht-Religionen)2.

Wahre Christen werden hier natürlich einwenden, dass es keine wahren Christen sind, denn wahre Christen haben keine Abtreibungen. (Das gilt aber auch für keine wahren Schotten ;)

Nichtsdestotrotz ist das eine interessante Diskrepanz zwischen den Prinzipien und den dazugehörigen Handlungen. Wenn unmoralisches Verhalten jenes ist, das sich von dem unterscheidet, das man eigentlich für das richtige hält, dann sind Religiöse offensichtlich wesentlich unmoralischer als Atheisten.
Man könnte schon einwenden, dass sich die Atheisten ihre Prinzipien einfach so zurechtlegen, dass sie ihren Anforderungen genau entsprechen, am Ergebnis ändert das jedoch nichts, denn obgleich sie dieser Argumentation folgend jede beliebige Abscheulichkeit moralisch gutheissen könnten, rangieren sie in Kriminalstatistiken klar hinter den Angehörigen von Religionen, die das nicht können.
Vielmehr sieht es so aus, als ob von Christen die Prinzipien sehr oft nur genau so lange hochgehalten werden, wie sie ihnen nicht im Weg stehen. Von daher ist es eigentlich auch nicht weiter überraschend, dass sie sich für ein strengeres Justizsystem aussprechen, damit die Polizei das durchsetzt, wozu sie offenbar selbst nicht in der Lage sind. Aus einer verhaltensökonomischen3 Perspektive wäre eigentlich eine durchaus vernünftige Strategie, wenn man damit nicht auch Leuten seine Wertvorstellungen aufdrücken würde, die sie gar nicht teilen wollen. Das mag – da durch Gott abgesegnet – moralisch vorbildlich sein, ethisch ist es jedoch nicht haltbar.

  1. https://www.barna.org/…/129-morality-continues-to-decay
  2.  The Landscape of Abortion (zur Zeit leider offline)
  3. Die klaffende Diskrepanz zwischen Prinzipien und Handlung lässt sich zu einem grossen Teil darauf zurückführen, dass Menschen nicht wirklich abzuschätzen fähig sind, wie sie in einem Stresszustand handeln werden (vgl. cool and hot state). Das heisst aber natürlich nicht, dass Atheisten das besser unter Kontrolle haben, sie haben lediglich – weil sie sich auch an der Welt orientieren – etwas weniger weltfremde Prinzipien.

2 Antworten auf „Die Diskrepanz zwischen Prinzipien und den dazugehörigen Handlungen“

  1. Statt auf die eigentliche Frage nach der Diskrepanz zwischen Prinzipien und Handlungen einzugehen, wird hier gern darauf hingewiesen, dass Drogenkonsum oder vorehelicher Sex unter religionsfernen Menschen häufiger vorkomme und dass die Religion daher doch etwas gutes bewirke. Die Sache ist aber die, dass Drogenkonsum und vorehelicher Sex per se noch nichts schlechtes sind. Ein Missbrauch kann natürlich zu Problemen führen, doch es steht ausser Frage, dass Missbrauch auch mit Schokolade, Joggen und religiösen Ideen betrieben werden kann.

    Die Sache ist aber die, ich habe nie bestritten, dass es solche Diskrepanzen auch bei Atheisten gibt. Im Gegenteil habe ich in der Fussnote darauf verwiesen, dass vor dem cool-hot-state-Dilemma niemand gewappnet ist. Ich habe nur festgestellt, dass die Religion – obwohl sie sich genau das auf die Fahne geschrieben hat – einen Menschen im hot-state nicht davon abzuhalten fähig ist, den Blödsinn doch zu tun. (Sie stellt lediglich mehr oder weniger erfolgreich Regeln auf, die verhindern sollen, dass er überhaupt in den hot-state kommt. Wobei diese Regeln nicht selten die Rechte anderer massiv einschränken.)

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