Ich meiner ersten „Wie Viele Verse“-Challenge ging es um Genozid und Sexsklavinnen im alten Testament und dabei stellte sich mir die Frage, warum nur die jungfräuliche Mädchen „verschont“ wurden? Ist es nicht Verschwendung von wertvoller Sklaven-Arbeitskraft? Das klingt so gar nicht nach einem für seinen Geiz bekannten Volk…
Ein Zyniker könnte vermuten, damit niemand merkt, wie schlechte Liebhaber die auserwählten Männer sind?
Ich denke, es ging um Abschreckung.
Indem man ihnen ihren schlimmsten Albtraum in Aussicht stellt, schüchtert man seine Feinde effektiv und nachhaltig ein. Und der ultimative Albtraum in einer patriarchalen, von weiblicher Reinheit besessenen Gesellschaft dürfte tatsächlich sein, wenn man die Stammhalter umbringt und die Mädchen vergewaltigt.
Ein Volk zu versklaven ist übel, doch wie die Juden aus eigener Erfahrung wissen, kann sowas nach 400 Jahren auch wieder vorüber sein. Vernichtetes Leben und verlorene Unschuld lassen sich dagegen nicht mehr wiederherstellen.
Die Vergewaltigung von Sklavinnen ist daher kaum ein bedauerliches Verfehlen von einzelnen notgeilen Sklavenhaltern, sondern Programm. Schliesslich will man als Kultur ein Exempel statuieren, welches die zukünftigen Widersacher immer vor Augen haben.
Völkermord und Vergewaltigung sind vielleicht eine erfolgversprechende Strategie, wenn es darum geht die Nachbaren zu unterdrücken, nicht jedoch wenn das Ziel andauernder Friede mit diesen ist. (Und das ist doch das eigentlich Ziel, oder?)
Das wusste man vielleicht damals nicht.
Das wissen wir aber heute.
Und das hätte auch Gott wissen müssen als er Moses den Genozid an den Midianiter befahl. Ca. 1500 Jahre bevor er mit der Nächstenliebe eine nachweislich bessere Strategie einschlug1!
Wieso, zum Teufel, hat das so lange gedauert?
Warum hätte Jesus nicht gleich statt Moses kommen können? Oder zumindest kurz nach diesem? Oder vor diesem? Lange vor Moses, gleich nach der Sintflut! Gott hätte die 10 Gebote (und die Nächstenliebe und die andere Backe) auch gleich Noah mitgeben können. Auf diese Weise wäre auch sichergestellt worden, dass alle sie erhalten.
Oder mussten die Menschen erst noch eine Entwicklung (Evolution;) durchmachen, bevor sie die andere Wange hinzuhalten fähig wurden?
Okay. Ja. Es ist möglich, dass anderthalb Jahrtausende vor Christus die Zeit für gewisse Ideen noch nicht reif war2
Impfungen und bedingungsloses Grundeinkommen vielleicht.
Aber auch Nächstenliebe?
Hätte die Idee von der Nächstenliebe3 wirklich nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt auf fruchtbaren Boden stossen und ihren Siegeszug antreten können?
Wirklich wirklich nicht?
Denn wenn es möglich gewesen wäre, dann war es in höchstem Masse unmoralisch gewesen, die Idee nicht schon früher zu offenbaren. Weil dadurch unzähligen Menschen unsägliches Leid erspart geblieben wäre.
Und wenn es tatsächlich nicht möglich war… Gibt es überhaupt ein „Geht nicht!“, wenn die Idee von einem allmächtigen lieben Gott und seiner unbesiegbaren Armee, die – wohlgemerkt – nicht mal vor Genozid und Sexsklavinnen zurückschreckt, präsentiert wird? Welcher Skeptiker könnte solchen Evidenzen wohl allzu lange widerstehen?
Okay, hier stellt sich die Frage, ob die Vertreter opponierender Ideen wussten, dass ihnen eine Armee mit der Unterstützung des einen, allwissenden und allmächtigen Gottes gegenüber stand?
Wussten die Midianiter (zumindest so lange, bis sie alle ohne Gnade niedergemacht wurden), dass sie nicht verloren haben, weil sie zahlenmässig, kriegstechnisch oder taktisch unterlegen waren, sondern weil der allgütige Gott die andere Seite tatkräftig unterstützt hat?
Das sollte man doch meinen, denn was nützt es einem Gott einer Seite zu helfen, wenn die andere es nicht erkennt? Ein Sieg ist schliesslich kein Hinweis auf göttliche Intervention. Wenn die anderen es nicht merken, dann kann er es sich auch gleich sparen. Sowas fördert nur Extremismus und Terrorismus. (Und das liegt doch nicht in seinem Interesse, oder?)
(ODER?)
- Naja. Besser, aber noch lange nicht optimal. (vgl. Nächstenliebe im DisOrg) ↵
- Für uns sehen die verschiedenen Kulturen der Antike alle mehr oder weniger gleich aus, von leichten Differenzen in der Bartmode auf ihren Reliefs mal abgesehen. Ich weiss, ich übertreibe hier jetzt ein bisschen, doch es ist kein Vergleich zu dem, wie sich die Welt von Heute von jener vor 100 Jahren unterscheidet. Zumindest in technischer Hinsicht. Wie sehr sich das Denken damals von Kultur zu Kultur unterschied, ist eine ganz andere Frage. Und in unserem Zusammenhang eigentlich die wichtigere. ↵
- und dem Verbot der Sklaverei ↵