Liebe gemässigte Christen
Nach dem Tod von Stephen Hawking geisterten verschiedene Beiträge fundamentalistischer Christen durch die sozialen Medien, in denen sich diese genüsslich darüber ausliessen, dass Hawking jetzt in der Hölle schmort.
Euch ist schon klar, liebe Christen, dass das Eure Arschlöcher sind?
Ihr haltet diese Menschen doch für Arschlöcher, oder? Nicht bloss für ein bisschen unsensibel, weil sie laut aussprechen, was man eigentlich bloss denken sollten?
Ich persönlich halte jeden für ein Arschloch, der sich über das Leid anderer freut. Ob diese es nun verdient haben oder nicht, spielt dabei eigentlich kein Rolle. Und da die Hölle das ewige Leid ist, das man mit einem endlichen Leben noch nicht verdienen kann, spricht nichts dagegen jeden für ein Arschloch halten, dem der Umstand Freude bereitet, dass irgend jemand dorthin kommt.
Stephen Hawking akzeptierte nicht Jesus. Das bedeutet nach Eurer Überzeugung doch glasklar, dass für ihn die Sache gelaufen ist und er sich deshalb schon bald genau dort wiederfinden wird.
Wie ist es mit Euch, liebe Christen? Gibt es etwas erfreulicheres als wenn Gottes Wille geschieht? Und indem jemand, der Jesus den Rücken zukehrt, in die Hölle kommt, geschieht doch genau das… Freut also auch Ihr Euch darüber, dass Hawking in der Hölle schmort?
Natürlich wünscht ihr es niemandem (und sicherlich würdet ihr es auch nie jemandem auf eine so erbärmliche Art und Weise unter die Nase reiben), aber wer in die Hölle kommt, tut es – nach eurer Ansicht – aus freien Stücken. Und indem er Jesus nicht akzeptieren wollte (nicht akzeptieren können ist nach eurer Ansicht schliesslich keine Option, weil dann ja die Willensfreiheit nicht gegeben wäre), wünscht er sich ganz offensichtlich in die Hölle zu kommen.
Folglich hat sich nicht nur Gottes Wille, sondern auch Hawkings Wunsch erfüllt. Also ein Win-Win. Wenn das kein Grund zur Freude ist…
Und es ist ja auch nicht so, dass sich der Wunsch in einer für den Wünschenden überraschenden Form erfüllt hätte (vergleichbar mit der Art wie fiese Dschinns gern die Wünsche ihrer „Opfer“ erfüllen). Hawking wusste, was die Alternative zum Himmel ist. Nun ja, er scheint nicht gewusst zu haben, dass der Himmel real ist, aber er wusste sehr genau, dass er dort nicht hinkommen würde, wenn es diesen doch geben sollte.
Ja, Ihr mögt euch nicht so recht darüber freuen, aber dürft ihr das überhaupt? Euch nicht nicht so recht darüber freuen, meine ich. Damit würdet ihr ja zum Ausdruck bringen, dass der göttliche Plan Schwachstellen hat…
Gott hingegen darf darüber traurig sein, dass sein raffinierter Plan alle Menschen in den Himmel zu lotsen, wieder mal nicht aufgegangen ist. Er darf enttäuscht sein, dass nicht mal eine 2000 Jahre alte Androhung von Höllenqualen einen von ALS gezeichneten Astrophysiker dazu bewegen konnte, an ihn zu glauben.
Aber dürft das auch Ihr? Seine Geschöpfe, die ihr die Ewigkeit an seiner Seite verbringen wollt?
Natürlich dürft (und solltet) ihr entsetzt sein über diese Unfähigkeit Gottes!
Und natürlich dürft (und solltet) ihr offen dazu stehen, dass sein Plan Scheisse ist, wenn dieser zulässt, dass Leute ewiglich gefoltert werden!
Alles worauf es schliesslich ankommt, ist, dass ihr Jesus akzeptiert. Und das tut Ihr doch. Man kann auch Götter, die man für bescheuert hält, als Erlöser akzeptieren.
Schliesslich erlaubte es sich selbst der Papst ans Bein Gottes zu pinkeln als er im April 2018 dem achtjährigen Emanuele erklärte, dass sein kürzlich verstorbener, atheistischer Vater natürlich im Himmel sei. Schliesslich habe er seine vier Kinder taufen lassen und er sei, wenn man Emanueles Wort Glauben schenken darf, ein guter Mensch gewesen. Gott lässt seine Kinder schliesslich nicht im Stich…
Aber natürlich lässt Gott seine Kinder im Stich. Nämlich dann wenn sie nicht genau das tun, was er von ihnen verlangt. (Es lässt sich sogar sehr genau beziffern, wie viele Seelen es sind, die er in Stich lässt: Stand heute mindestens 107’999’856’000.) Der Papst hat dreist gelogen und damit erfreulich deutlich zum Ausdruck gebracht, was er persönlich von Gottes Plan hält. Also dürft ihr das sicherlich auch.
Zugegeben, eine solche Einstellungen wird wohl eine Zeit lang für dicke Luft im Himmel sorgen, aber selbst euer jähzorniger Gott wird sich irgendwann einmal beruhigen.
Das heisst, als Christen braucht ihr euch tatsächlich nicht zwingend darüber zu freuen, dass ein Atheist in der Hölle schmort. Sind die Arschlöcher vielleicht also doch nicht Eure?
Aber als Christen dürft ihr euch darüber freuen. Es sind also doch Eure. Sorry.
Das heisst, dass selbst wenn ihr den Arschlöchern noch so vehement widersprecht (wonach es von aussen übrigens nicht aussieht), sind es Eure. Ihr seht daneben einfach etwas netter aus.
Ihr beide akzeptiert Jesus. Und ihr beide glaubt, dass es eigentlich nur darauf ankommt. Und dass man allein dadurch gerettet wird. Und Ihr beide befürchtet, dass auch der jeweils andere dieses Kriterium erfüllt haben könnte – trotz eurer gegenseitigen Antipathie (ja, die Chance ist gross, dass auch sie Euch für unsympathisch halten) – und dass ihr euch im Himmel begegnen werdet.
Und vielleicht solltet Ihr auch noch folgendes bedenken: Ihr seid beide Mitglieder der grössten Religion. Was schätzt Ihr, zu einem wie grossen Teil verdankt sich die Popularität Eures Glaubens wohl der Qualität, die Ihr in diesem erkennt? Und zu einem wie grossen der Möglichkeit sich darin als Arschloch voll entfalten zu können? Hm?
Und genau das wirft die eigentliche Frage dieses Artikels auf:
Was wenn meine Seite nur dank der Arschlöcher gewinnt?
Stellen wir uns folgendes hypothetische Szenario vor: Ich möchte, dass der Staat sich aus möglichst allem raus hält. Damit würde ich tendenziell ins rechte politische Spektrum gehören. Anderen mag das eigentlich egal sein, ihnen ist nur wichtig, dass ihr Volk möglichst reinrassig bleibt. Auch diese Position ist traditionell im rechten Spektrum angesiedelt.
Das heisst, wenn es um die Auswahl der politischen Vertreter für die Regierung geht, dann ist die Chance gross, dass die Kandidaten, die sich dafür einsetzen wollen, dass sich der Staat aus allem raus hält, auch die Fantasien der Rassisten zu erfüllen versprechen.
Was, wenn erst eine solche unheilige Allianz dem Kandidaten den Sieg ermöglicht?
Im Idealfall würde ich mir natürlich eine Partei suchen, die den Staat aus allem raushalten will und die die kulturelle Vielfalt zu schätzen weiss. Wenn es aber eine solche Partei nicht gibt, muss ich im Interesse meiner primären Interessen (Staat hält sich aus allem raus) eben Abstriche bei meinen sekundären Idealen (Multikulti) in Kauf nehmen.
Doch wie werde ich mich gegenüber der Umsetzung der Forderungen meiner arschigen Verbündeten verhalten? Von Forderungen, die meinen Überzeugungen zutiefst zuwiderlaufen, denen ich aber mit meier Stimme den Weg bereitet habe. Was muss, resp. kann ich tun?
Oder würde ich deren Gefahr verharmlosen?
Ich meine, natürlich sind die Gefahren, die von einer Idee ausgehen, nie wirklich so gross, wie von den Gegnern befürchtet. Doch sind sie auch nie so vernachlässigbar, wie von den Befürwortern beteuert. Da frage ich mich dann aber, wo auf diesem Spektrum befinde ich mich wohl als Gegner, wenn ich in einer unheiligen Allianz mit den Befürwortern stecke? Ich glaube nicht in der Mitte.
Wenn ich also möglicherweise blind bin für die Arschlochigkeit meiner Verbündeten und folglich auch für die Absurdität ihrer Argumente, wie finde ich dann raus, dass Arschlöcher und die von mir tolerierten Ansichten verwerflich sind?
Woran erkenne ich, dass ich auf der falschen Seite stehe?
Das ist knifflig. Aber ich persönlich habe zumindest das Gefühl auf der gleichen Seite mit meinen Idolen zu stehen. Und auf der gegenüberliegenden Seite der Arschlöcher.
Das ist natürlich noch keine Garantie dafür, dass ich richtig liege, denn die, die meine Position gut repräsentieren, sind immer Helden und die Gegner immer Arschlöcher.
Aber nun ja, wenigstens stehe ich auf der gleichen Seite wie Stephen Hawking und auf der gegenüberliegenden von denen, die sich darüber freuen oder es auch nur für gerechtfertigt halten, dass er in der Hölle schmort. Und das ist zumindest schon etwas.
Wie ist es bei euch, liebe gemässigte Christen, nagt es nicht manchmal ein klitzekleines Bisschen am Vertrauen in Euren Glauben, dass es bei euch andersrum ist? Und würdet ihr im Himmel nicht lieber Stephen Hawking begegnen als diesen Arschlöchern? Hm?
Rumpeldipumpel, Eda