Gott ist Liebe

Es ist eigentlich ein interessanter Ansatzpunkt, den Grund für die Entfremdung der Menschen von den Kirchen auch mal in der Sprache zu suchen.
Während Gott=Liebe für viele wahrscheinlich schon Sinn macht, ist es für andere tatsächlich eher eine leere Worthülse… ein netter Kalenderspruch, der einen bestärken soll in der Ansicht, dass am Ende alles gut kommt, welche aber – irgendwie – nicht ganz zu gewissen Ereignissen in der Welt, der Kirche und der Bibel passen will.
Zu viele Naturkatastrophen und Krankheiten haben zu viele Menschen dahingerafft. Zu viele Repräsentanten Gottes haben zu viele Kinder missbraucht. Zu viele Menschen wurden in der Bibel auf Gottes Geheiss umgebracht. Und zu viele Seelen erwartet eine Ewigkeit der Folter1.
Ich will nicht sagen, dass das alles nicht seine Richtigkeit hätte2, ich bestreite lediglich, dass sich das alles allein mit Liebe rechtfertigen lässt.
Die Wege der Liebe sind oft verschlungen und überraschend, aber immer (zumindest im Nachhinein) nachvollziehbar.
Die Wege der Liebe sind nicht unergründlich. Sollten sie zumindest nicht sein, denn bei der Frage, ob etwas ein Akt der Liebe war, sollte doch eigentlich auch das „Opfer“ mitreden können – und dafür muss dieses den Weg nachvollziehen können3.

Gott=Liebe reicht einfach nicht um das Leben, das Universum und den ganzen Rest zu erklären. Für all das nicht von Menschen verursachte Leid braucht es einfach eine etwas komplexere Erklärung. Ich meine, allein schon mit Gleichungen wie Gott=Liebe+Jähzorn oder Gott=Liebe+Schlafkrankheit scheint man bereits wesentlich weiter zu kommen.

Da ist aber noch ein anderes Problem: es gibt verschiedene Arten der Liebe. Und es wird wahrscheinlich nicht jede davon gemeint sein… Daher müsste es wohl heissen: Gott ist die Liebe, aber nicht die schweinische Sorte4!

Aber egal.
Gott kann machen, was er will, und er kann es benennen, wie er will. Schliesslich ist er ein Gott und niemandem zur Rechenschaft verpflichtet (soweit wir wissen).

Wenn Gott also die Liebe sein will, dann ist er eben das, was zwei sich liebende Menschen verbindet – ausser wenn sie das gleiche Geschlecht haben oder wenn sie geschieden sind (oder einer der beiden ein Kanaaniter ist).
Der Haken ist hier aber, dass man sich nicht für oder gegen die Liebe entscheiden kann. Man kann sie wachsen lassen, das schon, aber wo sie nicht ist, da kann man sie nicht herbeizwingen. Man kann sie ignorieren und verwelken lassen, auch das ist möglich, aber man kann sie nicht einfach verschwinden lassen.
Die Liebe gehorcht nicht unseren Wünschen. Sprich, unser freier Wille hat keine Macht über die Liebe.
Ich dachte, das Respektieren des freien Willens sei Gott so wichtig, dass er dafür noch nicht mal einen Kindesbissbrauch verhindern kann. Aber als Liebe schert er sich nicht darum, welche Entscheidungen die Menschen treffen.
Nebenbei bemerkt: Wenn Gott Wünsche/Gebete erhören würde, so würde das die Willensfreiheit der Menschen nicht einschränken – sofern die sich nicht wünschen jemand anderes die Willensfreiheit einzuschränken – was wahrscheinlich viel häufiger geschehen würde, als man denkt. Das heisst, die Liebe könnte theoretisch dem freien Willen gehorchen. Die würde sich dann zwar wohl ganz anders anfühlen, aber möglich wäre es. Und das wiederum heisst, dass sich Gott ganz bewusst entschieden hat, die Liebe so zu gestalten (resp. zu sein), dass sie keine Rücksicht auf den freien Willen nimmt.

Wie gesagt, Gott=Liebe ist für viele eine leere Worthülse, die weder den Anforderungen genügt, noch den Anschein macht sich überhaupt darum bemüht zu haben. Während eine fehlerhafte Definition, die der Komplexität zumindest zu begegnen versucht, immerhin als ein Beitrag innerhalb eines Diskurses betrachtet werden kann, der uns unserem Ziel hoffentlich näher bringt, vereitelt eine leere Worthülse jegliche weitere Auseinandersetzung mit dem Thema. Und das ist im Zeitalter der Vernunft ein ziemliches No-Go.

Die ganze Welt ist komplexer geworden. Während noch vor hundert Jahren weniger als 5% der Menschen in „kognitiv anspruchsvollen“ Berufen tätig waren, sind es heute mehr als 50%. Die Fähigkeit Hypothetisches ernst zu nehmen, Abstraktionen zu benutzen und diese logisch zu verbinden5 hat sich enorm ausgebreitet und wird sicherlich auch nicht spurlos an der Art und Weise vorbei gegangen sein, wie man über Gott denkt und was man ihm durchgehen lässt.

  1. Ein Gedankenexperiment: Stell dir den allerallerallerbösesten Menschen vor, der das allerallerallergrösste Unglück über die Menschheit gebracht hat und dessentwegen unbeschreiblich viele Menschen unglaubliche Qualen durchleben mussten. Nehmen wir an, dieser Kerl kommt in Hölle und es ist deine Aufgabe ihn zur Strafe leiden zu lassen. Wie lange würdest du es durchhalten ihn zu foltern? Oder auch nur zuzusehen? Wohl kaum eine Ewigkeit lang, oder? Was für ein Wesen muss das sein, welches das hinkriegt? Was für ein Wesen muss das sein, welches das hinkriegt, während er diesen Menschen aus ganzem Herzen liebt?
  2. Allerdings wird Gott schon sehr gut begründen müssen, warum das alles nicht mit einem einzigen toten/missbrauchten Kind weniger funktioniert hätte
  3. Können wir uns darauf einigen, dass ein Akt der Liebe, der vom Empfangenden nicht gutgeheissen wird, dem Gebenden nicht unbedingt hoch angerechnet werden sollte?
  4. Auch wenn diese zufälligerweise sehr viel mehr erklären würde…
  5. vgl. „Intelligence and Human Progress: The Story of What was Hidden in our Genes“ von James R. Flynn

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