Nach langen, langen Jahren der stillschweigenden Ignoranz habe ich mir wieder einmal die Mühe gemacht und den Text eines echten Solid Gold Hits etwas genauer unter die Lupe genommen. (Ich schätze, dass der Ausdruck „Solid Gold Hit“ plastisch veranschaulicht, wie lange ich diese spezielle philosophische Disziplin, die so genannte Pop-Exegese, nicht mehr betrieben habe!)
Zur Auswahl standen unter anderem „Hardrock Hallelujah“ von Lordi (Ihr Titel „Bringing Back The Balls To The Rock“ würde zweifellos mehr hergegeben haben), „Crazy“ von Gnarls Barkley (Hier bedürfte wohl eher der Name einer Exegese) und „Sos“ von Rihanna (Wenn mich nicht alles täuscht, war „Tainted Love“ tatsächlich noch ein echter Solid Gold Hit).
Als Philosoph und Special Agent der CSI Oerlikon bin ich jedoch in erster Linie der Wahrheit verpflichtet und deshalb fiel meine Wahl schliesslich auf Shakiras „Hips Don’t Lie„, eine Coverversion von „Dance Like This“ auf dem „Dirty Dancing II“ Album (habe ich mir sagen lassen).
Abkupfern ist eine Form von Klauen, Klauen eine Form von Lügen und Dirty Dancing ist sicherlich auch nicht ganz koscher. Nichtsdestotrotz hat dies aber keinen nachweisbaren Einfluss auf den Wahrheitsgehalt der Message „Hüften lügen nicht“ von diesem erst-gemopsten-dann-gepimpten Song.
Bedauerlicherweise fielen aber die Ausführungen darüber, weshalb Hüften nun so offensichtlich nicht zu lügen imstande sind, eher dürftig aus. Weit mehr Raum bekamen da schon die Begeisterungsbekundungen der männlichen Protagonisten.
„I never really knew that she could dance like this“
Deren Euphorie geht angeblich sogar so weit, dass sie ihretwegen Spanisch lernen möchten:
„She makes a man want to speak Spanish / Como se llama, bonita, mi casa, su casa“
Letzteres heisst soviel wie: „Wie heisst du, hübsches Fräulein? Mein Haus ist dein Haus.“ Ich schätze, das ist etwa das Niveau vom Chuchichästli auf dem Basar von Istanbul, und wenn mich nicht alles täuscht, darüber hinaus noch in höchstem Masse anzüglich.
Dem scheint auch Shakira beizupflichten, denn sie warnt die Herren, dass man sich auf diese Weise nicht gerade beliebt macht bei den Frauen.
„Oh baby when you talk like that / You make a woman go mad“
Und dass sie stattdessen gut daran täten auf die Körpersprache zu achten um – nun ja – nicht übers Ziel hinaus zu schiessen.
„So be wise and keep on / Reading the signs of my body“
Und zu Übungszwecken, möchte man meinen, liest sie gleich mal ein bisschen an ihrem eigenen Körper vor.
„I’m on tonight / You know my hips don’t lie / And I’m starting to feel it’s right / All the attraction, the tension / Don’t you see baby, this is perfection“
Diese Zeilen haben mich nicht wenig überrascht. Statt zu zeigen, wie sich aus der weiblichen Feinmotorik Rückschlüssen auf die seelische Verfassung einer filigranen Persönlichkeit ziehen lassen, gerät sie über sich selbst in Verzückung und bestätigt den anwesenden Herren eindrücklich, dass sie eigentlich doch eine wirklich heisse Schnecke ist. Und dem wissen sie nichts entgegenzusetzen.
„Hey Girl, I can see your body movin’ / And it’s driving me crazy / And I didn’t have the slightest idea / Until I saw you dancin’“
An dieser Stelle bleibt mir nichts anderes übrig, als den pädagogischen Wert dieses Liedes massiv in Frage zu stellen. Die Männer sind jetzt zwar etwas besser in der Lage den Grund für ihre Erektion zu formulieren, doch fallen sie spätestens im Refrain wieder in ihre alten Basar-Verhaltensmuster zurück. Schade eigentlich.
Der Verdacht liegt ohnehin nahe, dass die Wahrheit, welche die beweglichen Hüften zu offenbaren fähig sind, höchstwahrscheinlich lediglich die sexuellen Qualitäten der Tänzerinnen betreffen.
Doch damit komme ich auf einen Punkt, der mir etwas Kopfschmerzen bereitet. Dazu muss ich jedoch leider etwas ausholen: Mollige Frauen sind attraktiver als knöchrige. Dem mögen Diätgurus, Pornoproduzenten und schwule Modedesigner zwar widersprechen, doch werden sie darin von Anthropologen klipp und klar Lügen gestraft. Reichlich Fettgewebe an der Frau erhöht nämlich die Chance einer erfolgreichen Schwangerschaft und Aufzucht des Nachwuchses. Und was wir als Attraktivität bezeichnen ist nichts anderes als ein Signal für möglichst günstige Startbedingungen bei der Weitergabe der eigenen Gene. Das heutige Schönheitsideal muss daher im Kontext der geologischen Zeiträume, innerhalb derer sich die Evolution abspielt, als unbedeutendes Modefürzchen betrachtet werden.
Fettgewebe ist also gut! Jedoch wohin damit? An die Beine? Das würde wohl das Gehen behindern. An den Kopf? Könnte problematische Fliehkräfte erzeugen. Als Höcker auf den Rücken wie die Kamele? Das ginge genauso wie am Bauch. Doch wenn man es an den Brüsten platziert, dann verstärkt es optisch die Milchproduktionsfähigkeit der Frau, obwohl es damit eigentlich gar nichts zu tun hat. Milchdrüsen und Fettgewebe sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das Gleiche gilt eben auch für den Hüftbereich, der ein gebärfreudiges Becken suggeriert. Es werden also Signale ausgesendet, welche im Betrachter falsche Schlüsse hervorrufen. Und das ist Lügen.
Der Wahrheitsgehalt von Shakiras „Hips Don’t Lie“ ist also so gut wie nichtexistent. Im Gegenteil könnte man sogar behaupten, dass die weibliche Hüfte (zusammen mit den Brüsten) womöglich sogar die erste Lüge der Menschheit war.
Nachtrag 15.7.2013: Eigentlich ist dieser Beitrag am 30. Mai 2006 um 19:07 im DisOrg erschienen, doch irgendwie hatte er sich in die Gegenwart geschlichen.