Wie prüft man Allwissenheit?

Jeder, der allwissend ist, weiss mehr als ich.
Aber nicht jeder, der mehr weiss als ich, ist deshalb zwangsläufig auch gleich allwissend. (So naheliegend das auch erscheinen mag.)

Wie finde ich nun aber mit meinem beschränkten Wissen heraus, ob eine bestimmte Person, die vorgibt allwissend zu sein, es auch tatsächlich ist?

Ich kann ihr Wissen auf einem Gebiet prüfen, auf dem ich ein Experte bin.1
Wenn sie da etwas nicht weiss, ist sie definitiv nicht allwissend.
Doch wenn sie alles weiss, was ich weiss, weiss sie gleich viel oder mehr als ich. Und da ich, wie gesagt, ein Experte auf diesem Gebiet bin, sollte ich eigentlich auch abschätzen können, welches davon der Fall ist.2 (Die Gefahr, dass man Wissen bloss vortäuschen kann, halte ich indessen für vergleichsweise gering.)
Aber selbst von meiner Expertenposition ist ein Alleswisser nicht von einem blossen Besserwisser zu unterscheiden.

Die besagte Person müsste also mächtig aufdrehen und alles in einer Art und Weise bis ins kleinste Detail voraussagen, die keinerlei Raum für Interpretationen lässt.3
Dann weiss sie offenbar alles, was von uns gewusst werden kann. Da wir aber nicht wissen, was wir nicht wissen können, können wir nicht wissen, ob die Person auch das weiss, was wir nicht wissen können, oder ob sie das nur vorgibt zu wissen.

Also müsste diese Person den ultimativen Beweis erbringen und uns mit einer TARDIS zum Anbeginn der Zeit bringen und uns dabei zusehen lassen, wie eine „jüngere“ Version von ihr gerade das Universum erschafft. Dann könnten wir (wohlwollend) eingestehen, dass sie wohl tatsächlich alles über unser Universum weiss. Und dass sie schon irgendwie allwissend ist im Bezug auf unsere Welt. Aber leider noch nicht notwendigerweise auch im Bezug auf beispielsweise die Werkbank, auf der sie die Welt gezimmert hat.

Allwissenheit bezieht sich nicht nur auf etwas – egal wie viel es ist -, sondern schlicht auf alles. Und alles ist einfach zu viel um da noch den Überblick zu behalten. Daher sehe ich leider keine Möglichkeit, wie jemand glaubhaft belegen könnte, allwissend zu sein.

Nichtglaube vs Nichtexistenz

Als Atheist steht man oft vor der Herausforderung den Unterschied zu erklären zwischen „glauben, dass es Gott nicht gibt“ und „nicht glauben, dass es Gott gibt“. Für Gläubige besteht zwischen diesen beiden Sätzen kein Unterschied, für Atheisten jedoch ein sehr wesentlicher, weil sie sich in der Regel nur mit einem der beiden identifizieren können.

In der Atheist Experience wird das oft mit folgendem Beispiel veranschaulicht:

Vor uns steht ein grosser Kübel mit Murmeln.
Ohne irgendeinen guten Grund angeben zu können, behaupte ich, im Kübel befände sich eine gerade Anzahl von Murmeln.
Worauf du sagst: „Ich glaube nicht, dass da eine gerade Anzahl Murmeln drin ist.“ Damit meinst du aber nicht, dass du glaubst, dass eine ungerade Anzahl Murmeln im Kübel ist. Du meinst damit lediglich, dass du keinen Grund siehst meine Überzeugung zu teilen.
Zugegeben, wenn du aus einem ebenso irrationalen Grund überzeugt wärst, dass der Kübel eine ungerade Anzahl Murmeln enthält, hättest du genau den gleichen Satz sagen können. Hättest jedoch etwas komplett anderes damit gemeint.
Im Gegensatz dazu lässt ein Satz wie „Ich glaube, dass da eine nicht gerade Anzahl Murmeln drin ist“ nur eine einzige Interpretation zu. Und zwar eine die sich mit deiner Zurückhaltung dir ein Urteil zu bilden nicht in Einklang zu bringen ist.

Daher merke: Atheismus, der „Nichtglaube an die Existenz Gottes“, kann lediglich die Argumente für die Existenz Gottes nicht nachvollziehen und enthält sich deshalb eines Urteils über Frage der Existenz – glaubt also keiner Behauptung diesbezüglich. Während es für den „Glauben an die Nichtexisten Gottes“ genauso belastbare Evidenzen bräuchte, wie sie die Atheisten von den Theisten verlangen um ihre Meinung zu ändern. Da es diese nicht gibt (und nicht geben kann), wird sich jeder Atheist hüten, eine solche Position allzu fest zu vertreten.

Moral ohne Gott

Gott sei die Basis der Moral.
Das lass ich mal so stehen und ignoriere das Euthyphron-Dilemma.
Das heisst, Gott offenbart/bestimmt, was gut und was böse ist.

Kriegt man das aber auch ohne einen Gott hin? Zu wissen, was richtig und falsch ist?
Jap. Und zwar indem wir die Konsequenzen unseres Handeln überdenken und abzuschätzen versuchen, ob damit jemandem geschadet wird. Und wenn dies geschieht, dann ist die Handlung ethisch falsch. Es kann manchmal in einem Masse gerechtfertigt sein, dass man es schon wieder als ethisch richtig bezeichnen kann. Jemanden gegen seinen Willen in ein dunklen Raum zu sperren, schadet ihm, doch wenn es die Strafe für eine Verfehlung ist und sowohl er, als auch andere daraus etwas lernen und Verfehlungen dieser Art in Zukunft unterlassen, dann ist es trotzdem ethisch richtig. Die Verfehlung mit Peitschenhieben zu ahnden, was dem Übertäter ebenfalls schadet, kann aufgrund der übertriebenen Schwere die Bestrafung wieder ethisch falsch machen.

Die Frage ist, wie wägt man den Schaden der einen gegen den Vorteil der anderen ab?
Und die Antwort ist verblüffend einfach: Wenn man den gleichen Vorteil auch mit etwas weniger Schaden hätte erzielen können, dann ist jedes mehr an Schaden als das absolute Minimum ethisch falsch.

Von Gott keine Spur. Und von Anarchie auch nicht.

Dass die Mehrheit der Bevölkerung aus welchen Gründen auch immer trotzdem für das Auspeitschen ist, macht es nicht moralisch richtig. Eine moralische Umpolung findet nur dann statt, wenn man feststellt, dass die positiven Konsequenzen die negativen doch überwiegen (oder umgekehrt).

Was ist also nach dieser Ansicht die Basis der Moral? Unsere Vernunft!

Klar, es kann vernünftig sein in einer gewissen Situation unmoralisch zu handeln, dadurch wird die Handlung aber nicht moralisch. Und das wissen wir.

Im Grund ist das schlicht und ergreifend die Goldene Regel:

„Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“

Jeder Christ wird darin natürlich sofort Jesus Gebot der Nächstenliebe erkennen. Ganz zurecht sogar.
Doch das gilt auch für das Mitglied so gut wie jeder anderen Gesellschaft, denn die Goldene Regel ist weit verbreitet. Und das schon lange bevor Jesus sie auf dem Berg predigte.

Nun könnte man einwenden, dass der liebe Gott die Goldene Regel weit gestreut hätte und daher von ihr auch die Heiden profitieren konnten.

Kriegt man das aber auch ohne Gott hin? Dass die Goldene Regel sich einfach so entwickelt und verbreitet?
Jap. Und zwar durch die Evolution, die ein Verhalten entsprechend der Goldenen Regel begünstigt. Sich egoistisch zu verhalten lohnt sich vielleicht auf kurze Sicht, doch wenn ein solches Verhalten bekannt wird, kriegt man den Zorn der Gruppe zu spüren. Dieser Umstand bildet einen deutlichen Selektionsdruck.
Und so kommt es, dass sich der Mensch so entwickelt hat, dass die Empathie völlig automatisch Hilfsreaktionen triggert.

 

Was in der Moral mit Gott geht, geht also auch ohne ihn.
Und da irgendwie die Evidenzen für seine Existenz verschollen sind, denke ich, ist es nicht völlig abwegig, sich mit dem ohne ihn zufrieden zu geben.

 

Und auf die Weise fährt man wahrscheinlich sogar noch viel besser:

Vor 2000 Jahren

GottVor 2000 Jahren war es noch einfach zu glauben.

Nicht nur, weil Gott damals dauernd irgendwelchen Menschen erschien und ihnen allerlei Anweisungen gab.
Ich meine, es dürfte einem ziemlich schwer fallen, die Existenz Gottes zu bezweifeln, wenn er einen jeden Samstag morgen aus dem Bett klingelt, oder?

Nein, vor 2000 Jahren war es noch einfach zu glauben, weil man überall das Handeln Gottes sah:
Wenn beim Nachbarn der Blitz einschlug, dann war es klar, dass das die Strafe Gottes war.
Man wusste schliesslich, was der auf dem Kerbholz hatte, und dass es höchste Zeit war, dass er mal seine verdiente Abreibung bekam.
Was man hingegen nicht wusste, war, dass Blitze völlig natürliche und durchaus vorhersagbare Phänomene sind. (Wohlgemerkt vorhersagbar in einem naturphilosophischen Sinn und nicht in einem moralischen!)
Und was man auch nicht wusste, war, dass uns die selektive Wahrnehmung einen Streich spielen kann, wenn wir irgendwo einen Akt der Gerechtigkeit zu entdecken glauben.

Zur Illustration: Wenn sich zwei Pixel zufällig über einen nicht allzu grossen Bildschirm bewegen, dann glauben wir schnell mal zu erkennen, dass der eine dem anderen hinterher jagt. Wir interpretieren das in die Situation hinein und empfinden sogar Empathie für den Verfolgten. Wir können gar nicht anders.
Unser Gehirn wurde im Lauf der Evolution genau darauf optimiert: Muster zu erkennen – und zwar lieber mal eins zu viel als ein zu wenig.

Das heisst, dass wenn ein Blitz ins Nachbarshaus einschlägt, dann hat das nichts damit zu tun, dass dieser eine Woche zuvor meine Katze überfahren hat. Und doch werde ich ein freudiges Gefühl der Genugtuung verspüren. Daran ändert auch nichts, dass ich ganz genau weiss, dass der Blitz den vermeintlichen, karmischen Ausgleich auch dann vollzogen hätte, wenn es jede beliebige andere Person erwischt hätte. Weil ich je nach dem, ob ich der Person was Gutes oder Übles wünsche, nach Guten oder Üblem als Folge des Blitzes Ausschau gehalten hätte. Und irgendwas hätte sich schon finden lassen. Garantiert!

Es gibt also offensichtlich keinen Ort auf der Welt, wo ein Blitz einschlagen könnte, wo er unserem spontanen Instinkt nach nicht etwas zum Guten wenden wird. Wenn das mal kein Beweis für die Liebe Gottes ist…
(Theoretisch wäre natürlich auch möglich, nach Folgen Ausschau zu halten, die das karmischen Ungleichgewicht verstärken und damit die Verschlagenheit des transzendenten Widersachers belegen, doch aus einem unergründlichen Grund zieht man es offenbar vor, diese Variante nur auf Ereignisse zu beschränken, wo Menschen die Finger im Spiel hatten.)

Heute wissen wir, dass wir für eine richtige Einschätzung dessen, ob etwas eine Strafe oder Belohnung ist, dem Ort, wo der Blitz eingeschlagen ist, alle anderen Orte entgegen stellen müssen, wo er genauso gut hätte einschlagen und mindestens genauso viel Gutes hätte verursachen können. Wir wissen, dass der Umstand, dass sich ein Ereignis ereignet, dessen Wahrscheinlichkeit sich ereignen zu können in keinster Weise beeinflusst.
Doch obwohl wir all das heute wissen, leitet uns unser Gefühl trotzdem immer mal wieder in die Irre!
Wohin musste einen das Gefühl erst geführt haben, als man all das noch nicht wusste?

Wenn etwas aussieht, als ob jemand dahinter steckt, man aber keinen blassen Schimmer hat, wie es tatsächlich funktionieren könnte, wie soll man da auf die Idee kommen, dass da doch niemand dahinter steckt?
Ausgeschlossen ist es nicht.
Eine sorgfältige Statistik beispielsweise würde keine Muster erkennen lassen, die man eigentlich erwarten müsste, wenn wirklich jemand dahinter stecken würde.
Oder man könnte auch die Überzeugung auf die Probe stellen, indem man die Lehre, die man aus der vermeintlichen Strafe gezogen hat, umgekehrt umsetzt und das nächste Gewitter abwartet.

Wie gesagt, vor 2000 Jahren war es noch einfach zu glauben.
Man konnte Gott sogar auf die Probe stellen: Man betete mal provokativ zu einem anderen Gott und prompt jagte der einzig wahre Gott einem den Mossad auf den Hals. Oder man konnte das auserwählte Volk in eine ausweglose Situation bringen, aus der Gott es dann mit einem Wunder wieder herausführte.
Heute geht das nicht mehr.

Okay, manche Christen sagen, man könne Gott auch heute noch auf die Probe stellen. Man müsse es sogar. Man müsse sich ihm bloss anvertrauen und man würde die Antwort erkennen.
Erinnert mich an die Sache mit dem Blitz. Bei einem Test sagt man das Ergebnis voraus und schaut, ob es dann auch so rauskommt. Hier schaut man sich die Ergebnisse an und überlegt sich, welches davon den Test beantwortet.
Erinnert mich an Bad Pharma… #AllTrials

 

Eigentlich lustig, dass fundamentale Gläubige sich lieber von der Intuition leiten lassen, die ein Produkt der Evolution ist, und sich gegen die Vernunft auflehnen, die in gewisser Weise die Evolution überwunden hat.

Abstand nehmen von seinen Helden

Ich halte mich selbst eigentlich für einen Feministen, doch damit, was Jane Rayner hier verlangt, schiesst sie nun definitiv den Vogel ab. Dass man Frauen so lange bei der Stellenvergabe an Universitäten und auch anderswo bevorzugt, bis das Geschlechterverhältnis jenem der zur Verfügung stehenden qualifizierten Kandidaten entspricht, halte ich trotz der inherenten Diskriminierung für völlig richtig, Männern aber grundsätzlich nicht gestatten zu wollen, dass sie Lehrstühle und Führungspositionen inne haben können, ist absurd. Dass Männer im Laufe der Geschichte so manchen Blödsinn angestellt haben, mag schon stimmen, ihnen aber daraus eine kategorische Unfähigkeit attestieren zu wollen, geht gar nicht. Selbst wenn die Chance, der der Lehre und Führung innewohnenden Macht zu erliegen, bei Männern um Grössenordnungen ausgeprägter sein mag als bei Frauen, wie Rayner mit Studien zu belegen versucht, so darf man das trotzdem nicht jemandem zum Vorwurf machen, der es sich noch nicht zuschulden gemacht hat. Das mag zwar manchen lästig erscheinen, doch so funktioniert nun mal die Ethik und unser Rechtssystem.

In den Kommentaren versuchen zwar ein paar Verteidiger verzweifelt ihre Forderungen so umzuinterpretieren, dass der Diskriminierungsvorwurf entkräftet wird, doch ich frage mich, wieviel Spielraum so klare Worte lassen?
Ich vertrete hier ja auch immer die Position, dass man von allen möglichen Interpretationen stets die liebste unterstellen soll, doch hier ist der Bogen überspannt.

Ich frage mich, ob es objektive Kriterien gibt, die einem sagen können, ab wann bei einer Interpretation der Bogen überspannt ist und man allgemein akzeptieren muss, dass „sowas“ nun definitiv nicht mehr herausgelesen werden kann?
Allerdings fürchte ich, dass egal, wie grosszügig man die Kriterien formuliert, es wird immer irgendwelche Trottel geben, die auch dann noch das erwähnte „sowas“ drin erkennen werden.

Bisher hätte ich eigentlich alle Ideen Rayners unterschreiben können – insbesondere von ihren religionskritischen Argumenten war ich stets sehr angetan. Doch dass es gerechtfertigt sein soll, „den Fuchs lieber grundsätzlich vom Hühnerstall fernzuhalten“, wie Rayner es formuliert, kann ich – wie übrigens die meisten anderen Kommentatoren – beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Kann es sein, dass Rayner und ich in den Punkten, wo wir uns einig sind, aus völlig unterschiedlichen, womöglich gar einander ausschliessenden Gründen die gleiche Position vertreten?
Soll vorkommen.

Oder hat sie vielleicht doch recht?
Könnte die Diskriminierung im Angesicht einer biologisch bedingten Schwäche doch gerechtfertigt sein?
Wenn man es nicht kategorisch macht, sondern mit einem Test (den durch eine biologisch bedingte Schwäche der Männer nur Frauen bestehen würden), dann würde auch der Vorwurf der Diskriminierung hinfällig.

 

 

not an atheist by choice

I’m not an atheist by choice, I am a seeker of truth. Being an atheist is a side effect of that endeavour.
JD Stockman

Das Problem mit dem Suchen nach der Wahrheit ist, dass man dabei eigentlich nur Unwahrheiten finden kann.
Das gilt auch und insbesondere für persönliche Erfahrungen, weil man nie mit letzter Gewissheit ausschliessen kann, dass man getäuscht wurde.
Wenn man aber raus gefunden hat, dass man getäuscht wurde, dann hat man tatsächlich eine Wahrheit gefunden.

Das stellt Gott aber vor eine denkbar blöde Situation.
Es gibt nämlich keinen Grund ihm zu glauben.
(Was lustigerweise nicht das gleiche ist wie an ihn zu glauben.)

Wenn Gott sich aus heiterem Himmel aufs Matterhorn setzt und das ganze Wallis mit notariell beglaubigten Wundern überflutet, dann überzeugt er uns zwar durchaus davon, dass er im Vergleich zu uns eine Menge auf dem Kasten hat, doch ist das noch kein Beweis dafür, dass er auch unser Universum erschaffen hat.
Und selbst wenn er  uns an den Anfang der Zeit mitnimmt und uns dabei zusehen lässt, wie er es tut, ist es keiner. Es könnte nämlich alles auch einfach nur ein Trick sein.

Allerdings muss man auch beachten, dass der Nachweis einer möglichen Funktionsweise des Tricks noch kein Beweis dafür ist, dass es auch wirklich ein Trick war. Das Vorhandensein von Motiv, Mitteln und Gelegenheit sind lediglich ein Beweis dafür, dass der angebliche Beweis als Beweis für die Wahrheit nicht ausreicht.

Sam Harris : Why Don’t I Criticize Israel?

Sam Harris präsentiert hier ein paar Gedanken, welche für viele ein etwas anderes Bild auf den aktuellen Konflikt zwischen Israel und Gaza werfen dürfte:

 

Die Schlüsselfrage bei der Beurteilung der Situation ist laut Harris: Was würden die beiden Parteien tun, wenn ihnen jedes gewünschte Mittel zur Verfügung stehen würde?
Für Israel ist die Antwort leicht, denn im Grunde steht ihnen bereits jedes gewünschte Mittel zur Verfügung. Ergo ist das, was sie tun, mehr oder weniger das, was sie wollen. Gaza ist eins der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt und die Hamas macht keinen Hehl draus, sich hinter Frauen und Kindern zu verstecken, was zur Folge hat, dass es verdammt schwer ist, bei militärischen Schlägen die zivilen Opfer möglichst klein zu halten. Das heisst, dass Israel wohl mehr Schaden anrichtet, als sie gern würden.
Bei der Hamas sieht es hingegen etwas anders aus. Aufgrund des Iron Dome und anderer israelischer Schutzmassnahmen werden die meisten ihrer Bemühungen Schaden in Israel anzurichten vereitelt. Sie zielen dabei aber keineswegs nur auf militärische Einrichtungen, sondern arbeiten laut ihrer eigenen Charta ausdrücklich auf einen Genozid der Juden hin. Sie richten also offensichtlich weniger Schaden an, als sie gern würden.

Die Hamas versteckt sich hinter menschlichen Schutzschilden, weil es funktioniert. Weil sie wissen, dass Israel alles daran legt, möglichst wenige Zivilisten zu verletzen.
Wie würde wohl die Hamas reagieren, wenn sich israelische Soldaten hinter jüdischen Kindern verstecken würde? Würden sie wirklich innehalten?

Wenn man sich ein Bild über einen Konflikt machen will, darf man sich meines Erachtens tatsächlich nicht nur anschauen, was passiert, sondern sollte auch einen Blick drauf werfen, was die beiden Parteien wünschen, dass passiert.

Das alles ändert natürlich nichts daran, dass die Palästinenser ein bedauernswertes, geschundenes Volk sind. Und daran ist sicherlich nicht wenig auch der Staat Israel Schuld, nicht zuletzt auch aufgrund seiner Form als jüdischer Staat.

Die fabelhafte Welt der Xenia : Wort-Bild-Symbiose

Keep your eyes on the stars,
and your feet on the ground.
Theodore Roosevelt

Xenia Tchoumitcheva

 

Xenias tiefgründige Gedanken – seien es nun ihre eigenen oder die von anderen in Form von Zitaten –  lassen uns immer mal wieder innehalten und über den Sinn des Lebens, des Universums und vom ganzen Rest sinnieren.  Nun ja, zumindest fast, denn eigentlich zermartert man sich vor allem darüber den Kopf, wieso sie ausgerechnet dieses Bild von sich zur Illustration jenes Gedankens auf Facebook und Twitter gepostet hat

Der Mensch als geschichtenerzählender Affe kann gar nicht anders als alles um ihn herum in Geschichten zu packen. Selbst in den Sternen, die er bekanntlich stets im Auge behalten soll, glaubt er Bilder zu erkennen.
Wenn Xenia also ein Bild neben einen Text stellt, dann müsste das als Ganzes dank unserer Fähigkeiten Assoziationen zu machen irgendwie mehr Informationen ergeben als die Summe der beiden alleine für sich. Doch das tut es nicht.

Um zu verdeutlichen, was ich meine, poste ich hier zwei zufällige Bilder aus dem DisOrganizer und ihr versucht die Bilder irgendwie in einen Zusammenhang zu bringen. Stellt euch vor, ihr seid Robert Langdon in einem Dan Brown Thriller und diese beiden Bilder sind euer Hinweis:

[random_image size=“medium“]{{{image}}}[/random_image]
[random_image size=“medium“]{{{image}}}[/random_image]

Wenn man sich von Absurditäten nicht abschrecken lässt, funktioniert es tatsächlich…
Jedoch nicht bei der obigen Kombination von Xenia – was meines Erachtens ein fundamentaler Verstoss gegen die Gesetze der Kognition darstellt.

Ich will hier natürlich nicht unterstellen,  dass Xenia sowas wie eine Emergenz-Singularität darstelle, denn mit einem anderen Bild – wie beispielsweise jenem von ihr auf dem Bootssteg – hätten sich durchaus gewisse mehr oder weniger witzige Verbindungen zwischen Zitat und Bild knüpfen lassen:

  • Auf den Zehenspitzen stehend parodiert sie neckisch, was es heisst mit festen Füssen auf dem Boden stehen.
  • Sie steht am Bootssteg, wo gleich die USS Theodore Roosevelt anlegen könnte.
  • Der Kopf ist im Himmel, die Füsse fast im Wasser.
  • Sie schaut in die Kamera, also bin ich der Star.
  • Sie hat keine Schuhe, wodurch sie den Boden besser spürt.
  • Ihre Pose erinnert an eine Rakete.
  • Nun ja, so viel gibt in diesem Zusammenhang auch dieses Bild wieder nicht her. Weitere mögliche Verbindungen dürft ihr gern Kommentarbereich erwähnen. Gern auch absurde.

.
Wieso klappt es dann nicht oben? Was ist ihr Geheimnis? Ist es sowas wie ein abstrakter Witz, wo die Auflösung des Widerspruchs, der in der Regel den humoristischen Aspekt eines normalen Witzes darstellt, eben bewusst nicht erfolgt? Damit müsste sie alle möglichen Assoziationen vorausahnen und ihnen bewusst entgegen wirken.
Oder ist es schlicht und ergreifend die Gleichzeitigkeit? Dass dies ein Bild von ihr ist, wo sie über die Tiefgründigkeit von Roosevelts Aphorismus nachdenkt? Sollte man das dann nicht irgendwie erkennen? Ganz subtil. So wie bei Altbundesrat Merz, als er übers Bündnerfleisch reflektiert hat?

Nun ja, fakt ist, dass sie bei ihren Fans Begeisterungsstürme auslöst, wie man an den unzähligen Kommentaren unter ihren Bildern erkennt. Wenn diese sich auch so gut wie nie zum geäusserten Gedanken äussern.

Wie dem auch sei, als Experimental-Philosoph habe ich es mir nicht nehmen lassen auch ein paar Beispiele der Xenia-Wort-Bild-Symbiose zu kreieren:

Aus „Alle Menschen sind sterblich
und „Sokrates ist ein Mensch
folgt „Sokrates ist sterblich“.
Logik

 

 

 

Ich habe keine Einwände
gegen frauliche Entblößung,
wenn es um die Ellenbogen geht.
Alice Schwarzer

 

 

 

Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter.
Buzz Lightyear

 

 

 

Ich habe mir wirklich mühe gegeben, doch irgendeine verstecke Bedeutung schleicht sich immer ein. Hut ab, Xenia!

Allerletzter Versuch!
Ich habe mir von einem Generator ein Zufalls-Zitat und ein Zufalls-Bild geben lassen:

Enten legen ihre Eier in aller Stille.
Hühner gackern dabei wie verrückt.
Was ist die Folge?
Alle Welt isst Hühnereier.
Henry Ford

 

Das irritierende ist, die beiden passen zwar wenig zu einander, dafür aber sehr zu Xenias Wort-Bild-Kombination. Komisch…

So viel richtig zu stellen

Oro Oro

Nach einem meiner Kommentare zu einem päpstlichen Tweet hat sich ein gewisser Oro Oro schützend vor ihn geworfen. Es entwickelte sich daraus eine zunehmend verfranste Diskussion über Gott und die Welt und was man so alles wissen und nicht wissen kann.
Nachträglich würde ich sagen, dass mein Part vor allem in der Korrektur gewisser Missverständnisse und Fehlschlüsse in Oros Argumenten bestand. Zumindest aus meiner Warte aus betrachtet. Für Oro scheint es eher der eines arroganten, menschen- und gottesverachtenden Nörgelers gewesen zu sein. (Was sich ja nicht notwendigerweise ausschliesst.)
Einige Zeit später flatterte eine ganze Breitseite herein, die meines Erachtens dermassen gespickt war mit Missverständnissen, dass das mit 140 Zeichen einfach nicht mehr zu packen war. Auf die will ich hier einzugehen versuchen:

Oro Oro @Orooro3
Dem Fall zu Folge, beispielweise Psychologie oder Phylosophie sind für Dich Thesen.
(Orotographie habe ich so belassen, wie sie war, um nicht womöglich hineinzuinterpretieren, das da gar nicht steht.)

Oro nimmt damit Bezug auf eine frühere Stelle, wo ich zu erklären versuchte, dass alle Aussagen, die entweder richtig oder falsch sein können, de facto Thesen seien, deren Gültigkeit zu überprüfen gewissermassen unsere Pflicht ist.
Psychologie und Philosophie sind aber keine Aussagen sondern Themen, über die und innerhalb derer Aussagen gemacht werden.

Ich werde übrigens den Verdacht nicht los, dass wenn Oro hier von Thesen spricht, er es in der Art „es sind ja nur Thesen“ tut und dabei irgendwie nicht realisiert, dass sie durchaus richtig oder falsch sein können.

Anheufung von Gedanken und Gefühlen die nicht mal sich Beweisen lassen…

Unter Beweisen versteht Oro – wie er an anderer Stelle erklärt hat – eine mit den Sinnen beobachtbare Bestätigung. Wenn er bloss das Gefühl hat, dass es einen Gott gibt, dann gilt das allein in der Tat noch nicht als Beweis für dessen Existenz.
Wenn das für ihn reicht, soll es mir recht sein, doch wenn er auf der Autorität dieses Gottes irgendetwas bauen will, das auch für andere Menschen Relevanz haben soll, dann reicht das nicht.

Tatsächlich ist aber die einzige von ihm akzeptierte Form des Beweis, also der durch Beobachtung, aus wissenschaftlicher Sicht äusserst problematisch, denn zu viele Faktoren können das Ergebnis verfälschen. Wir sehen nämlich wesentlich mehr, was wir sehen wollen, als das, was wirklich da ist. Dazu gibt es unzählige Studien.

Der Wissenschaft geht es im übrigen eigentlich gar nicht um Beweise als die endgültige Bestätigung einer These, sondern vor allem um Widerspruchsfreiheit und Konhärenz. Wenn eine These keine Fehler enthält, zu anderen passt und genauere Voraussagen macht als eine andere These, dann reicht das schon um weiter mit ihr zu arbeiten. Dass sie tatsächlich „wahr“ ist, würde ohnehin niemand behaupten.

Faustregel: Wenn von wissenschaftlichen Beweisen die Rede ist, dann ist es höchstwahrscheinlich kein Wissenschaftler, der dir das erklärt, sondern viel eher ein Pseudowissenschaftler oder ein schlechter Journalist.

Ich finde..du bist nicht mal Wiesenschaftlich und mischst verschiedene Sachen in deiner Krieg gegen Gott.

Ich befinde mich in keinem Krieg gegen Gott – wenn schon, dann gegen ungültige Argumente.
Dass ich irrtümlicherweise Dinge mische, die nicht gemischt werden sollten, mag schon stimmen, doch dies müsste schon belegt werden können.

Einer Seit, die Kirche ist böse.

Nein, ich sage, die Kirche ist gefährlich.
Das Konzept von gut und böse halte ich nämlich für wenig tauglich.
Ich denke nicht, dass die Kirche mit Vorsatz übles anstellt. Ich denke, dass sie mit den besten Absichten Sachen anstellt, die dann übel endeten.
Und ich denke, dass sie nicht deshalb übel endeten, weil ungeschickte Menschen am Werk waren, sondern weil einige ihrer Prämissen ausgesprochen wacklig sind.

Anderseits siehst Du nur die Materie und deine Humanismus hat zu tun mit einem Seelenlose Kreatur die „zufällig existiert“.

Jein. Klar sehe ich nur die Materie, doch ich erkenne auch die Struktur, in der sie sich befindet und weiss um deren Bedeutung.
Ich versuche lediglich nichts zu akzeptieren, was nicht gut begründet und nicht unumgänglich ist.

Diese seelenlose Kreatur, die „zufällig existiert“ soll wohl der Mensch sein, wie ihn und seine Entstehung sich die Wissenschaft vorstellt? Und Oro scheint die Vorstellung, dass er ohne Absicht eines Schöpfers entstanden ist nicht sehr zu gefallen.
Doch ob mir etwas gefällt oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, ob es so ist oder nicht.

Und mal abgesehen davon fürchte ich, dass Oro nicht wirklich versteht, was im Kontext der Evolution unter Zufall verstanden wird. Nämlich etwas gänzlich anderes als Beliebigkeit.

Doch, muss Du wiesen dass d Mensch sieht, spür, dass es Gott gibts.

Stimmt, der Mensch sieht.
Stimmt, der Mensch spürt.
Dass es Gott gibt? Wenn man ihn sehen und spüren, also mit seinen Sinnen wahrnehmen könnte, dann hätten wir die Diskussion über seine Existenz gar nicht (sondern nur darüber, ob er wirklich ein lieber Gott ist).
Das einzige was man hat, sind Dinge, die man als starke Indizien für die Existenz Gottes interpretieren kann. Bloss dass die Begründungen, dass es sich dabei tatsächlich um starke Indizien für die Existenz Gottes handelt, für Aussenstehende nicht im geringsten überzeugend sind.
Insofern ist die Behauptung, dass es Gott gibt, immer noch eine unbegründete Behauptung, die sich einzig und allein durch die Zahl der Gläubigen von jener unterscheidet, dass es den Osterhasen gibt.

Nur Gott gibts alles einem Sinn.

Nun ja, alle Götter tun das. Sowie auch alles andere, das man mit der Intention erfindet, dass es allem einen Sinn geben soll.

Die eigentliche Frage ist jedoch, ob überhaupt alles einen Sinn hat. Dürfte schwierig sein, das nachzuweisen…

Und das ist auch ein Menschenrecht. Religionsfreiheit.

Jap und das unterstütze ich auch. (Doch dazu gehört auch die Freiheit vor der Religion.)

Wenn in einem Land gewisse Religionen Privilegien geniessen, dann sind das Diskriminierungen für die anderen und das stellt eine Missachtung der Religionsfreiheit dar.

Aber dem nimmst Du in deinem Denkenweise weg, weil Du mich als Mensch „aufklârs“ und vorschriebs  dass es keinem Gott gibts, und dass es Gefährlich ist zu Glauben (aber nicht wegen Gott, sondern wegen die Menschen)

Ich verweigere jemandem sein Recht auf Religionsfreiheit indem ich ihn aufkläre? Indem ich ihn lerne selbst zu denken?
Von einer Vorschrift kann indessen keine Rede sein, höchstens von der Forderung nach einem Entzug gewisser Privilegien.
Wenn man gebildet und ohne propagandistische Dauerberieselung nicht glauben kann, dann ist das kein Problem der mangelnden Religionsfreiheit sondern das eines nicht sehr überzeugenden Glaubens.

Aber in dem Punkt, dass der Glaube gefährlich ist allein wegen der Mensch, stimme ich völlig zu. Denn es sind Menschen, die ihre Heiligen Bücher so auslegen, dass man damit schreckliches anstellen kann. Genauso wie es die Menschen sind, die den Abzug eines Revolvers drücken.
Und doch spricht nichts dagegen, dass man mit strengeren Waffengesetzen die Mordrate besser runter drücken kann als mit einem Appell an die Waffenträger.
Die heiligen Bücher sind Werkzeuge, die den Gläubigen das in die Hand geben, was sie gerade brauchen. Und wenn es eine Begründung dafür ist, jemandem den Kopf einschlagen zu können, dann tut man es ohne schlechtes Gewissen.

Also, dem zu Folge beachtest Du die Menschenrechte nicht.

Es gibt auch die Meinungsfreiheit, die es mir erlaubt, deine Überzeugungen für absurd zu halten. Wenn dich das davon abhält weiter an den Blödsinn zu glauben, ist das allein dein Problem.
Ich verlange nicht, dass die Menschen nicht mehr glauben. Ich verlange lediglich, dass man nicht irgendwelchen Glaubensinhalten eine besondere Behandlung gewährt.

By the way, wenn Oro die 10 Gebote für die moralische Basis hält, sollte er sich mal überlegen, welche Freiheit das erste von ihnen einschränkt?
Geht wirklich von den Atheisten eine Gefahr für die Religionsfreiheit aus?
Oder nicht vielleicht eher von jenen, wegen denen und gegen deren Willen man die Religionsfreiheit überhaupt erst aufgestellt hat? Den Religionen?

Und wenn Dir Beispielweise stört dass die Kirche die Homo Ehe nicht toleriert, hat dass mit dem Kirche zu tun, aber Du mischst das auch mit dem Thema Gott.

Wenn die Kirche sich zur Stammzellenforschung äussert, dann hat das tatsächlich wenig mit Gott direkt zu tun, denn wir haben meines Wissens keine Zeugnisse davon, was Gott wirklich über dieses Thema denkt. Wir können lediglich von den Ansichten, die wir kennen, auf die zu diesem Thema extrapolieren.

Was jedoch die Tolerierung der Homosexualität betrifft, so spricht sich da Gott dazu sehr deutlich in der Bibel aus.

Ob es Existiert usw

Die Verachtung von Homosexualität (nicht der Homosexuellen, wohlgemerkt) durch die Gläubigen hat nichts mit der Existenz Gottes zu tun, dessen Aussagen in der Bibel die Gläubigen diese Verachtung überhaupt erst empfinden lassen? hm

Und übrigens, für ein Humanist tönst Du simlich intolerant mit andersmeinige Argumentationen.

Kann man intolerant gegenüber Argumenten sein?
Entweder ist ein Argument gültig oder es ist fehlerhaft. Verlangt Oro jetzt wirklich, dass ich fehlerhafte Argumente durchwinke?

Und mal abgesehen davon. Toleranz spielt beim Humanismus keine allzu grosse Rolle, weil wir uns sehr klar darüber sind, dass unhaltbare Sachen unter keinen Umständen toleriert werden dürfen. Selbst dann nicht, wenn sie althergebrachte Traditionen sind.

Liebe Grüsse

dito

Das Euthyphron-Dilemma

Allgemein ausgedrückt geht es um die Frage, ob etwas deswegen ethisch richtig ist, weil es dem Willen einer Gottheit entspricht, oder ob es an und für sich ethisch richtig ist und aus diesem Grund von der Gottheit gewollt wird. Wenn das ethisch Richtige als das Gottgefällige definiert wird, haben Begriffe wie „gut“ und „richtig“ keinen eigenen Inhalt, sondern besagen nur, dass etwas von einer Gottheit gewollt wird. Dann sind alle ethischen Aussagen auf Aussagen über den göttlichen Willen reduzierbar und die Ethik hat keine eigenen Kriterien, nach denen sie etwas beurteilen könnte. In diesem Fall gibt es keine Ethik als eigenständige philosophische Disziplin. Wenn hingegen das ethisch Richtige eigene Merkmale aufweist, aus denen sich seine Definition ergibt, dann ist die Gottgefälligkeit kein Teil der Definition und somit kein Kriterium für ethische Urteile. In diesem Fall existiert eine ethische Norm, an die auch die Gottheit gebunden ist, sofern die Aussage „Gott ist gut“ bzw. „Die Götter sind gut“ zutreffen soll. Dadurch erscheint diese Norm als höchste Instanz, die sogar dem göttlichen Willen übergeordnet ist.
Wikipedia : Das Euthyphron-Dilemma

Pontifex-Dialoge: Von der Nächstenliebe

Seit mir der Papst für ein Twitter-Follow einen Ablass vom Fegefeuer offeriert hat, führe ich von Zeit zu Zeit kleinere Dialoge mit dem Pontifex. Dies ist ein weiterer davon:

25. November

Papst Franziskus @Pontifex_de
Den Nächsten lieben heißt, nicht die eigenen Interessen suchen, sondern die Lasten der Schwächeren und Ärmeren tragen.

Da geht einem doch glatt das Herz auf, wenn man solche Worte von einem Pontifex liest. Wer stört sich dann da noch an logischen, ethischen und historischen Mängeln?

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Niemand würde je sagen, dass Nächstenliebe heisst, die eigenen Intressen zu suchen. Dafür gibt es andere Worte. #Tautologie

1. WOW, was für eine Einsicht in die Natur der Dinge…
Mal sehen, ob ich das auch hinkriege…
Velo fahren heisst, nicht in einem Flugzeug sitzen, sondern die Pedalen eines Drahtesels treten.
Fussball spielen heisst, nicht einen Baum fällen, sondern in deinen Ball treten.“
Kochen heisst, nicht das Essen essen, sondern das Essen machen.“
WOW…

2. Okay, vielleicht meinte er, dass den Nächsten zu lieben heisst, NIE die eigenen Interessen zu suchen, sondern IMMER die Lasten der Schwächeren und Ärmeren zu tragen. Also sein gesamtes Leben auf das Helfen auszurichten. Doch das steht nicht da – obschon noch Zeichen genug zur Verfügung gestanden hätten.
Hinzu kommt, dass sich die Hilfe und die Interessen gar nicht notwenigerweise auszuschliessen brauchen. Eigene Interessen brauchen keineswegs egoistisch oder gar zerstörisch zu sein. Allein schon beim Papst scheint die Nächstenliebe einem sehr grossen eigenen Interesse zu entsprechen. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass Nächstenliebe sich genau durch das eigene Interesse definiert, nämlich jenes anderen zu helfen.

3. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit könnte sein, dass man bei der Nächstenliebe die Hilfe nicht daran ausrichten sollte, was einem am besten passt, sondern was dem anderen am meisten nützt. Das wäre ein sehr schöner Gedanke, doch für einen so weisen Mann mit einem solchen Heer an weisen Beratern, hat er das ziemlich lausig formuliert.

Andererseits leben die Kirchen ja gerade davon, dass sie etwas immer anders sagen, so dass man es auch verschieden verstehen kann. Gemeint ist also nicht, was da steht, sondern was gerade gebraucht wird – wodurch es perfekt zur dritten Interpretationsmöglichkeit passt.

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Wie nah ist der Nächste? Ist ja nicht so, dass Gott im alten Testament die Nächstenliebe an Andersgläubigen praktizieren liess.

1. Jesus wurde mal gefragt, wer denn genau der Nächste sei und er antwortete mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,29-37). Die Quintessenz ist, dass jener dem Hilfsbedürftigen am nächsten war, der diesem geholfen hat.
Das ist allerdings eine etwas schräge Antwort auf die Frage, woran man den Nächsten erkennt, den man gemäss „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ lieben soll, denn obgleich der Samariter sich hier sehr zuvorkommend gegenüber dem Hilfsbedürftigen verhalten hat, muss er keineswegs eine allzu grosse Zuneigung gegenüber diesem empfunden haben. Chirurgen helfen schliesslich auch Tausenden von Leuten ohne sie deswegen Lieben zu müssen. Und der Hilfsbedürftige empfindet sicherlich eine überschwängliche Dankbarkeit gegenüber seinem Wohltäter, was hier und da gern mit Liebe verwechselt wird, dann jedoch in der Regel nur Transferenz ist.
Wir kennen die tatsächlichen Motive des Samariters nicht. Es wird Altruismus gewesen sein, wie wir ihm immer wieder mal begegnen. Diesen mit Liebe gleichsetzen zu wollen, wäre allerdings eine bedenklich inflationäre Verwendung des Begriffs Liebe – und ich glaube kaum, dass sich Gott mit dieser Art von Liebe zufrieden gibt, die einen dazu veranlasst einer alten Dame über die Strasse zu helfen.

Wenn man den Nächsten also tatsächlich analog zu diesem Gleichnis zu definieren versucht, dann ist mir jener der nächste, der sich – aus welchem Grund auch immer – dazu entschlossen hat, mir zu helfen? Und den soll ich lieben wie mich selbst?
Und wenn der Nächste nur anhand der an mir geleisteten Hilfe offenbar wird, dann kann der Auftrag: „So gehe hin und tue desgleichen!“ als Antwort auf meine Frage, woran ich meinen Nächsten erkennen kann, nur bedeuten, ich soll mich von Räubern überfallen lassen.

1.5 Dass der Samariter für das Raubopfer während der Reanimation der nächste ist okay, doch wäre dieser Logik folgend dem Opfer während des Raubes nicht sein Peiniger der Nächste? Auch hier geschieht es bisweilen, dass das Opfer seinem Peiniger gegenüber ein positives emotionales Verhältnis aufbaut (vgl. Stockholm Syndrom).

2. Wenn man aber einen Christen fragt, wer denn genau mein Nächster ist, dann sind das für diesen ganz klar alle Menschen der Welt. Da fragt man sich aber, wieso heisst es: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Lev, 19:18)“ und nicht „Du sollst alle lieben wie dich selbst„?

Wohl weil der erste Teil des besagten Verses „An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen“ lautet und damit sehr deutlich klar gestellt wird, dass die Nächstenliebe sich nur auf eine sehr beschränkte Gruppe von Menschen bezieht.
Das unterstreichen auch die im alten Testament von Gott höchstselbst ausgesprochenen Kriegserklärungen gegen alle Andersgläubigen und der Missionsbefehl im neuen Testament sowie die Tweets vom Papstes (hier, hier und hier).

Was aber eigentlich alles auf das gleiche hinausläuft: Am Ende gibt es nur noch das eigene Volk. Früher indem man alle anderen umbrachte, heute indem man sie zum eigenen Volk konvertieren lässt. Wodurch dann tatsächlich alle zu den Nächsten gehören, sei es weil sie bereits zum eigenen Volk gehören oder es bald tun werden.

Andere Völker auszumerzen kann dann auch leicht als ein Akt der Nächstenliebe verstanden werden: Der Nächstenliebe den Kindern und Kindeskindern jener Völker gegenüber, denen dadurch eine Geburt und die ewige Verdammnis aufgrund eines falschen Glaubens erspart bleibt. Ein bedauerliches Opfer, aber was ist schon eine Generation Mord und Totschlag im Vergleich zu den vielen, vielen, vielen Generationen in glückseeliger Ewigkeit?

Ganz zu schweigen von der leicht utopischen Überzeugung, dass wenn erst mal alle Schäfchen in der Herde sind, dass dann Milch und Honig fliesst. Oder geht es beim Missionieren gar nicht um den Weltfrieden?

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Sollte Nächstenliebe nicht unabhängig von Religion, Rasse, Geschlecht, sozialem Status, sexueller Vorliebe und Vermögen sein?

Die Schwachen und Armen bedürfen selbstverständlich unserer Hilfe. Doch nicht aus Liebe, sondern weil es unsere ethische Pflicht ist. Wenn ich aus Liebe helfe, werde ich denen, die ich mehr liebe, mehr helfen. Und den Arschlöchern entsprechend etwas weniger. Den Leuten einreden zu wollen, dass sie allen Leuten die gleichen Emotionen entgegen bringen sollen, ist absurd. Genau deshalb überlässt man die soziale Sicherheit lieber nicht der Nächstenliebe, sondern der Bürokratie, die zwar bisweisweilen ziemlich bescheuert sein kann, doch es immerhin allen gegenüber im gleichen Masse ist.
Des weiteren lässt die Liebe uns nicht helfen, weil es unserer Hilfe bedarf, sondern weil wir helfen wollen. Und deshalb ist es eigentlich völlig egal, ob die betreffende Person unsere Hilfe überhaupt braucht. Insofern müsste uns die Nächstenliebe auch gebieten den Starken und Reichen zu helfen.

Die Liebe ist bei der Hilfeleistung noch in einem anderen Punkt eher hinderlich. Wenn ich eine Person liebe, dann liebe ich sie, wie sie ist. Und da werde ich ihr kaum zu einer Nasenkorrektur raten. Dies kann ich nur tun, wenn ich eine gewisse emotionale Distanz aufzubauen fähig bin und die Zusammenhänge etwas grossräumiger zu überblicken vermag. Die Liebe dagegen macht blind.

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Ist es wirklich Liebe, wenn man die Lasten der Schwächeren nur trägt, wenn sie dafür Jesus annehmen? Ist das nicht Geschäft?

Wenn man die Hilfe an Bedingungen knüpf – und seien diese noch so subtil formuliert – dann ist es keine Liebe, sondern ein Geschäft.
Jemandem nur Essen zu geben, wenn er sich vorher eine Predigt angehört hat, ist genauso ein Akt der Liebe, wie es die Ausstrahung eines mit Werbung gespickten Films im Fernsehn ist.
Wenn das Ziel ist am Ende mehr Geld in der Kasse, mehr Schäfchen in der Herde oder weniger weniger Schäfchen in der Herde zu haben, dann war Eigennutz im Spiel. Selbst dann, wenn es nachgewiesenermassen zum Wohle aller ist.

Wie glaubwürdig ist es eigentlich zu sagen, dass ich einen Befehl aus Liebe befolge, wenn mir andernfalls eine schreckliche Strafe droht? Was ist das für eine Liebe? Vor allem wenn man annimmt, dass der Befehl auch aus Liebe formuliert wurde…

Es braucht noch nicht mal die Bedingung, allein schon das durch die Hilfsbedürftigkeit bedingte Machtgefälle lässt Werte übernehmen und die Herde anwachsen. Man nutzt die Situation aus und das ist ethisch verwerflich. Deshalb sollten Helfer jeglicher Art sich genauso weltanschaulich neutral Verhalten wie wir es von Lehrern und Beamten verlangen.

Die Grenzen des Autoritätsbias

Das Autoritätsargument ist ein Fehlschluss – zumindest so lange, wie die überprüfbaren Belege der erwähnten Autorität nicht nachgereicht werden können. Wenn man diese hingegen nachreichen kann, dann ist das eine bequeme und legitime Abkürzung.

Der Autoritätsbias ist etwas ganz anderes. Das ist unsere natürliche Tendenz die Meinung einer in der Hierarchie uns übergeordneten Persönlichkeit zu übernehmen. Das ist eine natürlich, nicht immer unproblematische, soziobiologisch Reaktion.
Bisweilen wird allerdings statt von der in der Hierarchie übergeordneten Persönlichkeit auch einfach von einem Spezialisten gesprochen. Dies klingt zwar weitgehend deckungsgleich, impliziert jedoch, dass es hier nicht mehr um das Sozialverhalten, wo man die Gültigkeit einer Aussage allein aus der übergeordneten hierarchischen Position der Autorität ableitet,  sondern um die Qualität der Argumentation, welche durch überprüfbare und von Peers weitestgehend akzeptierten Belege gestützt wird, geht. Und das kann verhängnisvoll sein.

Beispielsweise wenn man leichtfertig dazu aufruft jeglicher Autorität gegenüber respektlos zu sein wie dies Rolf Dobelli in seinem Buch „Die Kunst des klaren Denkens“ tut. Er baut seine Argumention auf verschiedenen Beispielen auf:

  • Keiner der Abermillionen von ausgebildeten Ökonomen schaffte es das Timing und den Hergang der Finanzkrise vorauszusagen.
    Stimmt, doch erhebt die Ökonomie überhaupt für sich in Anspruch genau dies exakt tun zu können? Dass einzelne Exponenten ein anderes Verständnis von der Präzision der Voraussagbarkeit in der Wirtschaft haben, ist ihre persönliche Fehleinschätzung und kann der Wissenschaft an sich nur sehr begrenzt zum Vorwurf gemacht werden.
  • Bis ins Jahr 1900 war es nachweislich besser als Kranker nicht zum Arzt zu gehen.
    Stimmt, weil die Ärzte zu jener Zeit nur „drei“ Krankheiten erfolgreich behandeln konnten und der Job des Arztes eigentlich nur daraus bestand zu schauen, ob die konkrete Krankheit eine jener drei ist und wenn ja die Therapie anzuwenden. Die Ärzte waren sich dessen bewusst, versuchten aber nichtsdestotrotz ihr bestes – und verschlimmerten die Sache in den meisten Fällen nur. Auch hier liegt eine persönliche Fehleinschätzung vor, begünstigt noch durch die Unkenntnis der Tatsächlichen Wirkzusammenhänge.
  • In Milgrams Experiment brachte der Versuchsleiter seine Probanden dazu andere Probanden im Dienste einer höheren Sache zu quälen.
    Stimmt, doch hier ging es darum den Autoritätsbias überhaupt erst nachzuweisen, indem man zeigte, wie leichtfertig die Probanden die Verantwortung an ihren Handlungen allein aufgrund einer anwesenden Autorität weiter zu geben bereit sind. Neuere Untersuchungen zeigen, dass Milgram verschiedene Variationen dieses Experiments durchgeführt hat, wobei diese hier das mit Abstand deutlichste Resultat erbrachte.
  • Viele Unfälle in der Luftfahrt ereigneten sich weil der Pilot etwas übersah und der Copilot sich nicht traut es anzusprechen.
    Genau, hier haben wir es endlich tatsächlich mit einem unverfälschten Autoritätsbias zu tun.

 

Das Beispiel aus der Luftfahrt unterscheidet sich allerdings fundamental von den anderen dadurch, dass der Copilot, was das Wissen und die Erfahrung angeht, auf einem ähnlichen Level steht wie der Pilot. Sprich, er könnte diesen im Notfall ersetzen, wodurch sein Schweigen allein auf die Ehrfurcht vor der sozialen Stellung zurückgeht. Das ist jedoch beim Wirtschaftswissenschaftler, resp. Arzt des 19. Jahrhunderts nicht gegeben, weil hier ein Verhältnis zwischen Laie zum Spezialist vorliegt. Klar, was das Tippen auf Börsenkurse betrifft, kann der Normalsterbliche durchaus manchmal besser liegen, doch das ist nur winziger Bruchteil der Wirtschaftswissenschaften, die allerdings auch enthält, wieso es sich bei den Börsentipps genau so verhält. Und klar, ein Hahnemann hat zweifellos genau dadurch etliche Leben gerettet, dass er sprichwörtlich nichts gemacht hat, doch das ist nicht sein Verdienst und schmälert auch nicht die noch so bescheidenen Leistungen der Medizin.
In winzigen Teilgebieten der Ökonomie und der Medizin mag der Zufall zweifellos manchmal besser liegen, jedoch nie im Cockpit eines Flugzeugs. Und deshalb können wir auch nur aus dem Beispiel aus der Luftfahrt etwas lernen und die Erkenntnisse in anderen Branchen übertragen – was zweifellos mehr als angebracht ist.

Doch aus dem Beispiel mit dem Arzt verleitet dazu auch die moderne Medizin zu hinterfragen, inklusive beispielsweise des Impfens. Eine Einschätzung, für die es eigentlich eine wesentlich fundiertere Qualifikation braucht, als einen Analogieschluss.
Als ob das noch nicht schon genug wäre, knüpft Dobelli den Status dieser Spezialisten an Äusserlichkeiten statt an die Zustimmung ihrer Peers. Doch nicht die Überzeugung der Passagiere macht den Piloten zum Chef, sondern die des Copiloten um den Wissens- und Erfahrungsvorsprung. Und nicht der Titel macht den Arzt oder Wissenschaftler zu einem Experten, sondern die andauernde Bestätigung innerhalb des Diskurses mit seinen Fachkollegen.
Weiter merkt Dobelli an, dass in jeder Zeit andere Autoritäten sexy sind und man die Autorität gern fachübergreifend einzusetzen versucht. Das stimmt zwar, doch das ist der Fehlschluss „Autoritätsargument“ und hat mit dem Bias, wie gesagt, nicht viel zu tun.

Dies alles bedenkend, sieht auch Milgrams Experiment auf einmal etwas anders aus, als es vielleicht auf den ersten Blicke erscheint. Es gibt hier nämlich verschiedene Ebenen, auf denen die Autorität wirkt. Zum einen die technische, wo der Versuchsleiter sehr wohl besser als der Proband weiss, wie gefährlich die Stromstösse sind. Und zum anderen die ethische, wo dem Versuchsleiter aber keine besseren moralischen Urteile, die dies rechtfertigen würden, zur Verfügung stehen als dem Probanden. (Hier könnte man bestenfalls zu argumentieren versuchen, dass es sich hier um bedauerliche Opfer zum Wohl der Menschheit handelt. Und tatsächlich sind wir nicht selten geneigt eine solche Begründung durchgehen zu lassen.)

Unter dem Strich empfiehlt es sich den Autoritätsbias gegenüber einem Menschen nur dann abzulegen, wenn man in der Lage ist, ihn in seiner Aufgabe zu ersetzen. Wobei man sich hier höllisch vor dem Dunning-Kruger-Effekt in Acht nehmen muss, nämlich dass man sich umso sicherer ist etwas von einer Sache zu verstehen, je weniger man effektiv von ihr versteht.

Pontifex-Dialoge: Kranke und Behinderte sollen stolz auf ihre Lage sein?

Kranke und Behinderte sollen sich nach den Worten von Papst Franziskus nicht für ihre Lage schämen. Für die Kirche und ihre Gläubigen seien sie eine „spirituelle Ressource“, sagte Franziskus am Samstag vor Betroffenen und Helfern in der Audienzhalle im Vatikan. Denn in ihnen zeige sich zum einen der leidende Christus, zum anderen ermögliche die Hilfe für die körperlich Bedürftigen, das Evangelium zu leben. „Schämt euch nicht dafür, ein wertvoller Schatz der Kirche zu sein“, so der Papst. Er kritisierte ein soziales und kulturelles Klima, in dem körperliche Mängel lediglich als Problem wahrgenommen und versteckt würden. (kath.net, 10. November 2013)

Schon seit jeher haben die Kirchen an den Kranken und Siechen ihre Barmherzigkeit zur Schau gestellt, soweit also nichts neues. Sich um einen Hilfsbedürftigen zu kümmern, bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass man nicht überzeugt davon sein kann, dass die betreffende Person aus eigenem Verschulden in diese Situation gekommen ist, und dass man sowohl die Situation als auch das Verschulden nicht verurteilen kann.
Ärzte haben keine Mühe damit: Wenn ein bei einer Schiesserei verwundeter Verbrecher ins Spital eingeliefert wird, wird er wie jeder andere behandelt, selbst wenn die Chirurgen seine Tat klar ablehnen. Auf die Wunde angesprochen, werden die Ärzte allerdings wohl kaum sagen, dass der Verbrecher sich für diese Schämen sollte. Eher dafür, was er angestellt hat, damit er sie erhielt.
Wenn also Franziskus sagt, der Behinderte soll sich nicht für seine Behinderung schämen, dann heisst das noch lange nicht, dass sie nicht trotzdem eine gerechte Strafe Gottes ist.
Auch heute noch werden nämlich Naturkatastrophen und Krankheiten als Strafe Gottes interpretiert. Von den Kirchen vielleicht nicht mehr so deutlich, doch distanzieren sie sich davon auch nicht explizit. Kein Wunder also, dass da eine latente Neigung sich zu schämen bestehen bleibt, wo man doch das Zeugnis einer Sünde auf dem eigenen Körper geschrieben steht.

Wäre den Kranken und Behinderten da nicht mehr gedient, wenn der Papst ein für alle Mal verkünden würde, dass Naturkatastrophen und Krankheiten keine Strafen Gottes seien?

Da ist aber noch was anderes, was mich fast noch mehr stört:
Ein „wertvoller Schatz der Kirche“ zu sein… stösst nur mir das sauer auf? Ein Schatz ist doch etwas, das mir etwas anderes begehrenswertes ermöglicht: Ein Schatz ist ein Mittel zum Zweck. Und das wird vom kategorischen Imperativ explizit abgelehnt: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchest.“ (aus Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten)
Behinderte sind Ressourcen, die es den Gläubigen erlauben ihr Soll an Barmherzigkeit zu erreichen und damit dem himmlich Vater zu gefallen?

Was wäre wenn die Medizin alle Behinderungen und Krankheiten besiegen würde? Die Kirche wäre um Möglichkeiten gebracht das Evangelium zu leben…
Ist das der Grund, wieso die Kirchen sich heute gegen Stammzellenforschung und in der Vergangenheit gegen jeden medizinischen Meilenstein gestellt haben? Sehen sie ihren Schatz schrumpfen?

Körperliche Mängel sind eben doch ein Problem, allein schon deshalb, weil wir einerseits als Individuen und als Gesellschaft uns bemühen diese zu Verhindern, und weil wir andererseits denen die sie haben, ein möglichst unbeschwertes Leben ermöglichen wollen. Beides lässt sich auf vielerlei Weise bewerkstelligen. Manchmal erfolgreicher, manchmal weniger.
Daran scheint der Papst hier aber kein grosses Interesse zu haben. Für ihn sind körperliche Mängel eher eine Chance. Ihm geht es darum das Evangelium zu leben und den Gläubigen die Möglichkeit zu bieten ihre Barmherzigkeit unter Beweis zu stellen. Wo ist da die Motivation etwas zu verändern?

Ein moderner Heiliger in spe könnte da glatt auf die Idee kommen, sich zum Wohl der Menschheit zu verstümmeln.

Moral und Ethik

Moral und Ethik werden selbst im Sprachgebrauch der Philosophie gern synonym verwendet, doch lohnt es sich meines Erachtens diese beiden Begriffe zu unterscheiden, weil auf diese Weise diametral entgegengesetzte Ansätze zur Begründung von Verhaltensnormen nicht unter einen Hut gepresst werden müssen:

In der Moral geht es um die subjektive Wertigkeit von Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich vorgegebener metaphysischer Beurteilungskriterien (gut und böse), in der Ethik hingegen um die objektive Angemessenheit von Handlungen anhand intersubjektiv festgelegter und immer wieder neu festzulegender Spielregeln (fair oder unfair).
zitiert aus aus dem Manifest des Evolutionären Humanismus von Michael Schmidt-Salomon