Integration

Muslima-Bikini„Wenn jemand denkt, dass die Integration dieser Kulturen möglich ist, ist er ein Idiot.“, heisst es als Kommentar zum Bild links.
Genau das gleich könnte man auch von zwei Punks meinen, die zwischen ein paar im Gras liegenden Anzugträgern hindurch spazieren.

Aber was ist eigentlich diese Kultur, in die sich die beiden Muslimas auf dem Bild nicht zu integrieren fähig sind?
Das Tragen von Bikinis im Sommer?
Niemand muss im Sommer einen Bikini anziehen.

Aber man kann! Und genau das ist unsere Kultur: Ich kann tun und lassen, was ich will – sofern ich damit nicht einen anderen in seiner Freiheit behindere.
Andere Kulturen behaupten zwar auch, dass man bei ihnen alles tun und lassen könne, was man wolle – sofern man damit nicht einen anderen in seiner Freiheit behindere – , doch unterscheiden sich dort oft die Freiheiten, in der man behindert werden kann, je nach Ethnie, sozialer und wirtschaftlicher Herkunft, Sprache, Alter, Geschlecht, Religion, politischer und sonstiger Überzeugung, sexueller Orientierung, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, körperlichem Erscheinungsbild und Artzugehörigkeit.
Unsere Kultur ist dagegen zunehmend blind auf diesen Augen. Sie macht keinen Unterschied zwischen den Unterschieden. Und das ist gut so.
Das heisst, in unserer Kultur ist es für Frauen genauso okay Burkas zu tragen, wie für Männer Bikinis.

Fahnenschwingen, Fondue und Fasnacht sind lokale Folklore. Hübsch und zweifellos wichtig für unsere Identität als Teil der Kultur, doch brauchen nicht alle die gleichen Sitten, Lebensweisen, Traditionen, Bräuche und Gewohnheiten zu zelebrieren um ein Teil der gleichen Kultur zu sein.

Ein Gedanke am Rande: Von welcher Kultur sprechen wir eigentlich, wenn wir von UNSERER Kultur1 reden? Kreis 5? Zürich? Kanton Zürich? Deutschschweiz? Schweiz? Mitteleuropa? Europa? Oder die Fans von Züri West? Berner Mundartrock? Berner Musik? Schweizer Musik? Europäischer Musik? Europäisch-amerikanischer Musik? Oder meinen wir die Kirchgemeinde St. Josef? Bistum Chur? Katholische Kirche? Christentum? Oder FCZ? SFV? UEFA? FIFA? Oder die Verehrung von langhaarigen Brünette? Brünette? Behaarte? Oder Spieler von Ego-Shootern? Shootern? Actionspielen? Computerspielen? Spielen? Oder Anhänger von Komplexmittelhomöopathie? Homöopathie? Alternativmedizin? Medizin? Und meinen wir diesen Sommer? Dieses Jahr? Dieses Jahrzehnt? Dieses Jahrhundert? Dieses Jahrtausend?
Es gibt so viele Möglichkeiten eine Kultur zu bestimmen, dass es für beliebige drei Menschen auf der Welt immer eine Kultur mit ihrer eigenen Folklore gibt, der zwei von ihnen angehören, der dritte aber nicht.

Obschon sie um ihr Brauchtum fürchten, wird niemand ernsthaft die Abschiebung von jemandem verlangen, nur weil dieser nicht hornussen tut. Es sind andere Gefahren, die besorgte Bürger heraufziehen sehen, wenn sie vor der Masseneinanderung warnen – insbesondere vor jener aus dem arabischen Kulturkreis.

Sie fürchten um ihren Wohlstand.
Das ist zwar von allen Gründen der jämmerlichste, weil er dem Leid anderer gegenüber gleichgültig ist, aber okay, man kann nicht ausschliessen, dass die Einwanderung tatsächlich den Wohlstand reduziert. Andere sehen darin zwar vielleicht sogar eine Chance für den Wohlstand, das spielt aber eigentlich keine Rolle. Wichtig ist, dass die gleiche „Gefahr“ von Einwanderern aus dem Nachbarland oder Nachbarkanton ausgeht, die genau die gleiche „Kultur“ haben, und demzufolge eigentlich nichts mit der Kompatibilität von Kulturen zu tun hat.

Sie fürchten um ihre Sicherheit.
Die Kriminalitätsrate scheint allerdings mehr von sozioökonomischen Faktoren abhängig zu sein als von kulturspezifischen2 – was bedeutet, dass wenn man die Einwanderer aufs gleiche Bildungsniveau hebt und ihnen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen gibt wie den Einheimischen, dass sich die Kriminalitätsraten zwischen diesen nicht unterscheiden werden. Die Kultur stellt also keine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit dar – sondern der Rassismus.

Den Terror als Sicherheitsrisiko klammere ich hier explizit aus, weil der Terror nur ein Mittel ist, mit dem etwas erzwungen werden soll, was wir ansonsten grundsätzlich ablehnen. Insofern fürchten wir uns eigentlich weniger vor dem Terror selbst, sondern nehmen diesen eher widerwillig in Kauf, während wir uns eigentlich vor der Umsetzung dessen fürchten, was die Terroristen fordern. Würden wir es nicht fürchten, würden wir es umsetzen und der Terror wäre nicht nötig.
Knifflig ist aber, dass es oft nicht so leicht ist eine Ungerechtigkeit vom natürlichen Lauf der Dinge zu unterscheiden. Nur weil etwas schon immer so war, muss nicht heissen, dass es so auch richtig ist. Und deshalb braucht die Sache, welcher mit Gewalt Nachdruck verliehen wird, nicht notwendigerweise immer schlecht zu sein. Und möglicherweise liesse sich mit der Umsetzung der anscheinend absurden Idee vielleicht sogar das Wohlergehen und Sicherheit insgesamt steigern. Ich denke da beispielsweise an die Sklaverei, wo die Sklavenaufstände durchaus ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Befreiung darstellen. Diese Revolten wurden zweifellos als terroristische Akte betrachtet, legten aber dennoch den Grundstein für einen wichtigen sozialen Fortschritt. Das Problem damals war, dass offenbar keine politischen Mechanismen zur Verfügung standen, soziale Ungerechtigkeiten effizient zu identifizieren und zu eliminieren.
Die Frage ist, ob sich mit unseren heutigen Rechtsmitteln Zustände wie Sklaverei oder ein fehlendes Frauenstimmrecht auf institutionellem Weg beseitigen lassen? Und das schnell genug, dass es sich nicht lohnen würde die Sache mit Gewalt zu beschleunigen? Ich hoffe schon.
Liesse sich auf die gleiche Weise auch die klare Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern (wieder) einführen, wie sie von der Sharia verlangt wird? Und das Verbot der Homosexualität? Und der Blasphemie – zu der in gewissem Sinne auch die Apostasie gehört?3 Ja, ich denke auch das liesse sich auf friedlichem, demokratischem Weg erreichen. Es bräuchte Zeit4 und sehr viel Überzeugungsarbeit5 und vielleicht sogar eine Verfassungsänderung und die Minderheit der Gegner wäre dann wesentlich unglücklicher als die Minderheit der Befürworter dieser Konzepte heute, aber es liegt wohl im Bereich des Möglichen.

Sie fürchten also um ihre Freiheit.
Insbesondere um jene ihrer Frauen. Weil wenn so viele Muslime hierher kommen, werden sie selbstverständlich früher oder später die Sharia einführen und unsere Frauen unterdrücken wollen. Und das ist doch eigentlich schön – also dass sich die Schweizermänner so vehement für die ausserordentlich jungen Rechte ihrer Frauen einsetzen! (Es bleibt zu hoffen, dass sich die Schweizermänner genau so gegen den Brazilian wehren werden, wenn ihn die Südamerikaner einzuführen versuchen werden…)
Die Freiheit ist natürlich eins unserer wertvollsten Güter, die es unbedingt zu schützen gilt. Sie erlaubt den Menschen ohne Zwang zwischen mehreren Möglichkeiten zu wählen, sollte aber nur so weit gehen, wie sie die Freiheit anderer nicht einschränkt. Obwohl diese Einschränkung eigentlich von allen akzeptiert wird, kann die Umsetzung manchmal ziemlich tricky sein, denn in vielen Fällen scheint nicht ganz klar zu sein, wessen Freiheit es nun ist, die in einer konkreten Situation eingeschränkt wird: Wenn ein Mädchen hochallergisch auf Nüsse ist, wird dann die Freiheit des Mädchens eingeschränkt, wenn man allen anderen Schülern der Schule weiterhin erlaubt Nüsse zu essen, oder wird allen Schülern die Freiheit Nüsse zu essen eingeschränkt, wenn man in der Schule zur Sicherheit des Mädchens eine Nussverbot ausspricht? Oder wenn eine Gerichtsschreiberin eine Christin ist, wird dann ihre Freiheit eingeschränkt, wenn sie gezwungen wird eine Hochzeitsbescheinigung zu unterschreiben, die entsprechend ihrem Glaubens nicht gültig sein kann, oder wird das homosexuelle Paar in seiner Freiheit beschränkt, wenn ihm die Heirat verweigert wird?
Tatsächlich könnte an dieser Befürchtung aber was dran sein – sogar abgesehen davon, dass wir uns aus Angst vor den Flüchtlingen durch Überwachungs- und sonstige Gesetze selbst die Freiheit einschränken. Den Flüchtlingen stehen nämlich, wenn sie nur lange genug hier bleiben, unsere Rechtmittel zu Verfügung, welche Veränderungen entsprechend ihrer Vorstellungen in Gang setzen können, welche, wie die besorgten Bürger glauben, sicherlich in Richtung Sharia weisen werden. Es ist zwar nicht ganz klar, warum sie hier Zustände einführen wollen, vor denen sie aus ihrer Heimat geflohen sind, aber immerhin muss man dann anerkennen, dass sie – so sie tatsächlich die demokratischen Mittel einsetzen um ihre Agende durchzuziehen – dann unsere Kultur wohl besser verinnerlicht haben als jene, welche ihnen die demokratischen Mittel vorzuenthalten versuchen?
Im Zusammenhang mit der Anziehungskraft der Sharia auf Muslime sollte man vielleicht noch eine Sache bedenken: Niemand hindert jemanden daran sich nach allen Regeln zu richten, nach denen er sich zu richten wünscht. Wenn eine Frau sich verschleiern und ein Dieb sich selbst die Hand amputieren will, so sind sie frei das zu tun. Weil Handlungsfreiheit. Sie dürfen einfach nicht andere diesen Regeln unterwerfen. Weil Religionsfreiheit. Nicht mal ihre Kinder. Weil Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.

Unsere Werte sind in Gefahr!
Echt? Unsere Werte sind ein buntes Sammelsurium von sich entwickelnden und zum Teil sogar widersprechenden Einschätzungen. In unserer Gesellschaft reichen dir Werte von alttestamentarischen bis hin zu transhumanistischen Vorstellungen und unterscheiden sich in Europas wahrscheinlich innerhalb der Ländern mehr als zwischen den Ländern. Wenn wir uns nicht einig sind über Vegetarismus, Abtreibung oder soziale Verantwortung, wie sollte dann eine weitere Position eine Gefahr für unsere Werte darstellen?
Wenn man unter Werten aber Dinge wie „Du sollst nicht grundlos lügen, stehlen und töten“ versteht, dann teilen die eigentlich alle Kulturen. Also auch in diesem Fall keine Gefahr für unsere Werte.
Die Angst um die Werte ist eigentlich das grössere Gefahr, weil sie an den jetzigen Werten umsverrecken festhalten will. Werte sind aber nicht in Stein gemeisselt. Sie sollen diskutierbar und verbesserbar sein. Neue Inputs können da nicht schaden.

Ob es den besorgten Bürgern gefällt oder nicht, wir sind bereits Multikulti. Wir haben Stadt und Land, wir haben Akademiker und Bauarbeiter, wir haben Katholiken und Reformierte, wir haben Fleischesser und Vegetarier, wir haben Bier- und Cüplitrinker. Die Philosophie haben wir von den Griechen, die Zahlen von den Arabern, die Religion von den Italienern, die Kartoffeln von den Amerikanern und die Pokémon von den Japanern. So etwas wie eine Leitkultur, die ein Zuzügler übernehmen könnte gibt es gar nicht.
Wie soll dann eine Integration möglich sein? Woran liesse sich erkennen, dass die Integration der verschleierten Frauen auf dem Bild oben geglückt ist?

Integration in UNSERE Kultur bedeutet nicht, dass Frauen keine Burkas mehr tragen, sondern dass es keine Rolle spielt, ob sie eine tragen. Und wenn die Frauen in der Burka oder die Männer, deren Frauen eine Burka tragen, in ihrem Verhalten keinen Unterschied machen zwischen burka- und mankinitragenden Menschen, dann haben sie sich in unsere Kultur integriert. Und das sogar wesentlich besser als manch ein Eingeborener, der den Frauen das Recht das Kleidungsstück ihrer Wahl zu tragen streitig zu machen versucht.

Das heisst nicht, dass ich eine Einstellung gutheisse, welche Frauen nahelegt eine Burka zu tragen (übrigens genauso wenig wie eine, die ihnen nahelegt einen Bikini zu tragen), doch ich werde es keiner Frau übel nehmen, wenn sie es dennoch tut. Ich werde es mir aber auch nicht verkneifen sie darauf hin zu weisen, dass ungeachtet ihrer besten Absichten und der gänzlich eigenständigen Entscheidung sie mit dieser zur Schau getragenen Keuschheit der Sache der Frauen, die vielleicht andere Überzeugungen haben als sie, keinen guten Dienst erweist.

Das wirft ein paar interessante Fragen auf: Wenn ein freiwilliges Verhalten anderen als Motivation zur Unterdrückung Dritter dient, ist es dann ethisch okay, sich so zu verhalten?
Wenn eine Frau aus freien Stücken6 eine Burka anzieht um Gott zu gefallen und sie weiss, dass ein Vater seine Tochter gegen ihren Willen zwingen wird eine Burka anzuziehen um Gott zu gefallen und sie dabei als Referenz anführt, kann sie dann die Burka guten Gewissens tragen? Unterstützt sie damit dann nicht ein System, welches anderen Frauen die Freiheit nimmt, welche ihr überhaupt erst die Möglichkeit gegeben hat, sich freiwillig für die Burka zu entscheiden? Müsste Sie dann nicht zumindest öffentlich erklären, dass am Nichttragen einer Burka aus ihrer Sicht überhaupt nichts auszusetzen sei?7
Das ist allerdings ein bisschen paradox, denn eigentlich ist sie ja überzeugt davon, dass es Gott nicht gefällt. Aber das muss jedes Mädchen selbst mit Gott ausmachen und es liegt nicht am Vater diese Frage für die Tochter zu entscheiden.
Und das ist übrigens auch das Hauptproblem der Religionen: Sie drängen erziehen komplimentieren die Leute zu Entscheidungen, die sie angeblich aus freien Stücken treffen sollen.

  1. Die man grob als die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen betrachten kann, die ein Gruppe und/oder eine Epoche charakterisieren.
  2. vgl. Tagesanzeiger, 26.01.2016 :  So kriminell sind Ausländer wirklich
  3. Der Terror heute in Europa versucht weniger hier die Sharia einzuführen als viel mehr den radikalen islamistischen Ideen im Nahen Osten den Rücken zu stärken. Das tut er, indem er –  ziemlich erfolgreich, wie man eingestehen muss – einen Keil zwischen Muslime und Nichtmuslime treibt. Durch die Anschläge verängstigt, stellt man Muslime trotz ihrer Distanzierung unter Generalverdacht und spricht ihnen damit implizit die Zugehörigkeit zu jener europäischen Kultur ab, welche sich vor allem durch „Leben und Leben lassen“ auszeichnet. Durch den kollektiven Ausschluss aus der Kultur definiert sich zwangsläufig eine neue Kultur, die zum eigenen Schutz leicht auch radikalere Vorstellungen übernehmen kann – wie jene der Sharia.
    Damit sage nicht nicht, dass die einen die Schuldigen und die anderen die Opfer sind. Ich sage nur, dass der Terror uns Handlungsmuster aufzwingt, die es zunehmend schwierig machen nebeneinander zu leben. Auf der einen Seite steigert er die Furcht vor dem anderen und auf der anderen das Misstrauen gegenüber der Aufrichtigkeit des vielgepriesenen „Leben und Leben lassen“, was wiederum die Furcht und das Misstrauen wachsen lässt.
  4. Ich denke, die Zeit ist hier im Vergleich zur Sklavenbefreiung kein so kritischer Faktor, weil sich in diesem Fall das Leid in Grenzen hält, welches durch eine Verzögerung der Einführung verursacht würde.
  5. Vielleicht nicht ganz so viel Überzeugungsarbeit, wie man spontan denken würde, weil auch bibeltreue Christen Gefallen an diesen Änderungen finden würden. Die Christen verlangen allerdings nicht so drakonischen Strafen. Die Bibel schon. Aber nicht die Christen. Vorerst.
  6. Gesetzt den Fall, dass die Freiwilligkeit wirklich über alle Zweifel erhaben ist!
  7. Zu erklären, dass sie sich freiwillig entschieden hat, nützt nichts, denn dann wird der besagte Vater die Tochter zwingen sich auch freiwillig dafür zu entscheiden.

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