Die Diskrepanz zwischen Prinzipien und den dazugehörigen Handlungen

Laut einer Barna-Studie hält bei Evangelikalen nur ein kleiner Bruchteil (4%) eine Abtreibung für moralisch akzeptabel, während es bei den Atheisten eine überwiegende Mehrheit (71%) ist1. Da die Barna Group eine evangelikales Meinungsforschung-Unternehemen ist, gehe ich jetzt mal einfach davon aus, dass diese Zahlen der Wahrheit entsprechen.

Das Center For Reason untersuchte 2006 die Fragestellung, ob Christen wirklich weniger Abtreibungen haben als Nicht-Christen, wie dies von Christen gern behauptet wird. Das hat sich aber nicht bestätigt. Es gibt in diesem Punkt offenbar keinen signifikanten Unterschied zwischen den Religionen (inkl. Nicht-Religionen)2.

Wahre Christen werden hier natürlich einwenden, dass es keine wahren Christen sind, denn wahre Christen haben keine Abtreibungen. (Das gilt aber auch für keine wahren Schotten ;)

Nichtsdestotrotz ist das eine interessante Diskrepanz zwischen den Prinzipien und den dazugehörigen Handlungen. Wenn unmoralisches Verhalten jenes ist, das sich von dem unterscheidet, das man eigentlich für das richtige hält, dann sind Religiöse offensichtlich wesentlich unmoralischer als Atheisten.
Man könnte schon einwenden, dass sich die Atheisten ihre Prinzipien einfach so zurechtlegen, dass sie ihren Anforderungen genau entsprechen, am Ergebnis ändert das jedoch nichts, denn obgleich sie dieser Argumentation folgend jede beliebige Abscheulichkeit moralisch gutheissen könnten, rangieren sie in Kriminalstatistiken klar hinter den Angehörigen von Religionen, die das nicht können.
Vielmehr sieht es so aus, als ob von Christen die Prinzipien sehr oft nur genau so lange hochgehalten werden, wie sie ihnen nicht im Weg stehen. Von daher ist es eigentlich auch nicht weiter überraschend, dass sie sich für ein strengeres Justizsystem aussprechen, damit die Polizei das durchsetzt, wozu sie offenbar selbst nicht in der Lage sind. Aus einer verhaltensökonomischen3 Perspektive wäre eigentlich eine durchaus vernünftige Strategie, wenn man damit nicht auch Leuten seine Wertvorstellungen aufdrücken würde, die sie gar nicht teilen wollen. Das mag – da durch Gott abgesegnet – moralisch vorbildlich sein, ethisch ist es jedoch nicht haltbar.

Christliche Ursachen und Wirkungen

Je­der weiß, dass Chris­ten we­ni­ger sau­fen als Athe­is­ten.
Im Bible Belt wird of­fen­sicht­lich we­ni­ger gesoffen.
(Im Bible Belt gelten die strengsten Alkohol-Gesetze.)
Der Glaube be­dingt die stren­gen Ge­setze und ist da­durch di­rekte Ur­sa­che für den ge­rin­ge­ren Konsum.
frei nach Gregor, Rechtsanwalt

Dass es möglich oder gar wahrscheinlich ist, dass Christen weniger saufen als Atheisten, will ich gar nicht bestreiten. Ich halte lediglich Gregors „Beweisführung“ für völlig absurd und bar jeder Vernunft.

„Jeder weiss“ ist schon mal eine viel zu starke Aussage – auf mich trifft sie zum Beispiel nicht zu. Es mag durchaus plausibel sein, dass Christen weniger saufen als Atheisten, schliesslich versuchen Religionen seit jeher Exzesse aller Art zu unterbinden. (Der Schweinefleisch-Konsum im Judentum ist wohl relativ niedrig und Vergewaltigungen im Islam den offiziellen Zahlen nach wohl auch.) Ob das Christentum im Bezug aufs Saufen aber wirklich erfolgreicher ist als andere, weniger transzendente Strategien, ist so ohne weiteres schwer zu sagen. Erfahrungen sind aufgrund des Confirmation Bias nämlich ein denkbar ungeeigneter Ratgeber. Da müssen schon saubere Studien her, die genau dieser Fragestellung auf den Grund gehen.

Wenn das Christentum einen nachweisbar senkenden Effekt auf das Saufverhalten haben soll, dann müsste – so Gregors Logik – im Bible Belt der USA deutlich weniger gesoffen werden als in weniger religiösen Regionen. Dass dem tatsächlich so ist, untermauerte er mit der Grafik links, welche – wohlgemerkt – weder irgendwelche Quellen angibt, noch überhaupt erwähnt, was damit eigentlich gezeigt werden soll! Es könnte also genauso gut die Zahl der Menschen sein, die aus Mexiko importierte Zitronen kaufen oder am Tag mehr als 300 Meter laufen. Soviel zur Sorgfalt, mit der er seine Argumente vorbringt.

Quelle: Friendly Atheist

Bevor ich mich dem Gregors Argument zuwende, zunächst zwei Karten, welche die geografische Lage sondieren:

Importance of Religion (Quelle: Friendly Atheist)
Bible Belt (Quelle: Wikipedia)

Wenn wir also den Gegenpol zum Bible Belt suchen, im Vergleich zu dem die markanteste Differenz auszumachen sein müsste, dann wäre das dann wohl Neuengland.

Ich habe mich also auf die Suche gemacht und Gregors Grafik aufgespürt. Und es thematisiert tatsächlich Alkoholkonsum und nicht etwa Zitronenimporte. So weit so gut:

Alcohol Use in Past Month among Persons Aged 12 or Older (Quelle: SAMHSA, Figure 3.1)

Tatsächlich zeigt die Grafik, dass im Bible Belt im Vergleich zu Neuengland einen tieferen Alkoholkonsum hat, es ist jedoch fraglich, ob dies wirklich der Religiosität oder vielleicht doch der strengeren Gesetzgebung zu verdanken ist? Schliesslich ist in vielen Counties im Bible Belt der Alkoholverkauf untersagt oder zumindest sehr streng reglementiert:

Where is Al­co­hol Still Ban­ned in the U.S.? (Quelle: BBC)

Um die Wirkung eines Einflusses zu bewerten, hält man für gewöhnlich alle anderen Einflüsse konstant. Um zu sehen, ob Religion das Trinkverhalten beeinflusst, würde man daher nicht Gruppen vergleichen, von denen die eine in einem Staat ist, in dem der Alkoholkonsum verboten ist, und die andere in einem wo er legal ist. Daran scheint sich Gregor aber nicht nur nicht zu stören, für ihn stellt das viel mehr eine Bestätigung seiner These dar. Denn schliesslich war es das im Bible Belt tief verwurzelte christliche Gedankengut, das die Bürger dieser Staaten dazu brachte Repräsentanten zu wählen, die eine Lockerung der eigentlich im Jahre 1933 abgeschafften Prohibition verhinderten und damit den Alkoholkonsum tief halten.

Alternativ hätte er übrigens auch einwenden können, dass drakonische Gesetze und Strafen Übertretungen und Verbrechen nicht verhindern – der Vergleich zwischen den USA und Europa legt diesen Schluss ja durchaus nahe – und die Prohibition im Bible Belt daher keinen Einfluss auf den Alkoholkonsum habe, doch das würde wohl Gregors biblischem Rechtsempfinden wider sprechen.

Das Problem ist aber, dass die strengen Gesetze im Bible Belt auch die dortigen Atheisten gegen ihren Willen vom Alkohol fern halten, während die liberaleren Gesetze Neuenglands den dortigen Christen nichts gegen ihren Willen aufdrängen, was je nach Anzahl der nicht so streng Gläubigen im Bible Belt (mind. 20%) die Differenz zwischen den beiden Staaten merklich zugunsten des positiven Einflusses des Christentums verfälscht.
Ausser natürlich man könnte nachweisen – wovon Gregor seit jeher überzeugt ist – , dass Atheisten sich weniger an die Gesetze halten und diese deshalb an ihrem natürlichen Trinkverhalten nichts ändern. Doch wenn man sich Statistiken anschaut, die die Religiosität gegen Verbrechen abbilden, dann wird dies nicht bestätigt – eher im Gegenteil.

Property crime correlated with religion in daily life (Quelle: Secularist10)

Was ist aber vom Argument zu halten, dass die Leute entsprechend ihrer christlichen Weltanschauung eine Politik wählen, die die positiven, christlichen Werte verstärkt? Das ist eine raffinierte Strategie sich vor der Situation zu drücken, wo man seinen christlichen Idealen mit grosser Wahrscheinlichkeit untreu geworden wäre. Es ist eine Form von gesellschaftlicher Selbstkontrolle. Statt durstig in einem Laden auf ein Bier verzichten zu versuchen, organisiert man es lieber so, dass es im Laden gar kein Bier gibt.
Das Problem ist, dass gewisse Einschränkungen, die man im Interesse der eigenen Religion gesetzlich verankert, von anderen Weltanschauungen nicht verlangt werden. Wie kommen die anderen dann aber dazu sich diesen Einschränkungen auch beugen zu müssen? Das ist eine eklatante Missachtung der Trennung von Kirche und Staat und damit eigentlich auch ein Verstoss gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Natürlich ist das im Fall von Alkohol nicht ganz so schwerwiegend, denn Massnahmen, die den Missbrauch und die gesellschaftlichen Folgen reduzieren sind im Interesse aller. Wenn allerdings ein Gesetz nicht mit Finanzierbarkeit, Gesundheit, Sicherheit oder von mir aus auch mit Schönheit begründet wird, sondern mit dem Willen Gottes, dann geht es zu weit.

Gregors These ist, dass das Christentum die Menschen vor dem Saufen dessen tragischen Konsequenzen bewahrt.
Man kann natürlich in weiser Voraussicht die Situationen vermeiden, in denen man in Versuchung geraten könnte.
Die zentrale Frage ist aber, wie man reagiert, wenn man mitten in der Versuchung steckt. Und ob einem da das Christentum auch helfen kann?

Ein schönes Beispiel, wo dies offensichtlich nicht wie gewünscht funktioniert, sind die Vorsätze religiöser Jugendlicher bis zur Ehe enthaltsam zu leben. Man kann es sich noch so sehr vornehmen, wenn es heiss wird, erkennt man sich nicht mehr wieder und tut, was man nicht zu tun sich vorgenommen hat. Deshalb findet man auch ausgerechnet im Bible Belt die meisten Teenager-Schwangerschaften:

US teen birth rates by state per 1000 girls aged 15-19 years 2009 (Quelle: Wikimedia)

Das heisst nicht notwendigerweise, dass die Jugendlichen in den Südstaaten mehr Sex haben, sie haben einfach weniger Ahnung von Verhütung, geschweige denn den nötigen Schutz zur Hand.
Wenn das Ziel ist Teenager-Schwangerschaften zu senken, da diese für die betroffenen oft tragische Folgen haben, dann taugt das Christentum im Bible Belt wesentlich weniger als der Atheismus in Neuengland.

Aus diesem sexuellen Kontext werden auch die Begriffe für die beiden Zustände cool state und hot state entlehnt.
Die Alkohol-Gesetze wurden im cool state beschlossen. Man ist ruhig, rational und langfristig kalkulierend. Der Will etwas gegen den Alkoholmissbrauch zu tun, hat allerdings wenig mit Jesus und der Bibel zu tun, denn alle, auch die Atheisten in Neuengland, sind sich einig, dass da irgendetwas getan werden muss. Das Leid, das der Alkohol verursacht, ist ja offensichtlich und lässt niemanden kalt. Es sind sich auch alle einig, dass die Prohibition eine Lösung für das Problem ist. Bloss bezweifeln die Liberalen, dass diese Lösung das gewünschte Ergebnis liefert, geschweige denn dass sie gerechtfertigt ist.

Durstig vor einer Flasche Bier stehen, das ist dagegen der hot state. Hier soll Jesus mal zeigen, was er drauf hat!

Der hot state war schon immer eine Herausforderung für das Christentum. 1973 unternahmen Darley & Batson das berühmte „Good Samaritan Experiement„, das in verschiedenen Formen seither etliche male wiederholt wurde und wo genau die von Gregor prophezeihte christliche Wirkung sich einfach nicht einstellen wollte.

Damit bleibt von Gregors Argument, warum Christen weniger als Atheisten saufen, eigentlich nicht viel übrig…

Obwohl…

Die von Gregor gepostete Grafik sprach vom Alkohol-Konsum (Alcohol Use), nicht jedoch vom Saufen (Binge Alcohol Use). Und das ist ja nicht dasselbe.
Witzigerweise ist auf der gleichen Seite auch eine Grafik zu diesem Thema:

Binge Alcohol Use in Past Month among Persons Aged 12 or Older (Quelle: SAMHSA, Figure 3.5)

Und hier ist der Abstand zu Neuengland auf einmal nicht mehr so deutlich. Vielmehr befindet sich jetzt grosse Teile des Bible Belts auf einmal im Mittelfeld…

 

Zum Abschluss noch eine letzte Grafik – in meinen Augen eine der aufschlussreichsten, denn sie stellt die Entwicklung des Alkoholkonsums innerhalb der letzten vier Jahrzehnte dar:

change in per capita alcohol consumption between 1970 and 2007 (Quelle: GeoCurrents)

Wie es aussieht, scheint Jesus die Leute in letzter Zeit eher beim Trinken anzuspornen…

 


 

Disclaimer: Ich habe die verwendeten Statistiken nicht sehr genau auf ihre Richtigkeit überprüft. Ich habe jeweils mit so wenigen Stichworten wie möglich gegoogelt und die Grafiken nur dann übernommen, wenn ich andere mit ähnlichen und keine mit völlig anderen Ergebnissen gefunden habe.

Zufall oder Taktik

Ist die Gleichzeitigkeit dieser beiden Meldungen Zufall oder Taktik?

20min / 31. August 2014 09:05   20min / 31. August 2014 17:21
Nazivergleich – Brunner ist sauer auf BDP-Chef   Schüler sollen linke Lehrer der SVP melden
BDP-Chef Martin Landolt wirft der SVP «braune» Politik vor. Deren Chef Toni Brunner verlangt nun eine Entschuldigung.   Unzählige Lehrer würden nach Ansicht der Jungen SVP linkspolitisch unterrichten und ihre Schüler manipulieren. Eine Internet-Meldestelle soll dies nun ändern.

 

Eine Meldung über das Vorhaben der SVP, Schüler ihre Lehrer für linkes Gedankengut denunzieren zu lassen, hätte unmöglich keine Assoziationen zu ähnlichen Projekten hervorgerufen, beispielsweise jenes im etwas mehr als 999jährigen Reich. Und keine noch so gerechte Empörung der SVP-Spitze hätte daran was geändert.
Wenn aber jemand der SVP „braune“ Politik unterstellt – was ungeachtet dessen, ob es tatsächlich so ist – , dann ist das nicht die feine englische Art. Weil – nun ja – mit dem Nationalsozialismus vergleicht man nun mal nicht. Nie! Punkt. Nein, Ausrufezeichen!

Das lasse ich jetzt etwas wirken…

Es ist also durchaus gerechtfertigt, wenn der Beschuldigte sich empört. Und alle werden zustimmen, dass die Gegner hier den Bogen eindeutig überspannt haben. Weil – nun ja – mit dem Nationalsozialismus vergleicht man nun mal nicht. Nie!
Damit befindet sich der Beschuldigte in der Position des unschuldigen, zu unrecht geprügelten Kätzchens. Und jede weitere Attacke wird kategorisch zurückgewiesen. Selbst dann, wenn man den Vergleich mit dem Nationalsozialismus nun wirklich nicht mehr zu scheuen braucht.

Wie man Schwarzfahrer los wird

Ich bin heute versehentlich schwarz zur Arbeit gefahren1. Und hatte statt der üblichen 45 Minuten nur 30.

Ich finde es völlig in Ordnung, dass der Verkehrsbund im Interesse der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs das bezahlte Fahren gegenüber dem unbezahlten attraktiv zu gestalten versucht, doch ich hege gewisse Zweifel, ob dies im Transportwesens tatsächlich mit längeren Fahrzeiten erreicht werden kann.
Klar, die Menschen bezahlen für Dienstleistungen, die nur 15 Minuten in Anspruch nehmen, nicht gern einen Betrag, den sie liebend gern hingeblättert hätten, wenn er für 15 Stunden gewesen wäre. Und ja, indem man die Fahrzeiten der Schwarzfahrer verkürzt, ist man sie schneller wieder los, was den durch diese verursachten (und nicht finanzierten) Aufwand und Verschleiss sicherlich markant reduziert. Nichtsdestotrotz bezweifle ich, dass das, was auf den ersten Blick nach einer klaren Win-Win-Situation aussieht, wirklich eine ist.


  1. um einer allfälligen nachträglichen Strafverfolgung2 vorzubeugen verschweige ich hier lieber in welcher Stadt das war.
  2. ich bitte noch zu berücksichtigen, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch ein gültiges 24-Stunden-Ticket besass, wenn auch für eine andere Zone3.
  3. was, wie ich annehme, keinen signifikaten Einfluss haben sollte, weder auf allfällige Kontrolleure, noch auf meine hier formulierte Vermutung.

Was der Wirtschaft hilft, ist gut für alle

20min fragt, warum die Schweizer auf Mindestlohn und mehr Ferien verzichten?
Und Experten antworten, dass diese offenbar eine gewisse ökonomische Vernunft walten liessen.
Es wird das Bild des arbeitsamen Schweizers heraufbeschworen, der im Interesse der Wirtschaft auch bereit ist auf gewisse Dinge zu verzichten, weil er ja wisse, dass was der Wirtschaft hilft, auch gut für alle sei.

Die Sache ist aber die, dass jeder Mensch seine eigene Position für die vernünftige hält. Und selbst wenn er die Entscheidung per Münzwurf gefällt hat, so ist er immerhin davon überzeugt, dass es sich dabei um eine vernünftige Strategie handelt.
Wenn die Experten also zum Schluss kommen, dass die Schweizer Vernunft walten liessen, dann nicht, weil sie die kognitiven Prozesse der Stimmenden analysiert hätten, sondern allein weil sie das Ergebnis für die vernünftigere Variante halten.
Damit suggerieren sie aber auch, dass das andere Ergebnis der Wirtschaft geschadet hätte. Darin, ob dem wirklich so ist, gehen aber die Meinungen auseinander.
Niemand will der Wirtschaft schaden. Auch die Befürworter von Mindestlohn und mehr Ferien sind überzeugt davon, dass diese Massnahmen der Wirtschaft und damit allen geholfen hätten. Und entsprechend werden diese bei der Einschätzung, wie viel ökonomische Vernunft die Schweizer haben walten lassen, zu einem etwas anderen Ergebnis gelangen.

Aber es stimmt schon, die Schweizer sind ihrer Linie schon treu, doch ich fürchte, die treibende Kraft dahinter ist nicht die Verinnerlichung von vernünftigem, unternehmerischem Handeln.

Die erste Reaktion auf all diese utopisch anmutenden Gedanken ist immer: Wer soll es bezahlen?
Unsere Experten werden darin zweifellos die wirtschaftliche Besorgnis erkennen, doch genauso gut  könnte es die Furcht davor sein, dass sie selbst es tun werden müssen.
Ökonomisch wäre diese Frage allerdings nur, wenn der Fragende es sich nicht leisten könnte.
Wenn aber nur ein moderates Stutzen des eigenen Wohlstandes droht, ist die Frage egoistisch.
Die Schweizer wollen nicht, dass auf ihre Kosten anderen geholfen wird. Diese Einstellung wird auch durch die stets präsente Furcht vor Schmarotzern bestätigt.

Man könnte jetzt daraus schliessen, dass es den Schweizern wichtiger ist, anderen nicht zu helfen, als selbst auch davon zu profitierten. Das würde das Abstimmungsverhalten zwar noch etwas besser beschreiben als der Homo oeconomicus, doch so weit möchte ich nicht gehen. Ich denke, es ist ein Mittelweg. Man weiss, dass man bisweilen dem Erfolg der Wirtschaft etwas opfern muss. Und was liegt da näher als auf Dinge zu verzichten, die man gar nicht hat? Wie beispielsweise die eine zusätzliche Woche Ferien.

Warum die Schweizer auf Mindestlohn und mehr Ferien verzichten?
Weil es mehr schmerzt einen Tag Ferien abzugeben als es freut eine Woche zusätzlich zu bekommen. Dieses emotionale Missverhältnis ist die treibende Kraft und nicht die Vernunft.

Im Interesse eine utopischen Politik sollten wir daher nicht darüber abstimmen, ob wir etwas haben wollen (von dem wir übrigens noch gar nicht mit Sicherheit sagen können, ob es sich bewähren würde), sondern man sollte es einführen und nach einer gewissen Zeit fragen, ob man es lieber wieder abschaffen will, weil es sich nicht bewährt hat.

Pontifex-Dialoge: Ich werde diesen Text nicht lesen

Seit mir der Papst für ein Twitter-Follow einen Ablass vom Fegefeuer offeriert hat und ich mir nicht verkneifen kann, den einen oder anderen seiner Tweets zu kommentieren, komme ich hie und da auch mit einem seiner Jünger ins Gespräch. Persönlich würden mich als Pontifex mehr als die Respektlosigkeit einiger Kommentatoren die Ansichten seiner Verteidiger beunruhigen, aber ich bin nicht der Máximo Líder der katholischen Kirche und so bleibt es mir Gottseidank vorerst erspart mich von zweifelhaften Figuren verteidigen zu lassen.

17. April 2014

Einem gewissen Marco ‏@mfree051979, von dessen insgesamt 78 Tweets übrigens 66 an mich gerichtet sind (Stand 17.4.2014), gelang das folgende argumentative Kunststück:

Marco ‏@mfree051979
Atheisten spenden vielweniger,bekommenwenigerKinder und sind weniger sozial engagiert.Ist statistischbewiesen

Inwiefern weniger Kinder bekommen ein moralisch fragwürdiges Verhalten ist, sei mal dahin gestellt. Dass Atheisten aber statistisch signifikant viel weniger spenden und sozial weniger engagiert sind, konnte ich kaum glauben. Daher bat ich um einschlägige Quellen, die diesen Makel tatsächlich belegen. Abgesehen davon habe ich auch noch die beiden Links Religiöse Menschen zeigen weniger Mitleid gegenüber Mitmenschen als Atheisten und Are Religious People Really More Generous Than Atheists? A New Study Puts That Myth to Rest gepostet, die diese Überzeugung als haltloses Vorurteil zurückweisen.

Und als Antwort kam kein Link sondern folgender Tweet:
Ich lese mir diese Blogs/Sites nicht durch.Will mich nicht von Trost-und Hoffnungslosigkeit anstecken lassen

Zu Marcos Verteidigung muss vielleicht erwähnt werden, dass ich in einem anderen Diskussionsstrang auch einen Link zu einer liberalen Abtreibungspolitik gepostet habe. Dieses Thema kann einem Christen tatsächlich schwer auf dem Magen liegen, das ändert jedoch nichts daran, dass sich kategorisch vor Argumenten zu verschliessen eine äusserst fragwürdige Praxis ist.

Im folgenden möchte ich mich also auf die von Marco verwendete rhetorische Stilfigur konzentrieren und dabei von allen diskussionsspezifischen Details absehen.

Ich sage, dass dingdong.
Ich werde mir die Einwände gegen dingdong aber nicht anhören, weil ich mich nicht von Trost- und Hoffnungslosigkeit anstecken lassen will.

Solange Marco akzeptiert, dass es Einwände gegen dingdong gibt und er daher dingdong auch nicht länger vertritt, ist diese Strategie völlig okay.
Wenn er aber weiterhin an dingdong festhält, dann ist das sehr problematisch. Und noch mehr, wenn er behauptet es gäbe keine Einwände. Das Bestreiten der Existenz von Einwänden kann jedoch elegant umschifft werden, wenn man sich die Überzeugung zu eigen macht, dass es gar keine gesicherten Erkenntnisse geben kann. Und dass die Wissenschaft, als die Methode der Erkenntnisgewinnung, sich dauernd widerspricht und man sich deshalb lieber nicht zu sehr auf sie verlassen sollte.

Gegen diese Meinung lassen sich zwar gewichtige Einwände anführen, doch werden diese – aus bekannten Gründen – lieber gar nicht erst gehört.

An diesem Punkt stellt sich aber eine eine fundamentale Frage: Ist es nicht eine Lüge, wenn man vor etwas, das sich als die Wahrheit entpuppen könnte, bewusst und aktiv die Augen verschliesst?

Stellen wir uns mal die folgende Situation vor:

Anna betrat ein Zimmer mit einem Apfel. Als sie das Zimmer wieder verliess, war der Apfel weg.
Björn und Christian bezichtigen sie des Diebstahls.
Björn geht ins Zimmer, schaut sich um und entdeckt den Apfel unter dem Sofa liegen, wohin ihn wohl der Durchzug gerollt hat.
Christian weigert sich aber sich die Entlastung auch nur anzuhören und pocht weiterhin auf dem Diebstahl durch Anna.

Lügt Christian? Er sagt schliesslich nichts gegen sein besseres Wissen, was die Quintessenz des Lügens ist. Er kommt lediglich nicht der „Pflicht“ nach einer Spur zu folgen, die ihm als für Anna entlastend angeboten wird.
Unter welches Gebot fällt eigentlich aus christlicher Sicht das Versäumnis einer Pflicht nachzukommen?
Und ist eine Wahrheit, die einem nicht gefällt, weniger erstrebenswert?

Andererseits, was wenn Anna schon oft des Diebstahls überführt worden ist und Björn für Anna gern auch mal ein bisschen die Dinge zurecht bog? Anna wäre in diesem Fall zwar tatsächlich unschuldig und Björn hätte solide Detektivarbeit geleistet – doch könnte man es Christian nicht wirklich verübeln, dass er sich nicht die Zeit nehmen wollte, der Sache nachzugehen. Oder vielleicht doch?
Meiner Ansicht nach darf Christian gern auf die Überprüfung der möglicherweise gefälschten Entlastung verzichten, vorausgesetzt er lässt auch die Anklage fallen.


 

Ich bin nicht sicher, ob dieser Fehlschluss schon früher mal in freier Wildbahn beobachtet wurde und ob er schon einen Namen erhalten hat. Wenn nicht, so würde ich als Entdecker ihn gern den Trostlosen Marco (lat. marcus desperatus) nennen.

Finden, was gar nicht da ist

Gott in allen Dingen finden.
Ignatius von Loyola

Was wir wahrnehmen, wird mehr dadurch bestimmt, was wir wahrnehmen wollen, als was wirklich da ist.
Genau deshalb arbeitet man in der Wissenschaft, wenn man verlässliche Resultate haben will, mit verblindeten Experimenten und Kontrollgruppen, statt sich einfach auf das Urteil von Menschen zu verlassen.

Der Mensch ist der geschichtenerzählende Affe. Alles, was um ihn herum geschieht bettet er in Geschichten ein, die erklären, warum es geschieht. Manche davon stimmen mehr, andere weniger. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sobald wir uns für eine entschieden haben, wir alle anderen Geschichten, die das Geschehene genauso gut oder noch viel besser erklären könnten, einfach ausblenden oder zumindest für wesentlich weniger plausibel halten.
Hinzu kommt, dass wir alle Dinge, die sich von da an ereignen, durch Geschichten erklären, die zur ersten passen. Und dass damit das Vertrauen in die Richtigkeit der ersten und aller folgenden wächst.

Gott ist eine Geschichte, die wir auf alles anwenden können. Nicht, weil Gott irgendwie eine besonders mächtige Geschichte wäre, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil sich so gut wie jede Geschichte auf alles anwenden lässt. Wenn man erst einmal Gott in einem Dinge gefunden hat, findet man ihn auch in jedem anderen.
Esoterik und Verschwörungstheorien leben davon: Auf einmal fängt Alles an Sinn zu machen – selbst dort, wo es nachweislich gar keinen Sinn gibt.

Die Chance ist also ziemlich gross, dass der Sinn, den man in einem Ding gefunden zu haben glaubt, bloss ein Produkt der Phantasie ist. Gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, ob die Geschichte doch wahr ist?

Nein, die gibt es leider nicht.
Doch es gibt die Möglichkeit herauszufinden, ob die Geschichte eine Phantasmagorie ist.
Und das ist doch schon mal etwas.

Die Methode, mit der sich dies rausfinden lässt, nennt sich Wissenschaft!


Gott in allen Dingen finden?
– Kein Problem für das menschliche Gehirn.
Ist das ein Indiz dafür, dass er auch wirklich da ist?
– Etwa so sehr wie eine einhornförmige Wolke ein Indiz für die Existenz von Einhörnern ist.
Heisst das ja?
– Nein.

Gell-Mann Amnesie Effekt

Briefly stated, the Gell-Mann Amnesia effect is as follows. You open the newspaper to an article on some subject you know well. In Murray’s case, physics. In mine, show business. You read the article and see the journalist has absolutely no understanding of either the facts or the issues. Often, the article is so wrong it actually presents the story backward—reversing cause and effect. I call these the „wet streets cause rain“ stories. Paper’s full of them.
In any case, you read with exasperation or amusement the multiple errors in a story, and then turn the page to national or international affairs, and read as if the rest of the newspaper was somehow more accurate about Palestine than the baloney you just read. You turn the page, and forget what you know.
Michael Crichton

Evolutionsbiologen wollen herausgefunden haben, warum Menschen klüger sind als Affen. „Was sie von den Affen unterscheidet ist, dass sie imitieren und dadurch viel schneller lernen können“, sagte Esther Herrmann vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Dass sie imitieren und dadurch auch viel schneller lernen, stimmt schon, doch dass sie deshalb auch klüger wären, darf bezweifelt werden.
Affen imitieren nicht so viel wie Menschen, jedoch nicht weil sie die dafür erforderliche kognitive Kapazität nicht hätten, sondern weil sie aus den Fehlern der anderen lernen und sich hüten, von unzuverlässigen Primaten irgendwelche Kenntnisse und Gewohnheiten zu übernehmen.

Ich meine, wenn einer ne Kokusnuss mit seinem Schädel zu öffnen versucht, soll ich dann wirklich seinem Versuch mit einem Stöckchen Ameisen aus einer Höhle zu pullen allzu viel Aufmerksamkeit schenken? Okay, in diesem Fall wäre es das vielleicht keine schlechte Idee gewesen, doch wie gross mag wohl die Chance sein, dass ein und der selbe Primat nach der ersten die zweite Strategien entwickelt?
Ich persönlich versuche nur von denen zu lernen, die eine tadellose Reputation haben. Und von denen auch nur das, worin sie eine tadellose Reputation haben. Doch damit scheine ich – wie der Gell-Mann Amnesie Effekt nahelegt – aktiv gegen meine menschliche Natur anzukämpfen. Leider viel zu oft erfolglos, wie ich zu meinem Bedauern eingestehen muss.

Man meckert, wo man was davon versteht, lehrt aber nichts draus und glaubt alles andere. Wenn jeder nach dieser Strategie vorgeht, dann entwickelt das eine ungeheure Eigendynamik und stellt – neben der Pornografie – wahrscheinlich die treibende Kraft des Internets (und wahrscheinlich der ganzen Zivilisation) dar.

Wir haben die Digitaluhr erfunden, die Schimpansen nicht. Welche der beiden Varianten aber das Ergebnis der anspruchsvolleren kognitive Leistung ist, würde ich nicht vorschnell beantworten.
Es ist schliesslich nicht ausgeschlossen, dass der Weg, den der dümmere einschlägt, am Ende der ist, der weiter führt.

Pontifex-Dialoge: Einheit der Religion

Seit mir der Papst für ein Twitter-Follow einen Ablass vom Fegefeuer offeriert hat, führe ich von Zeit zu Zeit kleinere Dialoge mit dem Pontifex. Dies ist ein weiterer davon:

28. Januar 2014

Papst Franziskus @Pontifex_de
Beten wir für die Einheit unter den Christen. Es gibt Vieles und sehr Wertvolles, was uns verbindet!

Das Christentum ist stolz drauf mit seinen ca. 2.26 Milliarden Anhängern die grösste Religion der Welt zu sein. Dass sich die vielen, vielen verschiedenen christlichen Konfessionen aber in kaum einem Punkt einig ist, tut dem keinen Abbruch.

Seltsam, dass egal welcher Religion man auch angehört, eine deutliche Mehrheit ist überzeugt davon, dass es die falsche ist.

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Meine Vermutung: Die Differenzen innerhalb der Religion sind grösser als zwischen den Religionen. Das Wertvolle aber haben alle Religionen.

Was die Rassenfrage betrifft, ist man sich inzwischen ziemlich einig, dass eine solche Einteilung aus genetischer Sicht beim Menschen nicht haltbar ist. Die genetischen Differenzen zwischen den Individuen innerhalb einer angeblichen Rasse sind nämlich deutlich grösser als die zwischen den Rassen selbst [Wikipediaraceandgenomics.org]. Bei echten Unterarten ist das andersrum.
Parallel dazu könnte man doch mal die Differenzen zwischen den Konfessionen innerhalb der Religionen mit denen zwischen den Religionen vergleichen.

Religion zu definieren ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, doch kann man sich sicher drauf einigen, dass sie menschliches Verhalten, Handeln, Denken und Fühlen prägt und Wertvorstellungen normativ beeinflusst. Das tut sie in der Regel, indem sie innerhalb der Gruppe, welche sich um ein Set von Dogmen schart, diese Verhalten und Wertvorstellungen fördert.
Ob das Dogma nun lautet „Jesus ist ein cooler Typ“ oder „Mohammed ist eine cooler Typ“ oder „Krishna ist ein cooler Typ“ und die Verhaltensweisen darin bestehen, dass man sich bekreuzigt, صلى الله عليه وسلم‎ sagt oder Räucherstäbchen anzündet, ist eigentlich unerheblich, denn es sich nur Oberflächlichkeiten. Wesentlich wichtiger für das Zusammenleben sind die Wertvorstellungen, nach denen man lebt.

  • Stellung zur Homosexualität?
  • Stellung zum Ehebruch?
  • Stellung zum Haareschneiden?
  • Stellung zur Arbeit am Sonntag?
  • Stellung zur Sklaverei?
  • Stellung zu Tierrechten?
  • Stellung zum Führerschein für Frauen?
  • Stellung zur Polygammie?
  • Stellung zur Vergewaltigung?
  • Stellung zur Inzest?
  • Stellung zur Masturbation?
  • Stellung zum Frauenstimmrecht?
  • Stellung zur Abtreibung?
  • Stellung zur Todesstrafe?
  • Stellung zur Beschneidung?
  • Stellung zur Speisevorschriften?
  • Stellung zu Kleidervorschriften?
  • Stellung zur Wissenschaft?
  • Stellung zu allen anderen Themen?
  • Stellung zu anderen Stellungen.
  • Stellung zu Sexstellungen?

Jede Konfession innerhalb einer Religion hat andere Antworten auf diese Fragen.
Da die Antworten immer okay oder nicht okay lauten, liesse sich eine Clusteranalyse über alle Religionen und Konfessionen erstellen und mal überprüfen, ob mehr Differenzen zwischen den Konfessionen oder den Religionen bestehen.

Ich tippe darauf, dass die Antworten keine deutliche Trennung zwischen den Religionen auszumachen erlauben werden. Aber wie gesagt, es ist nur eine Vermutung. Doch müsste es eigentlich möglich sein hier Fakten sprechen zu lassen.
Und sollte ich recht haben, dann verbindet das Wertvolle nicht Religionen sondern die Menschheit – denn ein Monopol auf etwas bestimmtes  Wertvolles besitzt ja keine Religion. Ausser man betrachtet den Pileolus (das weisse, päpstliche Scheitelkäppchen) als etwas vom Wertvollen.

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Mir scheint es auch, dass die Differenzen so gross sind, dass nur noch beten hilft.

Wenn der Papst eine Einheit will, dann müssen sich alle christlichen Konfessionen über die Antworten zu den Wertefragen einig werden. Doch da es hier nicht Argumente waren, welche die Position einer bestimmten Konfession festgelegt haben, werden es auch nicht Argumente sein, welche die Position der Konfessionen ändern werden. Hier helfen in der Tat nur die klassischen Methoden: Köpfeeinschlagen und/oder Beten.

Wall Street

Meine Theorie: Die Gelfrisur hielt mit dem Film Wall Street (1987) Einzug in die Wall Street und die Chefetagen rund um den Globus.

Okay, was den Einfluss von Wall Street Filmen betrifft, gibt es noch ganz andere Theorien.
Beispielsweise die, dass mit diesen unmittelbar ein Kurssturz bevor steht:


oder eben auch nicht (Quelle: bespokeinvest.com)

Oder dass solche Filme das kriminelle Verhalten von Brokern glorifizieren

Das finde ich indessen eine interessante Frage. Denn natürlich wird die Fratze eines solchen Lebens in seiner ganzen abstossenden Hässlichkeit dargestellt, und doch übt es irgendwie eine die Urinstinkte ansprechende, makabre Faszination aus. Vielleicht weil man insgeheim glaubt, man könne das Geile ohne das Niederträchtige haben.
Ich glaube mich erinnern zu können, dass ich mal irgendwo von Marines gelesen habe, die sich jeweils unmittelbar vor den Kampfeinsätzen den Film  Apokalypse Now (1979) reingezogen haben um sich mit dem, was einem eigentlich den Krieg ein für alle Mal verleiden sollte, in eine Art Blutrausch zu versetzen.

Offenbar reagieren Menschen in Extremsituationen anders als man und auch man selbst es für möglich halten würde. Und offenbar sind Krieg und Wall Street Extremsituationen.
Und entsprechend liegt es nicht fern, dass man sich in solchen Jobs beim Betrachten dieser Filme – wenn schon nicht an konkreten Strategien – so doch zumindest am Style orientiert. Und an der Gelfrisur…

Okay, meine Theorie steht auf wackligen Füssen. Doch was wird wohl in nächster Zeit Einzug halten in die Wall Street und die Chefetagen rund um den Globus, wenn ich doch recht haben sollte?

Die Grenzen des Autoritätsbias

Das Autoritätsargument ist ein Fehlschluss – zumindest so lange, wie die überprüfbaren Belege der erwähnten Autorität nicht nachgereicht werden können. Wenn man diese hingegen nachreichen kann, dann ist das eine bequeme und legitime Abkürzung.

Der Autoritätsbias ist etwas ganz anderes. Das ist unsere natürliche Tendenz die Meinung einer in der Hierarchie uns übergeordneten Persönlichkeit zu übernehmen. Das ist eine natürlich, nicht immer unproblematische, soziobiologisch Reaktion.
Bisweilen wird allerdings statt von der in der Hierarchie übergeordneten Persönlichkeit auch einfach von einem Spezialisten gesprochen. Dies klingt zwar weitgehend deckungsgleich, impliziert jedoch, dass es hier nicht mehr um das Sozialverhalten, wo man die Gültigkeit einer Aussage allein aus der übergeordneten hierarchischen Position der Autorität ableitet,  sondern um die Qualität der Argumentation, welche durch überprüfbare und von Peers weitestgehend akzeptierten Belege gestützt wird, geht. Und das kann verhängnisvoll sein.

Beispielsweise wenn man leichtfertig dazu aufruft jeglicher Autorität gegenüber respektlos zu sein wie dies Rolf Dobelli in seinem Buch „Die Kunst des klaren Denkens“ tut. Er baut seine Argumention auf verschiedenen Beispielen auf:

  • Keiner der Abermillionen von ausgebildeten Ökonomen schaffte es das Timing und den Hergang der Finanzkrise vorauszusagen.
    Stimmt, doch erhebt die Ökonomie überhaupt für sich in Anspruch genau dies exakt tun zu können? Dass einzelne Exponenten ein anderes Verständnis von der Präzision der Voraussagbarkeit in der Wirtschaft haben, ist ihre persönliche Fehleinschätzung und kann der Wissenschaft an sich nur sehr begrenzt zum Vorwurf gemacht werden.
  • Bis ins Jahr 1900 war es nachweislich besser als Kranker nicht zum Arzt zu gehen.
    Stimmt, weil die Ärzte zu jener Zeit nur „drei“ Krankheiten erfolgreich behandeln konnten und der Job des Arztes eigentlich nur daraus bestand zu schauen, ob die konkrete Krankheit eine jener drei ist und wenn ja die Therapie anzuwenden. Die Ärzte waren sich dessen bewusst, versuchten aber nichtsdestotrotz ihr bestes – und verschlimmerten die Sache in den meisten Fällen nur. Auch hier liegt eine persönliche Fehleinschätzung vor, begünstigt noch durch die Unkenntnis der Tatsächlichen Wirkzusammenhänge.
  • In Milgrams Experiment brachte der Versuchsleiter seine Probanden dazu andere Probanden im Dienste einer höheren Sache zu quälen.
    Stimmt, doch hier ging es darum den Autoritätsbias überhaupt erst nachzuweisen, indem man zeigte, wie leichtfertig die Probanden die Verantwortung an ihren Handlungen allein aufgrund einer anwesenden Autorität weiter zu geben bereit sind. Neuere Untersuchungen zeigen, dass Milgram verschiedene Variationen dieses Experiments durchgeführt hat, wobei diese hier das mit Abstand deutlichste Resultat erbrachte.
  • Viele Unfälle in der Luftfahrt ereigneten sich weil der Pilot etwas übersah und der Copilot sich nicht traut es anzusprechen.
    Genau, hier haben wir es endlich tatsächlich mit einem unverfälschten Autoritätsbias zu tun.

 

Das Beispiel aus der Luftfahrt unterscheidet sich allerdings fundamental von den anderen dadurch, dass der Copilot, was das Wissen und die Erfahrung angeht, auf einem ähnlichen Level steht wie der Pilot. Sprich, er könnte diesen im Notfall ersetzen, wodurch sein Schweigen allein auf die Ehrfurcht vor der sozialen Stellung zurückgeht. Das ist jedoch beim Wirtschaftswissenschaftler, resp. Arzt des 19. Jahrhunderts nicht gegeben, weil hier ein Verhältnis zwischen Laie zum Spezialist vorliegt. Klar, was das Tippen auf Börsenkurse betrifft, kann der Normalsterbliche durchaus manchmal besser liegen, doch das ist nur winziger Bruchteil der Wirtschaftswissenschaften, die allerdings auch enthält, wieso es sich bei den Börsentipps genau so verhält. Und klar, ein Hahnemann hat zweifellos genau dadurch etliche Leben gerettet, dass er sprichwörtlich nichts gemacht hat, doch das ist nicht sein Verdienst und schmälert auch nicht die noch so bescheidenen Leistungen der Medizin.
In winzigen Teilgebieten der Ökonomie und der Medizin mag der Zufall zweifellos manchmal besser liegen, jedoch nie im Cockpit eines Flugzeugs. Und deshalb können wir auch nur aus dem Beispiel aus der Luftfahrt etwas lernen und die Erkenntnisse in anderen Branchen übertragen – was zweifellos mehr als angebracht ist.

Doch aus dem Beispiel mit dem Arzt verleitet dazu auch die moderne Medizin zu hinterfragen, inklusive beispielsweise des Impfens. Eine Einschätzung, für die es eigentlich eine wesentlich fundiertere Qualifikation braucht, als einen Analogieschluss.
Als ob das noch nicht schon genug wäre, knüpft Dobelli den Status dieser Spezialisten an Äusserlichkeiten statt an die Zustimmung ihrer Peers. Doch nicht die Überzeugung der Passagiere macht den Piloten zum Chef, sondern die des Copiloten um den Wissens- und Erfahrungsvorsprung. Und nicht der Titel macht den Arzt oder Wissenschaftler zu einem Experten, sondern die andauernde Bestätigung innerhalb des Diskurses mit seinen Fachkollegen.
Weiter merkt Dobelli an, dass in jeder Zeit andere Autoritäten sexy sind und man die Autorität gern fachübergreifend einzusetzen versucht. Das stimmt zwar, doch das ist der Fehlschluss „Autoritätsargument“ und hat mit dem Bias, wie gesagt, nicht viel zu tun.

Dies alles bedenkend, sieht auch Milgrams Experiment auf einmal etwas anders aus, als es vielleicht auf den ersten Blicke erscheint. Es gibt hier nämlich verschiedene Ebenen, auf denen die Autorität wirkt. Zum einen die technische, wo der Versuchsleiter sehr wohl besser als der Proband weiss, wie gefährlich die Stromstösse sind. Und zum anderen die ethische, wo dem Versuchsleiter aber keine besseren moralischen Urteile, die dies rechtfertigen würden, zur Verfügung stehen als dem Probanden. (Hier könnte man bestenfalls zu argumentieren versuchen, dass es sich hier um bedauerliche Opfer zum Wohl der Menschheit handelt. Und tatsächlich sind wir nicht selten geneigt eine solche Begründung durchgehen zu lassen.)

Unter dem Strich empfiehlt es sich den Autoritätsbias gegenüber einem Menschen nur dann abzulegen, wenn man in der Lage ist, ihn in seiner Aufgabe zu ersetzen. Wobei man sich hier höllisch vor dem Dunning-Kruger-Effekt in Acht nehmen muss, nämlich dass man sich umso sicherer ist etwas von einer Sache zu verstehen, je weniger man effektiv von ihr versteht.

donuts in the center of the our galaxy

@UberFacts: This year, a gas cloud is going to come too close to a Black Hole in the center of our galaxy and we’ll see it get ripped apart.

Die Entfernung der Erde zum Zentrum der Milchstraße beträgt laut Wikipedia 8kpc = 26’000 Lichtjahre. Das heisst, wenn die Gaswolche dieses Jahr dem schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstrasse zu nahe kommt, dann sehen wir es in 26’000 Jahren. Und wenn wir es dieses Jahr sehen, dann ist die Gaswolke vor 26’000 Jahren dem schwarzen Loch im Zentrum der Milchstrasse zu nahe gekommen. So wie es aber hier steht, funktioniert es nicht.

Und das schlimmste daran ist, dass selbst wenn man sich eben gerade noch über den Blödsinn, den UberFacts getwittert hat, höllisch aufgeregt hat, so glaubt man ohne Vorbehalte schon wieder den nächsten Tweet.
Man kann sich selbst dabei beobachten, dass man ein Gedächtnis hat wie Homer Simpson.

Beängstigend.

Die finsteren Absichten der Linken!

Mit der 1:12-Initiative will die Linke,
dass künftig der Staat per Lohndiktat in die Unternehmen eingreift.

Toni Brunner auf der Webseite http://www.1-12-nein.ch/ (die es heute nicht mehr gibt)

Dass der Staat in die Lohnpolitik eingreift, ist also prinzipiell schlecht? Würden dann aber nicht auch Mindestlohn, Kündigungsfristen und obligatorische Versicherungen verdammungswürdige Diktate des Staates darstellen?

Ich schätze, so einfach ist das nicht. Die Frage ist nicht, ob man die Freiheit der Unternehmen beschneiden dürfen soll, sondern bis zu welchem Grad es zugunsten anderer Faktoren tolerierbar ist. Und da gehen die Meinungen eben etwas auseinander.
Man sollte aber darob nicht vergessen, dass alle Seiten sich eine starke Wirtschaft wünschen und Wege zu kennen glauben, die genau für eine solche förderlich sind. Und alle haben auch plausible Argumente, welche von vielen geteilt werden. Aber eben nicht von allen. Und so offensichtlich, wie die Gegner eine Idee zum Scheitern verurteilt sehen, ist sie nicht zum Scheitern verurteilt.
Alle Ideen, die ernsthaft diskutiert werden, sind eigentlich mehrheitsfähig. Und wenn sie scheitern, dann war das nicht absehbar. Selbst dann nicht, wenn die Gegner laut verkünden, dass sie genau das vorausgesagt haben. Sie haben nämlich mit der gleichen Inbrunst auch ganz andere Untergänge vorausgesagt, die sich jedoch nicht eingestellt haben.

Wie gesagt, die Sache ist nicht ganz so einfach. Schliesslich finden sich auch im rechten Lager einzelne Leute, die sich für die Initiative einsetzen. Ich denke da beispielsweise an die kleine Facebook-Grupp namens SVP für 1:12.

Was lernen wir draus?

Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch, was man den politischen Gegnern als Motive unterstellt. Wenn man die Position einer Partei hören will, dann soll man sich deren Argumente anhören. Und nicht die Interpretation ihrer Gegner. Macht das nicht irgendwie Sinn?
Wenn eine Partei verkündet, dass sie für eine bestimmte Sache einsteht, dann suggeriert sie, dass ihre Gegner gegen diese sind. Doch dem braucht nicht so zu sein. In manchen Dingen sind sich nun mal alle einig. Und wenn sich alle in einer Sache einig sind, dann kann man sie der Fairness halber getrost weglassen.

Daher plädiere ich für folgende in der Verfassung verankerten Bestimmungen für den Wahlkämpfe:

  1. Es ist verboten zu erklären, was die Gegenseite (insgeheim) will.
  2. Es ist verboten zu erwähnen, dass Arbeitsplätze gefährdet werden.

Verzeihen und Nachtragen

Dass die Regierung der Vereinigten Staaten, der Vatikan und die Pharma in der Vergangenheit nachweislich gelogen haben, ist bekannt. Das Problem ist aber, dass daraus leider nicht zwangsläufig folgt, dass alles, was sie jetzt sagen, gelogen ist.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht!

Man kann es den Dorfbewohnern aus dem Märchen „Der Hirtenjunge und der Wolf“ natürlich nicht verdenken, dass sie sich nach dem x-ten falschen Alarm nicht mehr ganz so beeilen dem Hirten zu Hilfe zu eilen, doch wenn man davon ausgeht, dass der Hirte die Schafe des ganzen Dorfes gehütet hat, dann hätte es der Prosperität des Dorfes sicher nicht geschadet, wenn die Leute nicht so nachtragend gewesen wären.

Auf den ersten Blick mag es daher vielleicht so erscheinen, dass uns das Märchen lehrt, dass Lügen unerfreuliche soziale Konsequenzen nach sich ziehen können. Was natürlich durchaus stimmt. Doch wenn man sich vergegenwärtigt, dass hier den Schaden vor allem die Dorfgemeinschaft hat, weil sie es versäumte ihren Tieren zu Hilfe zu eilen, dann erkennen wir, dass es drastische Konsequenzen haben kann, wenn man auf Basis von Mutmassungen Entscheidungen trifft. Oder um es etwas zeitgemässer zu formulieren, dass die Erfahrung ein sehr unzuverlässiger Ratgeber ist.
Statt dem Hirten einfach nicht mehr zu glauben, hätten die Dorfbewohner lieber dafür gesorgt, dass er nicht mehr lügt – gern auch mit den für Märchen typische drakonischen Strafen. Auf die Reaktionszeit ihrer „Feuerwehr“ sollten dagegen solche Erfahrungen lieber keinen Einfluss haben.

Die Fähigkeit zu Verzeihen ist zweifellos ein bedeutender zivilisatorischer Schritt, denn ohne diese schlittert man früher oder später aufgrund der menschlichen Natur beinahe schon zwangsläufig in einen Teufelskreis. Kein Wunder daher, dass Jesus die Menschen dazu auffordert, auch die andere Backe hin zu halten und – ganz wichtig – es dem Übeltäter nicht nachzutragen.
Jesus erklärt zwar nicht, wie man den Grobian „umerziehen“ soll, doch zumindest legt er uns nahe, aus der Erfahrung nichts zu lernen. Was uns auf das obige Märchen übertragen einen Muskelkater kostet, aber nicht die Herde.

Dafür, dass das Verzeihen eins der zentralen Konzepte des Christentums ist, ist es dann aber schon erstaunlich, dass ganz besonders aus den Reihen der fundamentalen Christen der Regierung der Vereinigten Staaten, dem Vatikan und der Pharma kategorisch nicht geglaubt wird. Nicht gerade sehr christlich, will mir scheinen.