Der Versuch Kunst definieren zu wollen, ist natürlich ein Widerspruch in sich, denn seit jeher war es eine der vornehmlichsten Eigenschaften der Kunst – ob nun gewollt oder nicht – den universellen Gültigkeitsanspruch jeder Struktur und Ordnung in Frage zu stellen.
Eine Implikation davon ist, dass die Wahl des Mediums oder Materials, aus dem die metaphorische Abrissbirne gegossen wird, dem Künstler offen steht. Dass er sie ganz den Bedürfnissen entsprechend anpassen kann – oder viel mehr muss.
In einem Land, wo sich die Grenzen darauf beschränken, dass man nicht bei Rot über die Strasse geht, was zu allem Überfluss sogar relativ vernünftig ist, was will man da schon mit Farben, Klängen oder Formen ausrichten? Guerilla-Zebrastreifen malen? Motorengeräusche fälschen? Strassen verlegen? Soll man sich gegen Politikerinnen auflehnen, die fordern, dass bei der Ampel violett statt orange verwendet wird? Oder gegen Polizisten, die nach Lust und Laune die Grünintervalle verkürzen oder verlängern?
An einem solchen Ort trägt der wahre Künstler keine Jesus-Latschen und mieft nicht nach Terpentin, billigem Wein und filterlosen Zigaretten. Nein, er trägt nicht allzu teure Lackschuhe, einen Anzug und eine Aktentasche mit einer Banane und ner Birne drin. Es ist der Bürokrat, der täglich pflichtbewusst seine Arbeit verrichtet und Kopien von Kopien durch die weit verzweigte Verwaltung schleust. Das Interessante an der Beamtenherrschaft ist nämlich insbesondere, dass sie weniger ihre Arbeit verrichtet, als sich vielmehr selbst erschafft. Es ist ein graues, unauffälliges, exponentielles System, welches seine Dynamik aus der enormen Kreativität seiner Formulare, Stempel und Softwarelösungen schöpft.
Kein normaler Mensch würde einen solchen Moloch füttern, genauso wie kein normaler Mensch zugunsten eines unverkäuflichen Bildes sich ein Ohr absäbeln würde. Doch Künstler sind keine normalen Menschen und sie tun nicht, was zu ihrem persönlichen Vorteil gereicht, sondern was die Gesellschaft von ihren verstaubten Altlasten befreit. Und die Bürokratie zerstört man am effektivsten, denn man sie so lange füttert bis sie explodiert. Und dafür braucht man nicht allzu teure Lackschuhe, einen Anzug und eine Aktentasche mit einer Banane und ner Birne drin.