Rotkäppchen, Rappunzel und Dornröschen sind fiktive Personen und selbstverständlich glaubt keiner wirklich, dass historische Personen sind. Doch wenn es um Überbegriffe wie Hexen, Drachen und Vampire geht, sieht die Sache völlig anders aus und man wird kaum ein Fabelwesen finden, das nicht irgendjemand für real hält.
Man möchte fast meinen, der Mensch könne sich nicht vorstellen, dass etwas allein ein Produkt der Fantasie sei: Wenn etwas gedacht werden kann, dann muss es das auch geben. Und mit jeder Erwähnung schwinden die Zweifel – selbst wenn die Erwähnung explizit den fiktionalen Charakter unterschreicht.
Die gängige Erklärung für dieses Phänomen verweist in der Regel darauf, dass fiktive Reisszähne erst seit relativ kurzer Zeit schärfer sein können als reale, und dass die Evolution des menschlichen Gehirns nun mal noch etwas hinterher hinkt. Das heisst, so lange wie unsere Instinkte gleich auf Abbild und Abgebildetes reagieren, werden wir wohl oder übel an den Osterhasen glauben wollen. Und manche werden diesem Wunsch dann auch nachgeben.
Da fragt man sich natürlich, wie die Welt heute wohl aussehen würde, wenn jener Homo ergaster, dessen Gehirn einen raffinierten Trick entwickelt hatte, der es ihm ermöglichte zuverlässig zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden, nicht an einer Fischgräte erstickt wäre?
Vielleicht würden wir dann ein so intuitives Verständnis für Statistiken haben, wie wir es jetzt nicht haben. Vielleicht wäre uns die begrenzte Verallgemeinerbarkeit unserer Erfahrungen bewusst. Vielleicht würden wir nicht mehr mit Kausalitätszuschreibungen um uns werfen. Vielleicht würden wir den Wert von Doppelblindstudien zu schätzen wissen. Und vielleicht würde Werbung nicht mehr funktionieren. Und vielleicht wären uns die Religionen erspärt geblieben.
Finde ich auf jeden Fall mal nen Versuch wert. Meinen Segen zur Wiedergeburt hat er, jener Homo ergaster.
Bis dahin dürfen wir uns nicht wundern, dass sich keiner gross an pseudowissenschaftlichen Praktiken stört.