Ob die Halbstarken am Bahnhof, die zum fetten Beat des Sounds ihren Kopf wippen, tatsächlich cool rüberkommen, hängt wesentlich von dem Umstand ab, ob der Betrachter dieser Szene den Sound ebenfalls hören kann. Tut er es nicht, drängen sich ihm unweigerlich Assoziationen mit den spastischen Zuckungen eines körperlich und/oder geistig Handicapierten auf. Insofern bewahren die lästigen Kopfhörer, die genauso viel Dezibel nach aussen wie nach innen abgeben, den Headbanger zwar nicht vor dem Tinitus, doch wenigstens lassen sie ihm ein letztes Pfitzelchen Würde.
Tatsächlich scheinen gewisse technische Errungenschaften Verhaltensweisen, die früher eher typisch für einen Brändi waren – so nennen wir diese Leute politisch äusserst unkorrekt in Luzern –, innert kürzester Zeit salonfähig gemacht zu haben. Ich denke da, abgesehen von den erwähnten iPod-Spasmen, auch an die schallenden Selbstgespräche der Mobiltelefonierer in der Öffentlichkeit oder an den geschlechterübergreifenden Gehorsam bei den Benutzern von GPS-Systemen mit der Stimme des jeweils anderen Geschlechts.
Fragt man die Betroffenen, wie es bei ihnen nur so weit kommen konnte, ist die Antwort im Grunde stets dieselbe: Was will man sonst machen? Sich verfahren? Unerreichbar sein? Den Rhythmus im Blut verleugnen?
Unerschrocken habe ich den Selbstversuch in allen drei Disziplinen gewagt. Innert Sekunden war der GPS auf stumm und das Natel völlig ausgeschaltet. Und ich habe mich weder verfahren, noch einen wichtigen Termin verpasst, wodurch die Weltwirtschaft in ihren Grundfesten erschüttert worden wäre. Das iPod-Exeriment förderte jedoch erstaunliches zutage! Und zwar in seiner Unterschiedlichkeit je nach Musik, die ich dabei hörte.
Hörte ich die James Bond Titelmelodie, so fummelte ich bei jeder Strassenlaterne an meiner Armbanduhr rum, um gewappnet zu sein gegen russische Agenten, beim Imperialen Marsch rasselte mein Atem und ich versuchte wildfremde Leute yedimässig zu würgen, bei Singing in the Rain hüpfte ich wie besessen von Pfütze zu Pfütze und bei Eye of the Tiger stürzte ich mich jede sich bietenden Treppe hinauf. Dass bei You Can Leave Your Hat On meine Kleider fielen, braucht wohl nicht erst erwähnt zu werden, und dass bei Unchained Melody die Damen fluchtartig das Weite suchten, auch nicht. Und beim Main Title von Jaws, nun ja, da suchte ich möglichst viel Distanz zwischen mich und jeden einzelnen Swimming Pool zu kriegen. Das waren alles eher verstörende Einflüsse. Es gab aber auch die anderen: Beim Theme von Mission Impossible, da knackten sich die Knacknüsse fast von selbst, oder zum The Fencing Lesson bügelte es sich wie Zorro. Und so weiter und so fort…
(Ich lade meine Leser herzlich ein, unten ihre eigenen Erfahrung mit uns zu teilen.)
Es ist doch so, dass in den Filmen die Handlungen und Gefühlslagen der Hauptrollen stets mit passender Musik untermalt werden. Wenn diese nicht gerade tumbe Desperados sind, die ohnehin jedem das Genick brechen, der ihnen in den Weg läuft, dann ist es für die Protagonisten eigentlich ein leichtes, lediglich anhand der Melodie zu erahnen, welche Überraschungen sich der Drehbuchautor wieder für sie ausgedacht hat. Ich vermute, dass die unrealistisch niedrige Verletzungsrate unter den Filmhelden bei einer so hohen Dichte an Risiken – obgleich dies nie zugeben würde – auf genau diesen Umstand zurückzuführen ist.