Das Wunder der Befreiung von einer Sucht

Wenn man religiöse Leute fragt, woher sie ihre Gewissheit haben, erwidern sie ziemlich oft, dass sie ein Wunder erlebt haben. Meist in der Form von einer Sucht, von der sie befreit worden seien.
Ich bezweifle nicht, dass es ein wunderbares Gefühl sein muss, endlich frei zu sein. Und im Angesicht all der früheren Anstrengungen, die sie bis dahin erfolglos auf sich genommen haben, überrascht mich auch nicht, dass sie es sich nur noch durch die Intervention eines übernatürlichen Wesens erklären können. Nichtsdestotrotz braucht das nicht wirklich die einzig mögliche Erklärung gewesen zu sein.
Es stimmt schon, die Befreiung von der Sucht fand zeitgleich mit dem Finden von Gott statt. In solchen Fällen stellt man gern eine Kausalität her. Doch objektiv betrachtet, fanden zu dem Zeitpunkt auch noch ganz andere Dinge statt, so dass die Kausalität auch ganz woanders liegen könnte.

Schauen wir uns an, was Johann Hari zum Thema Sucht zu sagen hat:

[…] maybe we shouldn’t even call it addiction. Maybe we should call it bonding. Human beings have a natural and innate need to bond, and when we’re happy and healthy, we’ll bond and connect with each other, but if you can’t do that, because you’re traumatized or isolated or beaten down by life, you will bond with something that will give you some sense of relief. Now, that might be gambling, that might be pornography, that might be cocaine, that might be cannabis, but you will bond and connect with something because that’s our nature. That’s what we want as human beings.
Johann Hari, 6:03

Als Gott in sein Leben getreten ist, tat er es nicht alleine. Es war eine Gemeinschaft, die an den Süchtigen herangetreten ist. Sie nahm ihn auf und kümmerte sich um ihn. Sie gab ihm die Bindung, die ihm Erleichterung verschaffte. Und wenn man Hari glauben darf, dann reicht das allein schon um das „Wunder“ zu vollbringen. Gott braucht dafür nicht real zu sein.
Okay, manchmal findet ein Süchtiger auch ohne Anreiz von aussen zu Gott, schliesslich gilt Gott (ob zu recht oder unrecht, sei mal dahin gestellt) als ein patentes Heilmittel gegen alle Art von Beschwerden. Ein verzweifelter Suchender wird daher früher oder später auch mal diese Option probieren. In diesem Fall tauscht er eben etwas, das ihm Erleichterung verschafft gegen etwas anderes das ihm Erleichterung verschafft. Ob es Glücksspiel ist oder Pornographie, Esoterik oder ein imaginärer Freund, macht da keinen allzu grossen Unterschied. Auch hier braucht Gott dafür nicht real zu sein.

Dem Menschen ist das Bindungsbedürfnis angeboren. Wie er es befriedigt ist eigentlich egal, so lange es nur befriedigt wird. Bloss dass gewisse Formen gesünder sind und andere ausgesprochen schädlich. Die Bindung zu Menschen ist sicherlich die beste, allein schon auch deshalb, weil sie einen immer wieder auf den Boden zurück bringen, während Ideen und imaginäre Freunde einem auch beim absurdesten Vorhaben nicht Einhalt gebietet.

Und wenn es doch Gott war, der einen von der Sucht befreit hat, dann scheint er mehr Wert darauf zu legen, dass man in einer spannenden Umgebung lebt, welche einem viele Möglichkeiten bietet mit Artgenossen eine Bindung eingeht, als dass man ihn akzeptiert oder auch nur an seine Existenz glaubt (was eine Ratte wohl nicht tut). Sprich, er stört sich nicht am Atheismus, dafür aber unterstützt er vehement die Entkriminalisierung von Drogen – was er durch die Platzierung von Wundern unmissverständlich zum Ausdruck bringt1.

Assoziation zwischen Religiosität und Altruismus bei Kindern

Der Neurowissenschaftler Jean Decety von der University of Chicago hat vor wenigen Tagen im Fachjournal Current Biology eine Studie zum Altruismus bei Kindern veröffentlicht, der zufolge religiös erzogene Kinder deutlich altruistischer sind als solche, die nicht religiös erzogen wurden.

Er schloss dies aus den Ergebnissen der folgenden drei Experimente:

  • Die Kinder sollten aus 30 Stickern die 10 aussuchen, die ihnen am besten gefallen. Diese durften sie behalten, wurden jedoch gefragt, ob sie nicht ein paar ihrer Sticker abgeben möchten für Mitschüler, die an diesem Test nicht teilnehmen konnten.
  • Die Kinder schauten sich kurze Filmchen an, wo Kinder angerempelt wurden, und sollten beurteilen wie schlimm das ist.
  • Die Kinder sollten das böse Verhalten in den Filmchen bestrafen.

Durchs Band verhielten sich die religiösen Kinder altruistischer: Sie gaben mehr Sticker ab, verziehen das rüpelhafte Verhalten und waren milder bei der Strafe. Das deutet klar darauf hin, dass Religionen die Wichtigkeit von Wohltätigkeit, Vergebung und Nächstenliebe tatsächlich zu vermitteln schaffen und die Gläubigen diese Ideale auch in der realen Welt umsetzen. Das wird wohl keinen Christen überraschen.

Es gab dabei nur ein Problem. Es verhilt sich gerade andersrum. Die religiös erzogenen Kinder waren in jedem einzelnen Versuch signifikant weniger altruistisch als die Kinder, die keine religiöse Erziehung genossen haben. Und die Moral vor der Geschichte ist eher die, dass Religion den Altruismus verhindert, während sie den betroffenen Personen das gegenteilige Gefühl vermittelt.

Im Rahmen der Studie wurden auch die Eltern befragt und eine der Fragen war, wie sie den Altruismus ihrer Kinder im Vergleich zu anderen Kindern einschätzen würden. Die religiösen Eltern waren überzeugt davon, dass ihre Kinder überdurchschnittlich altruistisch seien.

Wie ist es möglich, dass Leute, die so viel Wert auf Nächstenliebe legen, diese nachweislich weniger praktizieren, aber überzeugt davon sind, es mehr als die anderen zu tun1?

Plädoyer vom Advocatus Diaboli

Bei der Beurteilung des problematischen Verhaltens auf den kurzen Filmchen waren die religiösen Kinder also strenger. Okay. Die eigentliche Frage ist aber, warum sie das waren? Vielleicht waren die Kinder ohne religiöse Erziehung einfach nur deshalb weniger streng, weil sie sich der Schwere der Verfehlung nicht bewusst sind? Die christlichen Kinder wissen dagegen sehr genau, was richtig und falsch ist. Und um beurteilen zu können wer altruistischer ist, müsste man doch erst wissen, von welcher Position man ausgeht. Wenn man einen Mord für harmlos hält, dann gibts am Schubsen nichts zu verzeihen und demzufolge kommt hier auch nicht Altruismus zum Zug.
Und wenn man etwas weniger strenger beurteilt, dann wird man sich auch nicht gezwungen fühlen es überhaupt zu bestrafen. Beurteilung und Strafe sind gekoppelt. Deshalb kann das nicht als unabhängige Bestätigung interpretiert werden.

Und dass man weniger Sticker abgibt, muss nicht notwenigerweise am Egoismus liegen. Vielleicht sind sich die religiösen Kinder auch einfach darüber im klaren, dass anderen Kindern grundlos etwas zu schenken ein falscher Anreiz wäre? Wie sollen sie dann lernen, dass jeder seines Glückes eigener Schmid ist? Nächstenliebe ist jemandem wirklich zu helfen, ihn mit Stickern zu verhätscheln erweist ihm dagegen keinen Dienst. Klar, der andere wäre glücklich, doch solches Glück währt nur kurz. Deshalb zeugt es von wahrer Selbstlosigkeit, wenn man sich das schöne Gefühl, Freude in den Augen seines Gegenübers zu sehen, verkneift und ihm statt dessen eine Lektion fürs Leben erweist, für die er einem in der Zukunft dankbar sein wird.

Einwand vom Advocatus Diaboli Diabolici

Es gibt da diesen lustigen psychologischen Effekt, den jeder Supermarkt kennt: Wenn man Gemüse in sein Einkaufskörbchen gelegt hat, hat man seine Schuldigkeit in Punkto gesunde Ernährung getan und kann ohne schlechtes Gewissen noch eine Schokolade kaufen. Das gleiche gilt für gute Taten: Wenn man am Morgen für die Armen der Welt gebetet hat, braucht man ihnen am Nachmittag nicht auch zu helfen.
Und da die nicht religiösen Kinder am morgen nicht beteten, haben sie ihr moralisches Soll für den Tag noch nicht erfüllt und versuchen es mit dem Verschenken von Stickern zu kompensieren.

Und was die Kopplung von Beurteilung und Strafe betrifft: Wenn die nicht religiös erzogenen Kinder, wie der Advokatus Diaboli nahelegt, keinen moralischen Kompass besitzen, im Bezug auf den sie überhaupt erst altruistisch handeln können, dann sollte ihre Gleichgültigkeit (resp. ihre Freude) der Grausamkeit gegenüber sie eigentlich nicht daran hindern jede beliebige Strenge von Strafe zu verhängen – was jedoch nicht der Fall war.

Wie dem auch sei…

Das Ergebnis der Studie lautet: Der Nachwuchs christlicher und muslimischer Familien teilte seltener mit Altersgenossen, wollte aber unsoziales Handeln anderer härter bestrafen.

Vielleicht ist der Altruismus aber auch gar kein christliches Ideal? Vielleicht wird er nur irrtümlich mit der Nächstenliebe gleichgesetzt?
Wenn Gott die Todesstrafe fordert, dann gebietet der Altruismus Kuscheljustiz. Doch das ist für einen Christen nicht wirklich eine Option, denn der Wille Gottes ist überaus deutlich. Die Nächstenliebe verlangt den Verurteilten zu lieben wie sich selbst (und wenn er verletzt ist, ihn zu heilen), davon ihn deshalb nicht zum Schafott zu führen, kann jedoch keine Rede sein.  Denn nur so respektiert man die Person wirklich – und genau das macht Liebe schliesslich aus – man respektiert seine Entscheidung dem verbrecherischen Pfad zu folgen und entsprechend auch dessen Konsequenzen zu tragen.

Ironie des Schicksals

This research was supported by a grant from the John Templeton Foundation (Science of Philanthropy Initiative).

Wenn das mal nicht ein Schuss nach hinten war…

Disclaimer

Aber natürlich waren das gar nicht „echte“ Christenkinder…

Atheisten und ihre geistige Gesundheit

Eine weit verbreitete Ansicht besagt, dass Gläubige – wahrscheinlich aufgrund der Geborgenheit in der Gemeinde und dem Trost, dass eine höhere Macht über sie wacht – tendenziell in einer besseren geistigen Verfassung seien als Atheisten. Dies schien auch eine Reihe von Studien zu bestätigen, die jedoch laut einem von Mark M. Leach und Jon T. Moore im Psychology of Religion and Spirituality publizierten Artikel einige schwerwiegende Mängel aufweisen. Atheisten wurden meist entweder ganz ausgeschlossen oder aber in die gleiche Kategorie wie wenig Gläubige gesteckt. Darüber hinaus konzentrierten sich diese Studien auf Christen, während andere Religionen klar vernachlässigt wurden.

Deshalb verglichen Leach und Moore in ihrer Studie Atheisten, Agnostiker und eine Reiche von Gläubigen aus verschiedenen Religionen und kamen zum Schluss, dass Menschen, die völlig sicher sind, dass es Gott gibt, resp. nicht gibt, ein ungefähr gleiches Mass an geistiger Gesundheit aufwiesen.
Als Erklärung hierfür bieten sie, dass vielleicht die Gewissheit – egal ob nun für oder wider – einem eine Last von den Schultern nimmt, während die Ambivalenz einen zwingt verschiedene moralische Möglichkeiten aufrecht zu erhalten, was eine entsprechende Stresssituation darstellen kann.

Mal sehen, was weitere Studien in dieser Richtung zeigen werden.

Homosexuelle und ihre Homosexualität

„Wir haben nichts gegen Homosexuelle,
wir versuchen nur der Homosexualität Einhalt zu gebieten.“

Ist wie Grippe. Niemand hat was gegen Grippekranke. Man versucht lediglich eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Weil, nun ja, weil die Grippe zu haben nun mal übel für die betroffene Person ist. Weil, nun ja, weil man gewissermassen brennt.

Grippe ist ansteckend. Homosexualität auch?
Aus der Sicht religiös orientierter Gruppierungen jedenfalls schon. Und zwar allein schon durch Blick-Kontakt. Entsprechend kann eine Epidemie am effektivsten durch Quarantäne der schwuchtligen Auswüchse verhindert werden – was das auch immer sein mag.

Grippe ist vermeidbar. Homosexualität auch?
Abgesehen von der Isolation, funktioniert auch Impfung. Man macht von früh auf dermassen Stimmung gegen sie, dass bei jegliche Art von Konfrontation mit dem Thema der Ekel übermächtig wird. Sowohl, was die Homosexualität an anderen, wie auch an einem selbst betrifft.

Grippe ist heilbar. Homosexualität auch?
Aus der Sicht religiös orientierter Gruppierungen jedenfalls schon. Dies wird mit der Konversionstherapie auch tatsächlich versucht. Vor allem bei Leuten, die ihrer Orientierung gegenüber dank des religiös motivierten Impfprogramms als eine verabscheuungswürdige Belastung sehen.
(Sollte es das Homo-Gen tatsächlich geben, würde dieser Umstand Pränataldiagnostik und Abtreibung rechtfertigen?)

Ist wie Grippe. Niemand hat was gegen Grippekranke. Ausser sie wollen dich anstecken – was aus der Sicht religiös orientierter Gruppierungen gewissermassen ein Urtrieb der Homosexualität ist.

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Versucht mal diese Argumentation mit T-Virus und Zombies statt mit Influenza-Virus und Grippekranken durchzuexerzieren.  Hier ist die Krankheit – genau wie die Homosexualität – nicht heilbar. Und man hat weniger Skrupel die Betroffenen umzunieten.

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Und jetzt versucht mal dieses Argumentation mit Phäomelanin und Rothaarigen durchzuexerzieren. Hier ist die Haarfarbe – genau wie die Homosexualität – nicht ansteckend. Doch man hatte lange Zeit trotzdem weniger Skrupel die Betroffenen umzunieten.

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Die Frage ist doch, wovor fürchten sich die Homophoben?
Vor dem anderen?
Fürchten sie, dass das andere von ihnen und ihren Kindern Besitz ergreifen könnte
und dass sie sich in einer veränderten Welt nicht mehr zurecht finden würden?

Oder fürchten sie vielleicht etwas ganz anderes?
Laut der Studie Is Homophobia Associated With Homosexual Arousal? sind homophobe heterosexuelle Männer beim Betrachten eines Schwulen-Pornos erregt, während nicht homophobe heterosexuelle Männer beim Betrachten eines Schwulen-Pornos dies nicht sind.

Scharlatane unter der Lupe

Das Problem mit den esoterischen Fähigkeiten ist ja, dass sie sehr störungsanfällig zu sein scheinen gegenüber „skeptischen Schwingungen“.
Ob es „skeptische Schwingungen“ tatsächlich gibt, müsste natürlich erst mal nachgewiesen werden, doch sei das vorerst mal dahingestellt. Nehmen wir einfach mal an, dass es sie gibt und dass sie bisher alle ernsthaften Versuche esoterische Fähigkeiten nachzuweisen vereitelt haben. Wir müssen also unsere Nachweisexperimente so gestalten, dass diese nicht reinfunken können.
Das heisst dann wohl, dass beim Versuch niemand zugegen sein darf, der nicht voll und ganz an den Erfolg glaubt. Nicht einmal per Video oder durch einen anderen Trick.

Der Versuchsaufbau beispielsweise für einen Pendler, der ein Wasserglas unter einem Papierhut mittels eines Pendels finden zu können behauptet, besteht darin, dass er an einem Ort seiner Wahl zehnmal je 10 Papierhüte in einer Reihe aufgestellt hat, wobei jeweils unter einem eine Wasserglas steht. Beobachtet wird der Versuch von 10 von ihm selbst verlesenen treuesten Fans. Wenn er vier Mal richtig liegt, hat er seine Fähigkeit nachgewiesen.
Nennt mich blauäugig, aber ich denke nicht, dass diese Leute über das Ergebnis offen lügen werden, denn damit würden sie sich und ihrer Überzeugung wohl mehr schaden als es ein Misserfolg tun könnte. (Aber Randis Million Dollar würde ich dann doch noch nicht gleich auszahlen.)

Das Problem ist, dass man sich wohl auch hier herausreden wird können, dass die Befragung danach ein Akt der skeptischen Beobachtung ist, der auf den Versuch in die Vergangenheit ausstrahlt und irgendetwas Schrödinger Katze.


 

Anschlussfrage: Gibt es Esoteriker, die „skeptische Schwingungen“ aufspüren können? Ein solcher könnte den Versuchsaufbau und den Ablauf während der ganzen Zeit beobachten. Und vielleicht könnte man ihm noch einen zweiten solchen hinzugesellen, der kontrolliert, ob der erste selbst nicht die „skeptischen Schwingungen“ ausstrahlt.
Damit er die „skeptischen Schwingungen“ nicht aufgrund des Misserfolgs detektiert, müssten die Enthüllung des Ergebnisses natürlich erst ganz am Schluss erfolgen, statt nach jeder Runde.

Die Grenzen des Autoritätsbias

Das Autoritätsargument ist ein Fehlschluss – zumindest so lange, wie die überprüfbaren Belege der erwähnten Autorität nicht nachgereicht werden können. Wenn man diese hingegen nachreichen kann, dann ist das eine bequeme und legitime Abkürzung.

Der Autoritätsbias ist etwas ganz anderes. Das ist unsere natürliche Tendenz die Meinung einer in der Hierarchie uns übergeordneten Persönlichkeit zu übernehmen. Das ist eine natürlich, nicht immer unproblematische, soziobiologisch Reaktion.
Bisweilen wird allerdings statt von der in der Hierarchie übergeordneten Persönlichkeit auch einfach von einem Spezialisten gesprochen. Dies klingt zwar weitgehend deckungsgleich, impliziert jedoch, dass es hier nicht mehr um das Sozialverhalten, wo man die Gültigkeit einer Aussage allein aus der übergeordneten hierarchischen Position der Autorität ableitet,  sondern um die Qualität der Argumentation, welche durch überprüfbare und von Peers weitestgehend akzeptierten Belege gestützt wird, geht. Und das kann verhängnisvoll sein.

Beispielsweise wenn man leichtfertig dazu aufruft jeglicher Autorität gegenüber respektlos zu sein wie dies Rolf Dobelli in seinem Buch „Die Kunst des klaren Denkens“ tut. Er baut seine Argumention auf verschiedenen Beispielen auf:

  • Keiner der Abermillionen von ausgebildeten Ökonomen schaffte es das Timing und den Hergang der Finanzkrise vorauszusagen.
    Stimmt, doch erhebt die Ökonomie überhaupt für sich in Anspruch genau dies exakt tun zu können? Dass einzelne Exponenten ein anderes Verständnis von der Präzision der Voraussagbarkeit in der Wirtschaft haben, ist ihre persönliche Fehleinschätzung und kann der Wissenschaft an sich nur sehr begrenzt zum Vorwurf gemacht werden.
  • Bis ins Jahr 1900 war es nachweislich besser als Kranker nicht zum Arzt zu gehen.
    Stimmt, weil die Ärzte zu jener Zeit nur „drei“ Krankheiten erfolgreich behandeln konnten und der Job des Arztes eigentlich nur daraus bestand zu schauen, ob die konkrete Krankheit eine jener drei ist und wenn ja die Therapie anzuwenden. Die Ärzte waren sich dessen bewusst, versuchten aber nichtsdestotrotz ihr bestes – und verschlimmerten die Sache in den meisten Fällen nur. Auch hier liegt eine persönliche Fehleinschätzung vor, begünstigt noch durch die Unkenntnis der Tatsächlichen Wirkzusammenhänge.
  • In Milgrams Experiment brachte der Versuchsleiter seine Probanden dazu andere Probanden im Dienste einer höheren Sache zu quälen.
    Stimmt, doch hier ging es darum den Autoritätsbias überhaupt erst nachzuweisen, indem man zeigte, wie leichtfertig die Probanden die Verantwortung an ihren Handlungen allein aufgrund einer anwesenden Autorität weiter zu geben bereit sind. Neuere Untersuchungen zeigen, dass Milgram verschiedene Variationen dieses Experiments durchgeführt hat, wobei diese hier das mit Abstand deutlichste Resultat erbrachte.
  • Viele Unfälle in der Luftfahrt ereigneten sich weil der Pilot etwas übersah und der Copilot sich nicht traut es anzusprechen.
    Genau, hier haben wir es endlich tatsächlich mit einem unverfälschten Autoritätsbias zu tun.

 

Das Beispiel aus der Luftfahrt unterscheidet sich allerdings fundamental von den anderen dadurch, dass der Copilot, was das Wissen und die Erfahrung angeht, auf einem ähnlichen Level steht wie der Pilot. Sprich, er könnte diesen im Notfall ersetzen, wodurch sein Schweigen allein auf die Ehrfurcht vor der sozialen Stellung zurückgeht. Das ist jedoch beim Wirtschaftswissenschaftler, resp. Arzt des 19. Jahrhunderts nicht gegeben, weil hier ein Verhältnis zwischen Laie zum Spezialist vorliegt. Klar, was das Tippen auf Börsenkurse betrifft, kann der Normalsterbliche durchaus manchmal besser liegen, doch das ist nur winziger Bruchteil der Wirtschaftswissenschaften, die allerdings auch enthält, wieso es sich bei den Börsentipps genau so verhält. Und klar, ein Hahnemann hat zweifellos genau dadurch etliche Leben gerettet, dass er sprichwörtlich nichts gemacht hat, doch das ist nicht sein Verdienst und schmälert auch nicht die noch so bescheidenen Leistungen der Medizin.
In winzigen Teilgebieten der Ökonomie und der Medizin mag der Zufall zweifellos manchmal besser liegen, jedoch nie im Cockpit eines Flugzeugs. Und deshalb können wir auch nur aus dem Beispiel aus der Luftfahrt etwas lernen und die Erkenntnisse in anderen Branchen übertragen – was zweifellos mehr als angebracht ist.

Doch aus dem Beispiel mit dem Arzt verleitet dazu auch die moderne Medizin zu hinterfragen, inklusive beispielsweise des Impfens. Eine Einschätzung, für die es eigentlich eine wesentlich fundiertere Qualifikation braucht, als einen Analogieschluss.
Als ob das noch nicht schon genug wäre, knüpft Dobelli den Status dieser Spezialisten an Äusserlichkeiten statt an die Zustimmung ihrer Peers. Doch nicht die Überzeugung der Passagiere macht den Piloten zum Chef, sondern die des Copiloten um den Wissens- und Erfahrungsvorsprung. Und nicht der Titel macht den Arzt oder Wissenschaftler zu einem Experten, sondern die andauernde Bestätigung innerhalb des Diskurses mit seinen Fachkollegen.
Weiter merkt Dobelli an, dass in jeder Zeit andere Autoritäten sexy sind und man die Autorität gern fachübergreifend einzusetzen versucht. Das stimmt zwar, doch das ist der Fehlschluss „Autoritätsargument“ und hat mit dem Bias, wie gesagt, nicht viel zu tun.

Dies alles bedenkend, sieht auch Milgrams Experiment auf einmal etwas anders aus, als es vielleicht auf den ersten Blicke erscheint. Es gibt hier nämlich verschiedene Ebenen, auf denen die Autorität wirkt. Zum einen die technische, wo der Versuchsleiter sehr wohl besser als der Proband weiss, wie gefährlich die Stromstösse sind. Und zum anderen die ethische, wo dem Versuchsleiter aber keine besseren moralischen Urteile, die dies rechtfertigen würden, zur Verfügung stehen als dem Probanden. (Hier könnte man bestenfalls zu argumentieren versuchen, dass es sich hier um bedauerliche Opfer zum Wohl der Menschheit handelt. Und tatsächlich sind wir nicht selten geneigt eine solche Begründung durchgehen zu lassen.)

Unter dem Strich empfiehlt es sich den Autoritätsbias gegenüber einem Menschen nur dann abzulegen, wenn man in der Lage ist, ihn in seiner Aufgabe zu ersetzen. Wobei man sich hier höllisch vor dem Dunning-Kruger-Effekt in Acht nehmen muss, nämlich dass man sich umso sicherer ist etwas von einer Sache zu verstehen, je weniger man effektiv von ihr versteht.

Auszug aus einem Dialog mit einer alternativen Apothekerin

Ich: Haben Sie gute Erfahrungen damit gemacht?
Apothekerin: Ja, jede Menge. Bei mir selbst genauso wie bei meinen Kunden
Ich: Würde man es merken, wenn mal aus Versehen bloss die Trägersubstanz ohne den Wirkstoff geliefert würde?
Apothekerin: Aber natürlich.

Ich: Wurde es denn mal mittels Doppelblindstudie auf seine Wirksamkeit getestet?
Apothekerin: Die Sache ist die, dass auch Doppelblindstudien ihre Grenzen haben. Insbesondere wenn es um individualisierte Therapieformen wie diese geht. Da funktionieren Doppelblindstudien nicht.

Ich: Und inwiefern Unterscheidet sich das Versehen bei der Lieferung von einer Doppelblindstudie?

 

Ob sie das Mittel auch verkaufen würde, wenn die versehentlich falsche Lieferung erst mal unbemerkt bliebe, konnte ich sie leider nicht mehr fragen, wir blieben nämlich an der Frage hängen inwiefern das Mittelchen, das sie mir empfahl und mit dem sie nach eigenem Bekunden sehr gute Erfahrungen gemacht hat – sowohl selbst als auch bei ihren Kunden -, eine individualisiertere Therapieform sei als ein Aspirin, das sie allein mir aufgrund der Erwähnung, dass ich Kopfweh habe, ebenfalls hätte anbieten können. Sie erklärte etwas von ganzheitlich und natürlich und frei von Nebenwirkungen, den einzigen wirklichen Ausweg aus ihrer Zwickmühle, dass sie als Apothekerin ihre Abwägungen durch das Taxieren der Erscheinung (oder Aura) ihrer Kunden mit Individualität anreichere, wollte sie indessen nicht nehmen.

Exorzismusanalyse

Wenig überraschend, dass die einschlägigen Studien und Statistiken fehlen, nichtsdestotrotz fällt auf, dass in gewissen Kulturen anscheinend häufiger zum Exorzismus gegriffen wird als in anderen. Eine Interpretation ist, dass gewisse Seelen schlicht einfacher zu kidnappen sind. Eine andere, dass die Ein- und Ausgänge der Hölle nicht regelmässig über die Welt verteilt sind und sich die Besessenheiten logischerweise in deren Nähe häufen. Und eine dritte, dass an manchen Orten sich die Besessenheit gar nicht mal so sehr vom normalen Leben unterscheidet.

Die erste Interpretation ist von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet etwas problematisch, weil damit angedeutet werden könnte, dass demzufolge gewissen Populationen um nicht zu sagen Rassen einen „schwächeren“ Geist hätten, was wohl in aller Regel eher als eine Art Diskriminierung interpretiert werden würde.
Die zweite Interpretation scheint mir moralisch unproblematisch, dafür aber dämono-speläologisch höchst interessant – eine topographische Clusteranalyse der Exorzismen könnte die Eingänge zur Unterwelt identifizieren und für weitergehende Forschungen nutzbar machen – ich denke da insbesondere an thermische Energiegewinnung, welche die üblicherweise doch sehr umweltbelastenden Energieerzeugungsmethoden der betroffenen Regionen entlasten könnte.
Und die dritte Interpretation müsste im Grunde dazu führen, dass die Lebensumstände und Wertvorstellungen aller Regionen dergestalt verändert werden könnten, dass sich das Level der observierten Besessenheiten auf einem akzeptablen Niveau einpendelt.

Während die erste Interpretation mit den beiden anderen unvereinbar ist, kommen sich die zweite und dritte eigentlich nicht weiter in die Quere. Ich halte es daher sowohl ethisch, ökonomisch und ökologisch für sinnvoller die letzten beiden als Arbeitshypothesen zu verwenden und die nötigen Schritte in die Wege zu leiten. So wie die Sache liegt, kann dies zumindest nicht schaden – was in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um den Teufel handelt doch eher überraschend ist.

Verdacht auf homöopathische Applikationen

Um die Tauglichkeit einer Softwareapplikation zu testen, lässt man für gewöhnlich Leute von unterschiedlichem Know-how mit ihr arbeiten und schaut, wie zufrieden sie mit dem Ergebnis sind. Es ist aber scheinbar noch niemandem in den Sinn gekommen, dass dieser Effekt auch reinstes Placebo sein könnte. In diesem Fall wären die horrenden Projektkosten natürlich völlig zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Man muss daher beim Testing stets eine Kontrollgruppe mit Software arbeiten lassen, bei der lediglich das GUI steht. Sollte die Nur-GUI-Variante nicht signifikant schlechter ankommen, kann man getrost mit der billigere Placebo-Version in Produktion gehen und sich eine Menge Arbeit sparen. Und wenn beide durchfallen, dann kann man das ganze Projekt ohnehin an den Nagel hängen.
Man darf nur nicht vergessen, dass man gar nicht früh genug mit dem Testen beginnen kann.

Mit keinem anderen Testing-Verfahren lässt sich nämlich schlüssig nachweisen, dass die getestete Software nicht eine homöopathische Applikation ist.

Von Ablenkungen im Strassenverkehr

Der Sommer ist eine gefährliche Jahreszeit. Von kurzen Röcken abgelenkte Verkehrteilnehmer verursachen jährlich Schäden in Millionenhöhe. Die Firma Eschscholtz GmbH hat nun ein Produkt vorgestellt, welches dem vorbeugen soll: eine spezielle Beschichtung, die auf die Windschutzscheibe oder Schutz- und Sonnenbrillen aufgetragen diese komplett verdunkeln kann, sobald kurze Röcke in Sichtweite kommen.
Wie Otto von Kotzebue, der Leiter der Forschungsabteilung, mir auf Anfrage erklärte, reagiert das Material auf weibliche Sexualpheromone. Je mehr Haut gezeigt wird, desto grösser die Oberfläche von der diese abgegeben werden und desto höher die Konzentration in der Luft. Und wenn diese über einen gewissen Wert klettert, wird’s schwarz.
Wie gesagt, die Verkehrsteilnehmer sehen dann zwar nichts mehr, doch hat die gross angelegte Pilotphase in Saudiarabien gezeigt, dass auf diese Weise zwar durchaus auch Unfälle passieren, doch dass diese wesentlich gelassener akzeptiert werden.

Klinische Effekte von Homöopathie sind Placebo-Effekte

Laut einem Artikel, der kürzlich in der Lancet, einer Fachzeitschrift, die sich dem Kampf gegen die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft in der Medizin (in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) verschrieben und es sich zur Aufgabe gemacht hat zu reformieren, zu informieren und zu unterhalten, sollen die Beweise für einen spezifischen Effekt homöopathischer Heilmittel verdammt schwach sein. Die Autoren folgern gar, dass die klinischen Effekte von Homöopathie auf Placebo-Effekte zurückzuführen seien. Auch dieser wurde übrigens unlängst unter die Lupe genommen und man hat dabei festgestellt, dass der Glaube und die Erwartung, ein schmerzlinderndes Mittel zu bekommen, das Gehirn zur Produktion körpereigner Schmerzmittel, so genannter Endorphine, animiere. Diese setzen die Schmerzempfindlichkeit herab – auch dann, wenn gar kein zusätzlicher Wirkstoff verabreicht wird.

Dies bedeutet nun aber, dass die breite Skepsis gegenüber der konventionellen Medizin, die Patienten dazu führt, nach alternativen Therapien zu verlangen, nicht nur auf sehr wackligen Füssen steht, sondern dass damit die gute, alte Meduzin ihrer bisher ebenfalls vorhandenen Platzebowirkung (also der Animation zur Endorphin-Produktion) beraubt wird und man statt dessen auf Präparate zurückgreift, die nichts anderes als eben dies zu bieten haben. Natürlich ist sehr oft auch nichts anders nötig und es kann daher durchaus angebracht sein für einen Arzt Placebos zu verteilen, doch ein Problem bleibt: Wenn ich vom Arzt völlige Transparenz verlange, verhindere ich womöglich, dass er mir adäquat helfen kann.
Der Verstand vermag vielleicht nicht alles, aber eine einlullende, potenzierte Geschichte auch nicht den Rest.