Göttliches Timing

godMit Jesus, respektive dem neuen Bund, änderte Gott bekanntlich seine Erziehungsmethode von der negativen zur positiven Verstärkung: statt die Bösen zu bestrafen, belohnt er nun die Lieben1.
Die Frage ist aber, wieso fing er gerade dann damit an?

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Hätte er die Reorganisation 33 Jahre früher durchgeführt, wäre sie wunderbar aufs Jahr Null gefallen!
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Nach einem besonderen Ereignis oder einer technischen und dadurch auch kulturellen Revolution liesse sich argumentieren, dass die Menschen in ihrer Entwicklung nun einen Reifegrad erreicht hätten, der sie überhaupt erst empfänglich macht für eine solche neue Praxis. Ohne einen veränderten äusseren Umstand jedoch,  stellt sich die Frage, wieso die weniger blutrünstige Strategie nicht schon viel früher eingeführt wurde?

Wobei… hat sich mit der Einführung des neuen Systems die Situation wirklich verbessert?
Okay, Gott verzichtete seither darauf die Menschheit wieder mit einer Sintflut zu ersäufen und er tötete auch keine 14’700 Menschen mehr, weil sie sich darüber beklagten, dass Gott Menschen tötet2, doch sieht die Bilanz davon abgesehen wirklich besser aus? In Sachen Kindersterblichkeit, Kriegsführung, Epidemien und Naturkatastrophen markiert der Strategiewechsel keine besonders auffällige Zäsur.
Allerdings ist aus himmlischer Perspektive Freud und Leid im Diesseits irrelevant – worauf es ankommt, ist allein die Rettung der Seelen!
In Sachen Seelenrettung – am einfachsten zu bemessen an der Zunahme jener Menschen, die in den Himmel kamen – fällt der Zeitpunkt der Auferstehung mit einer deutlichen Trendwende zusammen. Das liegt allerdings weniger an der neuen Erziehungsstrategie, sondern allein daran, dass vorher die Himmelstüren für die Sterblichen verschlossen waren.

Deshalb auch die Frage, wieso Jesus nicht früher gekommen ist? Jeder Minute, die Jesus früher gekreuzigt worden wäre, hätten für zwei Seelen eine Chance, wenn nicht sogar die Rettung sein können3 4.

Und seither? Wieviele Prozent der Erdbevölkerung erfüllten in den verschiedenen Epochen die Aufnahmekriterien?
Waren es in der Antike mehr als im Mittelalter?
Und im Mittelalter weniger als in Neuzeit?

Und wie sähen die Zahlen aus, wenn Jesus 2000 Jahre früher oder später gekommen wäre?
Direkt nach der Sintflut wäre vielleicht keine schlechte Idee gewesen. Das war eh ein neuer Anfang.
Oder erst heute, wo Philosophie, Wissenschaft und Technik fortgeschritten genug sind, um die Moral und die Wunder tatsächlich bestätigen und die Verbreitung der frohen Botschaft effizient und friedlich gestalten zu können.

Im Grund ist alles Marketing:
Der richtige Zeitpunkt der Markteinführung ist essentiell. Wenn man zu früh loslegt, mag das ein paar Aficionados erfreuen, doch wenn der Marktanteil klein bleibt5 erreicht man nie so viel, wie wenn man etwas später startet und sich einen überwältigenden Marktanteil sichert.

Ich halte Gottes Timing für katastrophal und für einen Mitgrund für sehr, sehr viel Leid in der Welt.
Und ich sehe nichts, was darauf hindeutet, dass es zu irgendeinem anderen Zeitpunkt noch schlechter hätten kommen können.
Der einzige, der uns das glauben lassen will, ist der nach eigenen Angaben allwissende Gott auf der Anklagebank.
Gründe führt er jedoch keine an.

Die andere Backe

Wenn dir einer eine Ohrfeige gibt, dann halte ihm auch die andere Backe hin. Und wenn er deinen Bruder umbringt, dann verzeihe ihm… Finde ich aus einer moralischen und psychologischen Sicht sehr fortschrittliche Gedanken, denn es hilft dem Individuum sich aus der Spirale der Gewalt zu lösen und sich mit der Sache abzufinden.
Es stellt sich mir nur die Frage, wie die Gesellschaft drauf reagieren soll. Soll man Diebe und Mörder wirklich ungestraft davon kommen lassen? Es geht nicht um Rache, sondern um ein Rechtssystem, das Anreize für „unmoralisches“ Verhalten vermeidet.
Meines Wissens hat Jesus nirgends im Neuen Testament gesagt, wie man konkret mit Straftätern auf gesellschaftlicher Ebene umzugehen hat (das hätte ihm sicher auch einigen Ärger eingebrockt), sondern er hat sich stets darauf beschränkt zu betonen, dass er die Gesetze des alten Testaments (also die Gebote und andere Richtlinien) nicht aufheben will – höchstens vielleicht etwas anders priorisieren.
Daher dürfte es schwierig sein allein auf Basis des neuen Testaments das Strafmass beispielsweise für einen Diebstahl zu bestimmen.

Oder gehe ich fehl in der Annahme, dass Diebstahl bestraft werden soll? Müssten in einem Christlichen Land wirklich alle Gefängnisse abgebrochen werden? (Es würden ja eh nur Heiden drin sitzen, aber denen soll man ja genauso verzeihen wie sich selbst, oder?)

Ich denke dieser doch sehr spezielle Umstand, also dass Jesus sich nicht mit juristischen Haarspaltereien abgeben musste, in denen sich die meisten anderen Glaubensstifter dann oft doch noch als Sadisten entpuppten, dem geschuldet ist, dass das Ende der Welt kurz bevorstand. Aus der Sicht der Zeitzeugen war es nur eine Frage von „Monaten“. Ich meine, wenn morgen ein Killerkomet auf die Erde donnert, würdet ihr wirklich noch über Straftäter Gericht halten wollen oder lieber einfach Frieden mit euch und allen anderen machen?

Was geht ab in der Chefetage?

Ist das wirklich der gleiche Gott, der so grausam und selbstsüchtig im alten Testament gewütet und der so mild und beinahe schon sadomasochistisch sich im neuen Testament für die Menschen geopfert hat? Könnte es nicht sein, dass da ein neuer Gott heimlich die Macht übernommen hat und die Menschen einfach im Glauben lässt, da oben sei alles beim alten?