Exponentielles Wachstum

Eine Frau in der Nähe von Lyon in Frankreich wurde mit einem Gendeffekt geboren, der ihr Kopfhaare exponentiell wachsen lässt. Da die Rate nur etwa 7% pro Jahr beträgt (die Verdopplungsrate liegt damit bei ca. 10 Jahren), fiel dies zunächst nicht weiter auf. Doch mittlerweilen wächst das Haar der jetzt 34-Jährigen statt der durchschnittlichen 0.4 mm ganze 3.9 mm pro Tag. Aufs Jahr hochgerechnet sind das sage und schreibe 1.4 m statt der üblichen 15 cm.
Da sie mit einem Coiffeur verheiratet ist, produzieren ihre Haare zum Glück keine grösseren Kosten, im Gegenteil – so ihr Mann – auf diese Weise könne er relativ schnell und problemlos immer wieder neue Schnitte an ihr probieren.
Doch nicht nur ihrem Mann bereitet die Frau damit Freude, auch eine Forschungsgruppe von Dermatologen ist ganz vernarrt in ihre Haarbracht. Sie erhofft sich nämlich durch die Lokalisierung der an dieser Abnormalität beteiligten Gene Aufschluss über das Haarwachstum zu erlangen und damit womöglich die Basis für eine effizientere Behandlung von Effuvium und/oder Alopezie zu legen.
Aber auch Wissenschaftler aus ganz anderen Fachbereichen zeigen sich interessiert, denn exponentielles Wachstum innerhalb eines ansonsten gesunden Organismus ist eigentlich etwas, was es laut dem zur Zeit vorherrschenden ökologischen Dogma eigentlich nicht geben sollte. Exponentielles Wachstum ist diesem Zufolge nur was für Krebs, Kaninchenpopulationen, die Verbreitung von Epidemien und den Kapitalzuwachs bei Bonzen und sollte eigentlich über kurz oder lang unweigerlich zu einem Kollaps führen.
Das ist auch der Grund, weshalb diese Meldung mein Interesse auf sich gezogen hat. Hier liegen nämlich ungeahnte Möglichkeiten verborgen. Sollte es nämlich tatsächlich der Fall sein, dass wir es hier mit einer Mutation jenes Proteins zu tun haben, welches in der Frühphase der embrionalen Entwicklung das exponentielle Wachstum steuert und hier, wie es scheint, seinen beschleunigenden Einfluss sehr punktuell noch nicht aufgegeben hat, dann könnte dies beispielsweise auch für Regenerationsmechanismen eingesetzt werden.
Das allein wäre schon toll, aber wir dürfen unseren Blick auch weiter schweifen lassen. Warum nicht das Gehirn etwas länger wachsen lassen? Oder unsere Sinnesorgane? Oder unsere Geschlechtsmerkmale? Warum nicht grössere Kühe? Oder grössere Vögel, dressierbar für die private Luftfahrt? Wie gesagt, ungeahnte Möglichkeiten könnten sich uns auftun, wenn wir nur endlich diese lächerlichen, spiessigen Moralvorstellungen im Bezug auf die Gentechnik ablegen würden.

Hangover

Schadenfreude ist böse! Man ergötzt sich nicht am Leid anderer Leute! Pfui!
Ausser natürlich sie haben einen (selbstverschuldeten) Kater. Da ist Schadenfreude nicht nur erlaubt, nein, in diesem Fall ist sie sogar angebracht. Erst recht, wenn man selbst einen hat. Denn nichts lindert den dröhnenden Kopf, das flaue Gefühl im Magen und überhaupt das gesamte Unwohlsein, wie der Anblick von jemandem, der von allem noch ein bisschen mehr hat. Diese spezielle Schadenfreude ist also durchaus altruistischer Natur, weil sie den Leidenden motiviert nicht wieder in eine solche Lage zu kommen, und daher auch moralisch absolut zu rechtfertigen.

Die Zeitung im Koffer des Diplomaten

In Afghanistan steht ein Mann vor Gericht, weil er vom Islam zum Christentum konvertiert ist. Dafür könnte er laut afghanisches Recht im Extremfall zum Tode verurteilt werden. Natürlich sind westliche Regierungen, welche dort humanitäre Hilfseinsätze leisten, empört. Und genau so selbstverständlich ist an einem Versuch einer beschwichtigenden Einflussnahme an sich auch nichts auszusetzen. Doch sollte diese lieber nicht über die Massenmedien gehen.
Meines Wissens wurde nämlich noch keine Regierung (vom eigenen Volk) abgesetzt, nur weil eine andere Regierung deren Wünschen nicht nachgekommen ist. Umgekehrt sieht die Sache hingegen anders aus. Wie steht denn eine Regierung vor ihrem Volk da, wenn sie sich dem (heidnischen) Druck von aussen beugt? Mit ziemlich heruntergelassener Hose, würde ich sagen.
Auf der anderen Seite jedoch steigert es das Image einer Regierung ungemein, wenn sie sich lautstark für die Freilassung des Angeklagten einsetzt. Damit zeigt sie moralische Integrität und ungestümen Tatendrang und zwar freihaus und ohne Risiko: Setzt sie sich durch, ist sie der einflussreiche Lebensretter, wenn nicht, sind die anderen blutrünstige Bestien.
So leid es mir tut, aber der Motor dahinter sind die Medien. Denn sie sind es, die Leute als Helden oder Hampelmännern erscheinen lassen – und nichts dazwischen! Dass die Presse die vierte Macht im Staat ist, liegt nämlich weniger darin, dass sie die Leser mittels der Wahrheit zu mündigen und verantwortungsvollen Bürgern machen würde, sondern viel mehr, dass sie sich von allen Seiten gleichermassen instrumentalisieren lässt und damit ein mehr oder weniger stabiles politisches Gleichgewicht schaffen kann. Auf internationalem Parkett stossen dagegen, wie wir sahen, mit der politischen Existenzangst auf der einen und der effekthascherischen Eitelkeit auf der anderen Seite zwei völlig unvereinbare Interessen zusammen.
Im Interesse des Angeklagten, sollte man es daher möglichst vermeiden, die afghanische Regierung vor die Wahl zwischen Begnadigung & Hampelmann oder Galgen & Unabhängig zu stellen (das erste bezieht sich jeweils auf das Schicksal des Angeklagten, das zweite auf das Image der Regierung). Man darf also durchaus mit dem Abzug der Hilfstruppen oder irgendwelcher Investition drohen, doch nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit!

Eine Frage der Würde

Sehr geehrte Schauspielerinnen und Schauspieler

Macht es euch eigentlich nichts aus, was ihr mit Literaturverfilmungen gelegentlich den Originalen antut? Ihr versichert uns doch jedes Mal, dass ihr dieses spezielle Werk schon seit der frühesten Kindheit abgöttisch liebt. Wie könnt ihr es dann zulassen, dass Passagen geändert oder gestrichen werden? Ich für meinen Teil glaube nicht, dass meine Lieblingsbücher einer Korrektur bedürfen. Ich liebe sie, so wie sie sind, eben gerade weil sie so sind, wie sie sind. Und ihnen – metaphorisch gesprochen – die Möpse zu vergrössern um sie einem breiteren Publikum schmackhaft zu machen, betrachte ich nicht gerade als ein Zeichen des Respekts.
Natürlich ist ein Tiger, dem man das Fell mit Wasserstoff-Peroxid blondiert, die Krallen geschnitten und über die Schnauze einen Maulkorb gestülpt hat, noch immer derselbe Tiger, doch ist er auch noch immer interessant und aus den gleichen Gründen liebenswert?
So leid es mir tut, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als euch der wiederholten Mittäterschaft bei plastisch-chirurgischen Eingriffen an literarischen Werken zu bezichtigen. Ja, ihr habt euch einer fahrlässigen Verletzung der Bücherwürde schuldig gemacht! Was habt ihr zu eurer Verteidigung vorzubringen?

Diese hier vorgebrachten Vorwürfe mögen lächerlich erscheinen, in Anbetracht der grausigen Zustände die andernorts herrschen, doch bin ich davon überzeugt, dass die Anerkennung der Integrität eines Anderen, sei es nun ein Mensch, ein Tier oder ein Buch, die Grundlage einer jeden friedlichen Koexistenz darstellt.
Natürlich heisst das nicht, dass wir von nun an kein Fleisch mehr essen und keine Bücher mehr verfilmen dürfen. Alles, wofür ich plädiere, ist, dass man es mit Respekt und artgerecht tut.

Hochachtungsvoll & Rumpeldipumpel
Eda

Erwachet !!

Und wieder mal wurde mir an einem grauen Tag die Maiausgabe vom „Erwachet“ abgeboten. Doch diesmal war die Zeugin weder jung noch der deutschen Sprache mächtig – es klang irgendwie nach Salvatore im „Der Name der Rose“. Aber wozu lernt man Fremdsprachen, wenn nicht um auch mit welschen Missionaren über Gott und den Teufel plaudern zu können? Also erklärte ich ihr in meinem eben in Südamerika erworbenen Pidgin, dass die Welt zweifellos bellissimo sei, es aber meiner Meinung keinen dios brauche um sie zu construiere. Fisika y evolution seien im Grunde suffisante forte dafür. Sie aber erwiderte, dass es offensichtlich no evolution gäbe, habe sich doch der Homo seit seiner creation im paradiso nicht mutare. Und überhaupt, sonst würde es ja in der Biblo stehen. Creo ergo logico.

Denk-Diet

Wie allgemein bekannt – so fangen bekanntlich alle guten Diet-Rezepte an – verbraucht das menschliche Gehirn überproportional viel Energie: bei Erwachsenen gut einen drittel und bei Kindern sogar fast die hälfte.
Ich schlage im Einklang mit dieser Erkenntnis eine Denk-Dich-Schlank-Diet vor. Ich setze aber nicht auf Autosuggestion, wie andere Dieten es tun, sondern auf moral-politische Knacknüsse.
Und das coole daran ist, man nimmt nicht nur ab, sondern leistet auch seinen Beitrag zum Weltfrieden.