Reisen entgegen der Physik

In Australien ist, wie man weiss, alles umgekehrt. Die Schwäne sind schwarz, die Autos fahren auf der anderen Seite, im Sommer ist es kalt und im Winter Weihnachten und die Sonne zieht im Gegenuhrzeigersinn ihre Bahn über den Himmel.
Deshalb schaute Ava in den Spiegel und suchte nach ihrer Freundin Lena, die gerade in Australien Ferien macht.

Das liess mich stutzig werden. Waren nicht viele richtungsweisende Erfindungen ursprünglich für einen ganz anderen Zweck gedacht? Wieso sollte sich dann nicht auch auch der Spiegel zweckentfremden lassen? Wenn im Spiegel schon alles verkehrt herum ist, wieso dann nicht davon ausgehen, dass es sich um Australien handelt?
Klar, die Oberfläche ist hart und neigt zum Splittern, doch das gilt auch für eine Autotür, wenn man nicht weiss, wie man sie öffnen muss.

Da das Konzept des Reisens durch den Spiegel zugegebenermassen nicht wirklich neu ist, kann ich nicht wirklich in Anspruch nehmen dieses selbst erfunden zu haben. Doch meines Wissens erkannte vor mir (resp. Ava) noch keiner um welchen Ort es sich jenseits des Spiegels handelt und, dass man den Spiegel als Abkürzung zu einem sehr realen Ort verwenden kann.
Wo also, bitte, geht’s zum Patentamt?

Der Spiegel im Spiegel

„Spieglein, Spieglein an der Wand“ war das Thema des ersten ZmittagsLabor im Cabaret Voltaire und Prof. Dr. Gerd Folkers vom Collegium Helveticum erklärte uns auf höchst amüsante Weise das Problem von Rechts und Links, welche ja für meinen Gegenüber eigentlich Links und Rechts sind, und wie Chemie, Evolution und die Casinos von Las Vegas damit klar kommen.
Er erklärte uns aber auch, dass der Spiegel nicht etwa Rechts und Links vertausche, sondern in Tat und Wahrheit Vorne und Hinten. Wenn ich also nordwärts in einen Spiegel schaue, dann ist meine Nase gen Norden gerichtet, die Spiegelbildnase jedoch gen Süden. (Ausser wir sind am Nordpol und der Spiegel steht auf der anderen Seite des Nordpols, wo dann beide Nasen gen Norden schauen würden, doch das ist lediglich eine Spitzfindigkeit, die uns nicht weiter verwirren soll.)
Irgendwie stimmt das ja auch, denn wenn nur Rechts und Links vertauscht würde, müsste mein Spiegelnase weiterhin gen Norden zeigen, mein östliches Ohr jedoch jetzt nach Westen und mein westlichen Ohr nach Osten. Andererseits müsste die Abbildung durch den Spiegel sich durch einen zweiten Spiegel wieder rückgängig machen lassen.
Tatsächlich zeigt meine Spiegelspiegelnase, wenn ich über einen ersten Spiegel in einen zweiten Spiegel hinter mir schaue, der parallel zum ersten steht, wieder gegen Norden und mein östliches Ohr lauscht noch immer dem Osten. Insofern scheint alles in bester Ordnung zu sein.

Zumindest so lange, wie man die Spiegel nicht senkrecht zueinander aufstellt und in der Winkelhalbierenden reinschaut.

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Denn dann sieht mach sich über zwei Spiegel in den Süden blicken mit dem Spiegelspiegelbild des östlichen Ohrs dem Westen lauschen. Den Spiegel als einen Vorne und Hinten Vertauscher zu bezeichnen, funktioniert also auch nicht wirklich.

Nach eingehenden Studien bin ich daher zur Überzeugung gelangt, dass es wohl am treffendsten ist, wenn man sagt, dass der Spiegel reflektiert. Und dabei neckisch Rechts und Links vertauscht.

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Und die Vorne-Hinten-Vertauscher-Erklärung erkläre ich hiermit für den gescheiterten Versuch zwei Schritte mit einem Fuss zu machen.

Spiegelwelten

Während mehrerer Tausend Jahren wurden die Frauen von den Männern unterdrückt. Also lange genug, dass sich bei ihnen eine Resistenz hätte entwickeln können, welche es ihnen ermöglicht besser mit der Ungemach der Knechtschaft zurecht zu kommen.
Einschlägige Studien belegen, dass Frauen in ihren sexuellen Phantasien tatsächlich häufiger einen (einverständlichen) Kontrollverlust thematisieren als es Männer tun. Dies mag damit zusammenhängen, dass Frauen kulturbedingt, ob sie es nun wollen oder nicht, mit diesem Thema wesentlich mehr konfrontiert werden und dass sich dies logischerweise auch in ihren Phantasien niederschlägt. Doch man könnte es auch als ein Indiz für eine mögliche Prädisposition ansehen.
Nun stellt sich aber die Frage, ob dieser „Hang zum Kontrollverlust“ eine evolutive Anpassung innerhalb eines anhaltenden Machtgefälles sein könnte oder ob dieser womöglich bereits vorher bestand und die Unterdrückung lediglich begünstigte? Im zweiten Fall müssten dem biologische Ursachen vorausgehen – beispielsweise in der starken Mutter-Kind-Beziehung. Persönlich neige ich dazu dieser Hypothese recht zu geben.
Was daraus nun aber folgt, ist, dass all die utopischen Szenarien in so manch einem Science-Fiction, wo die Rollen von Männern und Frauen und ihren Machtverhältnissen einfach vertauscht sind, einer plausiblen Grundlage entbehren. Es ist also nicht nur eine Frage von Matriarchat versus Patriarchat, sondern eine der Aufgabenverteilung in der Aufzucht von Nachkommen. Und die ist längst nicht so flexibel, wie wir es gerne hätten. Zumindest nicht solange man an die Regeln der Biologie gebunden ist – was wir dank der modernen Technik nicht mehr ganz so sehr sind.
Damit will ich nicht sagen, dass sich die Geschichte nicht anders hätte entwickeln können, partnerschaftlicher beispielsweise, sondern dass das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern sich der erwähnten Prädisposition eher bediente als ihm entgegen zu wirken.
Wenn das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern auf natürlichem Weg spiegelverkehrt entstanden wäre, so wäre auch alles andere völlig anders geworden und zwar alles andere als spiegelverkehrt.