Zu Gast in unserem Land

Es gibt zwei Arten von Gästen: die, dich ich auch mal besuchen kann, und die, die mich dafür bezahlen, dass ich es nicht tue. Abgesehen davon, gibt es keine Unterschiede. Sie brauchen weder im Haushalt zu helfen, noch sich Sorgen zu machen, dass ich über ihre Witze nicht lache.
Ian Hazelwood

In den Kommentarspalten zu Artikeln über die Durchsetzungsinitiative liest man oft, dass wenn sich ein Gast nicht benimmt, es nur recht und billig sei, ihn vor die Tür zu setzen.

Hm… Ist es nicht in gewissem Sinne die Pflicht der Gäste sich ein bisschen neben der Spur zu bewegen? Schliesslich sind sie ja „Fremde“, was sich eben genau durch ihr anderes Verhalten äussert. Und genau deshalb beherbergen wir sie ja, um ein bisschen mit dem Exotischen konfrontiert zu werden und idealerweise unsere etwas eingefahrene Vorstellungen zu hinterfragen. (Oder einfach um bessere Geschäftsbedingungen zu schaffen…)
Und mal abgesehen davon ermöglicht es uns, wenn wir selbst mal irgendwo Gäste sind, auch etwas neben der Spur zu sein…

Nicht umsonst ist das Gastrecht eines der ältesten Gesetze überhaupt. Und ich würde sogar kühn behaupten, auch eins der effektivsten. Dass man nicht töten oder stehlen soll, braucht man einem nicht erst zu erklären. Das ist selbstredend. Dass es von Vorteil sein kann, einem Fremden sicheres Geleit zu gewähren und ihm gegenüber tolerant zu sein, ist dagegen nicht mehr so intuitiv. Und doch ist genau dies stets der erste Schritt, wenn man sich zusammen setzt und miteinander zu reden beginnt.

Wieviel neben der Spur man sich zu bewegen erlauben darf, ist natürlich eine andere Frage, doch meines Erachtens stellt sich die im Kontext der Durchsetzungsinitiative gar nicht, denn Ausländer, die hier den grössten Teil ihres Lebens verbracht haben, sind nicht mehr wirklich Gäste.

Gehört man nicht irgendwann einmal zum Inventar?

Ich denke, der exakte Zeitpunkt, ab welchem man nicht mehr bloss Gast in einem Land ist, ist, wenn man seinen Wohnsitz nach Art. 23 ZGB in diesem Land bezieht. Je nach Aufenthaltsbewilligung darf man mehr oder weniger arbeiten, Militärdienst leisten und abstimmen, ansonsten aber geniesst man die exakt gleichen Pflichten und Rechte wie jeder andere Schweizer auch.

Man könnte einwenden, dass die Schweiz (wie wohl auch so gut wie jedes andere Land) mit diesen Einschränkungen gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstosse. Laut Artikel 23 hat nämlich jeder das Recht auf Arbeit, dies beinhaltet keinen individuellen Anspruch auf einen Arbeitsplatz, sondern das Recht auf einen Schutz vor unverschuldeter Arbeitslosigkeit – wie hier aufgrund des fehlenden Schweizer Passes, da man zufälligerweise irgendwo anders zur Welt kam oder Eltern hat, die zufälligerweise irgendwo anders zur Welt kamen. Laut Artikel 21 hat jeder das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken, sprich zu wählen – was Ausländer aber nicht dürfen. Und laut Artikel 20 darf niemand gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören – in diesem Fall wird dies gegenüber den Schweizer Männern verletzt, da diese unter Androhung von Konsequenzen gezwungen werden der Vereinigung Armee anzugehören.
Doch da die Verweigerung der in den Artikeln 23 und 21 erwähnten Rechte offensichtlich durch das exklusive Recht, nicht dem Militärverein angehören zu müssen, kompensiert wird, hat wohl alles schon seine Richtigkeit. Und überhaupt geht es, wie sich kürzlich mal jemand im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative geäussert hat, nun langsam wirklich zu weit mit den sich ständig ausweitenden Menschenrechten!

Hört man sich bei den Befürwortern der Durchsetzungsinitative ein bisschen um, so erfährt man, dass abgesehen davon, dass Unschuldigen eh keine Ungemach droht, Ausländer sich auch längst hätten einbürgern lassen können. Und dass sie das nur deshalb nicht tun, weil sie sich vor dem Militärdienst drücken wollen. Und dass wer nicht bereit sei im Notfall Blut für die Schweiz zu vergiessen, nun mal nicht wie ein Schweizer behandelt werden könne.

Das stimmt schon, wenn die Ausländer den Schweizer Pflichten nicht nachkommen, dann müssen sie mit Konsequenzen rechnen genau wie auch jeder Schweizer bei Pflichtverletzung mit Konsequenzen zu rechnen hat. Dass die Ausländer nicht Militärdienst leisten dürfen, spielt hier keine Rolle, denn sie könnten, weil sie müssten, wenn sie Schweizer werden würden, wenn sie wollten.
Und im Moment bestehen diese Konsequenzen eben aus dem Verbot zu wählen und in Zukunft im Falle einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in besonderem Masse aus einer kompromisslosen Abschiebung1.

Bloss, dass Schweizer Männer, die sich vor derselben Pflicht drücken (die Unfähigen und die Memmen also), weder Stimmverlust noch Landesverweis fürchten müssen. Bei ihnen ist es mit einem Wehrpflichtersatz getan.
Und Frauen müssen gar nicht erst ins Militär2 und brauchen wie die Ausländer auch keinen Wehrpflichtersatz zu zahlen. Ergo haben Ausländerinnen exakt die gleichen Pflichten wie die Schweizerinnen, aber nicht die gleichen Rechte – was, wie mir scheint, irgendwie nicht ganz koscher ist3.
Witziges Detail nebenbei: Während Frauen und Männer in der Schweiz vor dem Gesetz nicht wirklich gleich sind, es sei hier als Beispiel nur die Wehrpflicht angeführt, sind männliche und weibliche Ausländer in der Schweiz vor dem Gesetz zumindest im diesen einen Punkt gleicher, ergo einen Schritt voraus.

Wieso verlangen wir eigentlich nicht von jedem, der nicht Militärdienst leistet, den Wehrpflichtersatz? Egal ob Mann oder Frau oder Schweizer oder Ausländer. Zu diesem Wehrpflichtersatz müsste – schliesslich geht es beim Militär um die Bereitschaft Blut zu vergiessen – natürlich auch noch eine Blutspende-Pflicht hinzu kommen!4

Okay, das nahm jetzt eine selbst für mich überraschende Wendung.

Ungewisse Zukunft vs persönliche Vorlieben

Dass man sich gegen die Abschaffung der Sklaverei stellt, kann ich ja noch verstehen. Ich meine, die Wirtschaft hängt von ihr ab und auch die Bibel hat nichts gegen sie einzuwenden. Klar, es gibt da Missstände, aber die lassen sich auch beseitigen ohne gleich alles zu verbieten.
Die Sache ist aber die, dass sobald die Sklaverei abgeschafft ist und es auf der Hand liegt, dass die Entscheidung die Wirtschaft ganz und gar nicht in die Knie gezwungen hat und auch dass der moralische Zerfall in der Gesellschaft mitnichten zugenommen hat, dass dann die ethische Beurteilung der Optionen bei der Frage, ob man die Sklaverei wieder einführen soll, eine ganz andere ist.
Vorher musste man ein funktionierendes System gegen eine ungewisse Zukunft abwiegen. Jetzt eine funktionierende Zukunft gegen eine funktionierende Vergangenheit, wobei bei letzterer Menschen eigentlich unveräusserliche Rechte weggenommen werden. Während vorher die Angst vor dem Ungewissen zugunsten der Sklaverei sprach, tut es jetzt nur noch das Interesse am eigenen Profit und die Abneigung/Gleichgültigkeit den eigentlichen Sklaven (zu erkennen an deren Hautfarbe?) gegenüber.

Das gleiche Gedankenspiel könnte man auch für die Gleichstellung der Frau, die Legalisierung der Abtreibung oder eben auch für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe machen.
Und im Grund auch für die Frage, ob man an einer gefährlichen Kreuzung eine Ampel aufstellen will. Zunächst weiss man nicht, ob die Ampel wirklich die Unfälle senken wird, und in dem Fall fragt man sich schon, ob das Geld nicht an einem anderen Ort besser investiert wäre. Wenn man sie aber erst mal gebaut hat und die Statistiken einen deutlichen Rückgang verzeichnen, dann wird es schwierig, die Ampel wieder abreissen zu wollen. Denn dann ist die Zukunft gewiss. Und es ist allein das Geld, das entscheidet. Und die Hoffnung etwas schneller von A nach B zu gelangen.

Sloweniens Stimmvolk hat sich gestern für die Rücknahme der gleichgeschlechtlichen Ehe ausgesprochen.

Und wie die SVP uns weiszumachen versucht, hat das Volk immer Recht.
Und des Volkes Entscheid hat selbst dann umgesetzt zu werden, wenn er völkerrechtlich umstritten ist und allein auf Phobien gründet.
Phobien, wie sie sich nur allzu leicht schüren lassen.

Eine ungewisse Zukunft kann furchteinflössend sein. In einem solchen Fall kann man dem Stimmvolk seine Vorsicht nicht verübeln. Doch nicht jede Zukunft ist so ungewiss, wie sie auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag.
Wir wissen, dass eine Ampel die Verkehrsunfälle senkt. Wir wissen, dass die Abschaffung der Sklaverei gut für die Wirtschaft ist. Wir wissen, dass da ein Klimawandel im Anmarsch ist. Wir wissen, dass die homosexuelle Ehe nicht die Qualität der heterosexuellen Ehe schmälert.

Und wir wissen, dass man das eigentlich wissen müsste. Dass viele aber lieber ihren persönlichen Vorlieben den Vorrang geben.