Erbauliches Zitatplakat

Die Agentur C erfreut die Schweiz immer mal wieder mit nem erbaulichen Zitatplakat:

Gott gibt den Müden Kraft…
Die Bibel: Jesaja 40,29

Sie könnte aber, wenn sie die Zitate zufällig picken würden, auch weniger erbauliche Zitate aufhängen. Respektive erbaulich nur für die Hälfte der Bevölkerung:

Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann herrsche, sondern sie sei still.
Die Bibel: 1. Timotheus 2,12

Sie könnten die Schweiz aber auch mit Zitaten aus anderen Werken zukleistern:

Es liegen die Eier des Kolumbus zu Hunderttausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben seltener zu finden.
Mein Kampf: 2. Kapitel

Wäre es okay, wenn die Agentur C auch solche Plakate aufhängen würde? Der Satz ist lustig und könnte durchaus zum Nachdenken anregen. Bloss der Kontext – so heisst es – sei ein klitzkleines bisschen problematisch. Reicht das um ein durchaus originelles Zitat lieber nicht aufhängen? Und wenn ja, warum? Weil man durch die Anerkennung der Qualität einer Textstelle automatisch auch die einer anderen des gleichen Autors im gleichen Kapitel anerkennt?

Zum Beispiel diesem:

So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“
Mein Kampf: 2. Kapitel

Wie er bloss auf die Idee gekommen ist…

Du wirst alle Völker vertilgen, die der HERR, dein Gott, dir geben wird.
Die Bibel: 5. Mose 7,16

Okay, das brauchen ja aber nicht unbedingt gleich als erstes die Juden zu sein, oder?

Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die das Böse tun, zuerst der Juden und auch der Griechen.
Die Bibel: Römer 2,9

Vielleicht ist die Vorstellung, dass Gott den Müden Kraft gibt, doch gar nicht so erbaulich… wenn sie erschöpft sind vom Massakrieren von Juden, Schwulen und
Ehebrechern.

Uns bleibt Paris

Es vergeht kaum ein Tag, an dem uns Paris Hilton nicht irgendeinen Körperteil aus den Pendlerpostillen entgegenstreckt. Nicht dass mich das sonderlich stören würde, ganz im Gegenteil. Trotzdem versuche ich zugunsten eines guten Buches dieser fleischlichen Lüste zu entsagen und ich darf mit Stolz behaupten, dass mir dies auch ziemlich gut gelingt. So dachte ich zumindest, bis heute.
Da stand sie mir gegenüber, in der 2. Klasse, ohne Prosecco, dafür mit brünettem Bubikopf. Wie aus dem Gesicht geschnitten und vertieft in die 20 Minuten Lektüre.
War das eine revolutionäre Art Marketing oder eine entzugsbedingte Halluzinelle? Oder schlicht und ergreifend die Unfähigkeit des Alters die Einzigartigkeit der Individuen noch vollumfänglich würdigen zu können?
Je älter ich werde, desto ähnlicher scheinen mir die Leute – und das hat nichts mit kosmetischer oder digitaler Chirurgie zu tun. Ich vermute, das hat mit der Art und Weise zu tun, wie unser Gehirn möglichst effektiv die Mustererkennung praktiziert. Und deshalb sind wir alten auch besonders anfällig auf das so genannte Schubladendenken.
Sich also auf die Weisheit alter Männer zu berufen – so lehren uns Paris Extremitäten – hat durchaus auch seine Tücken.