Pontifex-Dialoge: Vergebung und Begnadigung

Seit mir der Papst für ein Twitter-Follow einen Ablass vom Fegefeuer offeriert hat, führe ich von Zeit zu Zeit kleinere Dialoge mit dem Pontifex. Dies ist ein weiterer davon:

26. September

Papst Franziskus @Pontifex_de
Gottes Vergebung ist stärker als alle Sünde.

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Warum also die ganze Moral?

Wenn die Vergebung stärker ist als alle Sünden, dann muss man sich doch fragen, wieso es überhaupt eine Moral gibt? Insbesondere diejenige, die sich auf unsere Aktivitäten im Schlafzimmer bezieht!
Okay, vielleicht habe ich auch etwas missverstanden. Vergebung ist doch, dass man mir meine Missetaten verzeiht und von den angedrohten Konsequenzen absieht, oder? Ich meine, wenn mich ein Polizist dabei erwischt, wie ich die Strasse bei rot überquere, und er mir sagt, dass er mir verzeiht, dann kann ich doch davon ausgehen, dass ich keine Busse zahlen muss, oder? Und wenn er mir die Busse aufbrummt und ich sie begleiche, dann gibt es nichts mehr zu verzeihen, denn ich habe meine Schuldigkeit getan, oder?

Ne, so einfach ist das natürlich nicht:
„Gott vergibt dir alle deine Sünden, doch du wirst trotzdem in der Hölle schmoren, weil du es dir selbst so ausgesucht hast.“

Gottes Vergebung ist höllisch stark. Doch um von ihr Gebrauch machen zu können, muss ich sie annehmen. Das macht noch Sinn. Doch ich muss sie noch hier annehmen, bevor ich leibhaftig vor ihm stehe und seine ganze göttliche Pracht gewahr werde.
Auf den Polizisten übertragen heisst das, dass ich die Vergebung des Polizisten annehmen muss, bevor ich merke, dass er mich erwischt hat. Sobald ich ihn sehe ist es zu spät.
Eine seltsame Bedingung. Diese beinhaltet zweierlei. Zum einen, dass ich mir meiner Schuld bewusst bin. Und zum anderen, dass ich an die Existenz Gottes glaube. Etwas verzwickter wird die Sache allerdings durch den Umstand, dass nicht an die Existenz Gottes zu glauben, selbst eine Sünde ist. Und wenn man der Bibel glauben will, sogar die schlimmste von allen. Doch da Gottes Vergebung auch hier stärker ist, ist er gewillt mir diese zu verzeihen. Sofern ich die Bedingung erfülle. Wenn das mal kein Teufelskreis ist…

Ist aber eine an Bedingungen geknüpfte Vergebung wirklich eine Vergebung? Sind die Bedingungen nicht eine Art Strafe? Allein schon sich einzugestehen, dass man einen Fehler gemacht hat, und das daraus resultierende schlechte Gewissen stellen eine Form von psychologischer Sanktion dar. Doch ich empfinde Masturbation und Homosexualität nicht als etwas schlechtes, wofür man ein schlechtes Gewissen haben sollte. Insofern bin ich mir keiner Schuld bewusst. Und so dürfte es mir auch schwer Fallen die Vergebung Gottes dafür anzunehmen. Zumindest nicht bevor er vor mir erscheint und mich darauf aufmerksam macht, dass dies ganz üble Sachen sind. Doch dann ist es ja leider zu spät.

Was im Tweet wie eine Freikarte für den Himmel aussieht, entpuppt sich als heisse Luft.
Wenn uns allen der Himmel aber doch gewiss sein sollte, dann waren der freie Wille und all die Gebote und Verbote die reinste Zeitverschwendung und all das Grauen auf der Welt einfach nur sinnlos.
Ich möchte nicht im Himmel sein, wenn das rauskommt…

Ein Experiment von biblischem Ausmass

Lass uns was probieren. Tu mir ein Leid an. Muss nichts schlimmes sein, mach beispielsweise einfach ne Falschaussage über mich. Da dies gegen eins der 10. Gebot verstösst, sollte man schon davon ausgehen können, dass du mir damit Leid zufügst. Wenn du Angst hast, dass Gott dir das übel nimmt, dann können wir den Versuch gern auch umgekehrt inszenieren: „Ich schwöre vor gesammten Internetgemeinde, dass du sieben Zehen am linken Fuss hast.“
So, und jetzt vergib mir. Getan? Okay! Und war das so schwer? Nicht wirklich, oder? Und entgegen allen Erwartungen musste noch nicht mal jemand Blut vergiessen. Weder du, noch ich, noch irgendein unbeteiligter.
Ich tu dir ein Leid an, du verzeihst mir, und zack ist alles wieder in bester Ordnung. Und keiner braucht an ein Kreuz genagelt zu werden.
Seltsam, dass ein Gott, der für sich in Anspruch nimmt allwissend, allgütig und allmächtig zu sein, das nicht hinkriegt…

Dass Gerechtigkeit Sühne verlangt, okay, aber Vergebung doch nicht. Von daher könnte es – je nach Schwere des Leids, das wir uns experimentellerweise zufügen – die Gesellschaft sein, die Halt ruft und die im Namen der Gerechtigkeit die Vergebung allein nicht gelten lässt. Bei Kapitalverbrechen wird schliesslich, selbst dann wenn kein Kläger vorhanden ist, Anklage erhoben.
Wieso also das Opfer in Form der Kreuzigung? Gott sollte doch eigentlich die Autorität haben, dem Geschädigten glaubhaft und nachhaltig zu erklären, dass er zwar durchaus wegen dem Täter gelitten hat, doch dass dies nun aus göttlichen Gründen vergeben und vergessen ist und dass er von jeglichen weiteren Schadenersatzforderungen abzusehen hat. Respektive Gott könnte den erlittenen Schaden beheben. Wozu gibt es schliesslich Wunder?

Doch vielleicht ist auch einfach was mächtig schief gegangen. Könnte es sein, dass der Plan eigentlich war, dass Jesus dank seines Charismas und seiner Rhetorik (und seiner göttlichen Herkunft) alle überzeugen sollte? Mohammed hat es (unter Zuhilfenahme des Schwertes) in seinem Einflussbereich ja auch geschafft.
Doch statt die (alternative) Weltherrschaft zu erlangen, endet der Hippie am Kreuz. Und so versuchte man eben zu retten, was es zu retten gab, und erklärte kurzerhand, dass er für die Sünden der Menschen gestorben sei. Ich meine, Märtyrergeschichten waren noch immer der letzte Versuch ein kläglich gescheitertes Projekt doch noch in einen Erfolg umzumünzen.
Wäre er also nicht über irgendeinen Skandal gestolpert, hätte man ihn wohl genausowenig hingerichtet wie all die anderen Weltuntergangspropheten, die zu jener Zeit in dieser Gegend unterwegs waren (und von denen sicher auch der eine oder andere Jesus geheissen hat, denn das war zu jener Zeit ein ziemlich geläufiger Name). Dass man den Skandal nachher nicht an die grosse Glocke hängt, sondern verzweifelt an irgendwas im alten Testament anzuknüpfen versucht hat, hier das Konzept, dass Sühnung ohne ein Opfer nicht zu haben ist (denn ohne Blutvergiessen gibt’s keine Vergebung), versteht sich wohl von selbst.

1. Nachtrag
Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Vergebung genau wie die Begnadigung von allen weiteren Sanktionen absieht. Jemandem zu vergeben und sich dann für das Fortsetzen der aus rechtlicher Sicht gerechtfertigten Strafe einzusetzen, klingt für mich irgendwie widersinnig. (Jemandem zu vergeben, sich aber nicht explizit für das Aufheben der verhängten Strafe einzusetzen geht hingegen knapp, denn eine Strafe erfüllt ja noch andere Funktionen als nur die Befriedigung der Rachelust des Geschädigten.)
Vergebung ist – um es nochmals mit der Bibel zu versuchen – auch die andere Wange hin zu halten statt zurückzuschlagen. Oder ist mir etwa entgangen, dass auch bei der anderen Back später noch Blut fliessen wird?

2. Nachtrag
Wie wichtig ist die Reue bei der Vergebung? Ist die wirklich notwenig, damit ich jemandem vergeben kann? Ist die Reue nicht eigentlich ein unangenehmes Gefühl, dass man als Buse akzeptiert und damit der Gerechtigkeit genüge getan sieht? Insofern ist die Reue die gerechte Strafe, von der man bei der Vergebung doch eigentlich absieht. Reue verlangen ist also nicht wirchlich die andere Wange.