Es stehen zwei Volksabstimmungen an!

Die Schweiz stimmt im September über zwei ganz besondere Vorlagen ab. Bei der einen geht es ums Wohl der Tiere, in der anderen um jenes der Sklaven.

Möglichst tier- und sklavenfreundliche Tier-und Sklavenschutzgesetze sind eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Initianten denken, dass da noch Luft nach oben ist. Die Gegner sind anderer Meinung.
Ich habe mir also mal die Argumente der Befürworter und der Gegner der Initiativen angeschaut und mir dazu ein paar Gedanken gemacht:

Die Massentierhaltungsinitiative

Die Massentierhaltungsinitiative setzt sich – einfach gesagt – für das Tierwohl ein. Sie fordert, das die Bedürfnisse der Tiere besser respektiert werden bei der Unterbringung, der Pflege und der Schlachtung.

Die Sache mit der Gesundheit

Die Befürworter der Initiative argumentieren, dass in der Massentierhaltung wegen höheren Krankheitsrisiken auch mehr Antibiotika verabreicht werden, was in Anbetracht der zunehmenden Antibiotikaresistenz sehr problematisch ist. Damit verbunden ist auch das erhöhte Risiko für neue Pandemien.
Hinzu kommt, dass billiges Fleisch den Fleischkonsum fördert und ein Übermass an diesem erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Übergewicht.

Die Massentierhaltungsinitiative soll diese Gefahren entschärfen.
Die Gegner äussern sich nicht dazu.

Die Sache mit der Nachhaltigkeit

Tierprodukte sind für 85 % aller Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft verantwortlich. Und wir müssen unbedingt etwas gegen Treibhausemissionen tun.
Durch massive Futtermittelimporte können mehr Tiere gehalten werden, als die Schweiz versorgen kann.
Das aktuelle System ist schlicht und ergreifend auf sehr vielen Ebenen nicht nachhaltig.

Die Gegner schweigen sich auch zu diesem Punkt aus.

Die Sache mit den Opfern

Die Befürworter verweisen auf die Einschätzung des Bundesrates, dass nur rund 5% der landwirtschaftlichen Betriebe von der Initiative betroffen sind. Und dazu gehören vor allem grosse, fabrikähnliche Mastbetriebe. Unter der Initiative würden neben diese auch noch Futtermittelfabrikanten und -händler sowie Grossverteiler leiden.

Die Gegner präsentieren schluchzende Bergbauern.

Die Sache mit den zufriedenen Tieren

Man könnte als Gegner durchaus argumentieren, dass die Initiative unnötig ist, weil die Bedürfnisse der Tiere ja jetzt schon zur Genüge respektiert werden. Sie könnten das mit Studien belegen, die zeigen, welche Bedürfnisse Tiere konkret haben und wie diese durch die Tierschutzgesetze garantiert werden. Darauf könnten die Befürworter nur weinerlich anführen, dass die Tiere so schöne Augen haben und dass sie viel glücklicher wären, wenn man ihnen statt Konsalik Bücher von Orwell in den Stall legen würde.

Das tun die Gegner aber nicht.

Die Sache mit dem strengsten Tierschutzgesetz

Sie versuchen es stattdessen damit, dass sie (stolz?) erklären, dass die Schweiz bereits das strengste Tierschutzgesetz der Welt, ein funktionierendes Kontrollsystem und ein wirksames Anreizprogramme für noch tierfreundliche Ställe und regelmässigen Auslauf im Freien habe.

Damit mögen die Gegner durchaus recht haben, doch bedeutet der Umstand, dass das Schweizer Tierschutzgesetz das mit Abstand strengste Tierschutzgesetz der Welt ist, nicht zwingend, dass es deswegen auch ausreichend streng ist. Das war das strengste Tierschutzgesetzt der Welt vor 100 Jahren ja nachweislich auch nicht.
Und wenn die Tierschutzgesetze das Tierwohl nicht wirklich respektieren, dann bringen auch die Kontrollen nichts, die das ungenügenden Gesetze durchsetzen.

Und wenn die Gegner die Anreizprogramme loben, müssten sie dann die Zustände, die diese anstreben, nicht als besser betrachten als die anderen? Ich meine, wenn etwas okay ist, so wie es ist, wozu braucht es dann (teure?) Anreizprogramme um es besser (und teurer) zu machen?

Die Sache mit der Mehrheit der Tiere

Ferner weisen die Gegner darauf hin, dass jetzt bereits zwei Drittel aller Tiere in der Schweiz unter den von der Initiative verlangten Bedingungen gehalten werden.

Dieses Argument verwirrt mich zutiefst. Das klingt, als ob es okay sei, wenn eine Minderheit der Tiere schlecht behandelt wird, solange die Bedürfnisse der Mehrheit respektiert werden. Wenn man es vulkanisch formuliert „Das Wohl von Vielen wiegt schwerer als das Leid von Wenigen oder eines Einzelnen.“ könnte es mich fast überzeugen, doch dann erinnere ich mich, dass vor dem Gesetz alle (Wesen der gleichen Art) gleich sind.

Hier fehlt ganz klar eine Stellungnahme dazu, wie man die gesetzlichen Mindestanforderungen beurteilt. Sind sie ihrer Meinung nach ausreichend? Und was halten sie von der Behandlung, wie sie die Initiative für alle fordert? Überflüssig und den Preis sinnlos in die Höhe treibend?

Die Sache mit den Kosten

Die Gegner machen sich gerne Sorgen um die Kosten. Sie fürchten, dass die Annahme der Initiative die Konsumentenpreise in die Höhe treiben würde. Doch wenn die von der Initiative verlange Tierhaltung tatsächlich überflüssiger Luxus ist, der heutzutage bei zwei Dritteln der Tiere praktiziert wird, dann grenzt das das doch fast schon an kartellmässige Abzocke.

Darf man den Leuten etwas einreden, das sie dazu verleitet überflüssig teure Produkte zu kaufen und dadurch den Herstellern mehr Profit beschert? Natürlich darf man das. Das ist der Clou der Werbung. Aber es gibt da eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Man darf die Menschen glauben lassen, dass sie moralisch überlegen sind, wenn sie teure Eier von glücklichen Hühnern essen, doch man darf nicht behaupten, dass die billigen Eier von unglücklichen Hühnern stammen, wenn man das nicht belegen kann.
Doch ab einem gewissen Punkt, wenn eine grosse Mehrheit nur noch teure Eier von glücklichen Hühnern essen, gelten die billigen Eier unausgesprochen als von unglücklichen Hühnern. Und genau an diesem Punkt sollte es Instanzen geben, die das schiefe Bild zurechtrücken sollten.
Wie bei alternativer Medizin. Die Ansicht, dass diese funktioniert und ohne lästige Nebenwirkungen auskommt, ist inzwischen dermassen verbreitet, dass sich die Produzenten sparen können, das noch explizit in der Werbung zu erwähnen (mal abgesehen davon, dass sie es gar nicht dürfen). An dieser Stelle müsste eigentlich eine offizielle Stelle (der Preisüberwacher(?)) einschreiten und feststellen, dass die „magische“ Handbewegung (?), auf die sich alle Produzenten stillschweigend geeinigt haben, keine Preiserhöhung von 100’000% rechtfertigt.

Und eine ähnliche Absprache finden nach Ansicht der Gegner der Initiative schliesslich bei der „artgerechten“ Tierhaltung statt.

Die Sache mit den Labeln

Die Gegner weisen auch darauf hin, dass es zahlreiche Labelangebote gibt, die es dem Konsumenten ermöglichen Produkte zu kaufen, wo das Tierwohl beachtet wurde.
Das bedeutet, dass es Leute gibt, denen das Tierwohl egal ist. Heisst das, dass demzufolge auch Produzenten geben soll, denen das Tierwohl egal sein muss? Wenn der Markt über Label das Tierwohl regeln soll, dann können wir uns doch alle Tierschutzgesetze sparen.

Die Sache mit den regionalen Produkten

Die Gegner befürchten, dass mit der Annahme der Initiative mehr tierische Produkte importiert würde und daher weniger regionale Produkte zur Verfügung stehen würden.

Unter regionalen Produkten verstehe ich – da bin ich wohl etwas zu sentimental – Eier von glücklichen Hühnern vom netten Landwirt aus dem Nachbardorf. Und nicht unbedingt Eier vom unglücklichen Batteriehühnern aus der Legefabrik im Nachbardorf- was aber natürlich auch regionale Produkte sind.
Da mir das jetzt bewusst ist, ziehe ich glückliche Eier aus der Ferne unglücklichen Eiern aus der Nähe vor. Und ich denke, das bin ich nicht allein.

Die Sache mit den Verwandten im Ausland

Ein weiteres Argument der Gegner, das mich sehr verwirrt, ist folgendes: Damit der Bedarf weiterhin gedeckt werden kann, müsste mehr aus dem Ausland importiert werden, was aber keinen Mehrwert für das Tierwohl im Ausland generieren würde, eher im Gegenteil.

Jetzt mal abgesehen davon, dass die Initianten sich von der Initiative einen Rückgang des Fleischkonsums in der Schweiz erhoffen (was nachweislich bitter nötig wäre), so verlangt dieses Argument im Umkehrschluss, dass die Tierschutzgesetze in der Schweiz entschärft werden müssten um einen Mehrwert zu generieren für das Tierwohl im Ausland, das ja angeblich viel grösser ist als die Schweiz.

Die Sache mit der Auswahl

Das mit Abstand übelste Argument ist aber folgendes: Dass die Konsumenten dann keine Auswahl mehr hätten. Und Auswahl ist doch das Nonplusultra.

Ich will gar nicht bestreiten, dass Auswahl eine super Sache ist. Aber diese sollte eher entlang der Linie „weisse oder braune Eier“, „Wachtel-, Hühner- oder Straussen-Eier“, „Oster- oder Schoko-Eier“, … gehen statt „Eier von glücklichen oder unglücklichen Hühnern“? Klar, zu den Konsumenten gehören auch Sadisten, die grossen Wert auf qualvoll gestaltete Tierhaltung legen, doch ist das meiner Ansicht nach nicht eine Nachfrage, der vom Markt zwingend auch nachgekommen werden muss.

Die Sache mit dem Tierwohl

Gehen wir mal davon aus, dass uns allen das Tierwohl am Herzen liegt. Sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern der Initiative. Niemand will, dass Tiere unnötig leiden müssen.

Wenn wir uns also darüber unterhalten, welche Form von Tierhaltung daher angemessen ist, anhand welcher objektiver Kriterien sollen wir das beurteilen?

„Die Würde des Tieres“ ist zu abstrakt, „die „traurigen Augen des Schweins“ sind zu sentimental und „die Haltungskosten“ sind kein Indikator für das Tierwohl.
Wir brauchen etwas, das über alle Zweifel erhaben ist, wenn es darum geht das Wohl und das Leid der Tieren einzuschätzen. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer stressverursachten Krankheit, könnte ein konsensfähiges Kriterium sein. (Es gibt sicherlich bessere, aber ich hoffe, dass dieses Beispiel zeigt, was ich mir von einem Kriterium in dieser Fragestellung erhoffe: Quantifizierbarkeit und Nachvollziehbarkeit.

Wenn also in einem Stall eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Tiere an stressbedingten Krankheiten leiden, dann leiden die Tiere mehr als sie es in einem Stall täten, wo die Wahrscheinlichkeit signifikant niedriger ist.
Entsprechend lässt sich irgendwo die Grenze ziehen, ab welcher Wahrscheinlichkeit man von Tierquälerei sprechen sollte.
Die einen werden sie höher ansetzen wollen, die anderen tiefer. Die Frage ist, was sind zulässige Gründe um sie höher oder tiefer anzusetzen?

Den Umstand, dass man sich keinen Stall leisten kann, der den Bedürfnissen der Tiere entspricht, halte ich für keinen legitimen Grund um die Grenze tiefer zu setzen.

Es ist aber durchaus relevant bei der Frage, ob man sich die Initiative und das Wohl der Tiere überhaupt leisten kann.
Wenn das nicht geht, dann muss man sich überlegen, welche Prioritäten man hat? Das Wohl der Tiere oder das Schnitzel?

Das heisst, die Gegner müssten eigentlich
– entweder nachweisen, dass das Wohl der Tiere bereits unter den gerade geltenden Tierschutzgesetzen gegeben ist. (Was sie nicht tun.)
– oder zugeben, dass man wohl oder übel gewisse Abstriche am Tierwohl akzeptieren muss zugunsten der Wirtschaftlichkeit. (Was sie auch nicht tun.)

Stattdessen führen sie Argumente an, die sich alle um irgendwelche Konsumentenpreise drehen (womit die am Ende wahrscheinlich das Rennen machen werden), und die eigentlich die Abschaffung aller Tierschutzgesetze nahelegen würden.


Die Sklavenhaltungsinitiative

Die Sklavenhaltungsinitiative setzt sich – einfach gesagt – für das Sklavenwohl ein. Sie fordert, das die Bedürfnisse der Sklaven besser respektiert werden bei der Unterbringung und der Pflege.

(Hier wollte ich eigentlich den gleichen Text wie oben nochmals einfügen und einfach überall Tiere durch Sklaven ersetzen. Ganz im Sinne der Danny Devito Regel: Wenn das Ersetzen des Schauspielers durch Danny Devito den Charakter zu einem Psycho macht, dann war schon vorher ein Psycho.
Das spare ich mir jetzt aber. Zum einen weil der Text auch so schon zu lang ist. Und zum anderen, weil sich gezeigt hat, dass die Argumente der Gegner der Tierhaltungsinitiative eigentlich Argumente für eine komplette Abschaffung aller Tierschutzgesetze sind. Und ich will hier niemanden auf blöde Ideen bringen.)


Die Sache mit der Frage aller Fragen

Die ultimative Frage ist wohl, wer die Sache mit dem Tier- und Sklavenwohl am besten beurteilen kann?

Das Stimmvolk ist es nicht. Dieses sieht nur die traurigen Augen und das Preisschild auf dem Schnitzel. Und das sind nicht wirklich verlässliche Indikatoren um das Leid von Tieren und Sklaven zu beurteilen.

Der Bauer kann es natürlich viel besser, schliesslich lebt er mit diesen zusammen und beobachtet sie Tag und Nacht. Allerdings ist das Tier sein Produkt. Und etwas weniger Tierwohl kann etwas mehr Profit bedeuten… Da besteht also ein gefährlicher Interessenkonflikt.
Und darüber hinaus sind es die gleichen Bauern, die jetzt sagen, dass das aktuelle Tierschutzgesetzt ausreichend ist, die damals genau das gleiche zum vorigen Tierschutzgesetzt sagten.

Wer bleibt dann noch übrig?
Peer-Reviewte Wissenschaft.


Die Frage an die SVP

Wenn die Abschaffung der Sklaverei heute vors Volk käme. Ich wärt dagegen. Nicht wahr?
Ich meine, es würde die Konsumentenpreise in die Höhe treiben und die Leidtragenden wären ja nur Ausländer.