Frohe Ostern!

Jesus ist also für unsere Sünden gestorben. Nun ja, nicht so richtig. Er war vielleicht klinisch, aber noch nicht so richtig mause tot. Am Montag kam er ja wieder zurück. Er hat ein Wochenende für unsere Sünden geflatlinert geopfert.
Aber nicht einfach irgendein Wochenende – das muss man ihm schon lassen -, sondern das Osterwochende! Er verzichtete für unsere Sünden auf das Ostereiersuchen1! Ich bin mir nicht sicher, ob ich das für die Sünden anderer das getan hätte…

Man darf mich nicht falsch verstehen, ich bin gern bereit jemandem seine Sünden zu verzeihen, ich würde es mich lediglich nicht besonders viel kosten lassen, es tun zu dürfen.

Das hängt aber vielleicht auch davon ab, was es zu verzeihen gilt…
Ich habe auf die Schnelle vier(einhalb) Sünde-Archetypen identifiziert:

Typ 1

Wenn einer manchmal masturbiert, sich rasiert oder Helene Fischer hört und jetzt deswegen (mir gegenüber???2) ein schlechtes Gewissen hat, dann werde ich ihm erklären, A) dass ich das nicht wissen will und B) dass man sich dafür nicht zu schämen braucht. Und wenn er dennoch drauf besteht, werde ich es ihm gern verzeihen. Und wenn es ihm nur dann die erwünschte Erleichterung verschafft3, wenn ich das Verzeihen durch ein Opfer besiegle, dann werde ich (stirnrunzelnd) vielleicht auf das Bier verzichten, das ich ohne diese Episode ohnehin nicht getrunken hätte4. Ein grösseres Opfer werde ich aber höchstwahrscheinlich nicht erbringen.
Theoretisch könnte ich natürlich das Trinken des Biers als etwas furchtbares darstellen und den Humpen dann (angeblich) angewidert runterschütten, doch das erscheint mit nicht ganz ehrlich. Nichtsdestotrotz sollte man, wenn jemand „gern“ für die Sünden anderer leidet, vielleicht mal fragen, ob er es nicht auch ohne die Sünden „gerne“ tut.

Typ 2

Wenn einer mich belogen, betrogen oder bestohlen hat und jetzt deswegen mir gegenüber ein schlechtes Gewissen hat, so werde ich ihm gern verzeihen, nachdem er alles wieder gut gemacht hat und mich davon zu überzeugen vermochte, dass er so etwas nie wieder weder mir noch irgend jemand anderem antun wird. Dass ich ihm verzeihe, bedeutet, dass ich in Zukunft diese „Jugendsünde“ nicht mehr in meine Erwägungen mit einbeziehen werde – er soll sich aber hüten, sowas nochmals zu tun.
Wenn ich das Verzeihen (ob nun auf sein oder mein Drängen hin) mit einem Opfer meinerseits kombiniere, …

… dann wirft das ein sehr, sehr seltsames Licht auf MICH!

Hier wieso: Man stelle sich vor, ein Kind stellt was an und der Vater bestraft und verzeiht. Unter welchen mysteriösen Umständen könnte es da nötig sein, dass der Vater den Akt des Verzeihens mit einem schmerzlichen Opfer seinerseits kombiniert?
Nur unter denen, dass der Vater traditionell etwas später das Kind für den gleichen Blödsinn nochmals bestraft und ihm danach erneut verzeiht. Und dann etwas später das Kind nochmals für den ursprünglichen Blödsinn bestraft und ihm dann verzeiht…

Das Opfer macht nämlich nur Sinn, wenn ich vergesslich bin und das SM-Ritual dafür sorgen soll, dass ich es ganz sicher nie wieder vergesse!

Typ 2a

Und wenn dieser Kerl von eben (der mir hoch und heilig versprochen hat, nie wieder jemanden zu belügen, zu betrügen oder zu bestühlen) jemanden belügt, betrügt, bestielt oder gar umbringt und mir gegenüber ein schlechtes Gewissen hat, weil er seinen Eid gebrochen hat, dann werde ich ihm erklären, dass meine Absolution allein nicht ausreicht um wieder ein reines Gewissen zu haben. Dafür braucht es das Okay eines jeden Betroffenen und je nach Art des Verbrechens auch das der Polizei. Und das völlig ungeachtet dessen, ob ich prominent bin oder mir während des Verzeihens in den Finger geschnitten habe.

Nun ja, wenn ich mir in den Finger schneide, fluche ich für gewöhnlich. Wenn ich in einem solchen Moment jemandem grossherzig seine Fehler verzeihe, dann wäre das schon auch denkwürdig.
Andererseits stellt sich hier die alte Frage, wie weit man Aussagen Glauben schenken darf, wenn sie in einem psychologischen Ausnahmezustand formuliert wurden wie jenem, in dem man sich befindet, wenn einem der Finger blutet (geschweige denn wenn man gerade an einem Kreuz hängt)?


Wir wissen, dass Dinge, die unter Folter gesagt werden, weniger der Wahrheit entsprechen als viel mehr dem, was der Folterknecht hören will. Kreuzigung ist Folter. Wie glaubwürdig ist dann wohl das „Ich sterbe für eure Sünden“?

Gibt es nicht einen anderen Weg, als das Okay von allen Betroffenen einzuholen? Das Problem ist, vielleicht ist eins der Opfer ein sturer Bock, der mehr an Wiedergutmachung verlangt als ihm eigentlich zusteht. Kann eine Drittperson hinzugezogen werden? Oder ein Experte?

Ausschliessen möchte ich hier explizit einen naturwissenschaftlichen Experten. Wenn ein Neurochirurg belegen kann, dass eine Handlung beispielsweise allein auf das Vorhandensein eines Tumors zurückzuführen ist, dann kann diese Erkenntnis das „Verbrechen“ durchaus verzeihen. Dass ihm die Opfer böse sind, ist dann in etwa so sinnvoll, wie wenn sie dem Hagelsturm böse sind, der ihnen das Auto perforiert hat.
Natürlich werden die Opfer dennoch rachsüchtig sein und der Täter dennoch ein schlechtes Gewissen haben, von der ethischen und moralischen Seite her ist die Sache aber eigentlich erledigt.

Analog kann man auch überrissene Wiedergutmachungsforderungen zurückweisen, wenn die naturwissenschaftlichen Experten nachweisen können, dass diese pathologische Ursachen haben.

Kann eine Ethikkommission oder ein Priester (oder ein Gott) die Aufgabe des Verzeihens statt der Geschädigten übernehmen?
Ich hege da so meine Zweifel.
Ich will ja nicht bestreiten, dass man Vergebung „outsourcen“ kann, sprich dass man das Urteil eines Pfarrers darüber, ob man jemandem in einem konkreten Fall verzeihen sollte, übernehmen kann. Andererseits hat der Pfarrer aber kein Recht das Verzeihen einzufordern. Er ist also bestenfalls ein Berater.
Wenn ein Übeltäter dank der Absolution eines Pfarrers wieder ein gutes Gewissen hat, obschon die Opfer es ihm noch nicht verziehen haben, dann hat der Pfarrer seine Kompetenz überschritten.

Ich habe mal mit einem Pfarrer gesprochen, der mir erklärte, dass es auch schon vorgekommen sei, dass er beispielsweise das vom reuigen Beichtling entwendete Geld anonym wieder zurück gegeben habe. Für den Pfarrer war das okay. Und der Dieb hat die Absolution erhalten.
Aber ist das wirklich okay?
Ich will ja nicht bestreiten, dass der Beichtling seine Lektion gelernt hat und die Gefahr für alle Zukunft gebannt ist. Ich will auch nicht ausschliessen, dass die ganze Angelegenheit bereinigt werden kann, ohne dass das Opfer überhaupt merkt, dass es ein Opfer war. Doch um das beurteilen zu können, braucht es eine naturwissenschaftliche Expertise im Sinne von, dass sie nachvollzieh- und von Peers bestätigbar ist. In diesem Moment vom heiligen Geist beseelt zu sein, reicht nur, wenn es dafür ein naturwissenschaftliches Attest gibt.

Zurück zu den Leuten, die mir gegenüber ein schlechtes Gewissen haben.

Typ 3

Wenn einer nicht glaubt, was ich behaupte, und es sich dann als wahr erweist, und er jetzt deswegen (mir gegenüber) ein schlechtes Gewissen hat, dann sollte ich ihm ehrlicherweise zugestehen, dass in diesem Fall das schlechte Gewissen wohl eher ich haben sollte, weil ich es nicht geschafft habe, es ihm auf eine für ihn verständliche und nachvollziehbare Weise zu präsentieren. Oder aber dass ich (oder jemand anders) in der Vergangenheit vorsätzlich (!) so viel Mist verzapft habe, dass er es inzwischen für eine sicherere Strategie hält, nichts mehr zu glauben. In diesem Fall ist ein Opfer in Form einer Bestrafung meinerseits und ein Verzeihen ihm gegenüber durchaus angebracht, lediglich sollte nicht der Eindruck entstehen, dass er irgendwas falsch gemacht hat.

Typ 4

Und auch wenn einer das von mir in ihn gesetzte Vertrauen nicht erfüllt und jetzt deswegen (mir gegenüber) ein schlechtes Gewissen hat, ist das eigentlich mein Problem und nicht seins. Vorausgesetzt, dass der Vertrauensmissbrauch nicht von der Art ist, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn ich jemandem meine Blumen über die Ferien zum Hüten gebe und er sie jämmerlich vertrocknen lässt – denn das gehört in die Belogen-, Betrogen- und Bestohlen-Kategorie. Sondern ich meine damit das Vertrauen, das ich in einen Pudel beim Hunderennen setze, der dann aber nicht gewinnt und dann, ob meiner Enttäuschung über sein lausiges Abschneiden, ein schlechtes Gewissen mir gegenüber hat. Dass der Hund ein schlechtes Gewissen mir gegenüber hat, hat in einem solchen Fall aber weniger mit seiner Schuld zu tun als vielmehr mit meiner Fähigkeit ihn zum Sündenbock zu machen. Er konnte ja unmöglich wissen, dass ich wollte, dass ausgerechnet er gewinnt.
Wenn ich es ihm zu verstehen gegeben hätte, hätte er meine Erwartungshaltung richtig stellen (oder mich belügen) können. Aber so ist mein Verzeihen ihm gegenüber schlicht heuchlerisch und mein theatralisches Opfer soll mich insgeheim lehren in Zukunft die Finger von Hunderennen zu lassen.

Fazit

Wenn das Leiden auf Seiten des Vergebenden stattfindet, dann ist was faul. Punkt.
Wenn man masochistische Neigungen hat, darf man es aber gern so praktizieren, besondere Dankbarkeit sollte man für diese Geste aber nicht erwarten.

Ob eine Gesellschaft netter zueinander wird, wenn man sich während dem Akt des Verzeihens in den Finger schneidet, bezweifle ich, möchte es aber ohne eine entsprechende Studie nicht kategorisch ausschliessen. Ansätze für eine Studie in diese Richtung kann man im Ablasshandel der römisch-katholischen Kirche sehen, wenn dort auch etwas durcheinander kam und der Sünder statt des Jesus-Stellvertreters zur Kasse gebeten wurde.

Ehrlich gesagt, bezweifle ich sogar, dass die noble Geste von Jesus am Kreuz funktioniert hat. Er hat sehr gelitten. Das schon. Es ist aber nicht so, dass uns diese von da an nicht mehr weiter nachgetragen werden. Schliesslich ist die Geburt von Kindern noch immer schmerzhaft – hab ich mir sagen lassen.

Ich meine, wenn ein Kind ungehorsam ist und der Vater zur Strafe seinem Teddybären den Arm ausreisst. Dann kann das eine „gerechte“ Strafe sein5. Und wenn das Kind dem Bären den Arm mühselig wieder annäht, dann kann es noch immer ein Teil der „gerechten“ Strafe sein, wenn er der Vater dem Bären den Arm erneut ausreisst. Zumindest so lange, bis der Vater erklärt, dass die Schuld beglichen und dem Kind vorziehen ist.
Dann wird der Bär gezeichnet sein von der langen Periode der Strafe. Und unter Umständen wird das Spiel mit ihm beeinträchtigt sein. Das sind nun mal die Konsequenzen der Strafe. Doch der Vater sollte dann – verdammt nochmal – nicht damit fortfahren dem Bären den Arm auszureissen!