Moralisches GPS

Das Zürcher Opernhaus inszenierte am letzten Samstag eine Sexorgie auf der Bühne, angeblich als integralen Bestandteil des Stücks „The Rake’s Progress“. In Wien wurde es im November für Jugendliche unter 18 verboten, hier besteht jedoch keine Altersfreigabe. Politiker sind entrüstet, während der Intendant Alexander Pereira eloquent festhält, dass es Alterslimiten brauche, um Kinder und Jugendliche vor Pornographie zu schützen, nicht jedoch vor der Kunst.
Mich beeindruckt, wie sicher er sich der Seite ist, auf welcher er sich befindet.

Eine Lektion in Moral

U1_fresko_pompejiIm Schrank eines Arbeitskollegen habe ich versteckt in einem Laufmeter Managementratgeber ein Buch gefunden, welches den Männern behutsam zu erklären versucht, wie Frauen ticken. Das Buch unterscheidet sich nicht wesentlich von den anderen Frauenverstehbüchern, die ich nicht gelesen habe, abgesehen vielleicht von einer speziellen Begründung im letzten Drittel. Nämlich jener, weshalb das Konsumieren von Pornographie ein Akt der Untreue sei: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. (Mat. 5,27-28)“
Als Jesus das besagte Theorem formulierte und damit explizit auf das achte Gebot referierte, war das Objekt der Begierde in erster Linie in der Nachbarin, sprich in einer real existierenden und für gewöhnlich auch vertrauten Frau, zu sehen. Pornostarlets, genau wie Schauspielerinnen, Sängerinnen und Baywatch-Nixen gehören jedoch nicht wirklich in diese Kategorie. Wir kennen sie nämlich nur von Abbildungen und die Chance ihnen über den Weg zu laufen, ist eigentlich gar nicht existent.
Wenn wir also ein biblisches Analogon zu einem heutigen Porno suchen, so ist es nicht die heisse Nachbarin, auf die sich Jesus bezieht und die zu begehren ohne Zweifel problematisch ist, sondern die anzüglichen Kritzeleien an den Wänden, die freizügige Vasenmalereien, die erotischen Fresken in den Freudenhäusern (wobei das Betrachten letzterer von all den möglichen Sünden an diesem Ort wohl noch die kleinste ist), sowie die frivolen Anekdoten, welche man bei einem feuchtfröhlichen Gelage zu Hören kriegte. Die pornographischen Objekte der Begierde waren damals wie heute keine realen Personen, sondern Phantasien, welche für einen realen Ehebruch ehr ungeeignet sind. Hätte sich Jesus mit Platon beschäftigt (oder alternativ sich mal mit einem hübschen Fräulein vergnügt), so wüsste er, dass da ein gewaltiger Unterschied besteht. Dieses Zitat taugt also nicht wirklich um ein moralischen Urteil über die Pornografie zu fällen.
In gewissem Sinne hat die Bibel nichtsdestotrotz in dieser delikaten Angelegenheit vorgesorgt, sie stellt die Selbstbefriedigung nämlich unter Todesstrafe: „Da sprach Juda zu Onan: Geh zu deines (toten) Bruders Frau und nimm sie zur Schwagerehe, auf dass du deinem Bruder Nachkommen schaffest. Aber da Onan wusste, dass die Kinder nicht sein eigen sein sollten, ließ er’s auf die Erde fallen und verderben, wenn er einging zu seines Bruders Frau, auf dass er seinem Bruder nicht Nachkommen schaffe. Dem HERRN missfiel aber, was er tat, und er ließ ihn auch sterben. (Gen. 38,8-10)“ Für mich klingt das zwar eher nach einem Coitus Interruptus als nach Onanieren, aber was soll’s.

Ich schlage daher vor, die Bibel folgendermassen zu interpretieren: Es ist durchaus erlaubt Pornographie zu konsumieren, solange man die Lust dann an seiner eigenen Frau raus lässt (und sie davon schwanger wird!).

Wenn man strengere Vorschriften wünscht, so muss man sich schon auf ein anderes Gebot berufen, eins das in der Top Ten wesentlich weiter oben angesiedelt ist: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! (Exodus 20,4-5)“ Doch damit würde man das Kind mit dem Bad ausschütten, denn hier steht ja weder explizit, dass es Gott ist, von dem man weder Bildnis noch Gleichnis machen soll, noch dass es Jesus oder sexuelle Praktiken sind. Wollte man streng sein, so fiele selbst der folgende Satz der Zensur zum Opfer: „Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain. (1. Mose 4,1)“ Ich weiss nämlich ganz genau, was hier mit der Erkenntnis gemeint ist, und dieses Wissen macht mich schon ein bisschen wuschelig.