aber einmal sollte man es gut sein lassen

Der Klerus hat es heutzutage auch nicht leicht.
Ihre Gebete funktionieren nicht mehr so richtig und keiner will mehr sein Kind mit nem Priester allein lassen…

Ein ehemaliger Klassenkamerad ist Pfarrer und jedes Mal wenn wieder so ein Missbrauch bekannt wird, muss ich an ihn denken. Nicht, dass ich ihm irgendetwas unterstellen würde, aber dass er weiterhin in einer Organisation arbeitet, die solche Vorfälle konsequent unter den Teppich zu kehren versucht, lässt mich schon ein bisschen an seiner Integrität zweifeln.

Er gesteht natürlich durchaus ein, dass die Kirche viel falsch gemacht hat und bedauerlicherweise bis heute noch nicht alle Lektion daraus gelernt hat. Und dafür entschuldigt er sich auch, doch deswegen der Kirche den Rücken zukehren, ist für ihn keine Option. Das sieht er nicht als den richtigen Weg. Er versucht stattdessen ein anderes Bild der Kirche zu leben.

Das klingt doch eigentlich ganz okay.
Ausser vielleicht, dass die Kirche, die viel falsch gemacht und bis heute noch nicht alle Lektionen gelernt hat, nicht mit anderen Organisationen zu vergleichen ist, welche ebenfalls auf eine unrühmlich Vergangenheit zurückblicken müssen. Im Gegensatz zu Firmen, die beispielsweise an den Verbrechen der NS-Zeit beteiligt waren und sich dann dafür entschuldigten, nicht das richtige getan zu haben, sieht die Kirche ihre Kernkompetenz nämlich darin, dank des aktiven Patronats des heiligen Geistes stets zu wissen, was gut und was böse ist. Deshalb verstand sie sich auch immer als Wächterin der Moral.
Dass hie und da bei einzelnen mal was schief läut, ist bedauerlich, aber wohl nicht gänzlich zu verhindern. Dass die Kirche mit ihrem direkten Draht zur höchsten moralischen Instanz das aber nicht merkt oder, wenn sie es merkt, es einfach nur zu verschleiern versucht, lässt daran zweifeln, ob die katholische Methode überhaupt funktioniert.

Tatsächlich erscheint es mir eher so, als ob die katholische Methode weniger darüber wacht, was gut und was böse ist, als viel mehr, das, was der Kirche gerade passt, als moralisch okay propagiert.
Sie ist jetzt beispielsweise gegen die Sklaverei. Das war sie nicht immer. Und sollte es mal nötig werden, stehen ihr mit der Bibel und einer abhörsicheren Verbindung zu Gott die nötigen Instrumente zur Verfügung wieder für diese zu sein. Das gleiche gilt fürs Frauenstimmrecht, den Verzehr von Schweinefleisch und das Tolerieren der Homosexualität.

Und auch dass sich mein Freund dafür entschuldigt, dass die Kirche viel falsch gemacht hat und bis heute nicht alle Lektionen gelernt hat, ist nicht wirklich okay. Er hat ja selbst nichts gemacht. Wofür also sich entschuldigen? Und als Dorfpfarrer ist er wohl auch nicht in der Position, dass er etwas davon gewusst hätte.
Oder etwa doch? Hat er davon gewusst und nur für die Lösung gebetet? Entschuldigt er sich dafür, dass er nicht genug gemacht hat? Dass er den Verdacht, den er hatte, nicht den Behörden gemeldet hat? Oder ihm das Beichtgeheimnis wichtiger war als das Wohl eines Kindes?
Aber wahrscheinlich lese ich hier viel zu viel rein. Er entschuldigt sich womöglich bloss, weil er nicht nichts tun und einfach weiter machen kann. Er ist im Zugzwang. Und durch die Entschuldigung distanziert er sich ohne irgendwelche Konsequenzen ziehen müssen. Und als Bonus erniedrigt er sich elegant und kann sich als Märtyrer für die geschundene Kirche verkaufen.

Und dass er stattdessen ein anderes Bild der Kirche zu leben versucht, ist so auch nicht ganz okay. Ich hoffe, damit will er zum Ausdruck bringen, dass er sich bemüht die Kirche von innen zu ändern, und nicht einfach nur die Risse in der Fassade zu kitten.
Da ist sicher was dran, denn die Kirche ist too big to fail. Sie ist wie ein Atomkraftwerk, das während langer Zeit die Herzen der Menschen erleuchtete und bei dem man jetzt merkt das die Kosten für die Umwelt einfach zu hoch sind. Und wie bei einem Atomkraftwerk ist es sicher besser, wenn man sie nicht mit einer Explosion vom Netz nimmt.
Es bleiben aber dennoch zwei Fragen:
Die eine ist, in was genau er die Kirche zu ändern versucht. Ich meine, weiss er besser, was Gott wirklich will, als all die anderen Priester, Bischöfe und Päpste, die sie nicht verändert haben? Ist er sich wirklich sicher, dass es im Interesse Gottes ist und nicht bloss in seinem eigenen, dass sie sich ändert? Ist er sich sicher, dass all das Üble nur geschah, weil die Pforten der Hölle die Gemeinde überwältigt haben? Denn wie sonst wäre sowas möglich gewesen?
Und die andere Frage ist, woran wird er erkennen, dass seine Bemühungen gefruchtet haben? Woran erkennt er die bessere, sich nachhaltig veränderte Kirche? Und woran erkennt er im umgekehrten Fall, dass es zwecklos ist und die Kirche sich nie ändern wird? Es muss diesen Punkt geben, wo die Hoffnung stirbt. Wo ist der? Und wenn es ihn nicht gibt, dann ist mein Freund zufrieden damit sein Leben in einer Kirche zu verbringen, die aus ihren Fehlern nichts lernt und frohen Mutes weitere begeht.

Aber vielleicht will er aber auch gar nichts ändern. Abgesehen vom Bild, das man von ihr hat, dem Image der Kirche also.
Dazu würde auch passen, dass es ihn – wie er beteuert – mit Stolz erfüllt der katholischen Kirche anzugehören.

(Ist Stolz nicht eine der 7 Todsünden? ;)


Mein Freund erwähnte dann nur so nebenbei noch, dass es auch Länder gibt, wo Ungerechtigkeiten an der Tagesordnung seien. Da könne man auch nicht einfach austreten.
Diesen Vergleich finde ich aus zwei Gründen interessant: Zum einen weil er die Kirche lieber mit einem Staat vergleicht, welcher sich seine Regeln selbst macht, als mit einer Organisation, die innerhalb eines Staates funktioniert und sich auch an dessen Gesetze zu halten hat.
Und zum anderen weil er nicht bemerkt, dass wenn die Menschenrechte eingehalten würden, dass man durchaus das Land verlassen könnte, wenn man die Ungerechtigkeit für unzumutbar hält.
Eigentlich ziemlich entlarvend, dass er mit einem Vergleich mit einer Diktatur davon abzulenken versucht, dass er selbstzufrieden in einer kriminellen Organisation arbeitet.


Zum Abschluss ein kurzer Blick hinter die Kulissen:
Ich schreibe an diesem Artikel etwa seit August 2019. Ursprünglich wollte ich die Strategie hinter der Verteidigung/Entschuldigung meines Freundes mit einem witzigen kleinen Aphorismus entlarven, aber irgendwann fiel dieser der Redaktion des Textes zum Opfer. Ich will ihn euch nicht vorenthalten:

When I was a kid, I used to pray every night for a new bike. Then I realised, the Lord doesn’t work that way. So I just stole one and asked Him to forgive me … and I got it!

Emo Philips

Hostien

Hat schon mal ein Pfarrer aus was anderem als ungesäuertem Fladenbrot den Leib Christi zu wandeln versucht? Wie überprüfte er, ob es funktioniert hat?

Sich korrekt verhaltenden Pfarrer

Ich bin Atheist und habe auf Facebook ein paar freche atheistische Kanäle abonniert. So taucht in meiner Timeline immer mal wieder ein frisch enthüllter Missbrauchsskandal der katholischen Kirche auf.

Ich frage mich dann immer, ob sich korrekt verhaltende Pfarrer diese Geschichten ebenfalls mitkriegen? Und ich frage mich dann jeweils auch, welche Antwort darauf wohl die bessere ist?

Es ist entsetzlich, dass es zu diesen Übergriffen kommt. Darin sind sich natürlich alle einig. Doch wenn wir realistisch sind, müssen wir uns eingestehen, dass sie sich nie restlos werden verhindern lassen. Aber mit der richtigen Kultur – und Kultur, im Sinne von einem System von Regeln und Gewohnheiten, die das Zusammenleben und Verhalten von Menschen leiten1, ist hier tatsächlich der richtige Begriff – lässt sich die Zahl drastisch senken.

Darüber, was konkret die beste Kultur sein könnte, gehen die Meinungen auseinander. Die Erfahrung zeigt aber, dass der Versuch Taten unter den Teppich zu kehren, deren Zahlen nicht sinken lässt. Ein offener Umgang mit den Problemen und eine kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen ist zwar schmerzlich, zeitigt dagegen durchaus Erfolge.

Wenn nun also die besagten sich korrekt verhaltenden Pfarrer von den Missbräuchen erfahren, sind sie sich dann bewusst, dass ihr Arbeitgeber eine Kultur propagiert, die NICHT darauf ausgelegt ist, die Zahl der Übergriffe zu senken?
Sind sich diese sich korrekt verhaltenden Pfarrer bewusst, dass sie mit ihrem korrekten Verhalten einer Organisation, welche Skandale lieber zu vertuschen als zu verhindern versucht, Vertrauenswürdigkeit schenkt, die den Tätern innerhalb der Organisation in die Hände spielt?
Ich will nicht bestreiten, dass die sich korrekt verhaltenden Pfarrer wegen einiger weniger schwarzen Schafe zu unrecht angegriffen werden und massiv unter dem Generalverdacht leiden, doch frage ich mich, ob sich jemand wirklich korrekt verhält, wenn er keine Jungs verführt, dafür aber mit Engagement und Charme Werbung für eine Organisation macht, die nicht viel dagegen tun würde, wenn er es doch täte?

Wenn die sich korrekt verhaltenden Pfarrer aber nichts davon mitkriegen, dann richten sie genau den gleichen Schaden an wie die „sich korrekt verhaltenden“ Pfarrer, die davon wissen, aber kein Problem haben mit einer Kultur, die dem Schutz der Kinder eine weniger hohe Priorität zugesteht als dem des guten Rufes. In diesem Fall kommt aber noch hinzu, was die Sache vielleicht noch schlimmer macht, dass die unwissenden sich korrekt verhaltenden Pfarrer möglicherweise von dem Schlag sind, die Unrecht nicht einfach akzeptieren, sondern aufstehen und ungeachtet der Konsequenzen für sie selbst das richtige tun. Sprich es wären vielleicht die hartnäckigsten Streiter für die bitter nötige Veränderung der Kultur der katholischen Kirche.

Ich halte den Austritt für den besten Weg, zumal ich ja nicht an die Existenz eines Gottes glaube. Aber es ist tatsächlich auch der am wenigsten steinige Weg. Andere mögen das anders sehen und einwenden, dass ein Massenexodus zwar schon zu einer Veränderung führt, aber nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung.

So oder so, bin ich überzeugt davon, dass man einen Kulturwandel nicht hinter verschlossenen Türen vollziehen kann.

Deshalb sehe ich für die katholische Kirche nur einen einzigen Weg, wie sie ihre Glaubwürdigkeit zurückerlangen kann. Und der besteht darin, restlos reinen Tisch zu machen und sich das Vertrauen völlig neu zu verdienen.
Das bedeutet, dass keine neuen alten vertuschten Skandale auftauchen dürfen. Und dass die katholische Kirche eine Garantie darauf ausstellt. Und zwar in Form einer Summe, die sie für jeden neuen alten vertuschten Skandal hinblättern wird, der doch noch auftauchen sollte.

Die Summe muss astronomisch sein. Weil wenn sie es nicht ist, das dann zeigt, dass sie kein besonders grosses Vertrauen in ihre eigene Offenheit hat und insgeheim schon damit kalkuliert, dass sie diese irgendwann wird bezahlen müssen.

Und noch bevor die Kirche die Summe nennt, muss jeder Pfarrer öffentlich erklären, bei welcher Summe, wenn diese unterschritten wird, er von seiner Kirche enttäuscht ist und die Kündigung einreicht.

Ich meine, könnte ein sich ein korrekt verhaltender Pfarrer guten Gewissens in der Kirche bleiben, wenn der Papst hoch und heilig verspricht, dass jetzt garantiert restlos alle Skandale, von denen man irgendwo in der Organisation Kenntnis hatte, offen gelegt seien, und dass die katholische Kirche, wenn sich herausstellen sollte, dass da doch noch was mehr war, bereit sei 15 vatikanische Euro an eine Wohltätigkeitsorganisation zu spenden.

Die persönliche Bibel

Die persönliche Bibel eines Pfarrers muss nach jahrelangem Gebrauch sehr aufschlussreich sein. Die abgegriffenen Seiten, die er immer wieder gern aufschlägt, weil sie ihm Mut und Hoffnung machen. Und die fast noch jungfräulichen, von denen er sich insgeheim wünscht, es gäbe sie nicht.