Sicherklärungsversuche

“We did this because our holy texts exhort us to to do it.”
“No you didn’t.”
“Wait, what? Yes we did…”
“No, this has nothing to do with religion. You guys are just using religion as a front for social and geopolitical reasons.”
“WHAT!? Did you even read our official statement? We give explicit Quranic justification. This is jihad, a holy crusade against pagans, blasphemers, and disbelievers.”
“No, this is definitely not a Muslim thing. You guys are not true Muslims, and you defame a great religion by saying so.”
Quelle: I am a jihadist and I am tired of not being given credit

Das klingt absurd. Geradezu montypythonesk. Doch so abwegig, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint, ist die Weigerung die religiösen Motive zu akzeptieren vielleicht gar nicht.

Dass jemand überzeugt von etwas ist, bedeutet ja nicht automatisch, dass es sich auch wirklich so verhält. Leute, die überzeugt davon sind, dass sie von Ausserirdischen entführt worden sind, wurden in der Regel nicht wirklich von Ausserirdischen entführt. Leute, die überzeugt davon sind, dass Homöopathie sie vom Schnupfen befreit hat, wurden nicht wirklich von den Globuli geheilt. Und Leute, die überzeugt davon sind, dass sie nur das auf dem Einkaufszettel eingekauft haben, haben nicht wirklich nur das auf dem Einkaufszettel eingekauft.
Wieso gehen wir dann davon aus, dass der islamistische Terror seine Ursache tatsächlich in der Religion hat und der angebliche Auftrag Gottes nicht auch nur ein Konstrukt des Geistes ist, der aus Versatzstücken der Weltanschauung eine möglichst plausible (und gewissenberuhigende) Geschichte zusammen zu schustern versucht?

So einfach kann man die Religion dann aber auch nicht vom Hacken lassen, weil Weltanschauung und Globuli zwei verschiedene Sachen sind, Weltanschauung und Religion aber das gleiche. Wenn etwas aus den Versatzstücken einer Weltanschauung zusammen gesetzt ist, dann ist es diese Weltanschauung, welche die Situation erklärt und eine überschaubare Auswahl von moralisch akzeptablen (wenn auch nicht immer ethisch verantwortbaren) Handlungsmöglichkeiten anbietet. Sprich sie liefert und legitimiert die Ideen, während im Fall der Globuli diese die Idee liefern und die Weltanschauung die Glaubwürdigkeit der Wirkung legitimiert.
Im Gegensatz zu anderen Weltanschauungen sind Religionen aber nicht abstrakte philosophische Konstrukte, sondern sie erzählen von auserwählen Leuten, die ein gottgefälliges Leben führten und dadurch der Menschheit als moralisches Vorbild dienen sollen. Es gibt da zwar schon auch Regeln, viel wichtiger sind aber die Geschichten, mit denen man sich identifizieren kann. Geschichten, in denen die Menschen ihre Probleme damit lösen, dass sie – im Auftrag Gottes – anderen den Kopf einschlagen. Und Geschichten in denen sie in Schwierigkeiten geraten, weil sie anderen den Kopf nicht genug eingeschlagen haben – wie Gott es eigentlich befohlen hatte. Und dadurch eignen sich diese ganz besonders als Inspiration für Leute, die mit Gewalt etwas zu ändern versuchen.

Eine Gedanke am Rande: Ich hege den Verdacht, dass diese Art von Religionen womöglich auf Geschichten zurückgehen, die von Taten berichten, die ohne den göttlichen Befehl, ein Schandfleck in der Geschichte des Volkes gewesen wäre. Zur Verdeutlichung der folgende Gedanke: Selbst wenn die Nazis den 2. Weltkrieg gewonnen hätten, wäre die Vernichtung der Juden eine bittere Pille geblieben. Man hätte sicher die Macht es das Volk als eine notwendige Massnahme schlucken zu lassen, zu einer ruhmreichen Tat hätte man es aber nicht hochstilisieren können. Wenn Frauen und Kinder zu Tode gequält werden, hinterlässt das immer einen hässlichen Nachgeschmack. Ausser es geschah im Auftrag Gottes. Dann ist es nicht mehr „bedauerlich aber notwendig“, sondern auf einmal „bewundernswert“. Das Schaffen eines Mythos hat – meines Erachtens – auch den Vorteil, dass man sich nicht mehr länger rechtfertigen muss, sondern die Sache hinter sich lassen und wieder ein unbeschwertes Leben führen kann1.

Damit wäre der Schwarze Peter wieder bei den Weltanschauungen und Religionen. Doch die Religionen wissen ihn schnell wieder weiter zu geben: Im Gegensatz zu weltlichen Weltanschauungen, wie jene oben erwähnten2, relativ abstraktere philosophische Konzepte sind, lassen Religionen durch ihre Geschichtenartigkeit einen enormen Interpretationsspielraum zu. Nicht für eine konkrete Denomination, denn für die gibt es natürlich nur eine einzige richtige Interpretation und zwar ihre, jedoch durchaus für die Gemeinschaft, die sich aufgrund einiger gemeinsamer Überzeugungen als zur gleichen Religion zugehörig fühlen3.
Da die Geschichten je nach Interpretation etwas anderes bedeuten und man demzufolge andere Parallelen zur Realität zieht, wird die Situation, welche Gott bewogen hat seinem auserwählten Volk zu befehlen jemandem den Kopf einzuschlagen, für jede Denomination eine andere sein. Der Aufruf zum Terror geht also nicht von der Religion als ganzes aus, sondern von einer von der verschiedenen Interpretationen4. Insofern erscheinen die Akte des Terrors den anderen Mitgliedern der Religion ebenso absurd wie den aller anderen Weltanschauungen. Vielleicht sogar noch absurder, weil sie um die Abwegigkeit der zugrundeliegenden Interpretation wissen – während die Angehörigen anderer Weltanschauungen, weil sie wissen wonach sie suchen müssen, nur allzu leicht eine Verbindung zwischen einem bestimmten Zitat und der Tat herzustellen fähig sind5 6.
Andererseits schwingen bei den Glaubensbrüdern anderer Interpretationstraditionen auch gewisse Sympathien mit, denn es ist die gemeinsame Religion, die dermassen angegriffen wurde, dass der Täter sich zu diesen drastischen Gegenmassnahmen7 genötigt fühlte: Das Mittel ist nicht akzeptabel, das Motiv indessen nachvollziehbar.

Die Mythen der Religion lassen den Gläubigen sein Leid wiedererkennen und dadurch automatisch zu einem Angriff auf die Religion interpretieren.
Dass ihm und seinen Leidensgenossen Unrecht angetan wird, stimmt zweifellos. Sowohl in den Banlieue von Paris, wie auch im Nahen Osten. Doch die Gründe sind heutzutage eher nicht mehr religiöse. Man diskriminiert sie aufgrund der Hautfarbe, der Bildung, der politischen Einstellung, der kulturellen Eigenheiten und vor allem wegen dem Profit. Niemand verlangt jedoch, dass sie dem Glauben abschwören sollen. Und das allein wäre ein Angriff auf die Religion.
Die Religionsfreiheit sitzt inzwischen im Westen zu tief, als dass man jemandem seine Religion abspenstig machen wollte. Klar, man verbietet das Schächten (Tierschutz), das Beschneiden (Kinderschutz) oder das Tragen von Schleiern (Frauenrechte), doch werden diese Dinge von jenen, die sie verbieten, nicht mehr als notwendige Bestandteile der Religion verstanden. Das mag überheblich und unsensibel sein, wo dies für viele tatsächlich noch zur religiösen Identität gehört, doch die Rechte von Tieren, Kindern und Frauen wiegen heute mehr als die religiösen Gefühle. Sorry.
Und ich bezweifle, dass es viele Muslime gibt, die ihren Glauben an den Nagel hängen werden, nur weil sie kein halal Fleisch mehr kriegen8.

Religionen verfolgen übrigens noch ein anderes Ziel als Friede, Freude und Eierkuchen zu verbreiten. Nämlich ihren eigenen Fortbestand zu sichern (um auch in Zukunft noch Seelen retten zu können). Und jede Religion fühlt sich deshalb immer und überall stets in ihrer Existenz bedroht!
Es besteht also ein fundamentaler Interessenkonflikt innerhalb jeder Religion, wenn die oberste Direktive nicht gleichzeitig für deren Fortbestand zu sorgen vermag. Im Christentum beispielsweise steht im Zentrum das Gebot der Nächstenliebe. Dieses ist zweifellos äusserst attraktiv und wird dem Christentum sicherlich viele Sympathien einbringen9. Sich ihm deshalb aber gleich anzuschliessen, ist auch wieder nicht nötig. Man kann den Nächsten lieben wie sich selbst auch ohne Christ zu sein. Und will man von der Nächstenliebe profitieren, reicht es vollkommen, sich mit Christen zu umgeben.
Deshalb übt man sich in der theologischen Sophisterei, um Ideal und Selbsterhaltung unter einen Hut zu bringen10 11. Und die Konstruktionen, die das ermöglichen, tragen ohne weiteres auch die Überzeugung, dass Terror nichts mit Religion zu tun hat.

Religion des Friedens

Obelix und seine LiebenswürdigkeitOb man eine Religion als friedliebend bezeichnen kann, hängt meines Erachtens nicht von ihrem Ziel ab eine friedliche Gesellschaft zu erschaffen, denn dieses Ziel teilen ALLE Religionen, sondern vom Weg, den die Religion vorgibt, um dieses Ziel zu erreichen.

Religionen formulieren Werte und stellen Regeln auf, die ein harmonisches Zusammenleben ermöglichen sollen1. Die Grundidee dabei ist, dass wenn ALLE exakt die von der Religion gestifteten Werte übernehmen und ihr Leben entsprechend den von der Religion vorgegebenen Regeln führen, dass dann einem idyllischen Leben nichts mehr im Wege steht2. Das Problem ist aber, dass wenn nicht wirklich ALLE die Werte übernehmen und ihr Leben nach jenen Regeln führen, dass dann für die Harmonie keine Garantie übernommen werden kann. Nicht mal für die, die es tun. Wie also bringt man auch den hintersten und letzten dazu, sich zu seinem eigenen Wohl die Lehren der Religion zu Herzen zu nehmen? Und genau an der Antwort auf diese Frage muss man die Liebenswürdigkeit einer Religion messen!

Von einer Religion des Friedens würde ich erwarten, dass sie das ohne Gewalt hinkriegt. Auch ohne Androhung derselben. Weder im Diesseits noch im Jenseits.
Ich sage nicht, dass Gewalt grundsätzlich etwas schlechtes ist. Manchmal ist sie der einzige Weg um etwas wünschenswertes zu erreichen und dann soll man diese ruhig zu Hilfe nehmen. Man kann es dann einfach nicht mehr eine „friedfertige Lösung“ nennen.

Wir benamsen eine Erziehungsmethode – und nichts anderes ist eine Religion – schliesslich auch nicht nach dem erhofften Ergebnis, sonst würden alle Erziehungsmethoden „Tolle Erziehungsmethode“ heissen, sondern eher nach den Mitteln, die zur Erziehung verwendet werden.
Selbst wenn die Heranwachsenden am Ende friedfertig, höflich und hilfsbereit sind, wenn man es ihnen mit Schlägen und Drohungen eingetrichtert hat, dann war es keine „friedfertige Erziehung“. Ich will damit nicht sagen, dass man Kinder nicht schlagen soll3, ich sage nur, dass, wenn man es tut, es nicht eine „friedliche“, „friedliebende“ oder „friedfertige“ Erziehung genannt werden kann.
(btw. Was die Beurteilung einer solchen Methode betrifft, so sollten wir uns auch da weniger vom erhofften Ergebnis blenden lassen, sondern erst mal die realen abwarten4. Und wenn die endgültigen Ergebnisse aus kategorischen Gründen nicht vorgelegt werden können, dann müssen wir uns halt mit den provisorischen begnügen.5 Doch hier geht es nicht um die Beurteilung, sondern lediglich um die Zuschreibung von Attributen.)

Die frohe Botschaft ist aber, dass dem Christentum (wie wohl jeder anderen Religion genauso) nicht viel fehlt um eine in diesem Sinne „friedliche Religion“ zu werden.  Sie bräuchte lediglich die Bestrafung für die Abkehr von Gott zu streichen6. Und sie sollte auch aufhören die Menschen daran zu hindern, das zu tun, was sie wollen – insbesondere dann, wenn sie damit niemandem schaden.
Gott darf gern seine Wünsche formulieren und er darf auch gern diejenigen belohnen, die ihm diese erfüllen, doch er sollte niemanden dafür bestrafen, wenn er ihnen nicht nachkommt. Wenn er uns erklärt, dass er an seinem Tisch niemanden haben will, der sich vom gleichen Geschlecht angezogen fühlt, dann können wir damit leben. Wir entscheiden uns, ob uns die Sodomie wichtig genug ist, um damit auf ein gewissen Bonus zu verzichten. An anderen Tischen aber weniger oder vielleicht sogar gar nichts zu servieren, steht ausser Debatte, denn das ist ein Akt von Gewalt7.
Hier zu sagen, die Leute hätten die Wahl gehabt, sie hätten sich aus freien Stücken für den Hunger entschieden und müssten nun eben die Konsequenzen tragen, hat auch seine Tücken. Weil jemanden  zu einer Entscheidung zu zwingen, noch bevor er über genügend Informationen verfügt um eine nach eigener Einschätzung fundierte Entscheidung treffen zu können, ist auch eine Form der Gewalt, denn auch hier nutzt man seine Macht um jemanden etwas tun zu lassen, was er nicht will. Zur Illustration vielleicht das folgende Szenario: Es werden einem zwei Pillen gegeben. Eine blaue und eine rote. Die blaue lässt das das Kopfweh verschwinden. Die rote lässt den Kopf explodieren. Man hat die freie Wahl. Bloss dass diese ganze Übung in einem Raum ohne Licht stattfindet. Ist dann wirklich keine Gewalt im Spiel? Auch dann nicht, wenn es ausserdem noch heisst, dass wenn man sich nicht innert einer unbekannten Frist nicht entscheidet, man so oder so die rote Pille bekommt? 8

Aber natürlich hindert niemand Gott daran, Leute zu Entscheidungen zu zwingen und sie für die falsche zu bestrafen. Es steht ihm frei zu tun und zu lassen, was immer ihm beliebt. Und er darf gern auch überzeugt davon sein, dass er damit seine Liebe gegenüber den Menschen zum Ausdruck bringt. Doch wenn man hierbei von einer friedfertigen Erziehungsmethode spricht, dann hat man irgendwie den Sinn für die Realität verloren.