Assoziation zwischen Religiosität und Altruismus bei Kindern

Der Neurowissenschaftler Jean Decety von der University of Chicago hat vor wenigen Tagen im Fachjournal Current Biology eine Studie zum Altruismus bei Kindern veröffentlicht, der zufolge religiös erzogene Kinder deutlich altruistischer sind als solche, die nicht religiös erzogen wurden.

Er schloss dies aus den Ergebnissen der folgenden drei Experimente:

  • Die Kinder sollten aus 30 Stickern die 10 aussuchen, die ihnen am besten gefallen. Diese durften sie behalten, wurden jedoch gefragt, ob sie nicht ein paar ihrer Sticker abgeben möchten für Mitschüler, die an diesem Test nicht teilnehmen konnten.
  • Die Kinder schauten sich kurze Filmchen an, wo Kinder angerempelt wurden, und sollten beurteilen wie schlimm das ist.
  • Die Kinder sollten das böse Verhalten in den Filmchen bestrafen.

Durchs Band verhielten sich die religiösen Kinder altruistischer: Sie gaben mehr Sticker ab, verziehen das rüpelhafte Verhalten und waren milder bei der Strafe. Das deutet klar darauf hin, dass Religionen die Wichtigkeit von Wohltätigkeit, Vergebung und Nächstenliebe tatsächlich zu vermitteln schaffen und die Gläubigen diese Ideale auch in der realen Welt umsetzen. Das wird wohl keinen Christen überraschen.

Es gab dabei nur ein Problem. Es verhilt sich gerade andersrum. Die religiös erzogenen Kinder waren in jedem einzelnen Versuch signifikant weniger altruistisch als die Kinder, die keine religiöse Erziehung genossen haben. Und die Moral vor der Geschichte ist eher die, dass Religion den Altruismus verhindert, während sie den betroffenen Personen das gegenteilige Gefühl vermittelt.

Im Rahmen der Studie wurden auch die Eltern befragt und eine der Fragen war, wie sie den Altruismus ihrer Kinder im Vergleich zu anderen Kindern einschätzen würden. Die religiösen Eltern waren überzeugt davon, dass ihre Kinder überdurchschnittlich altruistisch seien.

Wie ist es möglich, dass Leute, die so viel Wert auf Nächstenliebe legen, diese nachweislich weniger praktizieren, aber überzeugt davon sind, es mehr als die anderen zu tun1?

Plädoyer vom Advocatus Diaboli

Bei der Beurteilung des problematischen Verhaltens auf den kurzen Filmchen waren die religiösen Kinder also strenger. Okay. Die eigentliche Frage ist aber, warum sie das waren? Vielleicht waren die Kinder ohne religiöse Erziehung einfach nur deshalb weniger streng, weil sie sich der Schwere der Verfehlung nicht bewusst sind? Die christlichen Kinder wissen dagegen sehr genau, was richtig und falsch ist. Und um beurteilen zu können wer altruistischer ist, müsste man doch erst wissen, von welcher Position man ausgeht. Wenn man einen Mord für harmlos hält, dann gibts am Schubsen nichts zu verzeihen und demzufolge kommt hier auch nicht Altruismus zum Zug.
Und wenn man etwas weniger strenger beurteilt, dann wird man sich auch nicht gezwungen fühlen es überhaupt zu bestrafen. Beurteilung und Strafe sind gekoppelt. Deshalb kann das nicht als unabhängige Bestätigung interpretiert werden.

Und dass man weniger Sticker abgibt, muss nicht notwenigerweise am Egoismus liegen. Vielleicht sind sich die religiösen Kinder auch einfach darüber im klaren, dass anderen Kindern grundlos etwas zu schenken ein falscher Anreiz wäre? Wie sollen sie dann lernen, dass jeder seines Glückes eigener Schmid ist? Nächstenliebe ist jemandem wirklich zu helfen, ihn mit Stickern zu verhätscheln erweist ihm dagegen keinen Dienst. Klar, der andere wäre glücklich, doch solches Glück währt nur kurz. Deshalb zeugt es von wahrer Selbstlosigkeit, wenn man sich das schöne Gefühl, Freude in den Augen seines Gegenübers zu sehen, verkneift und ihm statt dessen eine Lektion fürs Leben erweist, für die er einem in der Zukunft dankbar sein wird.

Einwand vom Advocatus Diaboli Diabolici

Es gibt da diesen lustigen psychologischen Effekt, den jeder Supermarkt kennt: Wenn man Gemüse in sein Einkaufskörbchen gelegt hat, hat man seine Schuldigkeit in Punkto gesunde Ernährung getan und kann ohne schlechtes Gewissen noch eine Schokolade kaufen. Das gleiche gilt für gute Taten: Wenn man am Morgen für die Armen der Welt gebetet hat, braucht man ihnen am Nachmittag nicht auch zu helfen.
Und da die nicht religiösen Kinder am morgen nicht beteten, haben sie ihr moralisches Soll für den Tag noch nicht erfüllt und versuchen es mit dem Verschenken von Stickern zu kompensieren.

Und was die Kopplung von Beurteilung und Strafe betrifft: Wenn die nicht religiös erzogenen Kinder, wie der Advokatus Diaboli nahelegt, keinen moralischen Kompass besitzen, im Bezug auf den sie überhaupt erst altruistisch handeln können, dann sollte ihre Gleichgültigkeit (resp. ihre Freude) der Grausamkeit gegenüber sie eigentlich nicht daran hindern jede beliebige Strenge von Strafe zu verhängen – was jedoch nicht der Fall war.

Wie dem auch sei…

Das Ergebnis der Studie lautet: Der Nachwuchs christlicher und muslimischer Familien teilte seltener mit Altersgenossen, wollte aber unsoziales Handeln anderer härter bestrafen.

Vielleicht ist der Altruismus aber auch gar kein christliches Ideal? Vielleicht wird er nur irrtümlich mit der Nächstenliebe gleichgesetzt?
Wenn Gott die Todesstrafe fordert, dann gebietet der Altruismus Kuscheljustiz. Doch das ist für einen Christen nicht wirklich eine Option, denn der Wille Gottes ist überaus deutlich. Die Nächstenliebe verlangt den Verurteilten zu lieben wie sich selbst (und wenn er verletzt ist, ihn zu heilen), davon ihn deshalb nicht zum Schafott zu führen, kann jedoch keine Rede sein.  Denn nur so respektiert man die Person wirklich – und genau das macht Liebe schliesslich aus – man respektiert seine Entscheidung dem verbrecherischen Pfad zu folgen und entsprechend auch dessen Konsequenzen zu tragen.

Ironie des Schicksals

This research was supported by a grant from the John Templeton Foundation (Science of Philanthropy Initiative).

Wenn das mal nicht ein Schuss nach hinten war…

Disclaimer

Aber natürlich waren das gar nicht „echte“ Christenkinder…