Jesus im anderen Hosenbein der Zeit

Ob die Geschichte des Abendlandes blutiger verlaufen wäre, wenn Jesus uns nicht geboten hätte dem Ohrfeiger die andere Backe hin zu halten, sondern ihm stattdessen den Kopf ab zu schlagen?
Ian Hazelwood, Philosoph

Nop
Milton Flannan, Experimental-Zeitreisender

Was wenn sich Jesus durch ein Wurmloch beim Masturbieren beobachten liesse? Welchen Einfluss hätte das auf die christliche Einschätzung der Selbstbefriedigung?
Oder wenn man ihn mit Judas vögeln gesehen hätte? Wäre Homosexualität dann okay?

Ich bin mir ziemlich sicher, man hätte schnell Bibelverse zur Hand, welche genau das schon seit jeher gemeint haben – bloss dass die Heilige Schrift bedauerlicherweise all die Jahre nicht gut genug gelesen wurde.
Das liesse sich sogar testen: Man nehme einen Theologen, setze ihn ein bisschen unter Drogen, präsentiere ihm gefälschte Evidenzen für die gelebte Homosexualität von Jesus sowie eine Bestätigung vom Papst höchstselbst, dass dies inzwischen allseits akzeptiert sei, und dann gibt man dem Theologen den Auftrag, er möge doch bitte einschlägige Bibel-Zitate suchen, die das erwähnen und gutheissen.

Kann Jesus überhaupt etwas moralisch verwerfliches anstellen? Ich meine natürlich nicht, dass er irgendwie mental programmiert ist, dass er beispielsweise Schweinefleisch nicht sehen kann, oder dass er aus einem Material besteht, durch welches Schweinefleisch einfach durchfällt. Das wäre zwar auch eine Möglichkeit, aber ich meine, dass Schweinefleisch, wenn er es isst, augenblicklich aufhört per se unrein zu sein. Wodurch er quasi der König Midas der Moral ist.

Die Verfluchung des Feigenbaums wäre ein anderes Beispiel. Bloss weil man hungrig ist und ein Feigenbaum aussererhalb der Erntezeit keine Früchte trägt, ist kein guter Grund diesen verdorren zu lassen. Und doch hat es Jesus getan. Und ich habe von niemandem gehört, der je Schwierigkeiten bekommen hätte, weil er einen Feigenbaum verflucht hat.

Im Beispiel, das ich mir etwas genauer ansehen will, geht es darum, dass man Jesus für seine Unnachgiebigkeit bewundert, es aber meines Erachtens genauso für dein Nachgeben hätte tun können.

Die Versuchung Jesu

Da gibt es doch diese Episode, wo Jesus für 40 Tage in die Wüste geht und dort vom Satan versucht wird. (Davon, dass niemand dabei war, der hätte bestätigen können, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat und dass es da nicht noch ein paar weitere Versuchungen gab, denen Jesus nicht widerstand, soll hier nicht die Rede sein.)

Satan empfahl dem hungrigen Jesus, seine göttliche Macht zu nutzen und Steine zu Brot zu machen und damit seinen Hunger zu stillen (Davon, ob es auch dann eine Versuchung ist, wenn Jesus zu so etwas gar nicht in der Lage ist1, soll uns hier auch nicht interessieren.). Jesus tat es nicht2. Was aber wäre gewesen, wenn er getan hätte? Man hätte gejauchzt: Halleluja, ein Wunder! Und auf den Einwand, er habe dem Feind zugehört und eigennützig gehandelt, hätte man gekontert: Es ist gut, mit dem Feind zu reden. Das ist Nächstenliebe… Hat sich eigentlich schon mal jemand überlegt, ob die „Versuchung“ nicht vielleicht ein Angebot Satans war, sich mal zusammen an einen Tisch zu setzen und bei einem Schluck Wein (wenn schon dann schon!) zu überlegen, ob sich nicht irgendwo einen Kompromiss finden liesse, mit dem alle Seiten leben können, welches Jesus aber schnöde ausschlug?

Dann fragte Satan Jesus, wie sie so oben auf dem Tempel stehen, ob er als Sohn Gottes sich nicht von Engeln runter bringen lassen könne? (Wer noch nie nach einer durchzechten Nacht an einem völlig verrückten Ort aufgewacht ist, werfe den ersten Stein!) Jesus will  nicht3. Was aber wäre gewesen, wenn er es getan hätte? Auch hier hätte man gejauchzt: Halleluja, ein Wunder! Wie in der Schrift prophezeit, befielt er seinen Engeln, ihn auf ihren Händen zu tragen, damit sein Fuß nicht an einen Stein stößt.

Und zuletzt schlägt Jesus auf einem sehr hohen Berg4, das Angebot aus die Weltherrschaft anzutreten. Was aber wäre geschehen, wenn er sie übernommen hätte? Im alten Testament wird prophezeit, dass er Herrscher über die Welt werden würde. Und die Christen sind ohnehin überzeugt, dass er es ist. Von daher hätte es keinen Unterschied gemacht.
Wenn da nicht die Sache mit dem Niederwerfen gewesen wäre. Was wäre gewesen, wenn er sich niedergeworfen hätte? Halleluja, er zeigt Bescheidenheit und Demut. Ein König kniet nieder bei deiner Krönung.
Und das mit dem Anbeten? Hm… Es wäre ein unbequemer Kompromiss, welcher symbolisiert, dass ein König sich auch manchmal die Hände schmutzig machen muss um gutes zu tun. Doch indem er es offen tut, steht er dafür gerade. Nicht so geheime Vereinbarungen hinter verschlossenen Türen. Es ist kein Zuckerschlecken ein König zu sein. Und überhaupt, was wäre die Alternative? Soll der Gute Mann wegen einer Formalität die Herrschaft einem Strümper überlassen und damit die Welt vor die Hunde gehen lassen?

Wir sehen also: Alles wird gut, wenn Jesus es tut.

Quantitätstheorie der Unmoral

Wenn Masturbation auf einmal nicht mehr übel ist, welche theologischen Konsequenzen hätte das? Kommt einem Religion mit einer stetig schrumpfenden Zahl an Sünden zurecht? Oder ist da mehr dran?
Ich habe da eine Theorie: die Quantitätstheorie der religiösen Unmoral. Dieser zufolge braucht eine Religion immer eine kritische Masse an unmoralischen Handlungen, welche sicherstellt, dass man sich nie ganz sicher sein kann, wie es um das eigene Seelenheil bestellt ist. Religionen sind Schlepperbanden, welche die Schäfchen retten. Und das Geschäft funktioniert umso besser, je weniger man weiss, wo die Grenzen liegen5. Deshalb poppt für jedes rehabilitierte Gräuel irgendwo ein neues auf.
Es ist natürlich nicht so, dass der Papst über den Stand der Sünden Buch führt und systematisch neue einführt. Das geschieht ganz von alleine, wenn das Dogma „Wir alle sind Sünder“ ist. Wenn man Sünder sein will und einem die Sünden ausgehen, gewichtet man die übrigen neu oder schämt sich (und andere) eben für was anderes.

Andersrum

Sich verführen zu lassen ist doof und kann einen schnell mal das ewige Leben kosten6. Man kann sich allerdings auch von der anderen Seite verführen lassen (siehe Bild links) und damit gewinnt man das ewige Leben7. Verführung ist also nur dann verdammenswürdig, wenn Jesus im anderen Hosenbein der Zeit8 steckt.

Bei den Versuchungen oben verkniff sich Jesus Wunder.
Bei anderen Gelegenheiten vollbrachte er sie durchaus. Obgleich auch dort galt, dass man nicht vom „Brot“ allein lebt („Brot“ kann hier für alles stehen, was sich mit einem Wunder in Ordnung bringen lässt) und dass man Gott nicht auf die Probe stellt (ein Wunder ist nichts anderes). Hätte er sich die vollbrachten Wunder nicht konsequenterweise auch verkneifen müssen? (Die Sache sähe natürlich ganz anders aus, wenn er die Versuchungen deshalb ausgeschlagen hätte, weil er keine Wunder für sich selbst vollbring will. Doch genau das wird nicht angeführt… Sollte einen das nicht stutzig machen?)

Aber eben, es ist egal, in welchem Hosenbein der Zeit Jesus steckt, es ist immer das richtige.

Wenn ich etwas für ethisch richtig halte und das Gegenteil davon tue, dann ist das böse.
Wenn Jesus etwas für moralisch richtig hält und das Gegenteil davon tut, dann ist das immer noch gut. Weil er es tut9.
Die Konsequenzen können aber verschieden sein. Auf der einen Seite könnte der Himmel auf Erden stehen und auf der anderen Nordkorea. Beides unausweichliche Folge der Vorbildfunktion seiner Taten. Und doch ist Jesus lieb und alles was er macht, moralisch spiegelniegel.

Stoppt ALLE Kriege !!

 

ALLE Kriege stoppen??
Geht das überhaupt?

Aufhören die Anderen umzubringen. Das ist machbar. Sogar ziemlich schnell. Einfach die Waffen nicht mehr benutzen. Und diese – nur für alle Fälle – in die (dafür vorgesehenen Recycling-)Tonnen werfen. Dafür braucht es keine 365 Tage.
Aufhören die Anderen umbringen zu wollen. Das ist der schwierige Teil.

Selbst wenn wir das Problem, dass womöglich zu viel geschehen ist, um dem Anderen einfach so verzeihen zu können, beiseite lassen, so bleibt doch die Meinungsverschiedenheit bestehen, welche – weil sie nicht auf eine für alle Seiten akzeptable Weise aufgelöst werden konnte – überhaupt erst zum Krieg geführt hat. Die Meinungsverschiedenheit kann darüber bestehen, wem ein gewisser Landstrich gehört, wieviel ein verzweifelt benötigtes Produkt kosten darf, welchen Gott man anbeten soll oder ob man eine unbeliebte Bevölkerungsgruppe einfach eliminieren kann.
Ich will nicht bestreiten, dass man sich in viel zu vielen Fällen nicht genug Mühe gegeben hat, einen Kompromiss zu finden. Manchmal gibt es allerdings auch keinen Raum für Kompromisse. Wenn ein Land alle Juden vernichten will, dann ist auch selbst nur die Hälfte nicht akzeptabel.

Oder vielleicht doch?
Die Organisation, in welcher der Freund, der am 1. Januar auf Facebook den Aufruf alle Kriege zu stoppen gepostet hat, als Funktionär tätig ist, hält beispielsweise den an den Amalekitern verübten Genozid für okay. Und diese Organisation wird gemeinhin als Hüter der Moral des Abendlandes betrachtet! Was dann wohl heisst, dass wenn es darum geht eine verfahrene Meinungsverschiedenheit beizulegen, der moralisch akzeptable Handlungsspielraum erstaunlich gross sein kann…

Wenn wir also den Krieg mit dem IS beenden wollen, welche Kompromisse sind wir bereit dafür einzugehen?
Opfern wir die Frauen- und die Schwulenrechte?
Kein Problem. Die sind dem Hütern der Moral eh schon lange ein Dorn im Auge.
Übernehmen wir Sharia und den Wahabismus?
Sharia okay, schliesslich umfasst sie mehr oder weniger die gleichen Regeln, wie sie auch im Handbuch jener Organisation zu finden sind. Aber zum Islam konvertieren? Ausgeschlossen! Nicht mal wenn sich damit ein Blutbad verhindern liesse! Oder vielleicht sogar eben gerade deshalb nicht, weil es ein Blutbad verhindern würde? Nichts unterstreicht schliesslich Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit besser der geschundene, blutige Körper eines Märtyrers.

Von daher bin ich mir – ehrlich gesagt –  nicht ganz sicher, wie ernst das mit dem Frieden gemeint ist. Getötete Missionare heilig zu sprechen, erscheint mir nicht gerade förderlich für den bitter nötigen Dialog, wenn diese von der anderen Seite als Provokateure betrachtet werden.

Nun ja, vielleicht sollten wir uns lieber nicht an Religionen orientieren, wenn wir Kriege beenden wollen. Schliesslich verdankt sich ihr kompromissloses Einstehen für den Frieden weniger ihrer Menschenliebe, als viel mehr dem Umstand, dass man es ihnen seit der Aufklärung einfach nicht nicht mehr erlaubt, offen zur Gewalt aufzurufen…

 

ALLE Kriege stoppen??
Klar! Aber zu welchem Preis?

Es gibt bekanntlich Dinge, die man nicht tolerieren darf.
Darin sind sich alle einig. Nicht ganz so einig sind sich alle jedoch darin, welche Sachen das konkret sind, die nicht toleriert werden dürfen. Das unterscheidet sich von „Kultur“ zu „Kultur“. Was dem einen bis zum äussersten schützenswert erscheint, mag für den anderen bis zum äussersten nicht tolerierbar sein.
Und da gibt es schnell mal keinen Spielraum für Kompromisse.

Allerdings – quasi als Silberstreifen am Horizont – neigen die Menschen im grossen und ganzen zum Prinzip „Leben und Leben Lassen“. Wenn man sie nicht zum Gegenteil anstachelt (sei es aus wirtschaftlichen, folkloristischen oder religiösen Gründen), ist es ihnen eigentlich ziemlich egal, was die Anderen treiben.
Die Anderen sind übrigens alle, die nicht zur Familie gehören. Und das ist im übertragenen Sinn die dunkle Wolke vor dem Silberstreifen am Horizont, denn die Anderen können das eine oder andere moralisch nicht so gefestigte Familienmitglied auf doofe Gedanken bringen. Und in einem solchen Fall muss man aktiv werden. Dass Fremde den Weg zur Hölle beschreiten, ist zwar bedauerlich, aber sie sind frei, es zu tun. Wenn aber einem Schutzbefohlenen eine solche Gefahr droht, sieht die Sache gaaanz anders aus…

Um alle Kriege zu stoppen, muss man alle auf die gleiche Seite kriegen. Man muss dazu nicht in jedem Punkt einer Meinung sein, aber die Spielräume für Kompromisse der Meinungen müssen eine Schnittfläche haben.
Ich mag mich irren, aber mir scheint es plausibel, dass dafür Meinungen prädestiniert sind, die einen grossen Spielraum für Kompromisse haben. Und auch wenn Religionen selbst den Genozid an von Gott gehassten Völkern zu akzeptieren bereit sind, denke ich, dass sie grundsätzlich zu eher engen Spielräumen neigen…

 

ALLE Kriege stoppen??
Indem wir diesen Auftrag nicht nur liken, sondern teilen! ♥♥♥

Ich nehme an, weil einen Facebook-Posts zu teilen wesentlich schneller den Frieden herbeiführt als wenn man ihm bloss likt. Wohl weil Teilen eine christliche Tugend ist?
Ich frage mich, über welchen Mechanismus das funktionieren soll?
Wenn der Post ein simples Rezept für ein waffenzersetzendes Gas enthalten würde, könnte ich es mir vorstellen.
Oder wenn das Bild mittels neurolinguistischer Programmierung die Aggressivität beim Betrachter nachhaltig senken könnte.
Aber einfach durch das Teilen eines Mems, dem wir eh alle eigentlich grundsätzlich zustimmen? Wohlgemerkt, das Mem enthält nicht den geringsten Anhaltspunkt darüber, wie man das konkret bewerkstelligen soll. Auf die übliche Weise, also dass man den Krieg ein für alle Mal zu beenden gedenkt, indem man ihn gewinnt, funktioniert es ja offensichtlich nicht so gut.

Also durchs Teilen/Liken! Was sowas wie Beten ist: Man unterstreicht dadurch seinen dringenden Wunsch und hat das Gefühl etwas Gutes getan zu haben ohne dabei selbst aktiv werden zu müssen.
Allerdings… Teilen/Liken wird im Gegensatz zum Beten nachweislich erhört!
Nicht von den Kriegstreibern (zu denen wir mit unseren wirtschaftlichen Interessen eigentlich auch selbst gehören.) Auch nicht von Gott. Aber durchaus von den Algorithmen… Und die antworten sogar. (Noch) nicht indem sie den gewünschten Frieden herstellen, dafür aber indem sie uns mehr von solchem Zeug und dazu passender Werbungen zeigen…

 

Aber okay, stoppen wir ALLE Kriege!!
Wir haben 365 Tage Zeit dafür.
Wieso nicht 234 Tage?
Oder 42?

munser und dunser

Eine ziemlich lästige Eigenschaft der deutschen Sprache ist das Problem mit dem inklusiven und dem exklusiven Wir.
Als Angesprochener weiss man nie genau, ob man nun dazugehört oder nicht. Diese doofe sprachliche Eigenart ermöglicht es auch, jemanden nachträglich auszuschliessen ohne dass man sich damit in Widersprüche verwickeln würde. Es zwingt den Angesprochenen in eine lästige, unterwürfige Position.

Kein Wunder macht sich das die Religion zunutze.
„Vater unser im Himmel…“
Wenn ein Priester das vorbetet, rechnet er mich auch dazu? Wenn es um die Kirchensteuer geht, wahrscheinlich schon…
Wen rechnet er aber nicht dazu? Es können ja nicht alle gemeint sein, sonst würde es „Vater aller im Himmel… “ heissen.

Ich plädiere daher für die Ersetzung von „unser“ durch „dwir“, wenn du dazugehörst, und „mwir“, wenn es nur mich betrifft, aber nicht dich. So herrscht Klarheit!
Analog „duns“ und „muns“, respektive „dunser“ und „munser“.

„Vater munser im Himmel…“

Ein ähnliches Problem ergibt sich mit Drittpersonen, welche mal dazu gezählt werden und mal nicht.
Man betrachte die beiden folgenden Sätze: „Wir Christen sind die grösste Religionsgemeinschaft der Welt.“ und „Wir Christen lehnen jede Form von Gewalt ab.“
Die „wir Christen“ in den beiden Sätzen sind offensichtlich nicht die gleichen. Die „wir Christen“, die die Gewalt ablehnen, sind wahrscheinlich nicht mehr die grösste Religionsgemeinschaft.
Ist es zu viel verlangt, dass „wir“ im gleichen Kontext immer die gleiche Zahl von Menschen repräsentiert? Respektive, dass es erkennbar ist, wenn sich die Zahl ändern könnte.

Ich plädiere daher für die Ersetzung von „wir“ durch „wirf„, wenn die Zahl fix ist, und „wirw„, wenn sie variabel ist (w weil das v in variabel als w ausgesprochen wird).
Analog unsf und unsw, respektive unsfer und und unswer.
Das müsste natürlich mit dem inklusiven und exklusiven Wir kombiniert werden.

„Vater munswer im Himmel…“

Dann gibt’s da noch die Priorisierung, welche manchmal innerhalb der Gruppe auf die sich das wir bezieht, gegeben ist (vgl. Alle sind gleich, doch manche sind gleicher.). Das sollte auch berücksichtigt werden.

Ich plädiere daher für die Ersetzung von „wir“ durch „wier“, wenn die Gruppe egalitär strukturiert ist, und „wiar“, wenn sie hierarchisch ist.
Analog unes und unas, respektive uneser und und unaser.
Auch das müsste natürlich mit dem inklusiven und exklusiven und dem fixen und variablen Wir kombiniert werden.

„…und vergib munasw munaswere Schuld, wie auch wir vergeben munasweren Schuldigern…“
(weil es andere wesentlich nötiger als ich, dass ihnen vergeben wird…)

Auf diese Weise hätten es Bigotterie und Heuchelei wesentliche schwerer. Und das ohne die politische Korrektheit bemühen zu müssen.
Zugegeben, es wäre zumindest in der Eingewöhnungsphase wohl etwas kompliziert. Andererseits würde es nicht schlecht tun, wenn die Leute etwas weniger für andere sprechen täten.
Das ist zumindest munesfere Ansicht.

Gezeichnet, die DisOrganizer Redaktion

 

 

Und wenn wir schon daran sind, die Sprache von ihren Macken zu befreien, hier ein weiterer Vorschlag: Lasst uns „jungfräulich“ durch „jungfreudig“ ersetzen. Das ist das gleiche Vergnügen, bloss dass man es durchaus auch mehrmals haben kann. Ist doch viel besser!

Kokos-Schokolade-Würfel oder die Moral für Mehr- und Wenigerheiten

Hier eine Idee: Je nach dem, ob sie eine Minderheit oder eine Mehrheit anspricht, gibt die Moral den Leuten andere Tipps.

Ein harmonisches Zusammenleben ist zwar nett, oberste Priorität hat für die Moral1 aber ihr eigenes Fortbestehen. Warum sonst wären unter den Anleitungen der verschiedenen Religionen, die sich ja als Hüter der Moral2 verstehen, immer auch solche, die mit einem harmonischen Zusammenleben überhaupt nichts zu tun haben? Und dann auch noch an so prominenter Stelle. Das erste Gebot der Bibel zum Beispiel ist keine Anweisung, wie man sich verhalten soll, sondern bloss eine Feststellung3, die keinem anderen Zweck dient, als dass der angeblichen Urheber der Regeln im Gespräch bleibt.

Vielleicht wird es deutlicher anhand eines Beispiel aus einer anderen Domäne, wo man Regeln befolgen sollte:

  1. Es gibt nur Betty Bossi.
  2. 300g Mehl, 250g Zucker, 1 Päckli Vanillezucker, 2EL Kakaopulver, 2TL Backpulver und 1 Prise Satz in einer Schüssel mischen.
  3. 3 Eier, 3dl Milch und 200g flüssige, abgekühlte Butter gut darunterrühren. Teig in die vorbereitete Form füllen.
  4. Backen: ca. 30 Min. in der Mitte des auf 180 Grad vorgeheizten Ofens. Kuchen herausnehmen, etwas abkühlen, mit einem Holzspiesschen mehrmals einstechen.
  5. 200g Puderzucker, 1 Päckli Vanillezucker, 2EL Kakaopulver, 50g flüssige Butter und 4EL Espresso gut verrühren, auf dem warmen Kuchen verteilen. Kokosraspel darüberstreuen, Kuchen in der Form auskühlen, in Würfel schneiden.

 

Wenn man gegen eins der Gebote verstösst, mit welcher Konsequenz muss man dann rechnen? Das Ergebnis wird anders schmecken und/oder aussehen – im Idealfall schlechter/hässlicher, weil andernfalls das Rezept noch verbesserungsfähig gewesen wäre. Das gilt aber nicht für das erste Gebot. Wenn man dieses ignoriert, wird das Ergebnis genau das gleiche bleiben. Was zum Teufel sucht es dann im Pentalog?

Gar nichts! Ausser natürlich wenn die Kokos-Schoko-Würfel gar nicht das eigentliche Ziel ist: Vielleicht sollen diese den Konsumenten nur schmecken (oder sie dick machen), um sie davon abzulenken, dass es einzig und allein darum geht, dass die Betty Bossi AG auch weiterhin prosperiert! Die Kokos-Schoko-Würfel sind ein Trojanisches Pferd!
Ausser natürlich die Betty Bossi AG versucht dem Klientel weiss zu machen, dass mit dem Glauben an die Gültigkeit des ersten Gebots während der Zubereitung irgendeine besondere Qualität hinzukomme. Doch welche könnte das sein? Besserer Geschmack? Denkbar, doch dieser Effekt wird in einer Doppelblind-Verkostung nicht mehr auftreten. Hübscher? Auch denkbar, aber ebenfalls bloss ein Placeboeffekt. Dann halt etwas im Jenseits!
Wenn der Betty Bossi AG also weniger ihr Gewinn am Herzen liegt als viel mehr unser seits-übergreifendes Wohlergehen, dann stellt sich die Frage, ob der Glaube an den Monobettybossismus wirklich das einzige ist, was einen Einfluss aus die besondere Qualität im Jenseits hat. Sollte nämlich beispielsweise eine Prise weniger Kakaopulver ebenfalls jener besonderen Qualität förderlich sein, dann frage ich mich, auf welches Seits sie das Rezept optimieren?

Analog werden dann wohl auch gewisse Regeln, die man befolgen muss um in den Genuss der von den Göttern in Aussicht gestellten jenseitigen Privilegien zu kommen, im Bezug auf ein harmonisches Zusammenleben im Diesseits noch optimierbar sein. Wenn beispielsweise Jesus uns aufträgt, in die Welt hinaus zu gehen und alle Menschen zu taufen4, so ist das von den Gläubigen, die in die Welt hinaus gehen um alle Menschen zu taufen, sicherlich gut gemeint5, doch da manche Leute nicht getauft werden wollen, hat die Regel, die mehr Seelen in den Himmel führt, ein grosses Potential zumindest kurzfristig Zwietracht unter den Menschen zu sähen.
Die Verteidiger der Missionsbefehls werden zweifellos zu argumentieren versuchen, dass abgesehen von der himmlischen Belohnung nach dem Tod, auch im Diesseits längerfristig Vorteile zu erwarten sind, weil in einer homogenen Gruppe weniger Reibereien entstehen, und dass das daraus resultierende harmonische Zusammenleben das bisschen genervt sein mehr als wett macht. Das klingt zwar plausibel, wird durch die Geschichte Europas aber nicht wirklich bestätigt. Denn irgendwie scheinen Religionen die Tendenz zu haben, grossflächig nicht homogen zu bleiben. Es scheint im Gegenteil viel mehr so, als ob eine bunte Durchmischung von sehr verschiedenen Moralvorstellungen auf engem Raum die Leute motiviert tolerant zu sein. Und das kommt einem harmonischen Zusammenleben weit mehr zugute. Wo es dagegen nur eine einzige gesicherte Wahrheit gibt, braucht es keine Toleranz. Da ist Toleranz sogar eine Gefahr für die gesicherte Wahrheit.

Interessanterweise verstärken gesellschaftliche Konflikte den Ruf nach Moral, statt dass sie diese in Frage stellen. Konflikte wie solche, die entstehen, wenn einer einer Minderheit aufgrund der Moralvorstellung der Mehrheit gewisse Rechte vorenthalten werden. Das ist ein klares Versäumnis der Moral, auf die Wünsche von Andersdenkenden einzugehen, selbst wenn diese keine Abstriche am eigenen Lebensstandard zur Folge hätten.
Ich kann ja verstehen, dass man seine eigenen Frauen und Homosexuellem diskriminiert, wenn man zufälligerweise an einen sexistischen und homophoben Gott glaubt. Aber dass man die gleichen Regeln auch für Frauen und Homosexuellen anderer Glaubensrichtungen durchzusetzen versucht, nur weil man mächtig genug dafür ist, halte ich für gefährlich. Wenn schon, dann muss man sie erst (behutsam6) bekehren. Ihnen die eigene Religion zuzugestehen, nicht aber die von dieser gewährten Rechte, halte ich für einen Zug, der aktiv am Stuhlbein des harmonischen Zusammenlebens sägt.

(Das war jetzt komplett aus der Perspektive der Religion argumentiert. Und ich wollte damit zeigen, dass wenn die Moral ein anderes Hauptziel als das harmonische Zusammenleben hat, dass sie das harmonische Zusammenleben gefährdet. Und jede religiöse Moral hat ein anderes Hauptziel!
Demgegenüber konzentrieren sich säkulare Moralvorstellungen allein auf das harmonische Zusammenleben im hier und jetzt. Das ist natürlich kein Garant für Erfolg. Und man kann natürlich nicht ausschliessen, dass sie noch schlimmere Ergebnisse liefern als religiöse. Aber wenigstens können sich deren Vertreter im Angesicht der von ihnen angestellten Katastrophen nicht damit herausreden, dass es den Leuten dafür im Jenseits umso besser gehe und man ihnen eigentlich dafür danken sollte.)

Das Hauptziel der religiösen Moral ist aber auch nicht, möglichst viele Seelen auf die hübsche Seite des Jenseits zu befördern, wie uns das die Betty Bossi AG weiss zu machen versucht. Himmel und Hölle sind genauso wie der Zucker und der Kakao nur ein Lockmittel – wenn auch eins dessen Schädlichkeit sich nicht nachweisen lässt. Worum es geht, ist der Fortbestand. Moral ist die Überlebensstrategie einer Kultur. Sie tut alles dafür, dass sie in genau der gleichen Form fortbesteht. So stur wie möglich, so flexibel wie nötig.

Allerdings braucht es je nach dem, „wo“ sich die Kultur, welche sich  durch die Moral definiert, gerade befindet, andere moralische Regeln. Unter „wo“ verstehe ich hier weniger den den geografischen Standort, obwohl der hier sicherlich auch eine Rolle spielt, sondern den Standort im – ich nenn es mal – globalen sozialen Fluss. Also ob die Kultur eine dominierende ist wie beispielsweise jene der Römer, oder ob es sich um eine unterdrückte Minderheit irgendwo weit Abseits vom Schuss handelt wie jene der Juden.

Das Überleben der Minderheit liegt nicht wirklich in ihrer Hand. Sie ist auf den Goodwill der dominierenden Kultur angewiesen. Da man sich nicht auf das ewige Fortbestehen des Goodwills verlassen kann, liegt es im Interesse der Minderheit zu einer dominierenden Mehrheit zu werden. Das jedoch möglichst auf eine Weise, mit der man sich den Goodwill der Mehrheit nicht verspielt.
Die Mehrheit dagegen muss zu ihrem eigenen Schutz versuchen eine Mehrheit zu bleiben, was bedeutet, dass sie verhindern muss, dass eine Minderheit zu einer Mehrheit wird. Und das möglichst auf eine Weise, die die Motivation der Minderheit möglichst schnell eine Mehrheit zu werden nicht beflügelt.
Oberflächlich betrachtet, sind beide Gruppen also darauf bedacht eine friedliche Koexistenz zu wahren. Eine offene Auseinandersetzung ist nämlich für beide mit unberechenbaren Risiken verbunden. Für die Minderheit, weil sie damit ihre Existenz aufs Spiel setzt und für die Mehrheit, weil sie vielleicht doch nicht so stark ist, wie sie denkt. Oft zeigt sich nämlich erst im Konflikt, ob wirklich alle die, die man auf seiner Seite wähnt, auch wirklich auf der gleichen Seite stehen. Die Mehrheit definiert sich nämlich weniger durch die absolute Zahl, sondern viel mehr durch das, wie sich die Leute zu verhalten scheinen. Was durchaus trügerisch sein kann. So mögen die meisten Menschen in Europa Katholiken sein, doch wenn die katholische Kirche zur Tötung aller Schwulen aufruft, wird sich ihr niemand mehr anschliessen. Insofern ist es besser für sie, den Status quo zu akzeptieren und die Welt glauben zu lassen, man vertrete die Mehrheit.

Die friedliche Koexistenz wird jedoch bei Mehrheit und Minderheit auf sehr unterschiedliche Weise gewahrt. So ist Toleranz den eigenen Leuten gegenüber bei der Mehrheit ein Vorteil, weil Andersdenkende damit nicht ausgeschlossen und in die Arme des Gegners gedrängt werden, während in einer Minderheit abweichende Meinungen nicht toleriert werden können, weil es die eh schon schwache Position noch mehr schwächt.
Bei der Mehrheit ist die Toleranz anderen gegenüber jedoch auch nur insofern okay, wie die Intoleranz die Gegenseite nicht zu einem ernstzunehmenden Gegner macht. Wenn die Mehrheit dermassen überwältigend ist, können auch leichte Abweichler als externe Minderheit betrachtet werden. Eigene Leute aus der Gruppe raus zu werfen ist riskant, kann sie insgesamt aber durchaus stärken.

Deshalb stand die Moral dem Fortbestand ihrer Gruppe auch noch nie im Weg. Dem Fortbestand der Individuen und dem anderer Gruppen durchaus, nicht jedoch der Idee, die die Gruppe zusammen hält. Moral ist der Überlebensinstinkt der Gruppe, wie der Egoismus der Überlebensinstinkt des Individuums ist.