Märtyrer oder die Kunst zu Leiden

„Wahre Christen“ erkennt man angeblich daran, dass sie versuchen, das gleiche wie Jesus zu tun. Damit ist selbstverständlich nicht das übers Wasser laufen gemeint, was ich jeden Sommer immer mal wieder versuche, ohne damit gleich zu einem Christen zu werden. Auch nicht die wundersame Brot- und Fischvermehrung1, was den überfischten Gewässern zwar eine bitter nötige Verschnaufpause gewähren, andererseits aber wohl die Back- und Fischereiindustrie ruinieren würde. Und auch nicht die ganzen anderen Wunder2. Sondern das Nett- und Hilfsbereitsein zueinander und das Keine Angst vor dem Tod haben müssen.
Dass er nicht immer nett war zu den Leuten, im besonderen zu den Kanaanitern (vgl. Matthäus 15,21ff), und dass er den Leuten mit der Hölle eine Heiden Angst vor dem Tod eingejagt hat, ignorieren wir mal. Wir ignorieren auch, dass er keine Ehe führte und auch nicht Geld verdienen musste. Zwei Aspekte, in denen wir dringend ein taugliches Rollenmodell bräuchten: Wie bewältigt man wie Jesus die täglichen ehelichen Probleme? Wie fest beteiligt mann sich wie Jesus am Haushalt? Wie erzieht man wie Jesus seine Kinder? Wie borgt man sich wie Jesus etwas Mehl vom schwulen Nachbarn? Wie arbeitet man wie Jesus in einer Firma, wo der Chef ein Arsch ist3? Wie führt man wie Jesus eine Firma mit begriffsstutzigen Mitarbeitern/Sklaven? Wie soll man sie entlöhnen? Und wie soll man sich zu überrissenen Lohnvorstellungen und sechs Wochen Urlaub stellen? Wie viel Wert soll man auf Nachhaltigkeit legen? Und wenn das Land von den Kanaanitern angegriffen wird, wie soll man sich wie Jesus verhalten? Wie als Soldat, wenn man eingezogen wird? Wie als Offizier? Und wie soll man wie Jesus abstimmen, wenn die Initiative von der SVP kommt? Und was soll man mit Leuten, die das Gesetz übertreten haben, machen, nachdem man ihnen verziehen hat?…
Wenn Jesus und seine Jünger einen Kibbuz oder sowas gegründet und dort Familien und bescheuerte Nachbaren gehabt hätten, dann könnte man sich sein Leben als Vorbild nehmen. Aber so? Jetzt haben wir nur einen umherziehenden „Philosophen“, bei dessen Ideen sich die Leute nicht einig werden, wie sie konkret im täglichen Leben umgesetzt werden sollen.
Und überhaupt, das Problem ist ja nicht, was man tun soll, wenn man arm ist, denn dann ist der Handlungsspielraum eh sehr begrenzt, sondern was man machen soll, wenn man fähig ist, tatsächlich was zu bewegen. Oder im Sinne von Laotse: Jesus verschenkte Fische, aber er lehrte nicht, wie man sie vermehrt.

Aber egal, ein Christ hofft, dass die Welt eine bessere4 wird, wenn jeder ein Leben führt, wie es Jesus in seiner Situation (ohne die wundersamen Fähigkeiten) gelebt hätte.
Persönlich halte ich das für naiv, denn wenn man sich schon an einem hausierenden Philosophen ein Vorbild nehmen will, dann bitte an Sokrates. Aber sei’s drum.

Doch was zum Teufel soll dann dieses ganze Tamtam rund um seinen Tod?
Inwiefern wird die diesseitige Welt besser, wenn mein Vorbild ans Kreuz genagelt wird?
Auch Sokrates liess man über die Klinge springen, weil er allmählich nervig wurde, doch hatte das keinen Einfluss welcher Art auch immer auf die Gültigkeit seiner Argumente. Der Tod des Sokrates zeigt uns lediglich, dass er seine Contenance auch im Angesicht der Todes nicht verlor. Mehr aber auch nicht. Behaupten zu wollen, dass es der Schierlingsbecher gewesen sei, der die Menschen auch noch nach Jahrtausenden sich mit seinen Ideen beschäftigen lässt, ist absurd. Genauso die Vorstellung, wir täten es aus schlechtem Gewissen, resp. um zu verhindern, dass er nicht umsonst gestorben ist. Es war allein die Qualität der Ideen. Genauso wie bei Aristoteles, Platon und Pythagoras, welche auch ohne spektakulären Tod „unsterblich“ wurden.

Jesus ohne Kreuzigung scheint aber nicht ganz zu funktionieren. Die Qualität seiner Ideen war offenbar nicht überzeugend genug5 um allein durch diese in Erinnerung zu bleiben. Irgendwie sieht das ganze so aus, als ob Jesus ein Strassenkünstler gewesen ist, der sein Publikum mit immer unglaublicheren Tricks und verrückteren Ideen unterhalten hat. Und als ihm dann allmählich das Material ausging, holte er zum spektakulären Finale aus, bei welchem er sich kreuzigen liess und dann drei Tage später wieder auferstand um dann wenig später die Bühne (ziemlich unspektakulär) (mit dem Versprechen eines baldigen Comebacks) für immer zu verlassen.

Es entbehrt übrigens nicht einer gewissen Ironie, dass eine der zentralen Ideen von Jesus jene des ewigen Lebens ist und er diese zu verkaufen versucht, indem er sich umbringen lässt. Wäre einfach ewig weiter zu leben nicht irgendwie naheliegender? Und überzeugender? „Nein Jesus ist nicht gestorben, er lebt noch, einfach in einem anderen Leben.“, finde ich jetzt nicht wirklich überzeugend6.

Tatsächlich geht es bei Jesus nicht primär darum, die Welt besser zu machen. Das ist – wenn überhaupt (!) – nur ein netter Nebeneffekt. Es geht vor allem anderen um das ewige Leben. Und dieses hat er angeblich mit seinem Leiden am Kreuz überhaupt erst möglich gemacht. Das Leiden war also der Schlüssel. Und Leiden ist auch weiterhin der Schlüssel:

Ich nenne dir die wahren Schätze des Menschen auf dieser Erde, damit du sie dir nicht entgehen läßt: Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schmerz, Schande, Armut, Einsamkeit, Verrat, Verleumdung, Gefängnis…
Textabschnitt 194 aus Der Weg vom Heiligen Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás, dem Gründer von Opus Dei

Das Problem ist, ich hatte „sie versuchen, das gleiche wie Jesus zu tun“ irrtümlich auf die Taten von Jesus bezogen statt auf sein Leiden!
Wie konnte ich das übersehen? Das Leiden zieht sich schliesslich wie ein roter Faden durch das ganze christliche Denken: von Adam und Eva, die irgendeinen Blödsinn anstellten, für den sie und alle ihre Nachkommen dann zur Strafe Leiden müssen, über Jesus, der die Menschen lehrte auch die andere Wange hin zu halten, wodurch er uns darauf hinwies, dass sich jede Meinungsverschiedenheit auch ohne weitere Gewalt beenden lässt, der dann aber nichtsdestotrotz ans Brett genagelt werden musste um irgendein Karma auszugleichen, bis hin zu den armen Christen, die seelische Höllenqualen durchleiden, wenn sie wissen, dass ihre schwulen Nachbaren nebenan trotz Gottes Abscheu legal Sex miteinander haben.

Das Leiden ist nicht nur eine bedauerliche Konsequenz einer unperfekten Welt, es ist die Bestimmung des Christentums:

Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden.
2. Timotheus 3:12

Werden sie verfolgt, weil Satan in seiner Verschlagenheit alle anderen gegen sie aufstachelt hat?
Oder werden sie verfolgt, weil Jesus aus versehen das Schwert statt des von Jesaja versprochenen Friedens mit zur Party brachte?

Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Matthäus 10:34

Nicht so schnell! Die beiden letzten Zitate zusammengenommen, sind doch ganz eindeutig Slapstick! Das ist doch die klassische Szene, wo jemand auf der eigenen Bananenschale ausrutscht und damit allgemeine Heiterkeit provoziert7.

Jesus versuchte den von Jesaja versprochenen Frieden durch Humor herzustellen! Das Schwert ist ein Gag-Schwert, das den Schwertträger schneidet, während er den Gegner umzubringen versucht! Das ist doch zum Schiessen komisch! Und wie wir alle wissen, eint Menschen nichts so sehr wie gemeinsam zu lachen! Das ist doch einfach genial!
Wir werden es gleich sehen, wenn die Spannung sich im nächsten Vers in einer grandiosen Pointe auflöst:

Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater, und die Tochter mit ihrer Mutter, und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz nimmt und mir nachfolgt, der ist meiner nicht wert.
Matthäus 10:35-388

Ups… Okay, es war vielleicht doch nicht ironisch gemeint…
Escrivás Lob des Leidens entspringt also weniger seinem Masochismus als viel mehr der göttlichen Kartografie, in welcher der richtige Weg stets gepflastert ist mit Leiden.

Wenn wir leiden, ist das also schon mal ein gutes Zeichen dafür, dass wir sicher nicht auf dem Holzweg sind. Damit kann man arbeiten.

Allerdings… Wie wahrscheinlich ist es, dass der Teufel nicht bemerkt, dass ihm viele Seelen allein deshalb durch die Lappen gehen, weil sie stur immer den steinigsten Weg nehmen? Wie lange würde es da wohl dauern, bis er einen noch viel verlockenderen steinigen Weg errichtet, der an Steinigkeit alles bisher gesteinigte weit hinter sich lässt?
Wie wir in „Die Grosse Verführung“ gesehen haben, brauchen wir uns wegen der guten Gründe, die dafür sprechen, dass auch das Leiden eine Form der Verführung sein könnte, keine Sorgen zu machen, weil Gründe ein Teufelswerk sind und ein wahrer Christ sich von solchen niemals überzeugen lassen sollte. Also pfeif aufs „Allerdings…“

Und selbst wenn Leiden doch noch kein Garant für den Himmel sollte, ist das Wohlbefinden schlussfolgernd aus 2. Timotheus 3:12 auf jeden Fall einer für die Hölle.
Deshalb wird der wahre Christ immer aufs Leiden setzen9. Das macht im Angesicht der Erbsünde durchaus auch Sinn, denn Leiden ist eine Form von Sühne ist und und von dieser kann man entsprechend gar nicht genug haben.
Deshalb interpretiert der wahre Christ zur Sicherheit alles, was sich als Angriff interpretieren lässt, grundsätzlich als Angriff.
Deshalb fühlt sich der wahre Christ als Märtyrer, wenn nebenan seine schwulen Nachbarn poppen.
Deshalb fühlt sich der wahre Christ verfolgt, wenn man ob dieser Bigotterie den Kopf schüttelt.
Und deshalb hat die Bibel auch kein Problem mit Vergewaltigung, Sklaverei und Genozid, dafür aber mit dem Verzehr von Hummer. Weil nur beim Hummer kein Mensch leidet. Denn wo niemand leidet, kommt auch niemand in den Himmel.

Deshalb macht es für einen wahren Christen auch keinen Unterschied, ob sein Mitbruder gefoltern oder nur diskriminiert wird. Klar für den Mitbruder fühlt es sich sehr verschieden an, doch da beides Formen von Verfolgung sind, sind beides klare Hinweise darauf, dass er auf dem richtigen Weg ist10. Und wenn der Mitchrist auf dem gleichen Weg, den ich beschreite, gefoltert wird, dann bin auch ich auf dem richtigen Weg und mein Leid müssen die leidigen schwulen Nachbaren sein.

Randnotiz : Open Doors, die alljährlich den Weltverfolgungsindex herausgeben, welcher dokumentiert, dass das Christentum die am meisten verfolgte Religion ist, unterscheidet in der Beurteilung der Situation tatsächlich nicht zwischen Folter und Diskriminierung, wie Markus Rode, der Vorsitzende von Open Doors Deutschland auf Anfrage von kath.net bestätigt: „Die Grenzen zwischen Verfolgung und Diskriminierung sind fließend. Deshalb haben wir den Begriff «Verfolgung» als Oberbegriff gewählt. Es steht uns nicht zu, Christen per Definition vorzuschreiben, ob sie erst dann als verfolgt gelten, wenn sie gefoltert oder ins Gefängnis geworfen werden, oder bereits wenn ihre Kinder von Ausbildungs- und Berufschancen bewusst ausgeschlossen werden. Verfolgung hat viele Facetten, die auch von den Christen vor Ort subjektiv, und somit unterschiedlich stark erlebt werden.
Der Open Doors Logik folgend, die vor allem auf der schiere Zahl beruht und überhaupt nicht auf Verhältnissen, müsste das Christentum mit 1.9 Milliarden nicht verfolgten Anhängern auch die am wenigsten verfolgte Religion der Welt sein und mit den Einschränkungen, welche das Christentum Frauen angedeihen lässt, die am meisten verfolgende Religion. Für einen Vergleich, der überhaupt erst bestimmen könnte, welche Religion am meisten verfolgt wird, müsste man auch die anderen Religionen auswerten, was Open Doors, wie sie selbst einräumen, kaum tut.
Man muss hier allerdings schon auch erwähnen, dass Open Doors den grossen Kirchen etwas zu weit gehen.
Eine morbide Faszination für Märtyrer teilen sie aber alle.

Wieso diese Besessenheit für Märtyrer?
Dass man für seine Überzeugungen bereit ist ein gewisses Mass an Leid zu ertragen, kann ich nachvollziehen. Dass man womöglich auch das Risiko eingeht zu sterben beim Versuch seine Überzeugungen zu verteidigen oder durchzusetzen, kann ich auch noch verstehen. Doch dass man im Tod für die „richtige“ Sache die bewundernswerte Erfüllung der eigenen Bestimmung sieht, übersteigt meine Vorstellungskraft.
Damit will ich nicht abstreiten, dass der Tod des Märtyrers ein mächtiges Symbol darstellen kann, welches seiner11 Überzeugung zum Durchbruch verhilft12. Ich sage nur, dass jeder Tod eine Tragödie ist und es für alle (und insbesondere für den Märtyrer) besser gewesen wäre, wenn er die Sache auf wundersame Weise (ohne damit die Symbolwirkung zu schmälern) heil überstanden hätte.

Für Christen sieht das allerdings anders aus. Wenn nämlich das Martyrium „das erhabenste Zeugnis [ist], das man für die Wahrheit des Glaubens ablegen kann; es ist ein Zeugnis bis zum Tod“13, dann wäre ein wundersames Weiterleben eine Katastrophe, weil der Märtyrer das ewige Leben später wieder verspielen könnte. Und das würde die Frage aufwerfen, ob die Bewohner des Himmels ihren Einzug nicht bloss dem Umstand verdanken, dass sie zufälligerweise im richtigen Moment mit der richten Einstellung abgetreten sind14. Wie nachhaltig wäre dann das, was man für die richtige Einstellung hält?15

Das Leben für seine Überzeugung zu opfern braucht sicherlich Mut, es mag also durchaus ein erhabenes Vertrauenszeugnis sein, das schwierigste und grösste ist es aber nicht.
Wer beweist mehr Vertrauen in eine Brücke? Der, der sie zuerst selbst ausprobiert, oder der, der einen anderen über sie schickt? Jede halbwegs integre Person wird, bevor sie andere Menschen wissentlich in Gefahr bringt, erst mal selbst herauszufinden versuchen, ob die Brücke sicher ist. Es ist schwieriger die Gesundheit jemandes aufs Spiel zu setzen, für den man die Verantwortung trägt, als seine eigene. Denn was riskiere ich, wenn ich mich zum Schutz anderer in Gefahr bringe? Mein Leben. Was riskiere ich, wenn ich das Leben anderer in Gefahr bringe? Deren Leben und meine Seele. Was ist aus Sicht eines Christen das grössere Risiko? (Was nicht heisst, dass sich in einer solchen Dilemma der Atheist anders entscheiden würde als der Christ!)
Wenn man der Sache aber wirklich vertraut, wird man nicht zögern seinen Schützling über die Brücke zu schicken. Das ist der grösste Vertrauensbeweis: wenn einem nicht mal einfällt, dass man den anderen einer Gefahr aussetzt. Auf Gott umgemünzt heisst das: Das grössere Vertrauen in Gott beweisst der, der die diesseitigen Qualen seines Schützlings im Angesicht des jenseitigen Lohnes genau wie der Doktor, der dem Kind eine schmerzhafte Impfung gibt, guten Gewissens ignoriert.

Wohlgemerkt, von aussen ist ein solcher völlig überzeugter Gläubige, der andere lächelnd16 in den Tod schickt, von einem verschlagenen, machthungrigen Psychopathen kaum zu unterscheiden. An den berühmten Früchten lässt es sich nämlich nicht erkennen, wenn diese nicht die Anzahl älterer Damen sind, welchen man über die Strasse geholfen hat, sondern die Anzahl der Menschen, welchen man zielbewusst zum Eintritt in den Himmel verhalf.17 Man darf mich gern einen Zyniker nennen, denn ein herzensguter, gottesfürchtiger Mensch würde sowas angeblich nie tun. Ausser natürlich Abraham. Er war ein herzensguter, gottesfürchtiger Mensch und er zögerte nicht das Messer zu zücken…
Im Angesicht dieses Dilemmas, welches entsteht, weil wir nicht in die Herzen der Menschen sehen, könnte man vielleicht auf die Idee kommen, dass wir zumindest bei den Märtyrer sicher sein können, dass sie mit ihrer Tat ein unerschütterliches Zeugnis für ihren Glauben ablegen. Doch können wir auch hier von aussen nicht unterscheiden, ob den Märtyrer – ich nenne es mal – „die politische Notwenigkeit“ dazu trieb oder ein Verdruss am Leben, den er mit einer edelmütigen Tat zu kaschieren versuchte, um damit seiner Familie die Schmach zu ersparen.

Fakt ist, wenn man das Martyrium als das erhabendste Zeugnis für die Wahrheit des Glaubens zu Ende denkt, dann ist man, wo man bereit ist für etwas zu sterben, auch schnell mal bereit jemand anders dafür sterben zu lassen. Christen widersprechen dem zwar vehement, doch wo auch immer die Kirchen politisch stark genug waren um damit durchzukommen, da geschah genau das.


Meine Einstellung zum Märtyrerkult:
Schokoladeneis mag so köstlich sein, dass man an einem heissen Tag beim Versuch an eins ran zu kommen ein zu grosses Risiko eingeht und stirbt. Wenn aber jemand mich dadurch zu überzeugen versucht, dass Schokoladeneis das einzig wahre ist, indem er sich anzündet, dann hat er einen an der Waffel!

mmm flambiertes schoko-cornet

seinetwillen meinetwegen

[…] und wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden.
Matthäus 10:39

Auf einen Märtyrer trifft das zu.
Auf einen Kreuzritter, der in der Schlacht stirbt, aber auch.
Und eigentlich auch auf den vom Kreuzritter Erschlagenen, weil er durch ein um Jesus willen geschwungenes Schwert starben.

Ob das, was ich einer Sache willen tue, wirklich der Sache förderlich ist, spielt keine Rolle, solange ich überzeugt davon bin, dass sie es doch ist. Es geht allein um die Motivation und die kann durchaus auch auf einem Irrtum beruhen.
Ich kann Schokolade essen um anzunehmen. Ergo kann ich der Schlankheit willen Schokolade essen – zumindest so lange ich keine Zweifel an der Seriosität der zugrunde liegenden Studie hege. Sobald ich Grund habe an ihr zu zweifeln, beispielsweise weil ich einen Artikel lese, der auf die Mängel der Studie hinweist, esse ich die Schokolade nicht mehr Wirklich der Schlankheit willen, sondern eher meiner Lust willen.

Die Frage ist also jeweils, wie nahe es liegt, dass eine bestimmte Handlung im Sinne von Jesus stattfindet.
Ich kann seinetwillen einem Verletzten helfen, weil ich denke, dass er mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter genau da von uns erwartet.
Ich kann seinetwillen eine Kirche bauen, weil ich glaube, dass Jesus das freuen wird. Dass es Stellen in der Bibel gibt, die etwas anderes nahelegen könnten, kann man im Angesicht der vielen Kirchen, die überall rumstehen, glatt übersehen.
Ich kann seinetwillen einen Schwuler töten, weil ich weiss, was er von Homosexualität hält und dass er an den alttestamentarischen Gesetzen erst mal nichts zu ändern beabsichtigte.

Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob ich seinetwillen in die Welt ziehen kann um die Heiden zu bekehren.
Da gibts natürlich den Missionsbefehl in Mt 28:16-20 und von daher wird er sich sicher über meinen Versuch freuen. Selbst dann, wenn ich keinen Erfolg haben sollte.
Im Endeffekt geht es dabei aber um die Rettung der verlorenen Seelen. Natürlich freut sich Jesus über jede gerettete Seele. Jedoch nicht um seiner selbst willen, beispielsweise weil er damit ein populärer Gott geworden ist, sondern vor allem um der geretteten Seele willen.
Und etwas um etwas anderes Willen zu tun, ist doch eigentlich es gleich um des anderes Willen zu tun1.

Wie dem auch sei, etwas seinetwegen zu tun ist toll. Das ewige Leben bringt es aber nur dem, der dabei drauf geht.
Und wie es klingt, tut es das garantiert.
(Könnte man auch sagen, die Motivation heiligt die Mittel und rettet die Opfer?)

Man muss bloss wirklich felsenfest überzeugt davon sein.
Und in den Zustand der absoluten Gewissheit verfällt man bekanntlich viel zu leicht2.
Doch Vorsicht! Egoistische Motive haben hier absolut keinen Platz, denn die machen aus einem seinetwillen sofort ein meinetwillen!

Und das wirft eine heikle Frage auf: Wenn der Märtyrer aufgrund des oben Zitates darum weiss, dass ihm ein Märtyrertod die himmlischen Pforten öffnen wird, und ihm das Trost und Linderung in seinen Qualen schenkt, tut er es dann wirklich noch um Jesus willen oder doch vielleicht bloss um seiner selbst willen?
Auch beim in der Schlacht gefallenen Kreuzritter kommt dieser Verdacht auf, schliesslich nahm ihm dieses Wissen die Angst vor dem Tod, was in einer Schlacht durchaus ein Vorteil sein kann, aber wenigstens plante er nicht zu sterben, respektive schlug nicht die Möglichkeit aus nicht zu sterben, wie es Märtyrer in der Regel tun.
Die besten Karten haben hier aber zweifellos die von den Kreuzrittern Erschlagenen. Die starben um Jesus willen, wussten aber nichts von ihrem Glück, insofern sind egoistische Motive ausgeschlossen.
Die von den Kreuzrittern Erschlagenen haben aber noch ein weiteres Ass im Ärmel: Sie starben auch um Allahs willen! Sie zogen schliesslich in die Schlacht, weil sie dachten, Allah wolle es so. Und auch Allah belohnt seine Streiter, die auf dem Schlachtfeld fallen. Also kriegen die von den Kreuzrittern Erschlagenen zusätzlich zum christlichen Paradies auch noch ihre 72 Jungfrauen!

 

 

Catch 44: Wenn jemand einen anderen Menschen tötet und behauptet es im Auftrag Gottes getan zu haben, dann verschafft er dem Getöteten den Freipass in den Himmel. Was aber, wenn das gelogen war? Macht das einen Unterschied für den Getöteten? Und wer erklärt es ihm dann vor dem jüngsten Gericht?

Pontifex-Dialoge: Mut Christ zu sein

Seit mir der Papst für ein Twitter-Follow einen Ablass vom Fegefeuer offeriert hat, führe ich von Zeit zu Zeit kleinere Dialoge mit dem Pontifex. Dies ist ein weiterer davon:

21. Februar 2014

Papst Franziskus @Pontifex_de
Die Firmung ist wichtig für einen Christen; sie gibt uns die Kraft, den Glauben zu verteidigen und das Evangelium mutig zu verbreiten.

Von der Firmung kann man halten, was man will, interessant finde ich eher den Aspekt, dass sie einem Kraft und Mut verleiht.

Eda Gregr @meskinaw @Pontifex_de Ist es denn nötig, den Glauben zu verteidigen und das Evangelium mutig zu verbreiten? Klingt ziemlich aggressiv.

Wenn sich einer über meinen Glauben lustig macht und ihn für absurd erklärt. Wieso sollte ich dann meinen Glauben verteidigen? Gegen meinen Willen kann er mir ja nicht weggenommen werden.
Ich kann mein Hab und Gut gegen Diebe verteidigen und ich kann mich gegen falsche Beschuldigungen verteidigen. Im einen Fall indem ich nachweisen kann, dass es meins ist, was in Kombination mit dem Umstand, dass etwas nicht von zwei Leuten gleichzeitig besessen werden kann, bedeutet, dass es nicht dem Dieb gehört. Und im anderen Fall indem ich nachweisen kann, wie es wirklich war, was wiederum in Kombination mit dem Umstand, dass sich etwas nicht auf zwei verschiedene Arten gleichzeitig ereignen kann, bedeutet, dass es nicht wie beschuldigt war.
Doch ich kann mich nicht dagegen verteidigen, dass jemand meine Ansichten für bescheuert hält. Ich kann zwar nachweisen, dass das alles Sinn ergibt und man zwangsläufig dumm sein muss, wenn man das nicht erkennt, doch ich kann den anderen nicht zwingen nicht dumm zu sein.
(Blöd wird es lediglich, wenn man den Nachweis, das alles Sinn ergibt, nicht zu liefern schafft.)

Es braucht zweifellos Mut, wenn man nach Afghanistan reist um dort das Evangelium zu verbreiten. Die Frage ist hier jedoch eher, ob es auch richtig ist, das zu tun? Es braucht auch Mut um über die Autobahn zu rennen. Doch daraus folgt nicht, dass es auch gemacht werden sollte.
Wenn etwas Mut verlangt, impliziert das immer, dass man gegen Widerstand ankämpfen muss. Sprich, dass man etwas tut, das den anderen irgendwie nicht genehm ist. Und das klingt nicht wirklich nach der liebenswürdigen Form des Missionierens, wo dies nur auf ausdrückliche Einladung seines Gegenübers geschieht.

Eda Gregr @meskinaw @Pontifex_de Wenn man das liesst, könnte man fast meinen das Christentum werde unterdrückt, während es doch eigentlich eher umgekehrt ist.

Dass es die Leute hier inzwischen schwer haben mit der Bibel hausieren zu gehen und Fremde zu bekehren, mag schon stimmen. Dass sie es aber schwerer haben als Leute, die das gleiche mit anderen Religionen oder gar mit gar keiner Religion zu tun versuchen, stimmt hingegen nicht. Man denke nur an die blauen Plakate der Agentur C, die überall hängen und von der Liebe Gottes verkünden, und die Unmöglichkeit atheistische Plakate in der gleichen Weise aufzuhängen.

Egal um was es geht, wenn die Kirchen das Gefühl haben, sie hätten was beizusteuern, dann wird ihnen Gehör geschenkt. Einzig und allein aus Tradition. Andere Interessengruppen werden längst nicht mit dem gleichen Wohlwollen behandelt.

Eberhard Weigel @ merlin_112 @meskinaw einfach die Retweets gegen den Papst lesen und erkennen DASS er massiv angefeindet wird und es mutig ist den Glauben zu bekennen.

Jetzt wirds interessanter. Eberhard Weigel, ein Pfarrer bei der Diözese Augsburg, der hie und da auf Twitter die Klinge mit mir kreuzt, stellt sich schützend vor den Papst.
Dass der Papst massiv angefeindet wird, stimmt wohl. Doch das gilt auch für Obama, Putin, Merkel und so gut wie jeden anderen Staatsmann und Promi. Die Frage ist aber, wenn eine öffentliche Person ihre Reden schwingt, braucht das wirklich Mut? (Mal von jenem abgesehen, trotz Lampenfieber auf die Bühne zu treten.)

Eda Gregr @meskinaw @merlin_112 Ameisen, die sich gegen den Löwen auflehnen. Welche Gefahr geht von ein paar Twitterern aus? Das ist kein Mut, das ist sein Job.

Eda Gregr @meskinaw @merlin_112 Und dann gibt es da noch die Blasphemiegesetze, auf die er immer noch zurückgreifen könnte ; ) Ne, der Pontifex ist nicht schwach.

Das ist das Schmankerl an der ganzen Sache. Man suhlt sich darin angefeindet zu werden und sammelt damit Sympatiepunkte, hat aber für den Fall der Fälle noch ein Ass im Ärmel. Man denke nur an die einstweilige Verfügung gegen das Satiremagazin Titanic wegen des Benedikt-Covers im Juli 2012.

Wie mutig muss ein Löwe sein, wenn sich ein paar Ameisen gegen ihn auflehnen?


Was hat man zu verlieren, wenn man sich für die Religion ausspricht?
Früher drohten die Löwen. Heute wird Religion als Privatsache betrachtet, die auch privat bleiben soll.
Man will davon an welchen Gott jemand glaubt genauso wenig wissen, wie, an welchen Hämorriden er leidet. Und entsprechen pikiert reagiert man, wenn man es dennoch erklärt bekommt.

Ist es wirklich mutig allen von seinen Arschbeschwerden zu erzählen oder ist es einfach nur unangebracht?

Ein Experiment von biblischem Ausmass

Lass uns was probieren. Tu mir ein Leid an. Muss nichts schlimmes sein, mach beispielsweise einfach ne Falschaussage über mich. Da dies gegen eins der 10. Gebot verstösst, sollte man schon davon ausgehen können, dass du mir damit Leid zufügst. Wenn du Angst hast, dass Gott dir das übel nimmt, dann können wir den Versuch gern auch umgekehrt inszenieren: „Ich schwöre vor gesammten Internetgemeinde, dass du sieben Zehen am linken Fuss hast.“
So, und jetzt vergib mir. Getan? Okay! Und war das so schwer? Nicht wirklich, oder? Und entgegen allen Erwartungen musste noch nicht mal jemand Blut vergiessen. Weder du, noch ich, noch irgendein unbeteiligter.
Ich tu dir ein Leid an, du verzeihst mir, und zack ist alles wieder in bester Ordnung. Und keiner braucht an ein Kreuz genagelt zu werden.
Seltsam, dass ein Gott, der für sich in Anspruch nimmt allwissend, allgütig und allmächtig zu sein, das nicht hinkriegt…

Dass Gerechtigkeit Sühne verlangt, okay, aber Vergebung doch nicht. Von daher könnte es – je nach Schwere des Leids, das wir uns experimentellerweise zufügen – die Gesellschaft sein, die Halt ruft und die im Namen der Gerechtigkeit die Vergebung allein nicht gelten lässt. Bei Kapitalverbrechen wird schliesslich, selbst dann wenn kein Kläger vorhanden ist, Anklage erhoben.
Wieso also das Opfer in Form der Kreuzigung? Gott sollte doch eigentlich die Autorität haben, dem Geschädigten glaubhaft und nachhaltig zu erklären, dass er zwar durchaus wegen dem Täter gelitten hat, doch dass dies nun aus göttlichen Gründen vergeben und vergessen ist und dass er von jeglichen weiteren Schadenersatzforderungen abzusehen hat. Respektive Gott könnte den erlittenen Schaden beheben. Wozu gibt es schliesslich Wunder?

Doch vielleicht ist auch einfach was mächtig schief gegangen. Könnte es sein, dass der Plan eigentlich war, dass Jesus dank seines Charismas und seiner Rhetorik (und seiner göttlichen Herkunft) alle überzeugen sollte? Mohammed hat es (unter Zuhilfenahme des Schwertes) in seinem Einflussbereich ja auch geschafft.
Doch statt die (alternative) Weltherrschaft zu erlangen, endet der Hippie am Kreuz. Und so versuchte man eben zu retten, was es zu retten gab, und erklärte kurzerhand, dass er für die Sünden der Menschen gestorben sei. Ich meine, Märtyrergeschichten waren noch immer der letzte Versuch ein kläglich gescheitertes Projekt doch noch in einen Erfolg umzumünzen.
Wäre er also nicht über irgendeinen Skandal gestolpert, hätte man ihn wohl genausowenig hingerichtet wie all die anderen Weltuntergangspropheten, die zu jener Zeit in dieser Gegend unterwegs waren (und von denen sicher auch der eine oder andere Jesus geheissen hat, denn das war zu jener Zeit ein ziemlich geläufiger Name). Dass man den Skandal nachher nicht an die grosse Glocke hängt, sondern verzweifelt an irgendwas im alten Testament anzuknüpfen versucht hat, hier das Konzept, dass Sühnung ohne ein Opfer nicht zu haben ist (denn ohne Blutvergiessen gibt’s keine Vergebung), versteht sich wohl von selbst.

1. Nachtrag
Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Vergebung genau wie die Begnadigung von allen weiteren Sanktionen absieht. Jemandem zu vergeben und sich dann für das Fortsetzen der aus rechtlicher Sicht gerechtfertigten Strafe einzusetzen, klingt für mich irgendwie widersinnig. (Jemandem zu vergeben, sich aber nicht explizit für das Aufheben der verhängten Strafe einzusetzen geht hingegen knapp, denn eine Strafe erfüllt ja noch andere Funktionen als nur die Befriedigung der Rachelust des Geschädigten.)
Vergebung ist – um es nochmals mit der Bibel zu versuchen – auch die andere Wange hin zu halten statt zurückzuschlagen. Oder ist mir etwa entgangen, dass auch bei der anderen Back später noch Blut fliessen wird?

2. Nachtrag
Wie wichtig ist die Reue bei der Vergebung? Ist die wirklich notwenig, damit ich jemandem vergeben kann? Ist die Reue nicht eigentlich ein unangenehmes Gefühl, dass man als Buse akzeptiert und damit der Gerechtigkeit genüge getan sieht? Insofern ist die Reue die gerechte Strafe, von der man bei der Vergebung doch eigentlich absieht. Reue verlangen ist also nicht wirchlich die andere Wange.