Speck als Lackmustest

Für die Moral braucht es keinen Gott. Und Jesus ist der Beweis dafür.

Wenn ein Christ vor einer Entscheidung steht, fragt er sich, wie sich wohl Jesus an seiner Stelle entschieden hätte, und versucht dann entsprechend zu handeln.

Wenn die Moral in Gott gründete und dieser jene im alten Testament klip und klar formulierte1, dann sollte man doch eigentlich annehmen, dass Jesus sich vor jeder Entscheidung (rhetorisch) fragte, was wohl das alte Testament2 dazu sagt, und dann entsprechend handelte.
Als (Mit-)Autor des alten Testaments verstand er zweifellos besser als jeder andere, warum die Regeln genau so gestaltet waren3, das ändert aber nichts an dem, was geboten und was verboten ist.
Von daher braucht es Jesus als moralischen Kompass eigentlich gar nicht, weil jede seiner Entscheidungen genau dem entspricht, was auch das alte Testament verlangt. Man könnte ihn höchsten in Fällen konsultieren, welche im alten Testament nicht explizit geregelt wurden4.

Erste Randnotiz: Neue moralische Fragestellungen ergeben sich – wie mir scheint – nur im Kontext technischer Entwicklungen5. Ich will die technische Entwicklung der zwölf Jahrhunderte zwischen Moses und Jesus nicht klein reden, aber ich denke nicht, dass die Ausbeute an neuen moralischen Problemen auch nur ein Bruchteil von dem war, mit was wir in den – sagen wir mal – letzten 300, 100 oder auch nur 50 Jahren Jahren konfrontiert worden sind.
Von daher war die Ankunft von Jesus in einer Zeit, wo das meiste noch beim Alten war, vielleicht nicht gerade optimal gewählt um die Moral (zum letzten Mal) klarzustellen, resp. nachzujustieren.

Ausser natürlich, wenn sich Jesus doch nicht an die Regeln des alten Testaments gehalten hat6 und die Moral, die wir von ihm lernen, eine (gänzlich?) andere ist7.

Da Jesus mit Gott irgendwie identisch ist, würde das bedeuten, dass seine Moral („andere Backe“), obwohl es eine andere ist als im alten Testament („Backe um Backe“ 8), das gleiche Fundament hat. Jenes Fundament, welches den Atheisten angeblich fehlt und was dazu führt, dass sie etwas, das sie heute für moralisch richtig halten, morgen vielleicht schon als moralisch verwerflich betrachten9.
Doch wie wir sehen, schützt auch ein stabiles Fundament nicht davor, dass etwas heute gut und morgen böse ist10.

Zweite Randnotiz: Da es offenbar theoretisch möglich ist, dass etwas, wofür man früher in die Hölle kam, einen heute in den Himmel bringt, stellt sich mir die Frage, wie es sich wohl anfühlt, für etwas im Himmel zu sein, für das ein anderer in der Hölle sitzt? Oder noch schlimmer umgekehrt. Ist das vergleichbar erhebend/frustrierend wie wenn man im Flieger sitzt und erfährt, wieviel der Sitznachbar für den gleichen Flug bezahlt hat?

Ein Problem ist das nicht zwingend, denn als Gott hat er jedes Recht, die Regeln, wann immer er will, nach belieben zu ändern ohne sich dafür den Vorwurf der Beliebigkeit gefallen lassen zu müssen11.


Quod licet Iovi, non licet bovi


Okay. Hat was…

Speck

Als Jesus vor dem Frühstück-Buffett stand und überlegte, ob er Speck nehmen soll, was wäre noch mal seine Antwort gewesen?

Das heisst natürlich nicht, dass eine andere Antwort zwingend falsch ist. Nicht alle Fragen haben nur eine richtige Antwort. Aber – nun ja – es ist nicht das, was Jesus gemacht hätte…

Und zu behaupten, dass er es heute so machen würde… Ich weiss nicht. Nimmt man sich da nicht etwas zu viel heraus? Ich meine, er wird sich doch was dabei gedacht haben, als er damals die Gesetze erliess. Und ich wüsste nicht, dass er mal erklärt hätte, was genau. Und ohne das zu wissen, ist es doch eher schwierig zu beurteilen, ob sich die Ausgangssituation wirklich dermassen geändert hat, dass eine Neubeurteilung der Gesetze gerechtfertigt wäre12. Sich einfach darauf zu verlassen, dass er schon widersprechen wird, wenn man etwas falsch angeht, halte ich für ein bisschen riskant. Insbesondere da er nicht gerade bekannt dafür ist, irregeleiteten religiösen Moralvorstellungen öffentlich oder deutlich genug zu widersprechen.13
Dann kann man auch gleich darauf verzichten sich vorzustellen, was Jesus an meiner Stelle getan hätte14.

Und überhaupt, intendierte Moral anhand von gezeigtem Verhalten abzuleiten, ist nicht ganz unproblematisch. Wer weiss, ob man das Augenmerk auf das richtige Detail gewendet hat? Vielleicht wollte Jesus, als er der älteren Dame über die Strasse half, uns nicht zeigen, dass man hilfsbereit sein soll, sondern dass sich bei jeder Gelegenheit in der Nase popeln lässt.

Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan

Am sechsten Tag erschuf Gott also den Menschen…

Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
1. Mose 1;28

Diese Anweisung war das erste, was er zu ihnen sagte. Kann man dann davon ausgehen, dass Gott dem einiges Gewicht beimass?

Wieso? Wieso ist es Gott so wichtig, dass die Menschen sich vermehren? Wäre ein „Seid glücklich und habt Spass!“ nicht ein irgendwie liebenswürdiger Willkommensgruss gewesen? Insbesondere da Adam und Eva zu diesem Zeitpunkt noch unsterblich waren und sich damit, die Welt zu bevölkern, ruhig noch etwas Zeit hätten nehmen können. Wieso von Anfang an diese Fixierung auf die Fortpflanzung?
Wie dem auch sei, Vermehrung ist toll – und nicht nur weil sie Spass macht1 – , hat aber die überraschende Konsequenz, dass es dann immer mehr Menschen gibt. Wieso hat Gott nirgends erwähnt, ab welchem Moment wir das Gebot uns zu mehren „on hold“ stellen sollten? Ich meine, eine Überbevölkerung hat – zumindest aus der postparadiesischen Perspektive – schliesslich auch ihre Schattenseiten.

Aber okay, Gott wird schon seine Gründe dafür gehabt haben.

Warum sollen wir uns die Erde Untertan machen? Warum sollen wir nicht im Einklang mit der Natur leben? Eine solche Lebensform würde ich nicht als Herrschaft bezeichnen. Okay, als derjenige, der in ferner Zukunft vielleicht mal imstande sein wird verletzte Tiere zu heilen2, trägt man schon eine gewisse Verantwortung, doch sie waren im Paradies und da sollten Unfälle eigentlich seltener passiere. Wie legitimiert sich also die Herrschaft der Menschen über die Fische im Meer, über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht? Da die Menschen und alle Tiere und Pflanzen zu jener Zeit Vegetarier waren, gab es abgesehen von einer gelegentlichen Bewunderung eigentlich keinen Grund zur Interaktion. Wieso dann überhaupt Herrschaftsstrukturen. Da hätte Gott auch gleich noch die Wookies auf die Liste setzen können.
Okay, damit gehe ich wohl etwas zu weit. Die Interaktion konnte natürlich auch in Form von gemeinsamem Spiel stattfinden. Und in diesem Fall macht es durchaus Sinn den Menschen quasi als von Gottes gnaden eingesetzten Schiedsrichter zu etablieren – wobei mir nicht ganz klar ist, wieso Gott das mit seinen Allfähigkeiten nicht selbst machen will3. Den Schiri als Herrscher über den Fussballplatz zu bezeichnen finde ich – ehrlich gesagt – aber trotzdem etwas absurd. Insbesondere wenn einer der Spieler Maradona ist.
Ich hätte die Herrschaft wohl je nach Gebiet aufgeteilt. Wenn es ums Postwesen geht, wären wohl Tauben oder Eulen oder Raben besser geeignet gewesen. Was das Transportwesen betrifft Elefanten. Einen kurzbeinigen Menschen zum Vorgesetzten eines Adlers in der Kartografie zu machen ist auch kein sehr schlauer Schachzug, ihr versteht was ich meine?
Und der Chef ist nicht Adam allein, sondern die Menschheit als ganzes, was – nun ja – auch ein gewisses Konfliktpotential beinhaltet 4.
Wenn es nun einen Interessenkonflikt gibt zwischen den Menschen und einer anderen Art und der Mensch der Boss ist, dann wird die andere Art, sofern deren Niederlage dem Menschen auf lange Sicht nicht noch mehr schadet, immer den kürzeren ziehen56.

Aber okay, Gott wird wohl auch hier seine Gründe dafür gehabt haben.
Wobei ich aber wirklich nicht verstehe, wieso er uns diese nicht erklärt. Ich sag ja nur.

Wir sollen uns also mehren. Gut. Als Mann kann und will ich diesem Gebot bis an mein Lebensende nachkommen. Frauen werden aber ab der Menopause in dieser Hinsicht überflüssig. Anders als bei den anderen Tieren sterben die Frauen aber noch nicht gleich, sondern kümmern sich um den Nachwuchs ihres Nachwuchses, wodurch sie ihrem Nachwuchs etwas Freiraum verschaffen, den dieser zur weiteren Fortpflanzung nutzen kann. Die Unfruchtbarkeit ist also keine Bremse für die Vermehrung, sondern bisweilen sogar ein Turbobooster.
Wieso ist das bei Homosexuellen nicht das gleiche? Ihre Effizienz beim Fortpflanzen mag kleiner sein aufgrund ihrer Neigung, welche – wohlgemerkt – keine freie Entscheidung ist, ihr Wunsch sich um Kinder zu kümmern aber ganz und gar nicht. Von daher kann die Erziehung des Nachwuchses genau wie an die Grosseltern auch an Homosexuelle ausgelagert werden7.

Wenn sich also Gläubige gegen die Adoption von Kindern durch Homosexuelle aussprechen, dann verstossen sie damit, selbst wenn sie irgendwelche Bibelverse zitieren, gegen das erste und wichtigste Gebot Gottes: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde.

Liebe deinen nächsten

Als Jesus von den Pharisäern nach dem höchsten Gebot gefragt wurde (Mth 22,39 & Mrk. 12,31), so entgegnete er, dass man Gott lieben solle (Ref. auf Deut. 6,5). Diesem Gebot jedoch an Wichtigkeit gleichgestellt, fuhr er fort, sei, dass man seinen Nächsten lieben solle wie sich selbst (Ref. auf Lev.19,18). Ich will Jesus nichts Böses unterstellen, doch denke ich, dass er sich bestenfalls stümperhaft ausgedrückt hat, was dem Begriffsumfang des Wortes „Nächsten“ betrifft. Wenn Jesus damit hat andeuten wollen, dass man Alle lieben solle wie sich selbst, so hätte er dies ohne weiteres durch das Wort „Alle“ deutlich zum Ausdruck bringen können. Tatsächlich lässt die Stelle im alten Testament, auf die er sich bezieht (Lev. 19,18: „Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR.“), kaum Fragen offen und jede andere Interpretation, als dass mit den Nächsten lediglich die Kinder des eigenen Volkes gemeint sein könnten, scheint mir an den Haaren herbeigezogen. (Versucht gar nicht erst damit durchzukommen, dass wir doch im Grunde alle die Kinder des gleichen Volkes seien, denn „Volk“ ist in der Bibel ein geradezu überdurchschnittlich präzise verwendeter Begriff!)
Doch sei’s drum. Der zynische Punkt am Gebot der christlichen Nächstenliebe ist nicht wem, sondern was man angedeihen lässt! Mit der Selbstliebe ist es in der Bibel bekanntlich nicht weit her. Ich darf schliesslich nicht masturbieren und wenn mir ein schöne Frau über den Weg läuft, soll ich mir kurzerhand das Auge rausreissen und – wenn es mich wie so oft gelüstet ihr einen Klaps auf den Hintern zu geben -, dann soll ich mir auch gleich noch die Hand abhacken. Wenn auf diese Weise der Nächste geliebt werden soll, dann möchte ich lieber keinem zu nahe kommen.

Und wenn man sich die Sache so ansieht, dann hat von allen Menschen Nietzsche, indem er ihn tötete, Gott am meisten geliebt.

Respekt?

Wenn jemand glaubt, die Steuern müssten erhöht oder gesenkt werden, ist es meine Bürgerpflicht mit ihm darüber zu diskutieren. Wenn aber jemand glaubt, den Lichtschalter am Samstag nicht betätigen zu dürfen, dann soll ich das respektieren?
Der einzige Unterschied ist, dass es im einen Fall Gründe für die Überzeugung gibt, im anderen jedoch nicht. Irgendwie haben es die Religionen fertig gebracht uns einzutrichtern, dass es Ideen gibt, über die man nichts böses sagen darf. Warum nicht? Einfach weil man nicht darf! Und die kommen damit sogar durch!