Himmel und Hölle

Okay, nehmen wir einfach mal an, dass es Himmel und Hölle wirklich gibt und wir uns für das eine oder andere entscheiden müssen. Nehmen wir weiter an, dass uns im Himmel das ewige Leben erwartet und in der Hölle nicht endlosen Qualen sondern das endgültige Ende1. Die genauen Modalitäten der Entscheidung, also ob man es durch Glauben oder Taten tun muss, seien mal dahingestellt. Wichtig ist einzig, dass man sich „entscheiden“ muss, bevor man einen Blick drauf werfen konnte.

Woher weiss ich, dass ich das ewige Leben überhaupt will?

Die paar Jahrzehnte, die wir hier auf der Erde verbringen und die geprägt sind von einem steten körperlichen, geistigen und sozialen Wandel und von einer Fülle an grausamen und üblen Erfahrungen, ermöglichen es uns nicht wirklich abzuschätzen, wie uns Jahrdoquadragintillionen der Ruhe (Off 14,13), des Dienstes (Off 22,3), der Anbetung (Off 5,14), des Gesanges (Off 5,9), der Freude (Mt 25,21), der Erkenntnis (1. Kor 13,9-10 & 12), der Heiligkeit (Off 21,27) und der Herrlichkeit (2. Kor 4,17) bekommen werden. Ja, für ein paar Minuten oder Stunden mögen diese Dinge angenehm sein, daraus zu schliessen, dass man es auch eine ganze Ewigkeit geniessen würde, ist schon eine etwas verwegene Extrapolation.

Ist es da wirklich eine weise Entscheidung, sich in den Himmel zu wünschen?
Wenn einem das himmlische Unterhaltunsgprogramm irgendwann mal zur Nase raushängen wird, dann könnte man seine Entscheidung vielleicht bitterlich bereuen – ohne daran noch was ändern zu können.
Ist der Himmel vielleicht nicht nur dann die bessere Wahl, wenn die Hölle die Hölle ist?

Die Vorstellung ewig zu leben macht mir persönlich Angst, weil alles was ich weiss und mir vorstellen kann, darauf hindeutet, dass die Langeweile früher oder später zu einer unerträglichen Qual werden wird. Und das in der Bibel angekündigte Programm haut mich jetzt nicht so aus den Socken. Vielleicht von der Chance auf Erkenntnis abgesehen.
Es wird diesbezüglich in Aussicht gestellt, dass wir uns mit dem Wort Gottes beschäftigen können. Naja… Ist damit eigentlich die Bibel gemeint oder alles, was Gott je gesagt hat und sagen wird? Wenn die Bibel gemeint ist, dann wird man die irgendwann einmal gelesen2 und verstanden haben. Wenn alles gemeint ist, was Gott von sich gibt, dann reicht das wahrscheinlich schon für eine Ewigkeit, ob die Begeisterung nach Milliarden von Jahren aber noch immer genauso gross ist wie in den ersten hundert Jahren, ich weiss nicht… Selbst wenn er wilde Hacken schlägt und einen immer wieder wie Trump zurzeit zu überraschen schafft, dann weiss ich nicht, ob ich das wirklich will.
Wir sollen dann erforschen können, was auf der Welt geschehen ist und wie Gott gewirkt hat. Okay, das wäre sicherlich interessant. Aber da die Erde nur 4.543 + x3 Milliarden Jahre bestanden hat, wird man das alles irgendwann mal erforscht haben. Ja selbst wenn mit der Welt das ganze (aus ca. 200 Milliarden Galaxien bestehende) Universum gemeint ist, wird man irgendwann einmal fertig sein. Und dann? Ausser natürlich es gibt das Multiversum tatsächlich…
Und vielleicht erschafft Gott ein paar neue Welten und wir sitzen dann in der vordersten Reihe und können bewundern, wie sich diese Entwickeln und wie deren Bewohner nicht masturbieren4. Wir wären dann quasi die Engel der nächsten Generation. Wie wird sich das anfühlen, wenn der nächste Versuch eindeutig besser raus kommt? Oder übler?
Wobei… hat nicht ein Drittel aller Engel mal das Weite gesucht? Vielleicht genau deswegen?

Letzteres, also der Höllensturz, sollte uns vielleicht schon ein klitzekleines bisschen skeptische, ob das mit der Harmonie im Himmel wirklich stimmt…

Ich will nicht bestreiten, dass es möglich ist, unendlich viele Freizeitaktivitäten zu organisieren, es braucht einfach schon ein gewaltiges Vertrauen in die Geduld des himmlischen Reiseveranstalter, der die ewige Kreuzfahrt anbietet. (Und dem übrigens auch schon mal der Geduldsfaden riss und auf Grund dessen, alles, was auf der Erde kreucht und fleucht, elendiglich ersoffen ist)

btw. Hat sich schon mal jemand überlegt, ob die Ewigkeit abzählbar ewig ist oder vielleicht sogar unabzählbar unendlich? Im letzteren Fall würden nämlich nicht mal unendlich viele Freizeitaktivitäten reichen um die Langeweile zu vertreiben…

Um nochmals kurz auf den Höllensturz und dessen Gründe zurückkommen: Die Zeiten ändern sich. Das ist so und daran ist nichts auszusetzen. Das bedeutet aber, dass während früher beispielsweise Sklavenbesitz noch nicht zwangsläufig ein Hinderungsgrund für den Himmel war, ist er es heute doch eigentlich absolut. Oder? Jetzt mal ohne das Bereuen und Busse tun.
Das heisst doch aber, dass man im Himmel Leuten begegnen wird, die Sklaverei okay finden. Wie – bitteschön – soll das gehen?
Und Leuten, die Frauen als untergestellt betrachten. Wie soll das gehen?
Und Leuten, die ausgesprochene Rassisten waren. Wie soll das gehen?
Und wer weiss, was da mit der Zeit sonst noch alles zusammenkommen wird? Priesterinnen?
Und wenn all diese fragwürdigen Ansichten mit dem sterblichen Leib vom Menschen genommen werden, was bleibt dann noch übrig? Man soll im Himmel seine Freund und Familie erkennen können. Doch ohne all diese Dinge könnte das doch ziemlich schwierig werden…

Also besteht einerseits das Risiko mich grässlich zu langweilen (die Bibel schliesst das meines Wissens nicht explizit aus), und andererseits ist es in Anbetracht der Prozedur, welcher ich mich vor dem Eintritt wahrscheinlich unterziehen muss, fraglich, ob wirklich ich es bin, den Gott im Himmel haben will. Von daher, will ich den Versprechen auf dem Werbeprospekt glauben und eine ewige Kreuzfahrt buchen? Ohne die Möglichkeit mich an den Konsumentenschutz wenden zu können, resp. wo der Konsumentenschutz und der Reiseveranstalter ein und dieselbe Person sind?

Ich passe.

Gott ist Liebe

Es ist eigentlich ein interessanter Ansatzpunkt, den Grund für die Entfremdung der Menschen von den Kirchen auch mal in der Sprache zu suchen.
Während Gott=Liebe für viele wahrscheinlich schon Sinn macht, ist es für andere tatsächlich eher eine leere Worthülse… ein netter Kalenderspruch, der einen bestärken soll in der Ansicht, dass am Ende alles gut kommt, welche aber – irgendwie – nicht ganz zu gewissen Ereignissen in der Welt, der Kirche und der Bibel passen will.
Zu viele Naturkatastrophen und Krankheiten haben zu viele Menschen dahingerafft. Zu viele Repräsentanten Gottes haben zu viele Kinder missbraucht. Zu viele Menschen wurden in der Bibel auf Gottes Geheiss umgebracht. Und zu viele Seelen erwartet eine Ewigkeit der Folter1.
Ich will nicht sagen, dass das alles nicht seine Richtigkeit hätte2, ich bestreite lediglich, dass sich das alles allein mit Liebe rechtfertigen lässt.
Die Wege der Liebe sind oft verschlungen und überraschend, aber immer (zumindest im Nachhinein) nachvollziehbar.
Die Wege der Liebe sind nicht unergründlich. Sollten sie zumindest nicht sein, denn bei der Frage, ob etwas ein Akt der Liebe war, sollte doch eigentlich auch das „Opfer“ mitreden können – und dafür muss dieses den Weg nachvollziehen können3.

Gott=Liebe reicht einfach nicht um das Leben, das Universum und den ganzen Rest zu erklären. Für all das nicht von Menschen verursachte Leid braucht es einfach eine etwas komplexere Erklärung. Ich meine, allein schon mit Gleichungen wie Gott=Liebe+Jähzorn oder Gott=Liebe+Schlafkrankheit scheint man bereits wesentlich weiter zu kommen.

Da ist aber noch ein anderes Problem: es gibt verschiedene Arten der Liebe. Und es wird wahrscheinlich nicht jede davon gemeint sein… Daher müsste es wohl heissen: Gott ist die Liebe, aber nicht die schweinische Sorte4!

Aber egal.
Gott kann machen, was er will, und er kann es benennen, wie er will. Schliesslich ist er ein Gott und niemandem zur Rechenschaft verpflichtet (soweit wir wissen).

Wenn Gott also die Liebe sein will, dann ist er eben das, was zwei sich liebende Menschen verbindet – ausser wenn sie das gleiche Geschlecht haben oder wenn sie geschieden sind (oder einer der beiden ein Kanaaniter ist).
Der Haken ist hier aber, dass man sich nicht für oder gegen die Liebe entscheiden kann. Man kann sie wachsen lassen, das schon, aber wo sie nicht ist, da kann man sie nicht herbeizwingen. Man kann sie ignorieren und verwelken lassen, auch das ist möglich, aber man kann sie nicht einfach verschwinden lassen.
Die Liebe gehorcht nicht unseren Wünschen. Sprich, unser freier Wille hat keine Macht über die Liebe.
Ich dachte, das Respektieren des freien Willens sei Gott so wichtig, dass er dafür noch nicht mal einen Kindesbissbrauch verhindern kann. Aber als Liebe schert er sich nicht darum, welche Entscheidungen die Menschen treffen.
Nebenbei bemerkt: Wenn Gott Wünsche/Gebete erhören würde, so würde das die Willensfreiheit der Menschen nicht einschränken – sofern die sich nicht wünschen jemand anderes die Willensfreiheit einzuschränken – was wahrscheinlich viel häufiger geschehen würde, als man denkt. Das heisst, die Liebe könnte theoretisch dem freien Willen gehorchen. Die würde sich dann zwar wohl ganz anders anfühlen, aber möglich wäre es. Und das wiederum heisst, dass sich Gott ganz bewusst entschieden hat, die Liebe so zu gestalten (resp. zu sein), dass sie keine Rücksicht auf den freien Willen nimmt.

Wie gesagt, Gott=Liebe ist für viele eine leere Worthülse, die weder den Anforderungen genügt, noch den Anschein macht sich überhaupt darum bemüht zu haben. Während eine fehlerhafte Definition, die der Komplexität zumindest zu begegnen versucht, immerhin als ein Beitrag innerhalb eines Diskurses betrachtet werden kann, der uns unserem Ziel hoffentlich näher bringt, vereitelt eine leere Worthülse jegliche weitere Auseinandersetzung mit dem Thema. Und das ist im Zeitalter der Vernunft ein ziemliches No-Go.

Die ganze Welt ist komplexer geworden. Während noch vor hundert Jahren weniger als 5% der Menschen in „kognitiv anspruchsvollen“ Berufen tätig waren, sind es heute mehr als 50%. Die Fähigkeit Hypothetisches ernst zu nehmen, Abstraktionen zu benutzen und diese logisch zu verbinden5 hat sich enorm ausgebreitet und wird sicherlich auch nicht spurlos an der Art und Weise vorbei gegangen sein, wie man über Gott denkt und was man ihm durchgehen lässt.

Online-Kommtatoren

Hier eine Idee… Was wenn all die Kaltschnäuzigkeit und der blanke Hass, der einem heutzutage in den Online-Kommentaren entgegenschlägt, nicht etwa Ausdruck von Rassismus, Sexismus und Homophobie sind, sondern die rationalen Analysen besorgter Bürger1?

Die Kommentatoren selbst sehen es auf jeden Fall so.
Sie verbreiten nicht Hass, sondern kritische Einschätzungen gewürzt mit Wortwitz2 und hie und da auch mal mit einem „Sapperlot nochmal“ um zu unterstreichen, wie wichtig es ihnen ist.3

Früher erfuhr man von Gott, was richtig, was falsch und was zu tun geboten war. Und wenn nicht von Gott selbst, dann von einem seiner Stellvertreter. Zu verstehen, was das eine richtig und das andere falsch macht, war eigentlich nicht nötig.
Die Aufklärung änderte dann aber alles und legte die Verantwortung in die Hände des Verstandes. Alles musste jetzt einen nachvollziehbaren Grund haben.
Während man sich also früher darauf verlassen konnte, dass wenn man tat, was einem (von Gott oder seinen Stellvertretern) gesagt wurde, dass das dann schon okay war, muss man heute selbst denken und herausfinden, was richtig ist und was falsch.
Und genau das tun heute auch alle. Das heisst sie wissen sehr genau, was richtig ist und warum es richtig ist und was falsch ist und warum es falsch ist.
Ja selbst der besorgte Bürger, der empfiehlt, dass Feministinnen mal richtig gevögelt werden sollten. Er ist nämlich überzeugt, dass es ihnen tatsächlich helfen würde, die „Sache“ zu verstehen, und er ist sich sicher, dass auch die Wissenschaft seine Einschätzung stützt.

Jeder hat heutzutage für jede seiner Überzeugungen sehr (nach seiner Ansicht) vernünftige Gründe. Alles andere würde bedeuten, dass man an den eigenen logischen Fähigkeiten zweifelt – was selbstverständlich nie jemand tut.
Und selbst wenn mal die vernünftigen Gründe fehlen, dann gibt es durchaus vernünftige Gründe für das Fehlen, so dass die Plausibilität der Überzeugungen zu keinem Zeitpunkt in Gefahr war.

Also nochmals zum mitschreiben: ALLE, ICH MEINE WIRKLICH ALLE ORIENTIEREN SICH HEUTZUTAGE AN DER VERNUNFT UND BERÜCKSICHTIGEN DABEI DIE ERKENNTNISSE DER WISSENSCHAFT.

Es besteht lediglich keine Einigkeit darüber, was konkret man für wissenschaftliche Erkenntnisse hält…
So wie ich den Kreationismus als Humbug abtue und seine Schlüsse kategorisch ignoriere, so schenkt unser „Feministen-Heiler“ der Psychologie keinen glauben – zumindest solange nicht, bis dort Studien durchgeführt werden, die einen Zusammenhang zwischen sexueller Befriedigung und der Akzeptanz von unterdrückenden Rollen zweifelsfrei bestätigen.

Der Knackpunkt steckt also in der Frage, ob die zur Verfügung stehende Information, welche von etwas, das einem als Wissenschaft erscheint, zur Verfügung gestellt wurde, gut genug ist, um als Basis für belastbare Schlussfolgerungen her zu halten.
Und da man diese Frage nur durch das Anwenden der eigenen Vernunft auf die Informationen beantworten kann, die einem von dem, was man für Wissenschaft hält, zur Verfügung gestellt wurde, ist am Ende einzig und allein massgebend, ob mir die Schlussfolgerung richtig erscheint. Was sie nur dann tut, wenn sie in mein Weltbild passt.

Da könnte man glatt die Flinte ins Korn werfen wollen. Aber ich denke nicht, dass es tatsächlich so hoffnungslos ist, schliesslich befindet sich das Weltbild eines jeden Menschen in einem steten Wandel. Sachte geformt von den Argumenten, mit denen er tagtäglich konfrontiert wird4.
Das heisst, dass es für jedes Weltbild einen der gegebenen Vernunft und den vorhandenen „wissenschaftlichen“ Daten genügenden Weg gibt, der es zu jedem beliebigen anderen Weltbild führt. Selbst von jenem des besorgten Bürgers5 hin zu dem der Unbekümmertheitsbürger / Systemtrottel / Gutmenschen. Der Weg wird wohl verschlungen sein und wilde Hacken schlagen und wenn man es schafft, diesen irgendwie grafisch darzustellen, wird die Linie sicherlich ein über die Person sehr aufschlussreiches Muster bilden…

Womöglich ist das Problem also nicht, dass die Menschen noch nicht gelernt haben selbst zu denken, sondern dass wir nicht damit umgehen können, dass sie es tun (und damit zu völlig absurden Schlussfolgerungen gelangen).

Wie steht es eigentlich um die Verlässlichkeit der Vernunft?
Kommen zwei Personen, die die exakt gleichen Voraussetzungen akzeptieren, nach Applikation ihrer Vernunft notwendigerweise zum gleichen Schluss?