Der TV-Film «Terror – Ihr Urteil»

Das Urteil

84% der Zuschauer hätten den Kampfpiloten freigesprochen, der ein Passagierflugzeug mit 164 Passagieren abschoss, um 70’000 Menschen in einem Fussballstadion zu retten.

Es ist das klassische Trolley-Problem1:

trolleyproblem

zumindest fast:

Hier sind nämlich noch etwas zu berücksichtigen:

  • Weder die Beweggründe, noch der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung waren besonders verwerflich.

Wodurch eine Mordanklage eigentlich etwas fehl am Platz ist. Über Todschlag könnte man aber reden.

Doch genau das ist ja das Dilemma bei Trolley-Problem ist: dass man mit beiden Varianten gegen das Gesetz verstösst. Denn sowohl eine Handlung, die zum Tod einer Person führt, wie auch das Unterlassen einer Handlung, die einen Menschen retten würde, stehen unter Straffe.
Und so lange es keine verbindliche Richtlinie gibt, die das regeln würde, kommt man aus dem Dilemma nicht raus.

In unserem Szenario gibt es aber diese Richtlinie, wodurch es noch einige weitere Punkte zu beachten gilt:

  • In der Verfassung steht ausdrücklich geschrieben, dass in einem solchen Fall nicht geschossen werden darf, weil man Leben nicht gegeneinander aufwiegen darf.
  • Der Pilot weiss um den obigen Punkt, hat sich intensiv mit ihm auseinander gesetzt und hält die Entscheidung für falsch.
  • Der Pilot ist ein Soldat und handelte gegen den ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten, die sich an die Verfassung halten.

Wie gesagt, all das berücksichtigend, sprachen ihn 84% der Zuschauer von der Mordanklage frei.

Ich frage mich – und darauf will ich eigentlich hinaus -, wie sich das Verhältnis verändert hätte, wenn man ein paar Details verändert hätte. Wobei wir weiterhin voraussetzen, dass der Pilot auch weiterhin für den Tod aller ums Leben gekommener verantwortlich gemacht worden wäre, selbst wenn es nicht wirklich Sinn macht.

Wie viele hätten den Piloten von der Anklage freigesprochen, wenn sie Situation wie folgt ausgesehen hätte:

Ein von (islamistischen / christlichen / veganen / einfach nur verrückten) Terroristen entführtes Flugzeug voller (normaler Leute / Schweizer / schwangerer Frauen / Wirtschaftleute / Politiker / Kleriker / Ärzte / Lehrer / Journalisten / Juristen / Wissenschaftler / Flüchtlinge / Häftlinge) fliegt auf ein Stadion in (der Schweiz / Deutschland / Indien, Syrien) voller (normaler Leute / Schweizer / schwangerer Frauen / Wirtschaftleute / Politiker / Kleriker / Ärzte / Lehrer / Journalisten / Juristen / Wissenschaftler / Flüchtlinge / Häftlinge) zu. In der Maschine sitzen 164 todgeweihte Menschen, im Stadion (7’000’000 / 700’000 / 70’000 / 7’000 / 700 / 70 / 7). Die einzige Möglichkeit die Leute im Stadion zu retten, ist das Flugzeug abzuschiessen. Die Verfassung schreibt für diesen Fall (den Nichtabschuss / den Abschuss) vor, die Vorgesetzten geben dem Befehl zum (Nichtabschuss / Abschuss) und der Pilot, der ein (Soldat / ehemaliger Soldat / Zivilist) ist, schiesst. Noch zu erwähnen ist, dass die Familie des Piloten (ganz weit weg / im Flugzeug / im Stadion) ist.

Das sind 4 x 13 x 4 x 13 x 7 x 2 x 2 x 3 x 3 = 681’408 Varianten und wenn es ums Prinzip geht, müsste das Ergebnis eigentlich immer das gleiche sein. Es müsste das gleiche sein, weil die 164 Menschen im Flugzeug in diesem Szenario auf jeden Fall sterben würden. Dadurch ist es auch nicht mehr so wichtig, wie viele Leute im Stadion sind. Zum Tragen käme die Zahl nur, wenn die Leute im Flugzeug im Fall eines Absturzes ins Stadion irgendwie garantiert überleben würden. Dann würde man nämlich Menschenleben gegeneinander aufwiegen, was man laut der Verfassung im Film eben nicht darf.

84% sprachen den Piloten frei. Das heisst, für die Mehrheit sind die Konsequenzen wichtiger als die Gesetze.
In der Gesprächsrunde schien das vor allem bei den Konservativen (Hurter, Müller) der Fall gewesen zu sein, während die Liberalen (Galladé, Lang) sich lieber nach dem Gesetz richten wollten.

Wenn die Passagiere den Terroranschlag irgendwie garantiert überlebt hätten und man Menschenleben gegeneinander abwiegen müsste, hätte das die Position der Liberalen wohl nicht geändert. Vor die Wahl gestellt, hätten sie sich der Entscheidung zwischen Menschenleben abzuwägen entzogen und sich an den geltenden Regeln orientiert.
Für die Konservativen dagegen würde das Urteil vermutlich sehr von den Umständen abhängen. In manchen Konstellationen zweifellos zu Recht. Beispielsweise je nach dem, ob 70’000 oder 7 Menschen im Stadion wären. Oder ob die Familie des Piloten in der entführten Maschine sitzt. In anderen Konstellationen wäre es jedoch äusserst bedenklich. Wenn es beispielsweise davon abhängen würde, welche Art von Menschen im Stadion und im Flugzeug sind (normaler Leute / Schweizer / schwangerer Frauen / Wirtschaftleute / Politiker / Kleriker / Ärzte / Lehrer / Journalisten / Juristen / Wissenschaftler / Flüchtlinge / Häftlinge).

Wir gingen jetzt immer davon aus, dass der Pilot unter allen Umständen geschossen hätte. Und wir fragten uns, welchen Einfluss die Umstände auf das Urteil gehabt haben.
Man könnte sich aber auch fragen, wie das Urteil ausgesehen hätte, wenn er nicht geschossen hätte. Und welchen Einfluss die Umstände dann auf das Urteil gehabt hätten, wenn er wegen „Mord“ in 70’000 Fällen angeklagt worden wäre.
Ich denke – und das ist das faszinierende am Trolley-Problem -, dass auch wenn die Handlung moralisch geboten sein mag, das Unterlassen der Handlung nicht wirklich übel genommen werden kann. Was in sich schon wieder ein Dilemma darstellt.

Auch ungeklärt bleibt die Frage, ob für einen Soldaten, der Befehlen gehorchen muss, welche aus strategischen Gründen durchaus auch Opfer kosten können, andere Regeln gelten als für einen Zivilisten, dem der „Weitblick“ fehlt und seine Entscheidung auf der Basis wesentlich kurzfristigerer Konsequenzen treffen muss.

 


 

Und dann, eine Woche später:

Reimann kritisiert, dass Besko die Schweiz verlassen musste.«Es ist eine verpasste Chance.» Der ausgeschaffte Rapper hätte junge Migranten positiv beeinfussen können. «Man muss abwägen: er nützt uns hier mehr als in Kosovo.» Reimann interveniert sogar schriftlich beim Chef des Staatssekretariat für Migration, Mario Gattiker. Zwar sei er immer noch für eine strenge Haltung bei der Ausschaffung von kriminellen Ausländern. «Aber was, wenn nicht das, ist ein Härtefall?»
SVP-Reimann unterstützt ausgeschafften Rapper – 20min

Lukas Reinmann scheint aus dem TV-Film «Terror – Ihr Urteil» gelernt zu haben, dass die Konsequenzen schwerer wiegen als die Buchstabentreue.
Und der beliebteste Leser-Kommentar zu diesem Artikel war der folgende:

20min-reimann_unterstuetzt_rapper

Ich weiss zwar nicht, wofür „murrli“ beim Fernsehexperiment war, aber ich vermute sehr für Freispruch.
Und ich unterstelle jetzt mal verwegen, dass „murrli“ Galladé und Lang es da ziemlich übel nahm, dass sie lieber 70’000 Menschen sterben liessen als das bestehende Gesetz nicht anzuwenden.

Macht nur mich das stutzig?

Integration

Muslima-Bikini„Wenn jemand denkt, dass die Integration dieser Kulturen möglich ist, ist er ein Idiot.“, heisst es als Kommentar zum Bild links.
Genau das gleich könnte man auch von zwei Punks meinen, die zwischen ein paar im Gras liegenden Anzugträgern hindurch spazieren.

Aber was ist eigentlich diese Kultur, in die sich die beiden Muslimas auf dem Bild nicht zu integrieren fähig sind?
Das Tragen von Bikinis im Sommer?
Niemand muss im Sommer einen Bikini anziehen.

Aber man kann! Und genau das ist unsere Kultur: Ich kann tun und lassen, was ich will – sofern ich damit nicht einen anderen in seiner Freiheit behindere.
Andere Kulturen behaupten zwar auch, dass man bei ihnen alles tun und lassen könne, was man wolle – sofern man damit nicht einen anderen in seiner Freiheit behindere – , doch unterscheiden sich dort oft die Freiheiten, in der man behindert werden kann, je nach Ethnie, sozialer und wirtschaftlicher Herkunft, Sprache, Alter, Geschlecht, Religion, politischer und sonstiger Überzeugung, sexueller Orientierung, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, körperlichem Erscheinungsbild und Artzugehörigkeit.
Unsere Kultur ist dagegen zunehmend blind auf diesen Augen. Sie macht keinen Unterschied zwischen den Unterschieden. Und das ist gut so.
Das heisst, in unserer Kultur ist es für Frauen genauso okay Burkas zu tragen, wie für Männer Bikinis.

Fahnenschwingen, Fondue und Fasnacht sind lokale Folklore. Hübsch und zweifellos wichtig für unsere Identität als Teil der Kultur, doch brauchen nicht alle die gleichen Sitten, Lebensweisen, Traditionen, Bräuche und Gewohnheiten zu zelebrieren um ein Teil der gleichen Kultur zu sein.

Ein Gedanke am Rande: Von welcher Kultur sprechen wir eigentlich, wenn wir von UNSERER Kultur1 reden? Kreis 5? Zürich? Kanton Zürich? Deutschschweiz? Schweiz? Mitteleuropa? Europa? Oder die Fans von Züri West? Berner Mundartrock? Berner Musik? Schweizer Musik? Europäischer Musik? Europäisch-amerikanischer Musik? Oder meinen wir die Kirchgemeinde St. Josef? Bistum Chur? Katholische Kirche? Christentum? Oder FCZ? SFV? UEFA? FIFA? Oder die Verehrung von langhaarigen Brünette? Brünette? Behaarte? Oder Spieler von Ego-Shootern? Shootern? Actionspielen? Computerspielen? Spielen? Oder Anhänger von Komplexmittelhomöopathie? Homöopathie? Alternativmedizin? Medizin? Und meinen wir diesen Sommer? Dieses Jahr? Dieses Jahrzehnt? Dieses Jahrhundert? Dieses Jahrtausend?
Es gibt so viele Möglichkeiten eine Kultur zu bestimmen, dass es für beliebige drei Menschen auf der Welt immer eine Kultur mit ihrer eigenen Folklore gibt, der zwei von ihnen angehören, der dritte aber nicht.

Obschon sie um ihr Brauchtum fürchten, wird niemand ernsthaft die Abschiebung von jemandem verlangen, nur weil dieser nicht hornussen tut. Es sind andere Gefahren, die besorgte Bürger heraufziehen sehen, wenn sie vor der Masseneinanderung warnen – insbesondere vor jener aus dem arabischen Kulturkreis.

Sie fürchten um ihren Wohlstand.
Das ist zwar von allen Gründen der jämmerlichste, weil er dem Leid anderer gegenüber gleichgültig ist, aber okay, man kann nicht ausschliessen, dass die Einwanderung tatsächlich den Wohlstand reduziert. Andere sehen darin zwar vielleicht sogar eine Chance für den Wohlstand, das spielt aber eigentlich keine Rolle. Wichtig ist, dass die gleiche „Gefahr“ von Einwanderern aus dem Nachbarland oder Nachbarkanton ausgeht, die genau die gleiche „Kultur“ haben, und demzufolge eigentlich nichts mit der Kompatibilität von Kulturen zu tun hat.

Sie fürchten um ihre Sicherheit.
Die Kriminalitätsrate scheint allerdings mehr von sozioökonomischen Faktoren abhängig zu sein als von kulturspezifischen2 – was bedeutet, dass wenn man die Einwanderer aufs gleiche Bildungsniveau hebt und ihnen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen gibt wie den Einheimischen, dass sich die Kriminalitätsraten zwischen diesen nicht unterscheiden werden. Die Kultur stellt also keine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit dar – sondern der Rassismus.

Den Terror als Sicherheitsrisiko klammere ich hier explizit aus, weil der Terror nur ein Mittel ist, mit dem etwas erzwungen werden soll, was wir ansonsten grundsätzlich ablehnen. Insofern fürchten wir uns eigentlich weniger vor dem Terror selbst, sondern nehmen diesen eher widerwillig in Kauf, während wir uns eigentlich vor der Umsetzung dessen fürchten, was die Terroristen fordern. Würden wir es nicht fürchten, würden wir es umsetzen und der Terror wäre nicht nötig.
Knifflig ist aber, dass es oft nicht so leicht ist eine Ungerechtigkeit vom natürlichen Lauf der Dinge zu unterscheiden. Nur weil etwas schon immer so war, muss nicht heissen, dass es so auch richtig ist. Und deshalb braucht die Sache, welcher mit Gewalt Nachdruck verliehen wird, nicht notwendigerweise immer schlecht zu sein. Und möglicherweise liesse sich mit der Umsetzung der anscheinend absurden Idee vielleicht sogar das Wohlergehen und Sicherheit insgesamt steigern. Ich denke da beispielsweise an die Sklaverei, wo die Sklavenaufstände durchaus ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Befreiung darstellen. Diese Revolten wurden zweifellos als terroristische Akte betrachtet, legten aber dennoch den Grundstein für einen wichtigen sozialen Fortschritt. Das Problem damals war, dass offenbar keine politischen Mechanismen zur Verfügung standen, soziale Ungerechtigkeiten effizient zu identifizieren und zu eliminieren.
Die Frage ist, ob sich mit unseren heutigen Rechtsmitteln Zustände wie Sklaverei oder ein fehlendes Frauenstimmrecht auf institutionellem Weg beseitigen lassen? Und das schnell genug, dass es sich nicht lohnen würde die Sache mit Gewalt zu beschleunigen? Ich hoffe schon.
Liesse sich auf die gleiche Weise auch die klare Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern (wieder) einführen, wie sie von der Sharia verlangt wird? Und das Verbot der Homosexualität? Und der Blasphemie – zu der in gewissem Sinne auch die Apostasie gehört?3 Ja, ich denke auch das liesse sich auf friedlichem, demokratischem Weg erreichen. Es bräuchte Zeit4 und sehr viel Überzeugungsarbeit5 und vielleicht sogar eine Verfassungsänderung und die Minderheit der Gegner wäre dann wesentlich unglücklicher als die Minderheit der Befürworter dieser Konzepte heute, aber es liegt wohl im Bereich des Möglichen.

Sie fürchten also um ihre Freiheit.
Insbesondere um jene ihrer Frauen. Weil wenn so viele Muslime hierher kommen, werden sie selbstverständlich früher oder später die Sharia einführen und unsere Frauen unterdrücken wollen. Und das ist doch eigentlich schön – also dass sich die Schweizermänner so vehement für die ausserordentlich jungen Rechte ihrer Frauen einsetzen! (Es bleibt zu hoffen, dass sich die Schweizermänner genau so gegen den Brazilian wehren werden, wenn ihn die Südamerikaner einzuführen versuchen werden…)
Die Freiheit ist natürlich eins unserer wertvollsten Güter, die es unbedingt zu schützen gilt. Sie erlaubt den Menschen ohne Zwang zwischen mehreren Möglichkeiten zu wählen, sollte aber nur so weit gehen, wie sie die Freiheit anderer nicht einschränkt. Obwohl diese Einschränkung eigentlich von allen akzeptiert wird, kann die Umsetzung manchmal ziemlich tricky sein, denn in vielen Fällen scheint nicht ganz klar zu sein, wessen Freiheit es nun ist, die in einer konkreten Situation eingeschränkt wird: Wenn ein Mädchen hochallergisch auf Nüsse ist, wird dann die Freiheit des Mädchens eingeschränkt, wenn man allen anderen Schülern der Schule weiterhin erlaubt Nüsse zu essen, oder wird allen Schülern die Freiheit Nüsse zu essen eingeschränkt, wenn man in der Schule zur Sicherheit des Mädchens eine Nussverbot ausspricht? Oder wenn eine Gerichtsschreiberin eine Christin ist, wird dann ihre Freiheit eingeschränkt, wenn sie gezwungen wird eine Hochzeitsbescheinigung zu unterschreiben, die entsprechend ihrem Glaubens nicht gültig sein kann, oder wird das homosexuelle Paar in seiner Freiheit beschränkt, wenn ihm die Heirat verweigert wird?
Tatsächlich könnte an dieser Befürchtung aber was dran sein – sogar abgesehen davon, dass wir uns aus Angst vor den Flüchtlingen durch Überwachungs- und sonstige Gesetze selbst die Freiheit einschränken. Den Flüchtlingen stehen nämlich, wenn sie nur lange genug hier bleiben, unsere Rechtmittel zu Verfügung, welche Veränderungen entsprechend ihrer Vorstellungen in Gang setzen können, welche, wie die besorgten Bürger glauben, sicherlich in Richtung Sharia weisen werden. Es ist zwar nicht ganz klar, warum sie hier Zustände einführen wollen, vor denen sie aus ihrer Heimat geflohen sind, aber immerhin muss man dann anerkennen, dass sie – so sie tatsächlich die demokratischen Mittel einsetzen um ihre Agende durchzuziehen – dann unsere Kultur wohl besser verinnerlicht haben als jene, welche ihnen die demokratischen Mittel vorzuenthalten versuchen?
Im Zusammenhang mit der Anziehungskraft der Sharia auf Muslime sollte man vielleicht noch eine Sache bedenken: Niemand hindert jemanden daran sich nach allen Regeln zu richten, nach denen er sich zu richten wünscht. Wenn eine Frau sich verschleiern und ein Dieb sich selbst die Hand amputieren will, so sind sie frei das zu tun. Weil Handlungsfreiheit. Sie dürfen einfach nicht andere diesen Regeln unterwerfen. Weil Religionsfreiheit. Nicht mal ihre Kinder. Weil Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.

Unsere Werte sind in Gefahr!
Echt? Unsere Werte sind ein buntes Sammelsurium von sich entwickelnden und zum Teil sogar widersprechenden Einschätzungen. In unserer Gesellschaft reichen dir Werte von alttestamentarischen bis hin zu transhumanistischen Vorstellungen und unterscheiden sich in Europas wahrscheinlich innerhalb der Ländern mehr als zwischen den Ländern. Wenn wir uns nicht einig sind über Vegetarismus, Abtreibung oder soziale Verantwortung, wie sollte dann eine weitere Position eine Gefahr für unsere Werte darstellen?
Wenn man unter Werten aber Dinge wie „Du sollst nicht grundlos lügen, stehlen und töten“ versteht, dann teilen die eigentlich alle Kulturen. Also auch in diesem Fall keine Gefahr für unsere Werte.
Die Angst um die Werte ist eigentlich das grössere Gefahr, weil sie an den jetzigen Werten umsverrecken festhalten will. Werte sind aber nicht in Stein gemeisselt. Sie sollen diskutierbar und verbesserbar sein. Neue Inputs können da nicht schaden.

Ob es den besorgten Bürgern gefällt oder nicht, wir sind bereits Multikulti. Wir haben Stadt und Land, wir haben Akademiker und Bauarbeiter, wir haben Katholiken und Reformierte, wir haben Fleischesser und Vegetarier, wir haben Bier- und Cüplitrinker. Die Philosophie haben wir von den Griechen, die Zahlen von den Arabern, die Religion von den Italienern, die Kartoffeln von den Amerikanern und die Pokémon von den Japanern. So etwas wie eine Leitkultur, die ein Zuzügler übernehmen könnte gibt es gar nicht.
Wie soll dann eine Integration möglich sein? Woran liesse sich erkennen, dass die Integration der verschleierten Frauen auf dem Bild oben geglückt ist?

Integration in UNSERE Kultur bedeutet nicht, dass Frauen keine Burkas mehr tragen, sondern dass es keine Rolle spielt, ob sie eine tragen. Und wenn die Frauen in der Burka oder die Männer, deren Frauen eine Burka tragen, in ihrem Verhalten keinen Unterschied machen zwischen burka- und mankinitragenden Menschen, dann haben sie sich in unsere Kultur integriert. Und das sogar wesentlich besser als manch ein Eingeborener, der den Frauen das Recht das Kleidungsstück ihrer Wahl zu tragen streitig zu machen versucht.

Das heisst nicht, dass ich eine Einstellung gutheisse, welche Frauen nahelegt eine Burka zu tragen (übrigens genauso wenig wie eine, die ihnen nahelegt einen Bikini zu tragen), doch ich werde es keiner Frau übel nehmen, wenn sie es dennoch tut. Ich werde es mir aber auch nicht verkneifen sie darauf hin zu weisen, dass ungeachtet ihrer besten Absichten und der gänzlich eigenständigen Entscheidung sie mit dieser zur Schau getragenen Keuschheit der Sache der Frauen, die vielleicht andere Überzeugungen haben als sie, keinen guten Dienst erweist.

Das wirft ein paar interessante Fragen auf: Wenn ein freiwilliges Verhalten anderen als Motivation zur Unterdrückung Dritter dient, ist es dann ethisch okay, sich so zu verhalten?
Wenn eine Frau aus freien Stücken6 eine Burka anzieht um Gott zu gefallen und sie weiss, dass ein Vater seine Tochter gegen ihren Willen zwingen wird eine Burka anzuziehen um Gott zu gefallen und sie dabei als Referenz anführt, kann sie dann die Burka guten Gewissens tragen? Unterstützt sie damit dann nicht ein System, welches anderen Frauen die Freiheit nimmt, welche ihr überhaupt erst die Möglichkeit gegeben hat, sich freiwillig für die Burka zu entscheiden? Müsste Sie dann nicht zumindest öffentlich erklären, dass am Nichttragen einer Burka aus ihrer Sicht überhaupt nichts auszusetzen sei?7
Das ist allerdings ein bisschen paradox, denn eigentlich ist sie ja überzeugt davon, dass es Gott nicht gefällt. Aber das muss jedes Mädchen selbst mit Gott ausmachen und es liegt nicht am Vater diese Frage für die Tochter zu entscheiden.
Und das ist übrigens auch das Hauptproblem der Religionen: Sie drängen erziehen komplimentieren die Leute zu Entscheidungen, die sie angeblich aus freien Stücken treffen sollen.

Ganz anders als im Mittelalter

Dass die katholische Kirche im finsteren Mittelalter nicht wirklich ein Lichtlein der Hoffnung war, bestreitet wohl niemand. Inzwischen nicht mal die katholische Kirche selbst.
Ob damals die A2H-Bilanz1 aber übler war als heute, dazu will sich irgendwie niemand äussern. Natürlich kann man das nicht wissen, nichtsdestotrotz richtet man als eine religiöse Institution seine Handlungen danach aus den A2H-Wert möglichst hoch zu schrauben. Und alle Empfehlungen (heute sind Befehle nicht mehr so populär) der Kirchen zielen genau darauf ab. Insofern sollten der Klerus schon eine sehr genaue Vorstellung haben, unter welchen Umständen der A2H rauf und unter welchen er runter geht.
Auf jeden Fall würde sicherlich jeder Theologe zustimmen, dass mit der Einführung des Christentums in Saudi-Arabien, die A2H-Bilanz Saudi Arabiens sicherlich steigen wird.

Da im Mittelalter die Kirche fast allmächtig war und da ihr nie etwas mehr am Herzen lag als das Seelenheil seiner Schäfchen2, sollte man doch eigentlich davon aus gehen, dass die A2H-Bilanz damals vorzüglich war.

Es ist natürlich auch gut möglich, dass die Vorstellungen darüber, was den A2H-Wert nach oben treibt, damals nicht korrekt waren. Sei es aufgrund von bedauerlichen Fehlschlüssen, einem Pakt mit dem Teufel oder kaltschnäuzigem Kalkül. So oder so sollte das eigentlich egal gewesen sein, denn im Angesicht der übermächtigen Position der Kirche sowohl in weltlicher wie auch in geistiger Hinsicht, konnte der liebe Gott es den Schäfchen unmöglich übel nehmen, wenn sie sich nach den Vorgaben der Kirche richteten, von welchen die Menschen nur annehmen konnten, dass sie die seinen waren.

Vor allem die Vorstellung, dass es kaltschnäuziges Kalkül war, fasziniert mich. Wohl wissend, dass der richtige Weg zu Gott über Friede, Freude, Eierkuchen geht, entschloss sich die Kirche ein Schreckensherrschaft zu etablieren, die mächtig genug ist, die frohe Botschaft in die ganze Welt zu tragen, sie dort zu durchzusetzen und gleichzeitig sich gegen innere wie äussere Feinde zu behaupten. Was sie die Menschen lehrten und was sie sie machen liessen, war eine Perversion des christlichen Gedankens, aber genau so brachten sie maximal viele Seelen in den Himmel, weil der Glaube an Jesus als Minimalbedingung für den Einlass in den Himmel vorhanden war und für alles andere der Klerus die Verantwortung übernahm. Eigentlich unglaublich selbstlos.

Ein Pakt mit dem Teufel ist dagegn unwahrscheinlich, weil auf diese Strategie überdurchschnittlich viele Seelen in den Himmel schwemmte3. Und bedauerliche Fehlschlüsse werden es wohl eher nicht gewesen sein, weil solche kaum langfristige Erfolge verbuchen werden. Der Erfolg des Christentum ist indessen unbestreitbar:

Aktuelle Verbreitung des Christentums

weltkarte christentum

Entstanden ist das Christentum in Jerusalem und verbreitete sich von dort erst im Nahen Osten und kurz darauf über Rom im Römischen Reich. Diese Ausbreitung verdankte sich anfangs noch der Überzeugungskraft der Worte. Später dann, als das Christentum zur Staatsreligion Roms wurde, wurde mehr und mehr der Gladius zum überzeugendsten Argument fürs Christentum.
Da fragt man sich doch glatt, an wie vielen von den Orten, wo heute inbrünstig Hymnen gesungen werden, die Ureinwohner wohl „liebenswürdig“ in die christliche Gemeinschaft aufgenommen wurden?

liebenswuerdig

Und genau hier liegt das Dilemma der modernen Kirchen: Auf der einen Seite verurteilen sie die Methoden der katholischen Kirche im finsteren Mittelalter, auf der anderen Seite aber beneidet man sie um ihren Erfolg. Und um ihre Fähigkeit ihren Willen kompromisslos durchzusetzen. Jeder, der es besser weiss, bedauert nicht die Möglichkeit zu haben, seine Ideen ohne lästige Kompromisse umsetzen zu können…

Der Vatikan würde die Macht – so sie ihm wieder zurück gegeben würde – natürlich nicht mehr in mittelalterlicher Manier nutzen.
(Obwohl bisher jeder, dem solche Macht gegeben wurde, sie früher oder später immer in mittelalterlicher Manier genutzt hat.)
Er würde sich auf die Kernelemente des Christentum konzentrieren: Jesus, die Nächstenliebe und das Leid. Ja das Leid! Weil durch das Leid eine besondere Nähe zu Jesus Christus erfahrbar ist. Schmerzen und Leid sind nämlich positiv zu bewerten. Das sagte Mutter Teresa. Und die muss es wissen, schliesslich ist sie eben erst heilig gesprochen worden. Und zwar genau für ihre Aufopferung für Leidende. Sowas meinte auch der Heilige Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás, der Gründer von Opus Dei, als er Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schmerz, Schande, Armut, Einsamkeit, Verrat, Verleumdung, Gefängnis… die wahren Schätze des Menschen auf dieser Erde nannte.

Ich frage mich, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn man jemandem die absolute Macht gibt, der Leid als einen vielversprechenden Weg betrachtet? Würde er seinen Gegnern böswillig das Leid vorenthalten?

Eisenstachel oder Religion als Toleranz ohne Grenzen

Islam ist eine Religion, die auf Freiheit beruht. Es gibt keine Obermoslem. Es gibt keinen Moslem, der einem anderen Moslem sagen dürfte, wie er seine Religion zu praktizieren hat. Jeder muss aufgrund seiner Vernunft selber entscheiden, wie er denkt, was er sagt und wie er handelt. (…) Und es steht auch den Eltern nicht zu zum Beispiel den Kindern zu befehlen, ihr habt zu fasten oder ihr habt zu beten, weil das Gebet dann vollkommen ungültig ist. Es muss aus innerem Antrieb, aber immer aufgrund der Freiwilligkeit erfolgen und der Islam kennt eine zentrale Aussage im Koran: Es gibt keinen Zwang in der Religion. Das ist verbindlich für alle Muslime.
Farhad Afshar, im Club am 12.7.2016 25:38 zum Thema Religion: Toleranz ohne Grenzen? 

Das klingt doch schon mal gar nicht schlecht. Man könnte zwar darüber streiten, ob die Kinder je auf die Idee kommen würden zu fasten und zu beten, wenn die Eltern sie nicht vorher irgendwie auf die Idee gebracht hätten. Und ob sie dem Beispiel des Propheten folgen würden, wenn die Eltern sie nicht auf die Idee gebracht hätten, dass alles andere gefährlich und verdammenswert ist.
Ich meine, ich habe auch meine Helden, denen ich nacheifere. Deswegen werde ich aber nicht jeden ihrer Spleens imitieren.

Es fragt sich aber auch, ob eine nett gemeinte Empfehlung wie

Es ist besser, dass einer von euch mit einem Eisenstachel in den Kopf gestochen wird, als das er eine Frau berührt, die er nicht berühren darf.

nicht einen gewissen Erwartungsdruck aufbaut? Der Grund, warum man den Eisenstachel vorziehen soll, ist natürlich, dass die weibliche Berührung den Mann erregen und damit zu allem möglichen Blödsinn verführen kann. Dieser Blödsinn ist das Problem, das mit allen Mitteln vermieden werden soll, nicht die Berührung selbst. Doch da der Blödsinn bei muslimischen Männern offenbar unausweichlich ist, wenn sie erst mal geil sind, muss eben die Geilheit mit allen Mitteln unterbunden werden.

Ich meinte eigentlich Fenchel in Leggings und nicht Fenchel auf Leggings – aber wahrscheinlich kommt es aufs gleiche raus.

Da haben wir Männer im Westen es schon besser. Wir brauchen nur kurz an Fenchel in Leggings zu denken und schon ist tote Hose1.

Solchen Empfehlungen setzen Rolligkeit mit einer tickenden Zeitbombe gleich. (Und um eine Bombe zu entschärfen würde selbst ich mir mit einem Eisenstachel in den Kopf stechen. Jeder Mensch mit einem Fünkchen Anstand würde das tun. Zumindest vorsichtig.) Damit wird Angst geschürt und die möglichen Konsequenzen einer weiblichen Berührung werden als fürchterlich gefährlich dargestellt. Doch das Problem ist, dass wo die Angst lauert, in der Regel nicht viel Freiheit herrscht.

Wenn er den Zwang aus der religiösen Empfehlung hätte heraushalten wollen, hätte der Prophet eher verkünden sollen, dass es besser sei ein Schokoladeneis zu essen als einer fremden Frau die Hand zu geben. Damit hätte er recht gehabt, es hätte den gleichen Anit-Wuschelig-Effekt und das, ohne damit irgendwem eine Heidenangst einzujagen.

Nur so nebenbei bemerkt, diese drakonische Praxis ist auch dem Christentum nicht unbekannt:

Wenn di dein zesms Aug strauchen laasst, naacherd reiß s aus und schmeiß s wögg! Lieber laauffst mit aynn Glid weeniger umaynand, als däßst als ayn Gantzer eyn d Höll abhingworffen werst.
Matthäus 5:29

Rohe Gewalt (respektive das In-Aussicht-stellen von roher Gewalt) scheint in Erziehungsfragen seit jeher das beste Mittel gewesen zu sein…

Unterdessen wissen wir aber, dass man „Gewalt“ auch subtiler einsetzen kann. Es muss nicht mehr unbedingt die Rute sein, den gleichen – wenn nicht sogar den besseren – pädagogischen Effekt erzielt man (um beim Beispiel von oben zu bleiben) mit dem Entzug aller Schokoladeneisprivilegien2.
Das Dilemma im Zusammenhang mit dem von Herrn Farhad Afshar geäusserten Gedanken ist meines Erachtens aber folgendes: Erziehung – ob nun mit roher oder subtiler Gewalt – ist stets eine Form von Zwang. Man lässt die Kinder nicht frei entscheiden, ob sie sich an die gesellschaftlichen Regeln halten wollen, sondern bringt sie auf die eine oder andere Weise dazu, sich diesen zu unterwerfen3. In der Hoffnung, dass sie irgendwann einmal – genau wie wir selbst – erkennen werden, dass das eigentlich eine ziemlich vernünftige „Entscheidung“ war. Wenn nun aber für den Islam, wie Herr Farhad Afshar sagt, die Freiheit in der Entscheidung so wichtig ist, dann müsste man die Religion von der Erziehung trennen und deren Konzept den Leuten erst in einem Alter näher bringen, wo sie sich tatsächlich selbstständig und frei dafür oder dagegen entscheiden können.
Womit man bei den Freidenkern übrigens offene Türen einrennen würde…

Eine Frage bleibt aber noch offen. Nämlich ob Geilheit wirklich so gefährlich ist? Es ist unbestritten, dass Erregung zu fatale Veränderungen im Entscheidungsfindungs-Prozess der Betroffenen führen kann4, das heisst aber nicht, dass wir uns nicht dagegen wehren können. Tatsächlich ist es gerade die Tabuisierung der Erregung und deren pauschale Verteufelung, welche die Leute daran hindert zu lernen mit der Situation umzugehen und wirkungsvolle „Rettungsstrategien“ zu entwickeln. Nicht selten leiden gerade die am meisten unter den Folgen einer unmoralischen Handlungsweise, während anderen, die damit kein Problem haben, diese erspart bleiben5.

Die schrecklichen Konsequenzen lassen sich also durchaus in den Griff kriegen. Vielleicht sind Gott die Konsequenzen auch egal und er mag es einfach nicht, wenn die Menschen sich in diesem Zustand befinden (und es in den Griff kriegen;).