Vertragen sich der Glaube und die Wissenschaft?

Auf der Wissensseite des Tagesanzeigers vom 18.10.2014 führte Dominik Osswald ein Interview mit Christoph Egeler, seineszeichens Psychologe und designierter Leiter des VBG, über die Verträglichkeit von Glaube und Wissenschaft.

Das ist ein interessantes und wichtiges Thema und ich schätze, die Antwort wird wohl lauten, dass sie sich schon irgendwie vertragen – zumindest, wenn man sich an der Heilgeschichte erfreut und die Geschichten nicht allzu wörtlich nimmt. Dann sind es nämlich Nonoverlapping Magisteria und man hat jeweils Ruhe vom anderen. Nun ja, zumindest vorläufig, denn wie beispielsweise Sam Harris in seinem Buch The Moral Landscape: How Science Can Determine Human Values und in gekürzter Form in seinem TED-Talk Science can answer moral questions darlegt, könnte die Wissenschaft uns durchaus helfen ethische Fragen zu beantworten – doch damit würde sie das das letzte Reservat der Religionen betreten.

Andererseits können die Religionen auf eine lange Tradition der „Seelsorge“ zurückblicken, was sicherlich ein wertvoller Fundus ist, wenn es darum geht, wie man Menschen helfen kann. Insofern droht ihnen, denke ich, vorerst kein ernsthafte Gefahr. Diese Vermutung bestätigt sich auch durch die vielen gläubigen Wissenschaftler.
Man darf mich hier aber nicht falsch verstehen. Die Bestätigung kommt nicht durch die Selbsteinschätzung der gläubigen Wissenschaftler, die keinen Widerspruch zwischen Glaube und Wissenschaft sehen – denn, den sehen auch Leute wie der Kreationist Ken Ham oder der Relativitätleugner Georg Todoroff nicht. Die Bestätigung kann nur durch Peers erfolgen, die beurteilen können, ob die Arbeit der Gläubigen durch ihren Glauben in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Von daher ist es etwas fragwürdig, dass die Medien zu dieser Frage nur Gläubige (und Atheisten) zu Wort kommen lassen, die ein persönliches Interesse daran haben, dass die Antwort so oder so rauskommt. Kein sehr sauberes Vorgehen.
Wissenschaftler mit einer neutraleren Gesinnung wären da wesentlich besser geeignet.

Kommen wir nun aber zu besagtem Interview.

Christoph Egeler gibt sich von Anfang an versöhnlich und erklärt, dass sich Glaube und Wissenschaft eigentlich gut verstehen. Doch…

„Ich höre schon ab und zu von Studenten, dass ein Dozent eine bissige Bemerkung zum Glauben macht. Im Stil: «Es soll ja noch solche geben, die glauben, dass…» Sie stellen somit Gläubige als naiv dar, was unüberlegt ist und für mich eine unzulässige Grenzüberschreitung der eigenen Kompetenz darstellt.“

Es werden hier nur die Gläubigen als naiv dargestellt, die … tatsächlich glauben. Eine Pauschalisierung sehe ich hier keine direkte.
Da gewisse Glaubensgemeinschaften … direkt propagieren oder deren Gültigkeit zumindest nicht kategorisch ausschliessen und da es daher tatsächlich solche gibt, die glauben, dass …, ist die bissige Bemerkung rein informativ zu verstehen. Dass sie sie bissig formulieren ist vielleicht nicht nett, aber angesichts der Grösse an Naivität, die notwendig ist, um zu glauben, dass …, durchaus nachvollziehbar.

Dass diese Dinge an Egeler herangetragen werden verdankt er allerdings weniger seiner Funktion als Psychologe, als der er im Artikel vorgestellt wird, sondern vielmehr als Leiter des Bereichs Studium im christlichen Verein VBG.

Wir veranstalten immer wieder Podiumsdiskussionen. (…) Letztmals stellten wir die Frage: «Hat die Wissenschaft Gott abgeschafft?» (…) Es gab gute Argumente von beiden Seiten.

Ein Gedankenexperiment: Wir haben eine Podiumsdiskussion, wo auf der einen Seite A vertreten wird und auf der anderen Seite B. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Anhänger von A die Argumente für A für gut halten und die Anhänger von B die Argumente für B – sonst wären sie nicht Anhänger von A, resp. B.
Im Falle guter Argumente der Gegenseite braucht es ohne Zweifel eine gehörige Portion intellektueller Redlichkeit um offen anzuerkennen, dass diese tatsächlich gut sind, doch heisst das nicht, dass wenn man die Argumente der Gegenseite nicht als gut anerkennt, dass man dann automatisch unter mangelnder intellektueller Redlichkeit leiden würde. Die Argumente der Gegenseite können auch tatsächlich schlecht gewesen sein.
Wenn Egeler also beiden Seiten gute Argumente attestiert, dann heisst das im Angesicht der Tatsache, dass er ein vehementer Verfechter der einen Position ist, dass die andere Seite gute Argumente hat. Nicht aber, dass dies auch für die eigene Seite gilt. Das kann, wie schon weiter oben gezeigt, nur einer beurteilen, der kein existentielles Interesse an der Gültigkeit von Egeleres Position hat.

Ein konkretes Beispiel: Wenn ein Kritiker der Relativitätstheorie mit einem Physiker diskutiert, dann macht seine Beurteilung des Gesprächs, dass beide Seiten gute Argumente vorbrachten, seine Position nicht wirklich stärker.
Wenn auch für einen Aussenstehenden es so aussehen mag, dass wenn ein Physiker mit einem Kritiker der Relativitätstheorie ein ernsthaftes Fachgespräch führt, dass dann wohl etwas an der Kritik dran sein wird. Was zum einen natürlich überhaupt nicht stimmen muss und zu anderen vom Kritiker geplant ist.

Für mich hat die Wissenschaft Gott nicht abgeschafft.

Dann ist ja gut, denn genau so funktioniert die Wissenschaft. Ach ja, gibt es Eulen?

Und dann Peng die Frage, ob Egeler nicht an die Evolution glaubt… (was als an einen studierten Menschen gerichtete Frage in unseren Breitengraden schon etwas seltsam anmutet.)

Doch. Aber begrenzt. Zum Beispiel: Was war ganz am Anfang? Das ist für mich eine Frage, die die Wissenschaft nie wird klären können. Sie hat Theorien dafür entwickelt, wie die Entwicklung fortlief – die Bibel hat damit auch kein Problem. Im Schöpfungsbericht steht: «Die Erde soll Leben hervorbringen.» Diese Formulierung lässt meiner Meinung nach die Evolution durchaus zu. Ich kenne viele gläubige Christen, auch Naturwissenschaftler, die ihren Glauben problemlos mit der Evolution verbinden.

Wie kann man begrenzt an Evolution glauben? Sind die von der Evolution postulierten Mechanismen mächtig genug um aus dem ersten Leben die bestehende Artenvielfalt hervorzubringen oder bracht es eine mehr oder weniger starke Hilfeleistung von aussen? Das ist ja dasselbe, wie begrenzt schwanger sein!
Der Anfang ist kein Problem der Evolution, denn der fällt nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Mit dem Anfang beschäftigt sich die Abiogenese – die Evolution setzt erst dort ein, wo schon was vorhanden ist, das sich verändern und entwickeln kann. Wenn man sich ein Urteil über die Gültigkeit der Evolution machen können will, sollte soviel an Kenntnis eigentlich schon vorhanden sein.
Und selbst wenn man die Entstehung des Lebens der Evolution hinzurechnet, so lässt sich nichtsdestotrotz daraus, was man sich etwas nicht vorstellen kann, nicht schliessen, dass dieses deshalb auch unmöglich ist!
Die Abiogenese hat ein paar vielversprechende Ansätze, doch selbst wenn sie noch völlig im Dunkeln tappen würde, wäre die einzig wissenschaftlich valide Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens: Wir wissen es nicht. Was allerdings nicht heisst, dass man dann jedes beliebige Hirngespinst ernst nehmen müsste. Will Egeler da Gott ins Spiel bringen, braucht er zumindest ein paar vielversprechende Ansätze, die diese Möglichkeit nahelegen.

Nicht uninteressant ist übrigens auch, dass Egeler den zweiten Teil des Bibelverses unterschlug: „ein jedes nach seiner Art“ – was ja in der Regel als sehr deutliches Votum gegen die Makro-Evolution interpretiert wird.

Wie ich schon sagte, ich will gar nicht bestreiten, dass viele Naturwissenschaftlerchristen kaum Probleme haben, ihren Glauben mit der Evolution zu verbinden. Bloss nicht so!

Der nächste Punkt ist auch lustig. Oben entdeckte Egeler Gott dort, wo die Wissenschaft etwas nie wird klären können, wo sie nicht weiter weiss…

Ich glaube nicht an einen Lückenbüsser-Gott, der nur dann zum Zug kommt, wenn die Wissenschaft nicht mehr weiterweiss, also immer kleiner wird, je mehr man weiss. Gott ist immer gleich gross. Nur weil die Wissenschaft nachvollziehen kann, wie gewisse Dinge funktionieren, ändert das nichts am Schöpfer. Schauen Sie Ihr iPhone an, mit dem Sie unser Gespräch aufzeichnen: Angenommen Sie wüssten haargenau, wie dort drin alles funktioniert – wäre Steve Jobs für sie dann kleiner oder gar überflüssig?

Die meisten Christen stellen sich gegen die Vorstellung eines Lückenbüsser-Gottes. Doch irgendwie kaufe ich es ihnen nie ab, denn genau darauf läuft es trotz aller Bemühungen immer hinaus. Sie suchen nach Unerklärtem und erklären, dass es nie erklärt werden könnte und daher nicht ohne sowas wie intelligenten Designer möglich sei.
Wenn man sich aber gegen den Gott der Lücken wehrt, sollte die eigentliche Frage lauten, ob man je Ereignisse Gott zugeschrieben hat, von denen man überzeugt war, dass sie auf völlig natürlich Weise erklärbar sind oder es schon bald sein würden? Zum Beispiel, dass der Apfel wegen Gott vom Baum fällt – nur wenige Gläubige würden sich nicht daran stören, dass Gottes Handeln in diesem Fall in Form der Flugbahn sehr genau vorhersehbar ist.
Leute, die eine solche Position von einem Gott, der den Dingen freien Lauf lässt, ernsthaft vertreten sind eher, die von Egeler später erwähnten Deisten, die aber, wie er sehr genau bemerkt, nicht an einen personalen Schöpfer und an die Offenbarung durch Jesus glauben und daher auch nicht seinen Reihen zugerechnet werden können. Diese Deisten sind in ihren Antworten zu Fragen über die Welt in der Regel von Agnostikern und Atheisten nicht wirklich zu unterscheiden.

Gott ist also immer gleich gross.
Das ist meines Erachtens eine ziemlich seltsame Vorstellung. Wenn der Bauer früher alles von Hand machen musste und heute der grösste Teil von Maschinen übernommen wird, dann hat das nichts mit Grösse zu tun sondern nur mit der Frage, wie viel der Bauer tut. Niemand würde je behaupten, dass ein Bauer mit Maschinenpark kleiner sei.
Indem die Wissenschaft zeigt, was alles von allein geht, schmälert sie nicht die Grösse Gottes, sondern nur seine Notwenigkeit an den verschiedenen Punkten, von denen man vorher meinte, sie bedürften seiner Führung.
Statt der Vorstellung, dass Gott vor 10’000 Jahren mächtig viel zu tun hatte und vor 6’000 einen Wutausbruch hatte, schreibt man ihm heute nur noch eine Handvoll kleiner subtiler Eingriffe zu. Mit Grösse hat das nichts zu tun.
Allerdings darf gefragt werden, wie schwer es ist, diese kleinen Eingriffe vorzunehmen. Für mich ist es natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, doch für ein ein klitzklein wenig transzenteres Wesen als mich ist das vielleicht das reinste Kinderspiel… Insofern ist der einzige Grund zu glauben, dass Gott gross ist, der, dass er selbst von sich sagt, dass er gross ist. Das aber nur am Rande.

Das Beispiel mit Steve Jobs finde ich etwas verwirrend. Es unterschlägt, dass da eine gehörige Portion Glück im Spiel war. Der Erfolg des iPhones ist nicht die Technik, sondern das Verlangen der Kunden. Wenn man dieses so verstanden hätte, wie man es Steve Jobs zuschreibt, dann hätte es ein anderer getan und Steve Jobs würde in diesem Vergleich nie aufgetaucht sein.
Zu diesem Thema empfehle ich die Lektüre des Buches Everything is Obvious: Why Common Sense is Nonsense von Duncan J. Watts und will gar nicht weiter darauf eingehen.

Gleichzeitig ist es ein starkes Argument für Gott, dass man heute an einem Punkt ist, wo man zwar vieles bis zum Urknall zurückverfolgen kann, dann aber zum breiten Konsens gelangt, dass irgendwo am Anfang etwas stehen muss, das wir nicht ergründen können.

Die Wissenschaft hofft zwar, alles mal ergründen zu können, notwendig ist das für ihr Selbstverständnis jedoch nicht. Von einem breiten Konsens, dass es irgendwo was gibt, das sich nicht ergründen lässt, kann jedoch nicht die Rede sein. Dies mag die persönliche Ansicht einer grossen Mehrheit der Wissenschaftler sein, doch kann man aus Dingen, die man nicht weiss, keine Schlüsse ziehen. Auch nicht nicht darauf, ob man sie immer nicht wissen wird.

Und damit kommen wir zur letzten Frage, wo er auch die Deisten erwähnt. Ob die Wissenschaft gläubiger ist, als sie sich gibt?

Sie ist ehrlich genug, um ihre Grenzen zu kennen. Der Glaube an eine höhere Macht ist weit verbreitet, auch unter Wissenschaftlern. Man nennt das «Deismus». Für gläubige Christen ist das zwar eine zu unscharf definierte Position – wir glauben an einen personalen Gott als Schöpfer und an die Offenbarung durch Jesus. Aber im Grunde ist man sich einig, dass nicht Materie und Energie allein zum komplexen Leben geführt haben können. Einstein, Newton, Planck, um nur ein paar wenige zu nennen, waren alle zumindest «Deisten».

Nein, man ist sich bestenfalls einig, dass man nicht versteht, wie sich aus Materie und Energie komplexes Leben hat entwickeln können. Das heisst, man weiss nicht, ob Materie und Energie allein ausreichten oder ob noch etwas mehr notwendig war. Jesus oder Deismus können einem als Antwort erscheinen und man kann gern hoffen, dass sie das ist. Das ändert aber nichts daran, dass man im Grunde nichts weiss, weil es keinen Grund gibt anzunehmen, dass diese Hypothesen gültig sind. Sie erklären nichts besser.

Es fällt auf, dass Egeler gern die persönliche Meinung der Wissenschaftler zu einem wissenschaftlichen Konsens macht. Das ist aber genau so wenig gültig, wie aus dem (fiktiven) Umstand, dass alle Wissenschaftler Vegetarier sind zu schliessen, das die Wissenschaft vegetarisch ist. Daher würde im Grund auch keiner der betreffenden Wissenschaftler sagen, dass er aus seinem Feld der Expertise klare Evidenzen hat, die seine diesbezügliche Meinung zwingend machen würden. Es ist eine persönliche Meinung, eine Hoffnung, ein Glaube.


Konklusion: Würden Egelers Peers seine Aussagen hier unterschreiben?

  • Seine professionellen aus der Psychologie nicht, denn seine Aussagen beispielsweise über die Gültigkeit der Evolution fällt ganz und gar nicht in deren Zuständigkeitsbreich.
  • Seine spirituellen aus der Religion schon, weil sie glauben dennoch mitreden zu können.

An welchen Egeler war das Interview also gerichtet?


Fazit:

Was genau hat Christoph Egeler auf der Wissensseite des Tagesanzeigers zu suchen?

Vor 2000 Jahren

GottVor 2000 Jahren war es noch einfach zu glauben.

Nicht nur, weil Gott damals dauernd irgendwelchen Menschen erschien und ihnen allerlei Anweisungen gab.
Ich meine, es dürfte einem ziemlich schwer fallen, die Existenz Gottes zu bezweifeln, wenn er einen jeden Samstag morgen aus dem Bett klingelt, oder?

Nein, vor 2000 Jahren war es noch einfach zu glauben, weil man überall das Handeln Gottes sah:
Wenn beim Nachbarn der Blitz einschlug, dann war es klar, dass das die Strafe Gottes war.
Man wusste schliesslich, was der auf dem Kerbholz hatte, und dass es höchste Zeit war, dass er mal seine verdiente Abreibung bekam.
Was man hingegen nicht wusste, war, dass Blitze völlig natürliche und durchaus vorhersagbare Phänomene sind. (Wohlgemerkt vorhersagbar in einem naturphilosophischen Sinn und nicht in einem moralischen!)
Und was man auch nicht wusste, war, dass uns die selektive Wahrnehmung einen Streich spielen kann, wenn wir irgendwo einen Akt der Gerechtigkeit zu entdecken glauben.

Zur Illustration: Wenn sich zwei Pixel zufällig über einen nicht allzu grossen Bildschirm bewegen, dann glauben wir schnell mal zu erkennen, dass der eine dem anderen hinterher jagt. Wir interpretieren das in die Situation hinein und empfinden sogar Empathie für den Verfolgten. Wir können gar nicht anders.
Unser Gehirn wurde im Lauf der Evolution genau darauf optimiert: Muster zu erkennen – und zwar lieber mal eins zu viel als ein zu wenig.

Das heisst, dass wenn ein Blitz ins Nachbarshaus einschlägt, dann hat das nichts damit zu tun, dass dieser eine Woche zuvor meine Katze überfahren hat. Und doch werde ich ein freudiges Gefühl der Genugtuung verspüren. Daran ändert auch nichts, dass ich ganz genau weiss, dass der Blitz den vermeintlichen, karmischen Ausgleich auch dann vollzogen hätte, wenn es jede beliebige andere Person erwischt hätte. Weil ich je nach dem, ob ich der Person was Gutes oder Übles wünsche, nach Guten oder Üblem als Folge des Blitzes Ausschau gehalten hätte. Und irgendwas hätte sich schon finden lassen. Garantiert!

Es gibt also offensichtlich keinen Ort auf der Welt, wo ein Blitz einschlagen könnte, wo er unserem spontanen Instinkt nach nicht etwas zum Guten wenden wird. Wenn das mal kein Beweis für die Liebe Gottes ist…
(Theoretisch wäre natürlich auch möglich, nach Folgen Ausschau zu halten, die das karmischen Ungleichgewicht verstärken und damit die Verschlagenheit des transzendenten Widersachers belegen, doch aus einem unergründlichen Grund zieht man es offenbar vor, diese Variante nur auf Ereignisse zu beschränken, wo Menschen die Finger im Spiel hatten.)

Heute wissen wir, dass wir für eine richtige Einschätzung dessen, ob etwas eine Strafe oder Belohnung ist, dem Ort, wo der Blitz eingeschlagen ist, alle anderen Orte entgegen stellen müssen, wo er genauso gut hätte einschlagen und mindestens genauso viel Gutes hätte verursachen können. Wir wissen, dass der Umstand, dass sich ein Ereignis ereignet, dessen Wahrscheinlichkeit sich ereignen zu können in keinster Weise beeinflusst.
Doch obwohl wir all das heute wissen, leitet uns unser Gefühl trotzdem immer mal wieder in die Irre!
Wohin musste einen das Gefühl erst geführt haben, als man all das noch nicht wusste?

Wenn etwas aussieht, als ob jemand dahinter steckt, man aber keinen blassen Schimmer hat, wie es tatsächlich funktionieren könnte, wie soll man da auf die Idee kommen, dass da doch niemand dahinter steckt?
Ausgeschlossen ist es nicht.
Eine sorgfältige Statistik beispielsweise würde keine Muster erkennen lassen, die man eigentlich erwarten müsste, wenn wirklich jemand dahinter stecken würde.
Oder man könnte auch die Überzeugung auf die Probe stellen, indem man die Lehre, die man aus der vermeintlichen Strafe gezogen hat, umgekehrt umsetzt und das nächste Gewitter abwartet.

Wie gesagt, vor 2000 Jahren war es noch einfach zu glauben.
Man konnte Gott sogar auf die Probe stellen: Man betete mal provokativ zu einem anderen Gott und prompt jagte der einzig wahre Gott einem den Mossad auf den Hals. Oder man konnte das auserwählte Volk in eine ausweglose Situation bringen, aus der Gott es dann mit einem Wunder wieder herausführte.
Heute geht das nicht mehr.

Okay, manche Christen sagen, man könne Gott auch heute noch auf die Probe stellen. Man müsse es sogar. Man müsse sich ihm bloss anvertrauen und man würde die Antwort erkennen.
Erinnert mich an die Sache mit dem Blitz. Bei einem Test sagt man das Ergebnis voraus und schaut, ob es dann auch so rauskommt. Hier schaut man sich die Ergebnisse an und überlegt sich, welches davon den Test beantwortet.
Erinnert mich an Bad Pharma… #AllTrials

 

Eigentlich lustig, dass fundamentale Gläubige sich lieber von der Intuition leiten lassen, die ein Produkt der Evolution ist, und sich gegen die Vernunft auflehnen, die in gewisser Weise die Evolution überwunden hat.

Abstand nehmen von seinen Helden

Ich halte mich selbst eigentlich für einen Feministen, doch damit, was Jane Rayner hier verlangt, schiesst sie nun definitiv den Vogel ab. Dass man Frauen so lange bei der Stellenvergabe an Universitäten und auch anderswo bevorzugt, bis das Geschlechterverhältnis jenem der zur Verfügung stehenden qualifizierten Kandidaten entspricht, halte ich trotz der inherenten Diskriminierung für völlig richtig, Männern aber grundsätzlich nicht gestatten zu wollen, dass sie Lehrstühle und Führungspositionen inne haben können, ist absurd. Dass Männer im Laufe der Geschichte so manchen Blödsinn angestellt haben, mag schon stimmen, ihnen aber daraus eine kategorische Unfähigkeit attestieren zu wollen, geht gar nicht. Selbst wenn die Chance, der der Lehre und Führung innewohnenden Macht zu erliegen, bei Männern um Grössenordnungen ausgeprägter sein mag als bei Frauen, wie Rayner mit Studien zu belegen versucht, so darf man das trotzdem nicht jemandem zum Vorwurf machen, der es sich noch nicht zuschulden gemacht hat. Das mag zwar manchen lästig erscheinen, doch so funktioniert nun mal die Ethik und unser Rechtssystem.

In den Kommentaren versuchen zwar ein paar Verteidiger verzweifelt ihre Forderungen so umzuinterpretieren, dass der Diskriminierungsvorwurf entkräftet wird, doch ich frage mich, wieviel Spielraum so klare Worte lassen?
Ich vertrete hier ja auch immer die Position, dass man von allen möglichen Interpretationen stets die liebste unterstellen soll, doch hier ist der Bogen überspannt.

Ich frage mich, ob es objektive Kriterien gibt, die einem sagen können, ab wann bei einer Interpretation der Bogen überspannt ist und man allgemein akzeptieren muss, dass „sowas“ nun definitiv nicht mehr herausgelesen werden kann?
Allerdings fürchte ich, dass egal, wie grosszügig man die Kriterien formuliert, es wird immer irgendwelche Trottel geben, die auch dann noch das erwähnte „sowas“ drin erkennen werden.

Bisher hätte ich eigentlich alle Ideen Rayners unterschreiben können – insbesondere von ihren religionskritischen Argumenten war ich stets sehr angetan. Doch dass es gerechtfertigt sein soll, „den Fuchs lieber grundsätzlich vom Hühnerstall fernzuhalten“, wie Rayner es formuliert, kann ich – wie übrigens die meisten anderen Kommentatoren – beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Kann es sein, dass Rayner und ich in den Punkten, wo wir uns einig sind, aus völlig unterschiedlichen, womöglich gar einander ausschliessenden Gründen die gleiche Position vertreten?
Soll vorkommen.

Oder hat sie vielleicht doch recht?
Könnte die Diskriminierung im Angesicht einer biologisch bedingten Schwäche doch gerechtfertigt sein?
Wenn man es nicht kategorisch macht, sondern mit einem Test (den durch eine biologisch bedingte Schwäche der Männer nur Frauen bestehen würden), dann würde auch der Vorwurf der Diskriminierung hinfällig.

 

 

Noah 2.0

Stellt euch mal die Enttäuschung jener Tiere vor, welche auf der Arche feststellen mussten, dass sie nur als Raubtierfutter mit an Bord genommen wurden…
Ian Hazelwood

Atheisten sorgen sich gern um das Wohl all der Raubtiere auf der Arche und fragen sich, womit wie sie bloss während des Jahres auf Noahs Kahn gefüttert wurden.
Als ob nach der Sintflut nicht genug Fleisch in Form von Leichen auf dem Wasser herumgetrieben wäre… Und was die Haltbarkeit betrifft, wenn die Menschen damals wirklich so verrucht waren, vielleicht hat’s da auch ein paar Zombies unter ihnen gegeben und die halten doch – glaube ich – sicher länger frisch…

Das wirft allerdings ein paar brisante Fragen auf: Können Zombies überhaupt ertrinken? Die Ansichten in der einschlägigen Literatur gehen in diesem Punkt deutlich auseinander auseinander.
Sollten sich Zombies nicht ersäufen lassen, dann hat Gott bei seiner Säuberung ein wichtiges Detail übersehen, welches den gewünschten Effekt der ganzen Aktion gänzlich vereiteln könnte.
Die Sintflut war schon ein gewaltiges Ereignis, doch sollte es wirklich die Macht Satans übersteigen da den einen oder anderen seiner Böcke mehr oder weniger unbeschadet durch zu bringen?

Was wiederum eine brisante Frage aufwirft: Warum hat Gott bei der Gelegenheit nicht auch gleich Satan und all die bösem Dämonen beseitigt? Es was schliesslich Satans Einfluss, der die Menschen so werden liess, dass Gott sich genötigt sah, sie zu vernichten.
Das ist ja so, als ob man alle Pestkranken töten würde, aber die Raten, die die Krankheit übertragen, unbeschadet liesse.

Oder vielleicht wurden Eidechsen, resp. Teile von ihnen, verfüttert. Die „Spender“ hätten sich dann regenerieren können, bevor sie erneut als Steak-Spender fungieren konnten…

Oder vielleicht ernährte Noah den ganzen Stall mit Prometheus Leber, die ihm der Adler Ethos – der dieser wohl inzwischen überdrüssig geworden war – jeden Tag brachte…

Auch das würde ein interessante Fragen aufwerfen: Demzufolge wäre Alkmene, die Mutter von Herakles, der Prometheus ja am Ende befreite, eine direkte Nachfahrin Noahs?
Oder aber Herakles hat die Sintflut irgendwie unbeschadet überstanden – nun ja, wenn das eine schafft, dann sicher Herakles!

Oder aber die Sintflut war gar nicht Gottes Werk, sondern das von Herakles: Das Ausmisten des Stalles von Augias! Für ein an Dürre gewohntes Hirtenvolk wie die Juden seinerzeit mussten die Wassermassen, die Herakles durch das Umlenken der beiden Flüsse  Alpheios und Peneios durch den verdreckten Stall leitete, mächtig beeindruckend gewesen sein. Und die Arche war ja auch sowas wie ein Stall. Und wenn man noch Noahs vorgerücktes Alter und seine Leidenschaft für Wein bedenkt, dann fängt das ganze auf einmal an Sinn zu machen…

Wie dem auch sei, Hollywood plant jetzt offensichtlich ein Sequel zum Film Noah mit Ricky Gervais als Bruder von Russel Crow:

https://twitter.com/rickygervais/status/520268480265076736

Wie sähe die Welt heute wohl aus, wenn Noah doppelt so viele Tiere (und Menschen) gerettet hätte?

wohl nicht noahs kätzchenOkay, all die währnd der Sintflut ertrunkenen Kätzchen waren ein bedauerlicher Kollateralschaden, doch waren Noah und die Angehörigen seiner Familie wirklich die einzigen Menschen auf der ganzen Welt, die nicht verdorben waren?

Hätte Gott nicht ein paar Generation früher einschreiten können? In seiner Allwissenheit wusste er ja, wohin das führt. Dann hätten sich mehr Menschen und wohl auch Tiere retten können.

Wieso waren eigentlich alle verdorben und Noah nicht? Falsche Erziehung? Üble genetische Voraussetzung?

Wäre Ham, Noahs Sohn, im Spital aus versehen mit Han, dem Sohn der Nachbaren, vertauscht worden, was wäre aus aus Ham und Han geworden? Wäre Ham trotz des schleichen Einflusses seiner falschen Eltern ein lieber Junge und Han trotz des guten Einflusses Noahs ein Schmuggler geworden?
Wenn es die Erziehung war, welche Noah und seine Familie gerettet hat, dann hätte Noah durchaus noch ein paar Babies und Kinder stehlen und zu guten Menschen erziehen können.
Und wenn es die genetische Voraussetzung war, wie schafften es die guten Gene in der Familie zu bleiben? Sind die guten Gene gegenüber den schlechten dominant oder rezessiv? Wie wirkten sich im Vorfeld nichtinzestuöse Ehen auf den Genpool der Familie Noah und den ihrer Nachbaren aus?

Wieviele unserer Probleme heute gründen sich in der Degeneration, die durch einen zu kleinen Genpool auf der Arche vor ca. 4500 Jahren bedingt wird?

Sexy Jesus

Das Urteil für den Teenager, der Oralsex mit der Jesus-Statue hatte, ist raus:

The boy appeared before Judge Thomas Ling and agreed to a consent decree signed by all parties involved, including the boy, his mother and his attorney, Karen Hickey.
The boy must not use social media during a six-month probation period as well as perform 350 hours of community service.
Among the other punishments, he must obey a curfew of 10 p.m., no alcohol or other controlled substances monitored by random drug testing and stay in school.
District Attorney Bill Higgins presented the decree to the court.
After accepting the agreement and while settling the number of community service hours, Judge Ling focused on the religious rights of Love in the Name of Christ, noting that the juvenile’s actions infringed upon their rights to practice their faith.
Upon successful completion of these terms and conditions, his case will be dismissed and the juvenile will have no criminal record.
WJAC

Zum Grübeln bringt mich der folgende Satz:

„noting that the juvenile’s actions infringed upon their rights to practice their faith“

Ich könnte verstehen, wenn es da heissen würde, dass es die religiösen Gefühle der Gläubigen verletzt – das ist schliesslich das „Verbrechen“, vor dem Blasphemiegesetze schützen sollen – , doch hier wird explizit vom Recht seinen Glauben auszuüben gesprochen. Also von einem (böswilligen) Angriff auf die Religionsfreiheit. Der Richter scheint wohl etwas handfesteres haben zu wollen als als lediglich die mittelalterliche Blasphemie.

Ich frage mich, wie man bemessen kann, ob jemandes Recht zur Ausübung seines Glaubens verletzt wurde?
Wenn die Gläubigen am Ende des Monats weniger Gebets- oder Messestunden auf dem Konto haben, dann natürlich ja. Aber ich bezweifle, dass sowas der Fall ist. Eher im Gegenteil ;)
Oder nimmt sowas den Leuten die Lust am Gebet oder am Gottesdienst? Wegen etwas, was man den Monica Lewinsky Effekt nennen könnte?

Oder lässt es den Zustrom neuer Gemeindemitglieder versiegen?
Dann müssten aber auch all die fundamentalistische Deppen verurteilt werden, deren Position dermassen absurd und lächerlich ist, dass sie mögliche Adepten verschrecken, die sonst sachte und einfühlsam hätten eingeführt werden können.
Und wenn man sich die Biografien vieler Atheisten anschaut und merkt, dass für viele von ihnen der Ausgangspunkt in ihrem Zweifel die tatsächliche Lektüre der Bibel war, dann müsste man wohl zum Schutz einer solchen Religionsfreiheit auch die Bibel selbst auf den Index setzen. (Was laut vielen fundamentalistischen Christen die katholische Kirche während Jahrhunderten tatsächlich getan haben soll. Und damit wohl die Religionsfreiheit gefördert hat ;)

Sexy Jesus im Film Son of God

Andererseits lenken wohl auch der Terror im IS oder auch sexy Jesuse die Konvertitenströme und müssten dann folgerichtig mit 350 Stunden Sozialarbeit und einer halbjährigen Verbannung aus den sozialen Medien bestraft werden. Man darf schliesslich nicht die eine oder andere Seite bevorteiligen. Das würde gegen die Religionsfreiheit verstossen.
Eine Anschlussfrage wäre dann, ob die Medien, die darüber berichten, sich nicht der Beihilfe zum Umleiten der Konvertitenströme schuldig machen und ebenfalls mit Sozialarbeit und einer Verbannung aus den sozialen Medien bestraft werden sollten?

Hier schliesst sich der Kreis. Oralsex mit Jesus sexualisiert den Sohn Gottes. Das ist aber nur fast neu. Schon der Jesus in der 2013 Verfilmung Son of God ist verdammt sexy und ohne Zweifel der feuchte Traum so manch einer heissen Christin. Und wohl auch so manch eines warmen Christen.
Was der Teenager da praktiziert hat, haben wohl viele andere auch schon in ihren Köpfen gemacht. Auf die eine oder andere Weise. Da könnte man sich doch glatt fragen, wieviel von der Empörung einfach nur blanker Neid ist?

 

Mit dem Thema hat das eigentlich nichts zu tun, aber wie haben die Kirchen es nur so lange geschafft, Jesus, den Verkünder der Liebe, so schön und gleichzeitig so bar aller Sexualität zu verkaufen? Ist dieser Umstand nicht ein sehr deutliches Zeichen für die Verachtung der Sexualität?
Dazu mehr zu einem späteren Zeitpunkt…

Christliche Ursachen und Wirkungen

Je­der weiß, dass Chris­ten we­ni­ger sau­fen als Athe­is­ten.
Im Bible Belt wird of­fen­sicht­lich we­ni­ger gesoffen.
(Im Bible Belt gelten die strengsten Alkohol-Gesetze.)
Der Glaube be­dingt die stren­gen Ge­setze und ist da­durch di­rekte Ur­sa­che für den ge­rin­ge­ren Konsum.
frei nach Gregor, Rechtsanwalt

Dass es möglich oder gar wahrscheinlich ist, dass Christen weniger saufen als Atheisten, will ich gar nicht bestreiten. Ich halte lediglich Gregors „Beweisführung“ für völlig absurd und bar jeder Vernunft.

„Jeder weiss“ ist schon mal eine viel zu starke Aussage – auf mich trifft sie zum Beispiel nicht zu. Es mag durchaus plausibel sein, dass Christen weniger saufen als Atheisten, schliesslich versuchen Religionen seit jeher Exzesse aller Art zu unterbinden. (Der Schweinefleisch-Konsum im Judentum ist wohl relativ niedrig und Vergewaltigungen im Islam den offiziellen Zahlen nach wohl auch.) Ob das Christentum im Bezug aufs Saufen aber wirklich erfolgreicher ist als andere, weniger transzendente Strategien, ist so ohne weiteres schwer zu sagen. Erfahrungen sind aufgrund des Confirmation Bias nämlich ein denkbar ungeeigneter Ratgeber. Da müssen schon saubere Studien her, die genau dieser Fragestellung auf den Grund gehen.

Wenn das Christentum einen nachweisbar senkenden Effekt auf das Saufverhalten haben soll, dann müsste – so Gregors Logik – im Bible Belt der USA deutlich weniger gesoffen werden als in weniger religiösen Regionen. Dass dem tatsächlich so ist, untermauerte er mit der Grafik links, welche – wohlgemerkt – weder irgendwelche Quellen angibt, noch überhaupt erwähnt, was damit eigentlich gezeigt werden soll! Es könnte also genauso gut die Zahl der Menschen sein, die aus Mexiko importierte Zitronen kaufen oder am Tag mehr als 300 Meter laufen. Soviel zur Sorgfalt, mit der er seine Argumente vorbringt.

Quelle: Friendly Atheist

Bevor ich mich dem Gregors Argument zuwende, zunächst zwei Karten, welche die geografische Lage sondieren:

Importance of Religion (Quelle: Friendly Atheist)
Bible Belt (Quelle: Wikipedia)

Wenn wir also den Gegenpol zum Bible Belt suchen, im Vergleich zu dem die markanteste Differenz auszumachen sein müsste, dann wäre das dann wohl Neuengland.

Ich habe mich also auf die Suche gemacht und Gregors Grafik aufgespürt. Und es thematisiert tatsächlich Alkoholkonsum und nicht etwa Zitronenimporte. So weit so gut:

Alcohol Use in Past Month among Persons Aged 12 or Older (Quelle: SAMHSA, Figure 3.1)

Tatsächlich zeigt die Grafik, dass im Bible Belt im Vergleich zu Neuengland einen tieferen Alkoholkonsum hat, es ist jedoch fraglich, ob dies wirklich der Religiosität oder vielleicht doch der strengeren Gesetzgebung zu verdanken ist? Schliesslich ist in vielen Counties im Bible Belt der Alkoholverkauf untersagt oder zumindest sehr streng reglementiert:

Where is Al­co­hol Still Ban­ned in the U.S.? (Quelle: BBC)

Um die Wirkung eines Einflusses zu bewerten, hält man für gewöhnlich alle anderen Einflüsse konstant. Um zu sehen, ob Religion das Trinkverhalten beeinflusst, würde man daher nicht Gruppen vergleichen, von denen die eine in einem Staat ist, in dem der Alkoholkonsum verboten ist, und die andere in einem wo er legal ist. Daran scheint sich Gregor aber nicht nur nicht zu stören, für ihn stellt das viel mehr eine Bestätigung seiner These dar. Denn schliesslich war es das im Bible Belt tief verwurzelte christliche Gedankengut, das die Bürger dieser Staaten dazu brachte Repräsentanten zu wählen, die eine Lockerung der eigentlich im Jahre 1933 abgeschafften Prohibition verhinderten und damit den Alkoholkonsum tief halten.

Alternativ hätte er übrigens auch einwenden können, dass drakonische Gesetze und Strafen Übertretungen und Verbrechen nicht verhindern – der Vergleich zwischen den USA und Europa legt diesen Schluss ja durchaus nahe – und die Prohibition im Bible Belt daher keinen Einfluss auf den Alkoholkonsum habe, doch das würde wohl Gregors biblischem Rechtsempfinden wider sprechen.

Das Problem ist aber, dass die strengen Gesetze im Bible Belt auch die dortigen Atheisten gegen ihren Willen vom Alkohol fern halten, während die liberaleren Gesetze Neuenglands den dortigen Christen nichts gegen ihren Willen aufdrängen, was je nach Anzahl der nicht so streng Gläubigen im Bible Belt (mind. 20%) die Differenz zwischen den beiden Staaten merklich zugunsten des positiven Einflusses des Christentums verfälscht.
Ausser natürlich man könnte nachweisen – wovon Gregor seit jeher überzeugt ist – , dass Atheisten sich weniger an die Gesetze halten und diese deshalb an ihrem natürlichen Trinkverhalten nichts ändern. Doch wenn man sich Statistiken anschaut, die die Religiosität gegen Verbrechen abbilden, dann wird dies nicht bestätigt – eher im Gegenteil.

Property crime correlated with religion in daily life (Quelle: Secularist10)

Was ist aber vom Argument zu halten, dass die Leute entsprechend ihrer christlichen Weltanschauung eine Politik wählen, die die positiven, christlichen Werte verstärkt? Das ist eine raffinierte Strategie sich vor der Situation zu drücken, wo man seinen christlichen Idealen mit grosser Wahrscheinlichkeit untreu geworden wäre. Es ist eine Form von gesellschaftlicher Selbstkontrolle. Statt durstig in einem Laden auf ein Bier verzichten zu versuchen, organisiert man es lieber so, dass es im Laden gar kein Bier gibt.
Das Problem ist, dass gewisse Einschränkungen, die man im Interesse der eigenen Religion gesetzlich verankert, von anderen Weltanschauungen nicht verlangt werden. Wie kommen die anderen dann aber dazu sich diesen Einschränkungen auch beugen zu müssen? Das ist eine eklatante Missachtung der Trennung von Kirche und Staat und damit eigentlich auch ein Verstoss gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Natürlich ist das im Fall von Alkohol nicht ganz so schwerwiegend, denn Massnahmen, die den Missbrauch und die gesellschaftlichen Folgen reduzieren sind im Interesse aller. Wenn allerdings ein Gesetz nicht mit Finanzierbarkeit, Gesundheit, Sicherheit oder von mir aus auch mit Schönheit begründet wird, sondern mit dem Willen Gottes, dann geht es zu weit.

Gregors These ist, dass das Christentum die Menschen vor dem Saufen dessen tragischen Konsequenzen bewahrt.
Man kann natürlich in weiser Voraussicht die Situationen vermeiden, in denen man in Versuchung geraten könnte.
Die zentrale Frage ist aber, wie man reagiert, wenn man mitten in der Versuchung steckt. Und ob einem da das Christentum auch helfen kann?

Ein schönes Beispiel, wo dies offensichtlich nicht wie gewünscht funktioniert, sind die Vorsätze religiöser Jugendlicher bis zur Ehe enthaltsam zu leben. Man kann es sich noch so sehr vornehmen, wenn es heiss wird, erkennt man sich nicht mehr wieder und tut, was man nicht zu tun sich vorgenommen hat. Deshalb findet man auch ausgerechnet im Bible Belt die meisten Teenager-Schwangerschaften:

US teen birth rates by state per 1000 girls aged 15-19 years 2009 (Quelle: Wikimedia)

Das heisst nicht notwendigerweise, dass die Jugendlichen in den Südstaaten mehr Sex haben, sie haben einfach weniger Ahnung von Verhütung, geschweige denn den nötigen Schutz zur Hand.
Wenn das Ziel ist Teenager-Schwangerschaften zu senken, da diese für die betroffenen oft tragische Folgen haben, dann taugt das Christentum im Bible Belt wesentlich weniger als der Atheismus in Neuengland.

Aus diesem sexuellen Kontext werden auch die Begriffe für die beiden Zustände cool state und hot state entlehnt.
Die Alkohol-Gesetze wurden im cool state beschlossen. Man ist ruhig, rational und langfristig kalkulierend. Der Will etwas gegen den Alkoholmissbrauch zu tun, hat allerdings wenig mit Jesus und der Bibel zu tun, denn alle, auch die Atheisten in Neuengland, sind sich einig, dass da irgendetwas getan werden muss. Das Leid, das der Alkohol verursacht, ist ja offensichtlich und lässt niemanden kalt. Es sind sich auch alle einig, dass die Prohibition eine Lösung für das Problem ist. Bloss bezweifeln die Liberalen, dass diese Lösung das gewünschte Ergebnis liefert, geschweige denn dass sie gerechtfertigt ist.

Durstig vor einer Flasche Bier stehen, das ist dagegen der hot state. Hier soll Jesus mal zeigen, was er drauf hat!

Der hot state war schon immer eine Herausforderung für das Christentum. 1973 unternahmen Darley & Batson das berühmte „Good Samaritan Experiement„, das in verschiedenen Formen seither etliche male wiederholt wurde und wo genau die von Gregor prophezeihte christliche Wirkung sich einfach nicht einstellen wollte.

Damit bleibt von Gregors Argument, warum Christen weniger als Atheisten saufen, eigentlich nicht viel übrig…

Obwohl…

Die von Gregor gepostete Grafik sprach vom Alkohol-Konsum (Alcohol Use), nicht jedoch vom Saufen (Binge Alcohol Use). Und das ist ja nicht dasselbe.
Witzigerweise ist auf der gleichen Seite auch eine Grafik zu diesem Thema:

Binge Alcohol Use in Past Month among Persons Aged 12 or Older (Quelle: SAMHSA, Figure 3.5)

Und hier ist der Abstand zu Neuengland auf einmal nicht mehr so deutlich. Vielmehr befindet sich jetzt grosse Teile des Bible Belts auf einmal im Mittelfeld…

 

Zum Abschluss noch eine letzte Grafik – in meinen Augen eine der aufschlussreichsten, denn sie stellt die Entwicklung des Alkoholkonsums innerhalb der letzten vier Jahrzehnte dar:

change in per capita alcohol consumption between 1970 and 2007 (Quelle: GeoCurrents)

Wie es aussieht, scheint Jesus die Leute in letzter Zeit eher beim Trinken anzuspornen…

 


 

Disclaimer: Ich habe die verwendeten Statistiken nicht sehr genau auf ihre Richtigkeit überprüft. Ich habe jeweils mit so wenigen Stichworten wie möglich gegoogelt und die Grafiken nur dann übernommen, wenn ich andere mit ähnlichen und keine mit völlig anderen Ergebnissen gefunden habe.