Grosse Ideen und der Weg zur Akzeptanz

Jede grosse Idee war mal ein absurdes Hirngespinst, das von der Fachwelt nur belächelt wurde. Und in manchen Fällen brauchte es leider eine zähe und langwierige Überzeugungsarbeit, bis sie sich durchgesetzte. Doch verlief der Weg zur Akzeptanz in der Fachwelt nie über den Kindergarten, wo sich die Knirpse selbst ein Bild machen sollten!
Wenn man Kinder etwas lehrt, auf dass sie es dann später mal in den Hochschulen durchsetzen, dann ist das meines Erachtens ethisch höchst bedenklich, denn auf diese Weise werden die Kinder von den Ideen instrumentalisiert. Instrumentalisiert, weil sie die Gültigkeit der Argumente, welche sie zu überbringen bestimmt wurden, noch gar nicht beurteilen können.

Die auf den ersten Blick sehr tolerant wirkende Position, dass sich jeder seine eigene Meinung bilden soll, verlangen die Fundamentalisten wenig überraschend allerdings nur dort, wo ihre Ansichten lediglich eine verschwindende Minderheit zu überzeugen vermögen. Bei anderen Themen setzen sie dagegen eher auf ein Verbot überhaupt Fragen zu stellen, was ja nichts anderes ist, als wenn man etwas als heilig erklärt. Ich denke da beispielsweise an die Abtreibung, wo das Leben heilig ist, an die Homosexualität, wo die Ehe heilig ist, oder Blasphemie, wo die persönliche Beziehung zu Gott heilig ist.

Thermodynamik der Fundamentaltoleranz

Bis wohin die eigene Meinung gebildet werden soll und ab wann es heilig ist, lässt sich witzigerweise ziemlich exakt bestimmen:

  • Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ein allgemein als gültig anerkanntes Argument für eine bestimmte Ansicht aus ideologischen Gründen nicht akzeptiert, sei pi.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ein allgemein als gültig anerkanntes Argument für eine bestimmte Ansicht zufällig nicht akzeptiert, sei pz.
  • Dann wird so lange auf die eigene Meinungsbildung gesetzt wie pz > pi ist. Sobald sich das Grössenverhältnis umdreht, wird auf die Heiligkeit gepocht, weil die Zufälligen auch in den eigenen Reihen gefunden werden können und entsprechend wieder die Seite wechseln können.
  • Die Kindergartenkinder gehören übrigens zu den Zufälligen, weil es weder die Qualität des Arguments noch die Treue zur Ideologie ist, was sie überzeugt, sondern weil sie einfach alles nachplappern und glauben, was ihnen gesagt wird – und ob der Lehrer nun ein Theist oder Atheist ist, ist nicht nur in Istrien gewissermassen Zufall.

 

Noch eine relative Relativierung

Okay, wenn die absurden Hirngespinste Toleranz und Gleichberechtigung sind, dann sollte man es trotzdem machen. Nicht weil es dann ethisch wäre, denn das ist es strenggenommen noch immer nicht, weil die Kinder es noch immer nicht wirklich beurteilen können, sondern weil die positiven Konsequenzen am Ende überwiegen.
Okay, genau das sagen natürlich auch die Fundamentalisten über ihre Inhalte, doch ihr Kassensturz wird erst im Jenseits gemacht und entzieht sich damit leider jeglicher institutioneller Kontrolle.

Okay, die Thermodynamik der Fundamentaltoleranz ist schon ein klitzekleines Bisschen überzogen. Doch der Punkt bleibt: Wenn man Laien zwei Seiten präsentiert, wird die Verteilung der Anhänger nicht mit der Qualität der Argumente der beiden Seiten korrelieren, sondern wesentlich ausgeglichener sein, was natürlich den verrückten Theorien zugute kommt. Ein schönes Beispiel hierfür demonstriert der folgende Artikel über den Konsens bezüglich der Akzeptanz des Klimawandels.

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