An einem Ast sägen

Gestern bin ich mit Ava (5 Jahre) an diesem Plakat vorbei gelaufen und sie fand, dass der Mann schon ein bisschen blöd sei.
Und gerade jetzt, als ich die erste Zeile tippe, kam sie, schaute sie und bemerkte trocken, dass er es noch immer auf der falschen Seite mache.

Mir gab das zu denken. Ava weiss nicht, worum es bei der Abstimmung geht, nichtsdestotrotz hat sie eine sehr deutliche Meinung dazu, welches die richtige Entscheidung ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das okay ist.

Das Problem ist nämlich auch, dass sich beide Seiten mit einer solchen Grafik bewerben lassen können.
Hier benutzen sie die Gegner der Erbschaftssteuer und versuchen damit zu suggerieren, dass man sich mit der Annahme der Initiative der Existenzgrundlage beraube – wohl weil dann alle reichen Leute und Firmen das Land verlassen werden, was natürlich schlecht für die Schweizer Wirtschaft wäre.
Auch die Befürworter der Erbschaftssteuer hätten die Grafik benutzen können um damit zu veranschaulichen, dass man sich mit der Ablehnung der Existenzgrundlage beraube – wohl weil so auch weiterhin Unmengen an Geld am Fiskus vorbeifliesse und dadurch lebenswichtige Aufgaben des Staates nicht erfüllt werden können. (Wahrscheinlich wäre den Befürwortern allerdings mit einer Grafik besser gedient gewesen, wo der Sägen-Mann auf der richtigen Seite steht und der Ast und die Früchte über ausländischem Boden hängen.)

Während ich das schreibe, fällt mir auf, wie stark das Bild ist. Wenn ich versuche die andere Strategie zu skizzieren, sehe ich mich noch immer wieder unweigerlich auf der falschen Seite. Ich komme fast nicht los von der Metaphorik – was aber nicht heisst, dass sie deshalb besser für die Gegner der Erbschaftssteuer passe, denn das tut sie nicht. Hier gilt, wer zuerst kommt, malt zuerst. Das Bild passt nämlich eigentlich überhaupt nicht als Illustration dieser Initiative, denn die Gegner monieren (völlig zurecht), dass man mit der Erbschaftssteuer versuche den Schweizern eine weitere Steuer auf zu pfropfen (was allerdings nicht zwangsläufig schlecht sein muss). Und sowas illustrieren sie, indem etwas abgeschnitten wird? Ist doch irgendwie widersinnig!

Ein Bild von einem überladenen Weihnachtsbaum, der zu kippen droht, wäre da doch eigentlich wesentlich passender gewesen.
Und die Befürworter hätten gekontert, dass sie mit der zusätzlichen Kugel den Baum wieder ins Gleichgewicht zu bringen versuchen.

Und wenn man schon unbedingt das Bild eines Astes bemüht, der abgesägt werden muss, dann müsste es ehrlicherweise einer zwischen zwei Bäumen sein, von dem man nicht weiss, zu welchem er eigentlich gehört. Auf welche Seite der Schnittstelle sollte man sich da stellen?

ZweiBaume

Ein offenes Buch

Wenn ich mit jemandem sehr vertraut bin, so kann ich doch auch sagen, er sei für mich ein offenes Buch. Nun sind manche Menschen etwas einfacher gestrickt und andere tragen schickere Klamotten. Müsste ich dann nicht viel eher sagen, er sei für mich ein offenes Comic-Heft? Oder eine offene Modezeitschrift?
Diskoflyer- und Autoprospektmenschen werde ich in der Regel kaum so gut kennen lernen, dass sie sich vor mir öffnen würden. Und Unterwäschekatalogfrauen wohl leider auch nicht.
Es wäre natürlich töricht anzunehmen, dass jemand, der für mich ein offenes Kunstbuch ist, demzufolge ein Künstler oder ein Kunstwerk sein müsste, oder einer, der eine offene Felsenmalerei ist, ein Neandertaler. Es geht bei dieser Metapher nicht so sehr um den Inhalt des Mediums als viel mehr um dessen innere Struktur.
Ein Freund, der für mich ein offenes Kochbuch ist, braucht, wie gesagt, weder ein Koch, ein Gourmet oder fett zu sein, sondern vielmehr lässt sich sein Leben am besten mit Metaphern aus der Welt des Kochens beschreiben: Alles, was er macht, tut er nach einem klaren Rezept. Doch er kocht auch nur mit Wasser. Er lässt nichts anbrennen und verbrennt sich doch immer wieder die Finger. Er lässt seine Feinde schmoren, haut sie in die Pfanne und versalzt ihnen die Suppe.
Wenn mir also die Metaphorik eines Malennachzahlenbüchleins, eines Münztelefons oder einer DVD kategorisch fremd ist, so werde ich wohl auch nie die Tiefen von diesen Seelen ergründen können. Und wer keine Piratenschatzkarte zu lesen weiss, wird im Gegenzug mich nie verstehen. Oder war es eine Postkarte aus Entenhausen?

Die perfekte Frau

Es gibt sie doch, die perfekte Frau. Sie sass mir heute im Zug gegenüber und sah aus wie aus einem Hochglanzmagazin gepellt. Gestylt von oben bis unten und bis hinaus zu den künstlichen Fingernägeln. Ihr Dekolleté tief und einladend und ein funkelndes Diamantcollier schmiegte sich genüsslich an ihren Busen.
Das allein macht eine Frau natürlich noch lange nicht zum Inbegriff der Perfektion. Jedoch ändert sich dies mit dem Kochlehrbuch als Accessoire auf ihrem Schoss, welches sie konzentriert und hingebungsvoll studierte.

Ich mag diese Klischee-Kontraste, wie auch kürzlich die hyperaufgetakelte Tusse mit einem Mini, der knapp unter dem Gürtel hervorlugte, Absätzen, die man im Stabhochsprung als halbe Miete bezeichnet, und einem Kinderwagen samt plärrendem Hosenmatz.

Ich liebe Klischees. Man kann sich auf sie verlassen und erlebt immer wieder erfrischende Überraschungen. Natürlich immer vorausgesetzt, man glaubt nicht wirklich an die Klischees.
Klischees sind Metaphern, die uns helfen die Welt zu strukturieren. Sie bilden einen Commonsense, von dem aus man die Eigenarten und Abweichungen der Dinge erforschen kann. Doch wie gesagt, es sind lediglich Hilfsmittel und keine Tatsachen. Zwei verschiedene Dinge, die nur allzu gern durcheinander gebracht werden.

Literarische Schützenhilfe

Egal worüber man auch brüten mag, ein Griff ins Bücherregal und man hat was, das wie auf einen zugeschnitten scheint. Sei es nun ein Liebesroman, ein Kochbuch oder Platons Phaidon, man findet tatsächlich in jedem einzelnen Buch Rat und Inspiration.
Drei Erklärungen sind denkbar für dieses Phänomen: Erstens, die Welt hat sich gegen dich verschworen und schiebt dir jeweils das richtige unter. Zweitens, du änderst unbewusst deine Grübelthemen so, dass das gelesene auf sie passt – hier hat sich offenbar dein Unbewusstes gegen dich verschworen. Oder drittens, du interprtierst alles metaphorisch und wendest die gewonnen Metaphern automatisch auf dein Problem an und entdeckst dass es doch irgendwie funktioniert – man könnte auch von selektiver Wahrnehmung sprechen.
Es wird wohl niemanden überraschen, wenn ich mich hier vehement für die dritte Variante stark mache. Ich glaube nämlich, dass unser gesamtes Denken metaphorisch strukturiert ist und wir daher gar nicht fähig sind „Etwas“ nicht „als Etwas“ wahrzunehmen. Das heisst, dass wovon wir auch sprechen, wir tun es immer in einer „als ob“-Form…
Das klingt jetzt ein bisschen wirr, das muss selbst ich zugeben. Schauen wir mal, ob ein Griff ins Bücherregal uns nicht Erleichterung verschaffen kann? Ich nehme das Buch „Excel 5.0 – Das Kompedium“ und schlage es auf einer zufälligen Seite auf. Seite 549, da steht: Das gleiche gilt für „Zeilen als Legendentext“. Das passt perfekt! Ich bin jedoch nicht sicher, ob auch für Euch…