Ja zur direkten Demokratie

Die „Neue Volkspartei“ ist eine neue Volkspartei, die sich laut ihren Statuten die Förderung der direkten Demokratie, die Förderung von Grund- und Freiheitsrechten und die evidenzbasierte Aufklärung der Coronakrise auf die Fahne geschrieben hat.
Okay, ich bin an Bord. Dazu bekenne ich mich gern.
Ansonsten strebe die neue Volkspartei einen ergebnisoffenen Diskurs an und das Resultat solle, unter Berücksichtigung von Freiheitsrechten und dem Minderheitenschutz, der grösstmögliche Nutzen für die Allgemeinheit sein.
Genau. Ergebnisoffenheit, Freiheitsrechte, Minderheitenschutz und Utilitarismus.
Die neue Volkspartei sei nicht links, nicht rechts, sondernd der Wahrheit verpflichtet.
Cool.
Und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei werde als Teil des demokratischen Prozesses befürwortet.
Mutig, aber nichts als richtig.
Die neue Volkspartei erachtet es als ihre Pflicht, Stimmbürger/-innen bestmöglich und insbesondere wahrheitsgetreu zu informieren.
Wow, sogar genderkorrekt.

Interimspräsident: Martin Widmer

Martin Widmer?
Der Martin Widmer?
Der als grösster Internet-Hetzer der Schweiz bekannte Martin Widmer?
Genau. Aber das muss nichts heissen.
Oder?
Oder?

Ergebnisoffenheit!
Der grösstmögliche Nutzen für die Allgemeinheit steht schliesslich auf dem Spiel!

Auf Facebook ist die neue Volkspartei als „Ja zur direkten Demokratie“ unterwegs. Also habe ich mich da mal ein bisschen umgesehen und entsprechend ihres Bekenntnisses nach besten Wissen und Gewissen Richtigstellungen und evidenzbasierte Fakten gepostet.

Beispielsweise zu einem SRF-Teletext-Screenshot auf dem es hiess, dass Israel dem nachlassenden Impfschutz mit einer dritten Dosis zu begegnen versucht, was als Beweis für die Wirkungslosigkeit der Covid-Impfung präsentiert wurde. Da stellte ich fest, dass etwas wohl kaum nachlassen könne, wenn es vorher nie gewirkt habe. Das nahm man stillschweigend zur Kenntnis.

Oder als ich dem kompletten Fehlen jeglicher Wirkung der Impfung eine Grafik des SRF entgegenstellte, auf der die Hospitalisation der Nichtgeimpften mit jener der Geimpften verglichen wurde. Als Quelle verwies SRF auf die Webseite des BAG. Ich wurde dann darauf aufmerksam gemacht, dass auf der angegeben Webseite keine Daten zu finden seien, die sowas nahelegen würden. Da habe ich beim SRF Data Team nachgefragt und es wurde mir gezeigt, dass sie dort doch zu finden sind (erst auf „Impfungen“ klicken, dann auf „Fälle trotz vollständiger Impfung“ und dann die Daten, die man als csv runterladen kann, entsprechend aufbereiten).
Ich konnte diese Daten zuerst nämlich auch nicht finden. Deshalb habe ich ja nachgefragt. Meine Kollegen von der neuen Volkspartei sparten sich den zweiten Schritt und erklärten es zur Falschmeldung des SRF. Nun ja, eigentlich sparten sie sich auch den ersten Schritt und erklärten auch alles vom BAG zu Falschmeldungen.

Okay, das BAG frisiert also die Zahlen. Das hätte ich zwar nicht gedacht, aber ausschliessen kann man es tatsächlich nicht.
Um aber zu wissen, dass Zahlen des BAG frisiert sind, muss man entweder verlässlichere Zahlen haben oder irgendwelche Ungereimtheiten in den Zahlen selbst entdecken (beispielsweise ein Verstoss gegen das Benfordsche Gesetz). Also fragte ich nach. Als Antwort kam, dass eine Bekannte, eine Krankenschwester, das anders sehe. Und wie diese sagt, auch ihre Kolleginnen.
Als ich bemerkte, dass eine Bekannte von mir ebenfalls eine Krankenschwester sei und zufälligerweise deren Krankenschwester kenne und sie für nicht sehr glaubwürdig halte, glaubte man mir erstaunlicherweise nicht.

Die besagte Krankenschwester könne nicht nur bezeugen, dass auf den Intensivstationen nicht weniger Geimpfte zu finden seien, sondern dass die Geimpften im Gegenteil unter allerlei Nebenwirkungen von der Impfung leiden und massenhaft daran sterben (wohlgemerkt an der Impfung und nicht mit der Impfung!).
Wenn ich ehrlich wäre, müssten mir in meinem Umfeld schon längst die vielen unerwarteten Trombosen, Herzinfarkte, Schlagan- und Krebsfälle aufgefallen sein. Sind sie mir nicht, ganz ehrlich, aber das muss nichts heissen, vielleicht hat mich das meine selektive Wahrnehmung einfach übersehen lassen. Angesprochen auf die selektive Wahrnehmung, wurde mir versichert, dass das bei ihnen ganz bestimmt kein Thema sei.
Wie dem auch sei, bald würde ich die Leichenberge von Geimpften schon bemerken.

Da fragte ich natürlich nach genaueren Zahlen: Bis wann wie viele Tote? Solide Zahlen, die sich überprüfen lassen. Ich wollte auch wissen, bei welcher Zahl, wenn unterschritten, man die Theorie, die diese Toten prognostiziert, als widerlegt betrachten würde?
Darauf erhielt ich leider keine Antwort. Stattdessen wurde ich an ein paar mutige Wissenschaftler verwiesen: Sucharit Bhakdi zum Beispiel, der prophezeite, dass es keine zweite Welle geben würde, oder Robert Malone, der nach eigenen Angaben die mRNA-Technologie erfunden habe und seinem Verhalten nach jetzt ziemlich eingeschnappt ist, dass er nicht die verdiente Anerkennung dafür kriegt, oder Luc Montagnier, den man fälschlicherweise dafür feiert, dass er gesagt habe, dass in zwei Jahren alle Geimpften tot sein würden, oder Mike Yeadon oder John Ioannidis oder Thomas Binder oder das Aletheia-Netzwerk. Alles Namen und Organisationen, die einem hier in letzter Zeit regelmässig um die Ohren gehauen werden.
Ich habe da eingewendet, dass diese Leute in der Wissenschaft nicht (mehr) wirklich ernst genommen werden, man also, was ihre Aussagen betrifft, lieber vorsichtig sein sollte.
Genau, wurde darauf geantwortet, wer heute unbequeme Fragen stellt, wird mundtot gemacht.
Diese Leute haben ihre Karriere geopfert um der Wahrheit zu treu zu bleiben.
Ist aber der Umstand, dass ein Name einem dauernd um die Ohren gehauen wird, nicht ein Indiz für Karriere? (Erinnert ihr euch noch an die Zeit als man täglich irgendwas über Paris Hilton hörte? Waren das gute oder schlechte Zeiten? Ich meine so im Vergleich?) Zugegeben nicht mehr in ihrem angestammten Fachgebiet, aber mundtot sind sie nicht. Sie haben einfach ihr Publikum ausgewechselt.

Dann wurden mir drei Zeitungs-Artikel empfohlen, die über Peer reviewte Studien berichteten, die auf Probleme im Zusammengang mit ADE, Ivermectin und zu wenigen Obduktionen hinwiesen. Allen Artikeln war gemeinsam, dass dort sowohl das Problem als auch deren Relativierung durch andere Experten beschrieben wurden, doch irgendwie wurde die Relativierung ignoriert und der Artikel als Nachweis für das Problem präsentiert.
Davon, dass die Studienautoren – auch wenn ihre Studie mitunter wegen methodischen Mängeln zurückgezogen werden mussten – erstaunlicherweise nicht gekreuzigt wurden, kein Wort. Könnte es sein – ich weiss, die Frage ist verwegen -, dass Wissenschaftler nicht geächtet werden, weil sie unangenehme Erkenntnisse präsentieren, sondern dass man sie irgendwann links liegen lässt, wenn sie einfach nicht akzeptieren können, dass sich ihre Erkenntnisse als mangelhaft erwiesen haben?

Schnickschnack. Alles, was gegen die offizielle Lehrmeinung geht, wird zensiert. Beweis gefällig? Der Kommentar, den Facebook unter ein Meme setzte, auf dem oben im Schlamm spielende Kinder mit der Bildunterschrift „So baut man ein starkes Immunsystem auf“ und unten Jugendliche in einem schulischen Umfeld mit Masken und der Bildunterschrift „So schwächt man ein starkes Immunsystem“ zu sehen waren: Teilweise falsche Informationen.
Wenn der Beitrag noch zu sehen ist, ist die Zensur aber nicht wirklich gelungen, oder?
Darüber hinaus ist die Einschätzung von Facebook auch nicht wirklich falsch. Im Schlamm spielen macht einen nicht immun gegenüber Covid. Es macht einen immun gegen die Erreger, die im Schlamm drin sind. Vorausgesetzt im Schlamm sind beispielsweise keine üblen Fäkalien zu finden, weil dann die Erreger selbst für ein starkes Immunsystem zu stark sein könnten. Eine sterile Umgebung mag durchaus das Immunsystem schwächen (Bauernhof-Effekt), doch während ein paar Stunden eine Maske zu tragen, wenn man auf engem Raum mit anderen Menschen zusammen gepfercht ist, steckt das Immunsystem ohne Probleme weg. Die Massnahmen hindern die Jugendlichen ja nicht nach den Schule noch ein Schlammbad zu nehmen.
Das Problem hier ist, dass das Mem im Kontext von Corona gepostet wurde und es dadurch suggeriert, dass die verhängten Massnahmen schädlich sind. Das stimmt so schlicht nicht. Das ist sogar brandgefährlich. Und es wäre von Facebook verantwortungslos sowas unkommentiert zu lassen.

Aber es sei ja nur 1% gefährdet. Das rechtfertige doch die Massnahmen nicht.
Das sind in der Schweiz immerhin 85’000 Menschen, mit deren Gesundheit und Leben man spielt.
Die Selbstmordrate unter Jugendlichen hat sich wegen der Massnahmen mehr als verdoppelt.
Ein trauriger Anstieg von 21 (2019) auf 49 (2020). Auf die 1’700’000 Jugendlichen in der Schweiz sind das neu 0.0028%. Um 0.0016% (das sind die zusätzlichen 28 Selbstmorde im 2020) zu schützen, dürfen wir also 1% in Gefahr bringen?
Zu den 0.0016% kommen natürlich auch noch die 50% der noch nicht Geimpften hinzu, die durch das Ende der Impfkampagne gerettet werden!

Das wirklich verstörende an ihrer Überzeugung ist, dass der Umstand, dass die Geimpften wie die Fliegen sterben werden, nicht etwa ein bedauerliches Missgeschick ist, wie es leider manchmal zustande kommt, wenn man Vollidioten ans Ruder lässt. Nein, diese Toten sind von den Regierungen und anderen Organisationen von langer Hand geplant. So wird beispielsweise ein TED-Video herbei gezogen, wo Bill Gates erklärt, dass man mit Impfungen die Weltbevölkerung um 15% senken könne. Dass er damit auf das Phänomen anspielte, dass ein besseres Gesundheitssystem zu weniger Kindern pro Frau führt, haben sie völlig übersehen und interpretierten es als eine gross angelegte Vergiftungskampagne.

Eine so komplexe Operation, wo all die Politiker und Behörden und Wissenschaftler (und Überschwemmungen) präzise koordiniert werden müssen, kann unmöglich von Vollidioten geplant worden sein.
Eine Operation aber, bei der nur die nützlichen Schafe gekillt und die unbeugsamen Patrioten übrig gelassen werden, kann nur von Vollidioten geplant worden sein.

Ich fragte auch mal, ob Ja zur direkten Demokratie die Massnahmen befürworten würden, wenn diese in einer Volksabstimmung gutgeheissen würden? Keine Antwort.

Und dann war da noch die Geschichte mit dem Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Die neue Volkspartei hat nichts gegen Schwule. Und natürlich hätten es die Kinder gut bei den Schwulen. Aber es sei nun mal ein Fakt, dass Kinder am besten gedeihen, wenn sie beide Rollenbilder in der Familie sehen. Deshalb zwinge die Sorge um das Wohl des Kindes sie leider, gegen die Ehe für alle zu stimmen.
So selbstlos von ihnen.
Da habe ich natürlich nicht gezögert und ihnen die Quellen angegeben, die belegen, dass es keine Metrik gibt, in denen die Kinder von gleichgeschlechtlichen Eltern schlechter abschneiden. Und dass wenn ihnen das Kindswohl so wichtig sei, dass sie mit der Zustimmung zu diesem Gesetz mehr für die Kinder bewirken könnten, weil damit die belastende Diskriminierung und Stigmatisierung von Kindern aus Regenbogenfamilien gesenkt würde.

Ja zur direkten Demokratie (also die neue Volkspartei), die Meinungsverschiedenheiten willkommen heisst, hat mich in der Gruppe geblockt und alle meine Kommentare gelöscht.

Und los geht’s

Experten melden sich zu Wort, die sich Fragen, ob sich die Schweiz einen Lockdown leisten kann. Beispielsweise Tilman Slembeck in einem Interview von 20 Minuten.

Ich bezweifle nicht, dass Prof. Slembeck die wirtschaftlichen Folgen eines Lockdowns so gut wie nur möglich abzuschätzen versteht, und halte daher seine Expertise dazu, mit welchen Strategien die Schäden möglichst klein gehalten werden können, für enorm wichtig.

Ich denke auch, dass seine Forderung nach einer repräsentativen Stichprobe der gesamten Bevölkerung sehr wichtig ist, denn wir haben es hier offenbar tatsächlich noch mit sehr vielen Unbekannten zu tun, was die Evaluierung von angemessenen Reaktionen natürlich erschwert bis verunmöglicht.

Im Artikel äussert sich Slembeck aber auch darüber, ob man der Ausbreitung des Virus auch mit anderen Mitteln als dem Lockdown hätte beikommen können. Doch das ist in seiner Funktion als Ökonom nicht mehr in seinem Fachgebiet.

Er sagt beispielsweise an einer Stelle: „Der Pandemieplan des Bundes ist grundsätzlich auf ganz schwere Fälle ausgelegt – also wenn die Leute bildlich gesprochen auf der Strasse tot umfallen. Das ist bei Covid-19 bei weitem nicht der Fall.“
Wenn Leute auf der Strasse tot umfallen, ist das natürlich krass, aber ich bin mir nicht sicher, dass das notwendigerweise ein Zeichen für einen ganz schweren Fall einer Pandemie ist. Die Tücken einer Seuche sind nämlich viel subtiler, daher disqualifiziert ihn diese Aussage in meinen Augen eher als das sie hilft, seinen Punkt zu unterstreichen.

Wie gesagt, er hat schon recht, dass uns sehr relevante Zahlen fehlen, die uns helfen würden, mit effektiven Massnahmen gegen die Pandemie vorzugehen. Aus dem Fehlen dieser Daten können wir aber nicht schlussfolgern, dass der Lockdown nicht verhältnismässig ist.

Ich fordere von der Politik der Wissenschaft mehr Gehör zu leihen. Und dann verdammt nochmal das zu tun, was diese empfiehlt.
Ich nehme hier aber auch die Medien in die Pflicht, dass sie Experten in ihrem Fachbereich konsultieren, sie dann aber nicht über andere spekulieren lassen.


Tipp an Tilman Slembeck: Wenn Sie explizit gesagt hätten, dass Sie sich im Vorfeld mit einem Epidemologen ausgetauscht haben und gemeinsam zum Schluss gekommen sind, dass die Massnahmen des Bundes über Ziel hinaus geschossen sind, wäre es (was mich betrifft) etwas ganz anderes gewesen.
Mir geht es nämlich wirklich nur darum, dass man in dieser schwierigen Zeit nur denen Gehör schenken soll, die über die nötigen Qualifikationen verfügen. So dass wenn sich unter diesen ein Konsens herausbildet, dass man sich dann auch darauf verlassen kann, dass deren vorgeschlagene Massnahmen so erfolgversprechend sind, wie sie nur sein können.
Es ist nämlich eigentlich eine denkbar blöde Strategie, jeden was sagen zu lassen und dann das Publikum selbst entscheiden zu lassen. Das ist zwar nett gemeint, aber auch ein Garant für eine steigende Zahl von Flat-Earthern. Und das können wir uns auch wirtschaftlich schlicht nicht leisten, wie Sie als (Verhaltens-)Ökonom sicherlich bestätigen können.

Brexit und der Tod der Demokratie

Der Youtuber Rationality Rules meint, dass ein zweites Brexit-Referendum nicht okay sei, weil man damit nicht den Willen des Volkes respektiere. Da ist schon was dran. Er meint auch, dass wenn schon, dass man erst mal die EU verlassen müsste, und dann erst wieder abstimmen könne, ob man wieder in die EU zurückzukehren wolle. Auch da hat er schon auch irgendwie recht. Und er fürchtet, dass ein zweites Brexit-Referendum den Tod der Demokratie bedeuten würde. Und genau hier, finde ich, liegt er falsch.

Er hat schon recht, man kann einen Volksentscheid nicht einfach ignorieren, nur weil er einem zufällig nicht passt. Prinzipien müssen auch gelten, wenn es weh tut.
Aber es gibt Sachen, die wichtiger sind als ein Volksentscheid. Die vom Völkerrecht garantierten Menschenrechte zum Beispiel.
Auch wenn das Volk Ja zur Todesstrafe für Homosexuelle sagen würde, dürfte eine solche Vorlage nicht umgesetzt werden. Punkt.

Brexit gehört allerdings nicht in diese Kategorie. Aus der EU auszutreten, verletzt keine höheren Prinzipien. Die Entscheidung, ob man in der EU bleiben will, sollte im Gegenteil tatsächlich vom Volk getragen werden1.

Dann gibt es da noch die interessante Frage nach dem Unterschied zwischen dem, was die Initianten wollen und dem, was der Gesetzestext tatsächlich besagt. Manchmal kann das deutlich auseinander gehen. Bei der Stripendiums-Vorlage ging es darum, dass man staatliche Universitätsstipendien für StrapsenträgerInnen einführen solle, irgendwie konnte der juristische Text, wie sich erst viel später herausstellte, aber auch dahingehend interpretiert werden, dass Montags schweizweit der Linksverkehr gelten müsse. Dies war von den Initianten nie beabsichtigt gewesen. Wenn die Vorlage nun angenommen worden wäre, hätte man diesen Aspekt bei der Umsetzung problemlos ignorieren können ohne damit der Demokratie in irgendeiner Weise zu schaden, weil ihn die Initianten weder beabsichtigt hatten noch im Wahlkampf je thematisierten.
Daran ändert auch nichts, wenn ein paar Leuten diese Interpretation aufgefallen wäre, sie nichts gesagt hätten und genau aus diesem Grund für das Stripendium gestimmt hätten.

Dass man diesen Punkt bei Brexit geltend machen kann, halte ich für fragwürdig. In der ganzen Diskussion über ein zweites Referendum war meines Wissens nie von unbeabsichtigten formaljuristischen Patzern die Rede sondern immer nur von sehr beabsichtigter Irreführung. Während bei der No-Billag Abstimmung vielleicht noch ein paar Leute denken konnten, es gehe dort allein darum, der Billag das Mandat zu entziehen, und nicht etwa um die komplette Abschaffung der „Zwangsgebühren“, gegen welche sie grundsätzlich gar nichts einzuwenden gehabt hätten, lässt der Name Brexit nur wenig Spielraum für andere Interpretationen als den britischen Exit.

Ja, man hätte irgendwie auf die Idee kommen können, dass man mit dem Geld, das wöchentlich in die EU fliesst, selbstverständlich das Gesundheitswesen sanieren könnte. Das liess aber niemanden vergessen, dass man dafür zuerst mal die EU verlassen musste um das Geld anders einsetzen zu können.
Ehrlich gesagt, bezweifle ich aber, dass irgendjemand dem Bus tatsächlich glauben schenkte. Was dann wiederum das Argument, dass sich viele von illusorischen Versprechungen blenden liessen, etwas arrogant erscheinen lässt.

Alle Politiker lügen oder biegen sich die Fakten ein bisschen zurecht. Man könnte es die po(l)etische (±) Freiheit nennen. In der Politik geht es nicht um die WAHRHEIT, sondern um Geschichten, die die Welt in eine bessere (oder zumindest weniger schlechte) Zukunft bringen sollen. Und das schaffen Fiktionen manchmal besser als Fakten – solange sie von den Fakten nicht allzu weit entfernt sind. Und das ist okay, sofern alle darum wissen. Und das tun sie.
Damit legitimiere ich aber in keinster Weise die Lügen. Ich vertraue darauf, dass sich Lügen auf lange Sicht nicht auszahlen und deshalb tunlichst vermieden werden – vor allem auch, weil es viel elegantere Mittel als die Lüge gibt um seinen Willen durchzusetzen2. Ich verurteile lediglich die Empörung, denn die ist immer etwas heuchlerisch.
Wenn die Lügen aber ein gewisses Mass an Dreistigkeit übersteigen, dann… ja dann sollte es vielleicht schon angemessene Konsequenzen haben. Ich denke da an einen hypothetischen Fall, wo ein Präsidentschaftskandidat nur durch höchst illegale Machenschaften seine Wahl gewinnt? In einem solchen Fall würde es eigentlich nicht reichen, den Präsidenten abzusetzen und ins Gefängnis zu werfen und an seiner statt den Vice, der vielleicht tatsächlich von alledem nichts wusste, regieren lassen, weil sich sowas viel zu einfach missbrauchen liesse.

Anyway3… was meines Erachtens Rationality Rules nicht genügend bedenkt, sind die Protestwähler. Wenn Abstimmung-Prognosen4 darauf hindeuten, dass das Ergebnis deutlicher rauskommt als die „Parteien“ es verdienen, dann kann man geneigt sein etwas anderes in die Urne zu werfen als wenn die Prognosen anders aussähen. So könnte ich beispielsweise eigentlich fürs Bleiben in der EU sein, doch auch überzeugt davon sein, dass da etwas fundamental falsch läuft. Wie lasse ich das die Politik wissen? Mit einem knappen Entscheid!
Die Politik müsste eigentlich anders laufen, wenn das Ergebnis sehr knapp war, als wenn es sehr deutlich war. Allein schon aus reinem politischen Selbsterhaltungstrieb.

Natürlich sind Protestwähler, welche den tatsächlichen Willen des Volkes in einer bestimmten Frage mehr oder weniger massiv verfälschen, kein Grund das Ergebnis einer Abstimmung für ungültig zu erklären5, doch ist damit die „seltsame“ Eigenschaft verknüpft, dass man seine Meinung ändern kann…
Und genau das ist mein eigentlicher Einwand gegen den unvermeidlichen Tod der Demokratie: Neue Informationen lassen uns manchmal eine Situation anders einschätzen als zuvor. Und wenn die Umsetzung einer Entscheidung lange dauert, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass man es am Tag der Umsetzung eigentlich lieber ganz anders haben möchte6.
Wieso wird das in der Demokratie nicht berücksichtigt? Weil es schwer umzusetzen ist? Und wenn schon! Es wäre nicht der Tod der Demokratie, sondern deren nächste Generation.

Es geht hier nicht darum, die gleiche Frage nochmals vors Volk zu bringen, sondern die Diskussion weiter zu führen und wenn nötig die daraus resultierenden Konsequenzen zu ziehen.
Wenn die Briten es sich also anders überlegt haben, dann sollte das berücksichtigt werden. (Wenn allerdings Europa es sich in der Zwischenzeit ebenfalls anders überlegt hat und dieses jetzt getrennte Wege vorziehen würde, dann müsste natürlich aus das bedacht werden.)

Das zweite Referendum, resp. das Referendum der zweiten Generation müsste daher lauten: „Angesichts der Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über Brexit und des ungewissen Ausgangs, wollen wir da die Sache nicht erst mal auf die Seite legen und so lange noch in der EU bleiben?“

Schwarze Schafe

In einem gewissen Sinn kann ich ja verstehen, dass man sich ein Land ohne Kriminalität wünscht. Und natürlich erkenne ich durchaus den Zusammenhang zwischen der Abwesenheit von Kriminalität und der Abwesenheit der Kriminellen. Nicht umsonst steckt man schliesslich letztere ins Gefängnis. Doch ist es nicht auch mit eine Aufgabe des Strafvollzugs die Resozialisierung des Delinquenten in die Wege zu leiten? Zusätzlich natürlich zur Abschreckung möglicher Nachahmer, zum Stillen des Rachedursts der Geschädigten und nicht zu vergessen zum Schutz der Bevölkerung.
Alternativ kann man die Kriminellen natürlich auch des Landes verweisen. Als Abschreckung funktioniert das natürlich hervorragend – insbesondere, wenn man sie in die USA schickt. Auch der Rachedurst wird gestillt – jedoch nur, wenn man sie in die USA schickt. Und selbst die Bevölkerung wird geschützt – ausser wenn man sie in die USA schickt, denn dort werden sie Politiker und zahlen es uns mit amerikanischem Wechselkurs heim.
Ob jedoch die Resozialisierung im Ausland ebenfalls besser funktioniert als hier, wage ich – ehrlich gesagt – zu bezweifeln. Insbesondere wenn man die Bösewichte samt Eltern, Kindern, Brüdern, Schwestern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen, Grossonkel, Stiefschwestern, Hunden, Hamstern, Nachbarn, Arbeitskollegen, Postboten und der Kioskverkäuferin, die ihm letzten November Zigaretten verkauft hat, des Landes verweist, ihnen also das komplette soziale Umfeld mit gibt, welches ja tiefenpsychologisch ursächlich an deren Verruchtheit mitschuldig ist. Wie sollen sie so ein anderes, sprich sozial verträglicheres Wertesystem erlangen?

Es gehört doch zu den Pflichten eines demokratischen Staates, dafür zu sorgen, dass die Menschen Zugang zu Institutionen haben, welche sie im Umgang mit dem demokratischen Wertesystem, samt den Rechten und Pflichten, unterweisen. Es ist ja nicht so, dass beispielsweise das Mehrheitsprinzip eine von Natur aus intuitive Entscheidungsstrategie wäre.
Gehört es dann nicht auch zu den Pflichten eines Staates, selbst dafür zu sorgen, dass die schwarzen Schafe wieder auf den rechten Weg kommen? Man wirft ja auch nicht all jene Leute aus dem Land, die durch ihre linke und nette Gesinnung Vaterlandsverrat begehen. Nein, man pflastert einfach alle Wände mit Plakaten zu und spendiert ihnen eine saubere kleine Gehirnwäsche frei Haus.

Eidgenössischer Klimawandel

In der Schweiz praktizieren wir die direkte Demokratie und jede Änderung der Verfassung unterliegt dem obligatorischen Referendum. Sollte man in dem Fall nicht annehmen, dass dann auch die Änderung der Verfassung unseres Klimas vors Volk kommen sollte?

Demokratie und freie Meinungsäusserung

  • Wir lachen gern die Amis aus, weil von ihnen mehr als die Hälfte offenbar die biblische Schöpfungsgeschichte für plausibler hält als die Evolutionstheorie. Doch wenn man die Leute hier fragt, ob man im Lichte der Toleranz den verschiedenen Schöpfungstheorien in den Schulen nicht den gleichen Platz einräumen müsste, so stimmen dem auch hier die meisten zu.
    Die Freiheit sich eine Meinung bilden zu können, wird nämlich grösser geschrieben als die Frage, ob man dazu innert nützlicher Frist überhaupt in der Lage ist.
  • Jack Cohen fragte am Cheltenham Festival of Science während der Veranstaltung „Is There Life Out There?“ die drei referierenden Astronomen, was sie wohl davon halten würden, wenn drei Biologen die Eigenschaften des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie diskutieren würden. Es dauerte einige Zeit, bis sie den Wink kappierten.

Diese beiden Gedanken hatte ich zu einem verblüffend elegenten Argument verknüpft, doch ich kann es beim besten Willen nicht mehr rekonstruieren. Mist!