Abraham ist die zentrale Figur im alten Testament und Jesus die im neuen.1 Dabei darf man aber nicht ausser Acht lassen, dass die Protagonisten des alten Testaments jenen aus dem neuen durchaus bekannt waren und dass letztere sich über Prophezeiungen den ersteren auf eine ganze bestimmte Art und Weise verbunden fühlten. Und genau darüber möchte ich mir hier ein paar Gedanken machen.
Eine grosse Rolle spielt es zwar nicht, aber es würde mich schon interessieren, welche Prophezeiungen die Leute damals konkret auf dem Radar hatten, wenn es um den erwarteten Messias ging. Dass man im Nachhinein wage formulierte Textstellen findet, die „prophetisch“ einige Ereignisse vorwegzunehmen scheinen, ist klar. Dass man im Nachhinein Details von gewissen Ereignisse etwas zurecht biegen kann, damit sie zu wage formulierten Prophezeiungen passen, ebenfalls. Doch muss man erst mal das Publikum auf die richtige Fährte führen. Mit welchen Prophezeiungen köderte die Anwärter wohl die erste (Leicht)Gläubigen?
Als Judas Jesus verriet und ihn damit quasi auf die Schlachtbank führte, wusste er lauf jeden Fall sehr genau, dass sich sowas ähnliches schon mal mit Abraham und Isaak zugetragen hatte und dass es sich nochmals zutragen würde. Und er wusste auch, dass damals Gott im letzten Augenblick eingegriffen und die Sache dann für alle Anwesenden wunderbar geendet hat. (Für alle ausser den Widder wohlgemerkt.)
pietas, misericordia & inclemetia
An jenem Tag bewies Abraham seine Gottesfurcht und Gott seine Barmherzigkeit gegenüber Menschen (und seine Gnadenlosigkeit gegenüber Schafböcken)2.
Als Jesus und Judas also diese Aktion planten (dass sie es planten geht klar aus den Tatsachen hervor, dass Jesus vom Verrat wusste und auch die Identität des Verräters kannte), hatte Judas also jedem Grund anzunehmen, (1) dass Elwood Jesus und er in göttlicher Mission unterwegs waren, (2) dass Gott noch immer barmherzig ist und (3) dass Gott folglich auch diesmal eingreifen würde und statt des grosszügig angebotenen Opfers irgendein Sündenbock würde dran glauben müssen.
Er sah sich selbst in der Rolle Abrahams und Jesus in der von Isaak. Mit seinem Verrat, resp. Opfer würde er seine Gottesfurcht beweisen und mit der Barmherzigkeit Gottes den Thronanspruch von Jesus als gesalbter König der Juden. Ein todsicherer Plan mit einem Lieben Gott auf ihrer Seite. Was sollte da schon schief gehen?
Dass Judas Jesus nicht selbst mit einem Messer umzubringen versuchte wie damals Abraham, sondern ihn an die Römer auslieferte, war eine bitternötige dramaturgische Steigerung, die der ganze Geschichte etwas mehr Pep und allem Glaubwürdigkeit geben sollte. Weil der Befehl zum Innehalten jetzt an unbeteiligte und skrupellose Akteure gerichtet werden würde. Ich meine: ein Vater und sein Sohn klettern auf eine Berg und kommen wieder runter und der Vater jubelt: „Halleluja, ein Wunder, ich wurde von Gott daran gehindert meinen Sohn umzubringen!“ … Damit verblüfft man sein Publikum nur einmal. (Wenn überhaupt!3)
Eine Befreiung aus dem Todestrakt der römischen Besatzer spielt dagegen auf einem ganz anderen Level. Auf einem eines echten Jedi Gottes würdigen! Das wäre ein wahrlich denkwürdiges Spektakel gewesen: Sich der römischen Justiz zu entziehen wäre selbstredend ein sogar noch spektakuläreres Spektakel gewesen als von den Toten zurückkehren. Die waren in jenen Tagen ja geradezu ein Volkssport. 4
Judas und Jesus müssen daher ziemlich überrascht gewesen sein, als Jesus auf einmal am Kreuz hing und sie merkten, dass Jesus nicht Isaak sondern der Widder war5. Und Judas folglich nicht Abraham sondern ein Hirte aus Morija, dem eines Abends auf einmal ein Schafbock fehlte. (Wird eigentlich irgendwo erwähnt, wem der berühmte Widder gehörte, den Abraham an Isaaks Stelle geopfert hat? Und wie der Besitzer mit dem Verlust seines preisgekrönten Zuchtbocks umgegangen ist? Hat das womöglich seine Familie in den Ruin getrieben?)
Vielleicht war aber Gott doch barmherzig und vielleicht befahl er den Römern durchaus im letzten Augenblick inne zu halten, bloss dass sie es ignorierten. Ich meine, wieso sollte sich der Präfekt einer Provinz des römisches Reiches von einem kleinen Hirtengott irgendetwas befehlen lassen?
Vielleicht fehlte es dem allmächtigen Gott aber auch einfach nur an Überzeugungskraft.6
Ihr müsst jetzt nicht mit dem Freien Willen kommen. In diesem einen speziellen Fall zieht dieses Argument nicht. Weil nach der christlichen Überzeugung musste Jesus zwingend unschuldig sterben um die Sünden aller Menschen auf sich nehmen zu können. (Einfach zu verzeihen liegt bei einem barmherzigen Gott schliesslich nicht drin.) Und damit jemand unschuldig sterben kann, muss jemand anders ihn gegen besseres Wissen zum Tode verurteilen: Pilatus. Gottes Erlösungsplan verlangt – selbst wenn alle Menschen seit Eva alle Gebote Gottes fehlerfrei mit Inbrunst und Freude befolgt hätten – mindestens eine Person, die in die Hölle kommt. Ohne geht es nicht. In meinen Augen übrigens ein ziemlich doofer Plan.
Und übrigens, wenn Gott eines Pharaonen Herz erhärten lassen kann um sein Volk dramatischer von dannen ziehen lassen zu können, dann kann er auch eines Präfekten Herz erweichen lassen um seinen Sohn davon kommen zu lassen. (Beides gleichermassen Eingriffe in den Freien Willen.)
Und als sich dann also die Allmacht Gottes als mäh herausstellte, musste improvisiert werden um das zu vertuschen: Jesus musste dran glauben und alle anderen Beteiligten (inkl. Gott) taten dann so, als wäre das alles von Anfang an genau so geplant gewesen.
Das erklärt auch, weshalb sich niemand daran zu stören schien, dass die Auferstehung von den Toten nur für mickrige 40 Tag hielt. (So im Vergleich zu den anderen von den Toten erweckten, die dann noch Jahre mit ihren Familien verbringen konnten.)
btw. Wer war denn nun Abraham in dieser Geschichte? Was denkt ihr? Schreibt es in die Kommentare.