Laut Dos Santos Pinto ist Rassismus gegen schwarze Menschen in der Schweizer Kultur so stark verankert, dass er den meisten Menschen nicht auffällt. Sie gab ein Beispiel: «Die Frage ‹Woher kommst du?› ist rassistisch.» Diese Frage werde innerhalb der ersten paar Minuten an Personen gestellt, die nicht weiss sind. «Damit ruft man eine Vorstellung von Personen hervor, die zur Schweiz gehören und solchen, die zuerst noch erklären müssen, warum sie da sind.»
20min.ch
Aus einer kulturelleren Perspektive
Dass die Schweizer Kultur xenophobe Tendenzen hat, steht ausser Frage. Dass sie folglich auch Schwierigkeiten mit Schwarzen hat, selbstverständlich auch. Ob das aber gleich mit Rassismus gleichgesetzt werden kann, da bin ich mir nicht so sicher.
Klar dunkelhäutige Menschen werden massiv diskriminiert, doch wurden das vor ihnen auch die Jugoslawen, Portugiesen und Italiener. Und davor wahrscheinlich auch die Aargauer, Thurgauer und Entlebucher.
Wenn man die Diskriminierung am Rassismus aufhängen will, dann müsste man doch klare Unterschiede erkennen bei der Behandlung der Fremden je nach Rassenzugehörigkeit.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass der moderne Rassismus nicht mehr biologische Rassen voraussetzt, sondern seine Überlegenheit an der Herkunft, sprich der Kultur, aufhängt. Damit gesteht man ein, dass es theoretisch durchaus möglich ist, dass die Koredutten eine uns dermassen weit überlegene Zivilisation entwickelt haben, dass es ihr moralisches Recht wäre, uns einerseits mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und andererseits uns auf angemessene Distanz zu halten. Dass bisher noch keine solche Kultur gefunden wurde, ist natürlich reiner Zufall und hat nichts damit zu tun, dass die eigene Lebensweise der Massstab ist. Und entsprechend ist es auch reiner Zufall, dass kulturelle Distanz mit unterschiedlicher Hautfarbe, Augenform und Behaarung korreliert1.
Daher hier zur leichteren Bestimmung der eigenen Rasse – ich meine – Kultur eine ethnographische Karte:
Und selbst wenn die Diskriminierung umso stärker ist, je grösser der Unterschied in der Hautfarbe ist, so würde ich dennoch vorsichtig sein mit dem Ausspielen der Rassismus-Karte.
Ein Rassist ist für mich ein Mensch, der überzeugt davon ist, dass eine bestimmte Rasse von Natur aus den anderen überlegen ist. Normalerweise die eigene2. Und diese Überlegenheit legitimiert den Rassisten darin, über die Köpfe der Primitiven hinweg über ihr Schicksal zu entscheiden. Traditionell tut man das in Form des Imperialismus3.
Die Schweiz hatte keine Kolonien (was sie aber natürlich nicht daran hinderte dennoch von jenen der anderen zu profitieren). Tatsächlich befand sie sich sogar eher auf der anderen Seite des Spektrums: Von den Naturforschern jener Zeit wurden die Eidgenossen gern als ungebildete Halbwilde beschrieben.
Tatsächlich gibt es aber auch andere Gründe als die Überlegenheit anderen Leute das Leben absichtlich schwer zu machen.
Zum Beispiel die Annahme, dass es Leuten umso schwerer fällt sich in eine Kultur zu integrieren, je unterschiedlicher die Kultur ist, aus der sie stammen. Die andere Kultur ist nicht schlechter oder besser. Sie ist nur anders und man befürchtet, es könnten Konflikte entstehen, wenn man diese mischt. Wenn also jemand beispielsweise aus einer „kommunistischen“ Kultur kommt, wo alles allen gehört, dann könnte man vermuten, dass er mir, wenn man ihn hier einstellt, meinen Kaffeerahm wegsäuft. Das ist kein Rassismus, weil man die andere Kultur nicht notwendigerweise als schlechter betrachtet. Es ist aber dennoch Diskriminierung auf Basis von Vorurteilen, die man über andere Gruppen hegt.
Oder man könnte Befürchten, dass wenn zu viele Fremde ihre Kultur hierher bringen, sich unsere dadurch verändern wird. Auch hier hält man die andere Kultur nicht notwendigerweise für schlechter, sondern einfach nur für anders. Man will einfach nicht, dass sich die eigene liebgewonnene ändert. Wenn also zu viele Leute aus einer „Santa Claus“ Kultur kommen, könnte das die Traditionen rund um Samichlaus und Christchindli verändern, was man eben zu verhindern versucht.
Man kann sich fragen, ob diese Unterscheidung überhaupt Sinn macht, denn für die Betroffenen macht es keinen grossen Unterschied. Denn egal ob das Gegenüber ein Rassist oder ein – ich nenne es mal – Kulturschützer ist, er wird diskriminiert, bedroht und manchmal sogar angegriffen.
Es macht aber (hoffentlich) einen Unterschied, wenn es darum geht, den Diskriminierenden dazu zu bewegen, die Diskriminierung zu beenden. Beim Rassisten wird das nämlich nicht klappen, weil die Minderwertigkeit in Blut/Kultur gemeisselt ist, während beim Kulturschützer immer noch Hoffnung besteht.
Wenn sich der Fremde integriert, sprich seinen eigenen Kaffeerahm mitbringt und Samichlaus statt Santa Claus anbetet, oder man an gewissen Aspekten der fremden Kultur Gefallen findet, dann braucht es keine Diskriminierung mehr um die Bedrohung abzuwenden. Beim Rassisten bleibt dagegen weiterhin die Überzeugung von der Überlegenheit und er wird sich auch weiterhin vor der genetischen/kulturellen Verschmutzung fürchten.
Der Lackmustest für Kulturschützer und Rassisten sind daher wohl die Secondos und Terzos. Sie sind hier geboren und aufgewachsen und idealerweise so integriert, wie man es sich von einem Menschen nur wünschen kann.
Zumindest das muss man der SVP lassen: Sie verschliesst sich nicht vor Patrioten mit Migrationshintergrund. (Strukturellen Rassismus zu fördern und mit Patrioten, die (leicht) über die Stränge schlagen, zu liebäugeln ist meines Erachtens mehr Opportunismus als Rassismus der unheilbaren Sorte.4)
Dass auch optimal integrierte Secondos und Terzios von den Kulturschützern diskriminiert werden, liegt daran, dass sie wie Fremde aussehen und heissen und dadurch versehentlich den Erst-Kultur-Hilfe-Reflex triggern.
Aus einer individuelleren Perspektive
Gespräche fangen so gut wie nie mit der Frage „Woher kommst du?“ an. Meist geht dem zumindest ein freundliches „Hallo“ voraus.
Wenn sie allerdings doch mal so anfangen, dann wohl tatsächlich meist aus rassistischen Motiven. Doch das erkennt man weniger an der Frage, sondern viel mehr daran, dass die Frage von einem (spürbar) xenophoben Arschloch gestellt wird. Und in einem solchen Fall schafft das Arschloch es auch die Frage nach der Uhrzeit diskriminierend klingen zu lassen.
Ein Gedanke am Rande:
Ich finde, man sollte sich stets bemühen von allen möglichen Interpretationen einer Aussage grundsätzlich immer die wohlwollendste als die beabsichtigte zu wählen. Selbst wenn eine weniger wohlwollende noch so nahe zu liegen scheint. Damit schenkt man seinem Gegenüber einen Nettigkeitsvorschuss und lässt ihm die Möglichkeit seine Arschlochigkeit explizit einzufordern. (#PrinzipDerWohlwollendenInterpretation)
Aber es stimmt schon, die Frage nach der Herkunft ist eine persönliche Frage. Doch das ist sie mit Absicht. Man will schliesslich etwas über die andere Person erfahren. Das muss zwangsläufig persönlich sein. Andernfalls hätte man sich nach dem Wetter erkundigt.
Wenn man also eine Person etwas besser kennen lernen will, kann man sie entweder etwas willkürliches fragen, beispielsweise könnte man sich höflich nach der Farbe ihrer Unterwäsche erkundigen, oder (ein bisschen fantasieloser) nach etwas offensichtlichem, das sie gerade von allen anderen unterscheidet:
Wenn die Person Zahnarzthelferin ist und lange, spitze Eckzähne hat, dann könnte man sie fragen, ob die Stomatologie schon immer ein Strigoi-Handwerk war (wobei man von vornherein ahnt, dass einem die Antwoxrt nicht gefallen wird).
Oder wenn eine Person die grüne Taschenbuchausgabe von der Herr der Ringe liest und dabei herrderringetaschenbuchausgabegrüne Pumps trägt, dann könnte man sie fragen, ob ihr das Buch gefällt (wobei man die Antwort eigentlich schon kennt).
Oder eben wenn die Person einer anderen Ethnie angehört, was man entweder an der Hautfarbe oder am Dialekt erkennt, dann wäre auch die Herkunft eine Frage wert.
Ja, damit drückt man tatsächlich jedes Mal explizit aus, dass die Person sich von der Norm unterscheidet. Es impliziert aber keineswegs auch, dass man das persönlich für etwas schlechtes hält.
Als jemand, der Multikulti zu schätzen weiss, widerspiegelt es viel mehr die aufrichtige Freude an der Artenvielfalt. Ein Gourmet weiss die Verschiedenartigkeit der Zutaten im Zusammenspiel schliesslich zu schätzen.
Vielleicht haben die Vorbehalte gegen die Frage nach der Herkunft auch andere Ursachen:
Erstens wird man diese Frage wohl häufiger hören als die nach anderen Dingen, die einen von den anderen unterscheidet. Das wird einem – voraussichtlich – irgendwann mal so zum Hals raushängen, dass man – nachvollziehbar – ziemlich gereizt zu antworten beginnt. Doch wenn man sich an der gleichen Frage bei 1000 Menschen nicht gestört hat, dann kann man es der Person, die die Frage als 1001ste stellt, nicht wirklich übel nehmen.
Zweitens – und das wiegt wahrscheinlich deutlich schwerer – weil diese Frage unweigerlich in eine üble Verlegenheit führt. Denn welche Folgefrage wird dann wohl kommen: „Ach, ein Freund von mir, der Sepp, kommt auch von da. Kennst du den?“, „Ach, cool, ich liebe Cholera!“, „Ach, dort wurde ich mal von einem Hai gebissen!“ oder noch schlimmer „Nein, ich meine ursprünglich?“
Und drittens weil hier, im Gegensatz zu den meisten anderen persönlichen Fragen, die Chance wesentlich grösser ist, dass man die Person versehentlich an ein traumatisches Erlebnis erinnert wird, weil das Verlassen der Heimat in viel zu vielen Fällen nicht aus freien Stücken geschah.
Das bedeutet, dass die Frage nach der Herkunft schlicht kein besonders raffinierter Zug ist. Das ändert aber nichts daran, dass die Frage jedes einzelne mal berechtigt ist. Weil jeder von irgendwo her kommt und weil uns das interessiert. Und das nicht nur ein bisschen, sondern fundamental.
Das Interesse an der Herkunft des Gegenübers wurde uns in die Wiege gelegt. Mehr noch, es ist ein Überlebensinstinkt, der während Äonen unser Überleben und das unserer Nachkommen sicherte:
Von nah nicht flachlegen.
Von nicht nah umlegen.
Und wer will sich schon mit seinem genetisches Erbe anlegen?
Die Frage aufgrund des Risikos damit in ein psychologisches Wespennest zu stechen gesellschaftlich zu ächten, wäre aber auch problematisch: Weil man dann von der Wahrscheinlichkeit für eine Eigenschaft in einer Gruppe auf das Vorhandensein der Eigenschaft bei einem Individuum schliesst und sie deshalb anders behandelt. (#Diskriminierung)
Spezielles Fazit:
„Neger“ sagt man nicht. Das weiss man.
„Fräulein“ sagt man nicht. Das weiss man.
„Schwuchtel“ sagt man nicht. Das weiss man.
„Zigeuner“, „Schlampe“ und „Krüppel“ sagt man auch nicht. Das weiss man auch.
Irgendwann fiel auf, dass diese Bezeichnungen einen unangenehmen Ballast mit sich tragen5 und dass den Betroffenen wohler wäre, wenn man stattdessen andere Worte benutzen würde. Irgendwie hat es sich dann tatsächlich durchgesetzt, dass diese Worte nicht mehr verwendet werden. Und seither spricht man sie nur noch aus, wenn man sich unbedingt als rassistisches, sexistisches und/oder homophobes Arschloch outen will.
Was die Herkunft betrifft, so sollte es sich langsam herumgesprochen haben, dass auch diese ein potentiell problematisches Thema ist und folglich lieber mit Bedacht angesprochen werden sollte. Da dieses Wissen aber noch nicht gänzlich verinnerlicht wurde, ist man noch nicht automatisch ein rassistisches Arschloch ist, wenn man die Frage stellt.
Sie wird deshalb von den Angesprochenen auch noch nicht als Schlag ins Gesicht interpretiert, sondern lediglich als ein weiterer Tropfen, der seine Macht in der Masse entwickelt.6
Aber natürlich meint es auch niemand böse, wenn er Mohrenkopf sagt. Das heisst aber nicht, dass wir nicht unabsichtlich viel zu viele Verhaltensweisen an den Tag legen, die andere Gruppen verletzen. Nur weil wir es schon immer so gemacht, macht die Sache nicht harmlos. Und dass wir uns nicht im Klaren darüber sind, dass die Sache nicht harmlos ist, nimmt der Sache nicht den Schmerz für die Betroffenen.
Allgemeines Fazit:
Es gibt Dinge, die sind okay. Andere sind es nicht. Nicht notwendigerweise weil sie in irgendeiner Form schädlich oder vorteilhaft wären, sondern einfach weil man sich irgendwie darauf geeinigt hat, dass das jetzt so gilt.
Fräulein sagen ist nicht okay. Schweinefleisch essen ist okay. Zu fragen, auf welche Toilette Trans-Menschen gehen sollen, ist nicht okay. Rülpsen ist okay. Doch ist es. Sich nach der Herkunft erkundigen, ist nicht okay.
Es spielt, wie gesagt, keine Rolle, ob diese Tabus und Freiheiten berechtigt sind, es sind Rituale und Symbole mit denen sich die Leute in einer Gesellschaft schmücken um zu zeigen, dass sie dazugehören. Es sind aber nicht geheime Signale, welche Fremde entlarven. Denn alle wissen, was sich in einer Gruppe gehört und was nicht, und wenn man sich nicht daran hält, dann um zu zeigen, dass man nicht dazu gehören will.
Verdammt umständlich, könnte man meinen, wenn man nicht wirklich wissen kann, ob das Gegenüber tatsächlich die Überzeugungen der Gruppe teilt, deren Gewohnheiten er gerade an den Tag legt. Man kann aber aus dem erstaunten Blick des Gegenübers, wenn er feststellt, dass er die falschen Rituale für die richtigen gehalten hat, zweifelsfrei darauf schliessen, dass es sich um einen (schlecht vorbereiteten) Zeitreisenden handelt.
Dieser stete Wandel unserer Sitten und Gebräuche ist der Schutzmechanismus unserer Kulturen im Temporalen Kalten Krieg.
Noch ein Gedanke am Abschied:
Nach modernen ethischen Standards wären die Leute von früher allesamt Arschlöcher. Durchs Band. OHNE AUSNAHME! Das ist aber nicht böse gemeint. Sie wussten es (in vielen Fällen) einfach noch nicht besser. Und in vielen Fällen konnten sie es gar nicht besser wissen.
Interessanterweise ist die Sache aber wahrscheinlich nicht zeitinvariant. Leute aus dem 10. Jahrhundert, die nach heutigen Standards Arschlöcher waren, würden uns wohl nicht für Arschlöcher halten. Für eklig durchaus, aber sie würden uns nicht vorwerfen können, dass wir Leute nicht aufgrund von Geschlecht, Rasse, Herkunft, sexueller Orientierung, etc. diskriminieren. Ausser sie übernehmen die Moral von jemandem, der sich nochmals zehn Jahrhunderte früher wie einer benahm, den man im Frühmittelalter genauso wie heute ehrlicherweise als Arschloch hätte bezeichnen müssen.