Frédéric Schwilden wirft in seinem Artikel in der welt.de einen nicht ganz so euphorischen Blick auf die Veröffentlichung des ersten Fotos von einem schwarzen Loch und leistet sich dabei den einen und den anderen Fehlschluss.
Schauen wir uns den Text jetzt mal Abschnitt für Abschnitt an.
„Am Ende wissen wir immer noch nicht, wie ein schwarzes Loch aussieht“, müsste die Meldung eigentlich richtig heißen. Aber stattdessen titeln Nachrichten mit „Forscher zeigen erstmals Foto von einem schwarzen Loch“ und verbreiten damit knallharte Falschmeldungen. Nicht, was Sie jetzt denken. Das sind keine Fake News. Aber es ist trotzdem falsch.
Je nach dem, wie tief in die Philosophie Frédéric Schwilden hier einzutauchen gedenkt, könnte er schon irgendwie recht haben.
Ich meine, was wir hier sehen ist die Wirkung des Schwarzen Lochs auf das Licht in seiner Umgebung (irgendwo ganz weit, weit weg) und das ist tatsächlich nicht wirklich das Schwarze Loch. Andererseits ist das, was wir sehen, wenn wir einen Stuhl betrachten auch nur die Wirkung des Stuhls auf das Licht in seiner Umgebung.
Ich halte es daher nicht für zu verwegen, das, was ich sehe, wenn ich in die Richtung eines Objekts schaue, als das Aussehen dieses Objektes zu bezeichnen.
Foto ist die Kurzform von Fotografie. Und Fotografie wiederum leitet sich aus dem Griechischen ab und heißt so viel wie Zeichnen mit Licht.
Ich bin mir nicht sicher, wieso das wichtig wäre. Ist ja nicht so, dass die Griechen den Begriff geprägt und damit ausschliesslich die analoge Fotografie gemeint hätten und nicht die digitale…
Ich weiß nicht viel, aber ich weiß, was ein Foto ist.
Das suggeriert doch, als ob das vom schwarzen Loch keins wäre, oder kommt nur mir das so vor? Ausführen tut er seine Kritik aber nicht. Ich kann nur annehmen, dass es damit zusammenhängt, dass man es an verschiedenen Orten aufgenommen und dann mit dem Computer zusammengesetzt hat.
Ein schwarzes Loch wiederum ist ein Ding im Weltraum, das einen so krassen Sog hat, dass nichts aus ihm herauskommen kann. Auch kein Licht.
Kann man gelten lassen.
Und kein Licht kann man nicht fotografieren.
Okay, der ist gut!
Wenn das der Kronzeuge seines Arguments ist, dann muss man es wohl oder übel gelten lassen. Überführt durch eine semantische Spitzfindigkeit.
Was wir auf dem Bild sehen oder sehen sollen, ist ein sehr schnell rotierender Strudel an Materie, der durch die Rotationsgeschwindigkeit so heiß wird (es ist von Millionen Grad heißem Gas die Rede), dass er eben glüht. Wäre das schwarze Loch ein Auto, wäre etwa so getitelt worden: „Erstmals Foto des schnellsten Autos der Welt gelungen“, und man würde darauf nur aufgewirbelten Staub auf einer Straße sehen. Aber kein Auto.
Wenn ich zum Himmel rauf schauen und den Kondensstreifen eines Flugzeugs sehe, ist das dann kein Flugzeug?
Ist das nicht bloss Wortklauberei?
Das sind aber nur Details.
Dann sind wir uns ja einig.
Es geht um etwas anderes. Da setzen sich also Frauen und Männer (A.d.R. die Wissenschaftler, die das Foto präsentieren) […] vor eine aufgestellte Leinwand. […]
Und dann sagen die da auf der Konferenz Dinge wie, dass sie sehr viele Radioteleskope zu einem „virtuellen Teleskop“ zusammengebaut hätten, dass die Teleskope über mehrere Atomuhren synchronisiert wurden und dass dieses gebaute virtuelle Teleskop einer einzelnen Antenne von einem Durchmesser von 8000 Kilometern entspräche und dass man deswegen das schwarze Loch so detailliert sehen könne.
Ja, das kommt so ungefähr hin.
Und dann das Foto vom schwarzen Loch! […] Und ich warte die ganze Zeit darauf, dass irgendwo bekannt gegeben wird, dass das Ganze ein Gag von Jan Böhmermann war oder die Guerilla-Werbekampagne für einen Film mit Eddie Murphy als verrücktem Wissenschaftler.
Also doch Fake News?
Wir leben in einer Welt, in der wir erwarten, dass alles überprüft und belegt werden kann.
Jap. Und sollte!
Als Journalisten prüfen wir Aussagen auf ihre Richtigkeit, wir nennen das Factchecking.[…]
Jap.
Aber das schwarze Loch ist unüberprüfbar.
Da wäre ich mir jetzt nicht sooo sicher…
Mag sein, dass das alles ein riesen Schwindel ist und es sich tatsächlich um die
„unscharfe Handyaufnahme eines Power-Knopfes eines rot leuchtenden Gaming-Computers aus den Neunzigern“ handelt. Und selbst wenn diese konkrete Überprüfung nicht gültig wäre, bedeutet aber nicht, dass die Sache grundsätzlich nicht überprüfbar sein kann. Das ist leider ein Fehlschluss.
Es ist ein Gegenstand, der so weit weg ist, dass man sich nicht vorstellen kann, wie weit das ist, ein Gegenstand, der so abstrakt ist, dass ihn sich außer den fünf Wissenschaftler*innen aus den USA und 100 irren Nerds niemand denken kann. Ich kann es nicht. Und meine Fantasie ist wirklich unbegrenzt.
105 Menschen können sich die Sache also denken und überprüfen. Was hat da der Umstand, dass der Autor, der sich selbst eine Fantasie ohne Grenzen attestiert, es nicht kann, noch für ein Gewicht? Wenn auch nur ein einziger Mensch den „Dreifachen Lindy“ kann, dann ist er nicht unmöglich.
[…]
Alles an dem schwarzen Loch und der Entdeckung ist genial. Weil alles dazu nur Aussagen sind, die aus einem System heraus kommen, das einzig und allein die Deutungshoheit über die Gegenstände dieses Systems hat.
Am Ende ist es kein Unterschied mehr, ob Katholiken über Gott oder Wissenschaftler über ein Loch reden. Für Menschen außerhalb des Systems ist es absolut unverständlich, unbeweisbar …
Das stimmt schon. Über schwarze Löcher kann man nur ernsthaft diskutieren, wenn man das Äquivalent einiger Semester Physik-Studium auf dem Buckel hat. Laien haben da keine Chance Factchecking zu betreiben und können daher auch kaum unterscheiden, ob eine bestimmte Aussage solide oder woo-hoo ist.
… und damit auch nicht existent.
Nur weil ich etwas nicht verstehe und die Belege für dessen Gültigkeit nicht nachvollziehen kann, ist es deshalb noch lange nicht inexistent. Ich meine ich habe keine Ahnung wie Gartenbau funktioniert und ich kann auch nicht abschätzen ob ein bestimmten Handgriff nützlich ist. Daraus zu schliessen, dass es demzufolge gar keinen Garten geben kann, ist dann doch etwas weit her geholt.
Okay, wenn Frédéric Schwilden damit meint, dass schwarze Löcher keinen Einfluss auf sein Leben hat und deshalb für ihn genauso gut nicht existent sein könnten, dann könnte er damit schon recht haben. Ich bin mir da aber nicht so sicher.
Das schwarze Loch existiert nur durch den Glauben daran, denn mehr als glauben können die meisten Leute der Welt nicht, wenn es um schwarze Löcher geht.
Nein, er meint es tatsächlich so. Er stellt den Glauben an schwarze Löcher mit dem Glauben an einen Gott gleich – dessen Existenz man selbst nach einem Studium der Theologie nicht beweisen kann – und das bei der Gelegenheit, wo ein Foto von Gott ich meine dem schwarzen Loch der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Oder meint er vielleicht doch „Das schwarze Lich existiert für den Laien nur durch den Glauben daran.“? Sprachlich wäre eine solche Interpretation zwar schon möglich, aber dann hätte er sich sehr schlecht ausgedrückt.
Mein Vater war übrigens Professor. […] Ich habe absolut keine Ahnung, was er wirklich gemacht hat. […]
Dann waren die Ergebnisse der Arbeit seines Vaters also auch nicht existent? Und haben Laien nicht geholfen? Schade, wo sein Vater doch Anästhesiologe war…
Jedenfalls hat mein Vater gesagt: „Je mehr man erforscht und je mehr man weiß, desto mehr Fragen tauchen auf, die niemand mehr beantworten kann, ohne das Wort Gott oder ein irgendwie geartetes Äquivalent zu gebrauchen.“
Oh ja, da hat er sicher recht. Mit jeder Antwort tun sich Duzende neue Fragen auf. Das heisst aber nicht, dass man weniger weiss. Das behauptet er aber auch gar nicht.
Er stellt nur fest, dass sie niemand mehr beantworten kann. Was ein bisschen dramatisch klingt, im Grund aber ein Tautologie ist. Eine neue Frage kann zum Zeitpunkt ihres Auftauchens nie sofort beantwortet werden – sonst wäre es ja keine neue Frage.
Und in solchen Fällen fällt das Wort Gott womöglich tatsächlich überdurchschnittlich häufig. So im Sinne von: „Mein Gott, das hätte ich jetzt aber echt nicht erwartet.“
Unter dem Strich ist das „Bonmot“ aber natürlich quatsch. Würde es stimmen, würde die Wissenschaft inzwischen von Gottesreferenzen überquellen – was sie nicht tut.
Die Sache mit Gott in der Wissenschaft ist, dass er das Ende markiert. Er bedeutet, dass es weiter nicht erklärt werden kann und man sich einem anderen Thema zuwenden soll.
Wissenschaft ist am Ende Religion. Und ich glaube gern daran.
Nein. Und daran ändert auch nichts, wenn Leute das inbrünstig glauben.
Fazit (alias Nachtrag)
- Man kann ein schwarzes Loch nicht fotografieren, weil kein Licht von diesem reflektiert wird. Das Foto aber zeigt das, was man sieht, wenn man davor steht. Genau wie bei einem (vantaschwarzen) Stuhl.
- Für Laien ist das Konzept eines schwarzen Lochs nicht von einem magischen Objekt in einem Märchen zu unterscheiden. Wenn man sich jedoch lange genug mit dem Thema beschäftigt, erkennt man, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht.
- In der Religion macht zwar ebenfalls alles umso mehr Sinn, je länger man sich damit beschäftigt. Hier liegt es aber an einem psychologischen Schutzmechanismus, der verhindert, dass man verzweifelt, weil man zu viel Zeit mit dem ganzen Blödsinn verschwendet hat. In der Wissenschaft stellt sich demgegenüber trotz des nachweislich unglaublichen Wissenszuwachs und des damit verbundenen technischen Fortschritts dennoch gern das sokratische Gefühl ein, dass man eigentlich doch gar nichts weiss. Und während man in der Wissenschaft irgendwann einmal den magischen Schleier lüftet und ein Foto des aus der Theorie abgeleiteten Objekts vorweisen kann, kommt die Religion nicht vom Fleck – wobei die Wissenschaft vorausgesagt hat, dass man so ein Foto irgendwann mal würde präsentieren können, während die Religion uns versichert, dass das im Fall von Gott sicher nie geschehen wird.
- Hinzu kommt, dass auch die Früchte der Forschung für Laien oft nicht wirklich klar ersichtlich sind und dass man da schnell mal am Sinn der massiven Investitionen zweifeln kann. Dies ist so, weil die kausale Verbindung beispielsweise zwischen Relativitätstheorie und GPS nicht gerade offensichtlich ist.
Wenn der Artikel dies zum Ausdruck bringen wollte und damit für mehr Vertrauen in die Wissenschaft und für eine qualitativ hochstehende Wissenschaftskommunikation plädieren wollte, dann ist er ein wenig begabter Autor.
Und wenn er der Religion den Rücken stärken wollte, dann erwies er ihr einen Bärendienst, denn er argumentierte hier für einen Gott der Lücken, welche von der Wissenschaft nach und nach geschlossen werden.
Und so schliesse ich mit dem folgenden Zitat
Wissenschaft ist das Beseitigen von falschen Vorstellungen.
Religion ist das Festhalten an Vorstellungen, die zu hinterfragen angeblich einfach nicht möglich sein soll.