Eine wissenschaftliche Frage der Ehre

Ich schrieb vor einer gefühlten Ewigkeit in einem Artikel, dass Trump, sollte er entgegen allen Erwartungen ein hervorragender Präsident sein, ein grässliches Problem für die Demokratie darstellen würde. Weil dann offensichtlich der Schein trügen kann und man bei der Wahl von politischen Repräsentanten nachweislich nicht davon ausgehen kann, dass das Buch hält, was der Umschlag verspricht.
Nicht, dass man das je auch nur zu hoffen gewagt hätte, aber hier wäre man in dermassen epischem Ausmass daneben gelegen, dass man ernsthaft hätte in Betracht ziehen müssen, zukünftige Wahlen lieber durch Münzwurf zu entscheiden.

Wie es scheint, hat sich meine Befürchtung nicht bewahrheitet. Er ist ein exakt so lausiger Präsident, wie man von Anfang an befürchten musste. Damit meine ich jetzt nicht, dass er eine Mauer baut und der Wirtschaft mehr Wert beilegt als der Gesundheit der Menschen, denn das sind zwar – wie ich finde – arschlochige, aber dennoch leider legitime politische Positionen. Was ihn wirklich übel macht, ist, dass er die Spaltung der Gesellschaft unverholen vorantreibt und nicht mal den Anschein eines Versuchs unternimmt einen Konsens mit deinen Gegnern zu finden.

Das heisst nicht, dass er dumm ist. Denn Dummheit ist die Unfähigkeit seine Handlungen den Gegebenheiten anzupassen und deshalb sein Ziel nicht zu erreichen. Ob Trump seine Ziele erreicht oder nicht erreicht, kann man nicht sagen, solange man diese nicht kennt.
Wenn es sein Ziel ist, Amerika wieder „Great“ zu machen, oder den amerikanischen Präsidenten als verantwortungsbewusste Leitfigur der Welt zu etablieren, oder selbst als ein Mensch zu gelten mit einem besonders guten Gehirn, dann gelingt ihm das nicht so sehr.
Wenn es dagegen sein Ziel ist, nochmals gewählt zu werden, dann sieht die Sache vielleicht etwas anders aus.

Er erscheint dumm. Und vielleicht ermöglichte ihm genau dieser Umstand, die eine oder andere geopolitische Landmine zu entschärfen. Das will ich nicht ausschliessen. Ob das aber von ihm gezielt eingefädelt wurde oder bloss ein glücklicher Ausgang war, kann ich nicht beurteilen.
Wo eine starke Führung und eine entschlossenes Voranschreiten gegen alle Widerstände bitter nötig wäre, ist der Kampf gegen die aktuelle Pandemie. Und noch viel mehr gegen den Klimawandel. Doch genau hier geschieht nichts.

Im Gegenteil. Genau hier legt Trump gefährliche Landminen. Er zwingt Experten, die ihre Arbeit tun wollen, in seinen fetten Arsch zu kriegen.
Und wenn seine Präsidentschaft vorbei ist, werden diese Leute den Markt mit Büchern überschwemmen, in denen sie zu erklären versuchen, dass sie sich nur erniedrigt haben um das Feld nicht kompletten Idioten zu überlassen. Und vielleicht werden wir ihnen sogar glauben.
Nicht mehr glauben werden den Experten dann aber künftige Präsidenten, weil sie befürchten müssen, dass diese ihnen später in den Rücken fallen und ihr Erbe besudeln werden.

Wir sind angewiesen auf die Expertise von Fachleuten. Um aus der Pandemie raus kommen. Und um den Klimawandel aufzuhalten. Doch Trump zwingt Experten unaufrichtig sein und zersetzt damit nachhaltig die Integrität der Wissenschaft – die eigentlich allein der „Wahrheit“ verpflichtet sein sollte.

„Das Zaudern des Bundesrates schadet der Wirtschaft und damit der Gesundheit“ sagt die SVP

Die SVP Schweiz ist entsetzt über die mutlose Strategie des Bundesrates zum Ausstieg aus dem Corona-Lockdown. Statt die Testmöglichkeiten auszubauen, ausreichend Schutzmasken zu besorgen und die Rückverfolgung von Infektionen via App voranzutreiben, um den Menschen in der Schweiz so eine möglichst rasche Wiederaufnahme der Arbeit zu ermöglichen, vergrössert er den Schaden für die Wirtschaft und die Volkswirtschaft insgesamt.

Aus der heutigen Medienmitteilung der SVP

Ob die Ausstieg-Strategie des Bundesrats fatal für die Wirtschaft ist, kann ich nicht beurteilen. Ich will der SVP aber zugute halten, dass sie sich in ihrer Medienmitteilung auf die Einschätzung von Experten beruft und auf die positiven Erfahrungen in Deutschland und Österreich.
Ob zu den erwähnten Experten auch Epidemiologen gehören, weiss ich nicht, und ob Deutschland und Österreich durch die Lockerung in eine zweite Welle rutscht, auch nicht, aber ich rechne es der SVP hoch an, dass expertenfreundlich und weltoffen argumentiert.

Mich erstaunt hier aber die Wortwahl, wenn sie die Strategie „mutlos“ nennt.

Wenn es nach der SVP ginge, würde der Ausstieg unter dem Motto „Kommt schon, riskieren wir es!“ laufen. Mut haben bedeutet schliesslich etwas zu riskieren. Vielleicht sogar über den Standard hinaus.

Doch was genau ist die SVP hier bereit zu riskieren?

Einen zweiten Ausbrauch von Covid-19!
Und damit das Leben von Menschen.

Wie gesagt, ich sage nicht, dass die Lockerung nicht wirtschaftsfreundlicher gestaltet werden sollte. Man sollte es einfach nicht als Charakterschwäche darstellen, wenn man das Leben von Menschen vor die Interessen der Wirtschaft stellt.

Und mal abgesehen davon, es braucht auch Mut einen Kurs einzuschlagen, der die Wirtschaft gegen die Wand fährt.

Unsere SVP in der Zeit der Corona

In meinem Artikel „Unsere Parteien in der Zeit der Corona“ habe ich mich dafür ausgesprochen, dass die Parteien den Empfehlungen der Wissenschaft grösseres Gehör schenken als den Wünschen ihrer Wähler, weil die Empfehlungen der Wissenschaft die Existenz ihrer Wähler besser schützt als die Wünsche ebenjener.

Inzwischen (1. April 2020) ist auf der Webseite der SVP eine Medienmitteilung erschienen, in der sie „eine klare wirtschafts- und gesundheitspolitische Strategie für die Zeit nach dem 19. April“ fordert.
Daran ist soweit noch nichts auszusetzen.
Sie anerkennt, dass die vom Bund via Notrecht bis zum 19. April 2020 getroffenen Massnahmen die vulnerablen Bevölkerungsgruppe schützen.
Das sollten wir im Hinterkopf behalten.
Sie gibt dann aber zu bedenken, dass diese gleichzeitig massive Schäden für Wirtschaft, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, ja für unser ganzes Land verursachen.
Das stimmt wohl. Doch das bestreitet meines Wissens auch keiner.
Daher stelle sich heute nicht nur die dringende Frage, wie die Schweizer Bevölkerung ab dem 19. April 2020 zu schützen ist, sondern auch, wie dies zu geschehen habe, ohne dass die wirtschaftlichen Folgeschäden noch grösser werden.
Wie gesagt, die Frage ist durchaus berechtigt.
Deshalb fordert die SVP-Fraktion eine klare wirtschafts- und gesundheitspolitische Strategie für die Schweiz nach dem 19. April 2020.

Das ist natürlich ihr gutes Recht. Ich hoffe einfach, dass sie sich bei ihren Forderungen meine Forderungen vom 29. März zu Herzen genommen hat und in ihrer Strategie die Wissenschaft (möglichst explizit) zu Wort kommen lässt.
Darüber hinaus möchte ich noch zu bedenken geben, dass eine klare Strategie eigentlich ein Wissen um die Gegebenheiten voraussetzt, was ja jetzt noch lange nicht der Fall ist. Eine „klare Strategie“ sollte daher idealerweise Raum für massive Anpassungen haben, wenn die Situation es verlangen sollte.
(btw. darüber, ob die Situation passive Anpassungen verlangt, informiert uns die Wissenschaft.)

Die SVP fordert für die Zeit nach dem 19. April 2020 die Umsetzung folgender Massnahmen zum Schutz insbesondere der vulnerablen Bevölkerungsgruppe:

  • besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen haben sich selber vor einer Ansteckung zu schützen und sich deshalb so weit wie möglich zu isolieren. Der Staat hat auf die Umsetzung dieser Massnahme hinzuwirken;
    Ist das nicht wie gehabt? Oder impliziert „hinwirken“ weniger Druck? Also beispielsweise keine Busen für Leute, die die Empfehlungen ignorieren?
    Weniger Druck bedeutet aber mehr Ansteckungen. Dessen sind wir uns bewusst, oder? Und mehr Ansteckungen bedeuten mehr Tote. Nur damit das klar ist.
  • der verstärkte Grenzschutz ist aufrecht zu erhalten, Einwanderer und Einreisende aus Risikogebieten sind ebenso abzuweisen wie Personen, die nicht zweifelsfrei nachweisen können, dass sie frei vom Corona-Virus sind;
    Auch das ist nichts neues, oder?
    Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Einschleppung von aussen, jetzt mal vom ersten Mal abgesehen, tatsächlich ins Gewicht fällt? Daniel Koch, Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), meinte in einem Interview im Tessiner Radio RSI, dass die Grenzschliessung keinen grossen Unterschied gemacht hätte.
    Dieser Punkt verdankt sich also weniger wissenschaftlichen Empfehlungen als viel mehr ihren Wunschträumen. Da die Grenze schon ziemlich geschlossen ist, dürfen sie das gern fordern auch ohne wissenschaftlich belegte Notwendigkeit.
  • die Einführung einer allgemeinen Tragepflicht von Schutzmasken, wo ein Kontakt zwischen Menschen stattfindet. In erster Linie ist das medizinische Personal und danach die ganze Bevölkerung mit Schutzmasken zu versorgen. Diese sind zentral durch den Bund zu beschaffen;
    Das ist (relativ) neu. Den Hintergrund für diese Forderung liefert wohl Verena Herzog in ihrem Referat „Schutz der Gesundheit der Menschen hat Priorität“. Sie erklärt dort, dass entgegen Behauptungen Schutzmasken nicht wirkungslos sind. Denn auch wenn etwas nicht 100%igen Schutz bietet, so ist das immer noch besser als gar nichts. Das stimmt natürlich, es fehlt hier aber der Kontext in dem die „Behauptung“ gemacht wurde. Es hiess nicht, dass die Masken wirkungslos seien, sondern, dass es zu wenige hat, als dass man sie an Orten benutzt, wo sie nicht wirklich dringend benötigt werden. Und dass die Masken insofern sogar kontraproduktiv sein könnten, weil sie den Trägern ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln – insbesondere bei nicht fachgerechter Anwendung.
    Wenn es genug Masken gibt, dann können wir uns anschauen, ob durch die Maskenpflicht die Ansteckungsrate sinkt oder steigt. Die
    Erfahrung kann es uns dann im Nachhinein sagen oder im Vorfeld die Wissenschaft. Die SVP sollte ohne Referenz auf eine der beiden daher lieber nichts fordern, was den Leuten die Angst nimmt zur Arbeit zu gehen, aber potentiell das Ansteckungsrisiko heben könnte.
  • die aktuell geltenden Regeln des Abstandhaltens und die Hygienemassnahmen sind beizubehalten;
    Okay.
  • positiv auf Covid19 getestete Risikopatienten sind in strikte Quarantäne zu setzen.
    Wie gehabt.

Wenn ich diesen ersten Teil richtig überblicke, sind sie mehr oder weniger für das Beibehalten der Massnahmen des Bundesrates, unterstreichen dabei aber einfach die Punkte, die fett in ihrem Parteiprogramm stehen, und stellen Forderungen, welche sich als nützlich für den nächsten Satz an Forderungen erweisen sollen.

Jenen zum Schutz der Wirtschaft:

  • das Arbeitsverbot, wo kein Home-Office möglich ist, soll aufgehoben werden;
    Egal, wie sehr dadurch das Ansteckungsrisiko steigt?
  • Läden und Restaurants sollen unter Einhaltung der Hygiene- und Schutzmassnahmen wieder öffnen dürfen;
    Das ist eigentlich wie oben.
  • das Schulverbot soll so weit als möglich, risikobasiert und gestaffelt und unter Einhaltung der Hygienemassnahmen aufgehoben werden;
    Auch das ist das gleiche wie oben.
  • das Versammlungsverbot soll ebenfalls unter Einhaltung der Hygiene- und Schutzmassnahmen gelockert werden.
    Dass man die Arbeit und die Schule wieder möglichst im „normalen“ Rahmen (in Sinne von unter Einhaltung der Hygiene- und Schutzmassnahmen) in Betrieb nimmt, ist ohne zweifel lebenswichtig für die Wirtschaft. Allerdings auch verbunden mit dem Risiko einer Steigerung der Ansteckungsrate. Das gilt es gegeneinander abzuwägen. Und zwar in Zahlen. Auf der einen Seite die wirtschaftliche Kennzahl (BIP?) und auf der anderen die Zahl der Toten. Ich verlange daher von der SVP, dass sie in ihrem Strategiepapier festhält, wie viele Tote für im Tausch für 100 BIP Punkte (oder womit man hier auch immer rechnet) akzeptabel sind.
    Aber die Lockerung des Versammlungsverbots? Das ist ein Stich ins Herz der zentralen Instruments der Bekämpfung der Pandemie. Klar, die obigen Forderungen sind ohne eine Lockerung der Versammlungsverbots kaum umsetzbar, aber ich hätte es anders formuliert. Hier klingt es nämlich weniger als ein wirtschaftlicher Möglichmacher, als viel mehr so, als setze sich die SVP für die Wiedereinführung des Menschenrechts der Versammlungsfreiheit ein. Was schon ein bisschen populistisch ist.

Und dann noch ein „und überhaupt“:

  • Zudem sind die nun festgestellten Mängel in der Krisenvorsorge sofort zu beheben. Dies gilt vor allem für die Beschaffung von Schutzmasken und -kleidung, von Tests sowie von Beatmungsgeräten. Dieser Forderung ist höchste Priorität einzuräumen.
    Ja, klar. Das macht Sinn. Aber ich nehme an, das bezieht sich nicht nur auf Atemwegserkrankungen. Sondern auch für alle anderen Erkrankungen, die durch Seuchen hervorgerufen werden könnten. Und es gilt wohl ebenfalls für die Fachkräfte, die sich sowohl um die Geräte als auch um Patienten kümmern. Ich meine wie kann man für eine Pandemie vorbereitet sein, wenn das medizinische Personal auch in normalen Zeiten am Anschlag ist? Will sich die SVP also wirklich für bessere Arbeitsbedingungen im Pflegebereich (und anderen systemkritischen Berufen) einsetzen? Finde ich gut!

Okay, die SVP fordert also eine Mässigung mit den Massnahmen, die ergriffen wurden um die Ausbreitung zu verlangsamen und damit das Gesundheitswesen nicht an den Rand des Kollapses zu führen.
Warum tut die SVP das? Um die Wirtschaft zu schützen. Klar, aber kann eine Wirtschaft prosperieren, wenn das Gesundheitswesen kollabiert und die Eltern der Arbeitskräfte wie die Fliegen sterben?

Sie geht wohl davon aus, dass es schon nicht so schlimm sein wird. Aber auf welcher Basis kommt sie darauf, wie schlimm es (nicht) werden wird?

Oder ist die SVP überzeugt, dass wir den Zenit überschritten haben und die Ansteckungen zurück gehen? Die Zahlen deuten zwar noch nicht darauf hin, aber nehmen wir an, dass es stimmt und die Massnahmen des Bundesrates funktionieren und jeden Tag werden weniger Ansteckungen verzeichnet. Was geschieht wohl, wenn man die Massnahmen, die das erreicht haben, wieder lockert, wie die SVP es sich wünscht? Geht dann der Trend weiter nach unten oder steigt die Zahl der Ansteckungen wieder an?

Mir ist schon klar, dass man die Wirtschaft unbedingt wieder zum Laufen bringen muss. Man muss das aber auf eine Art und Weise schaffen, die die Ansteckungsrate nicht wieder steigen lässt.
Die Forderungen der SVP scheinen mir, zumindest so lange kein nachhaltiger Erfolg gegen die Pandemie verzeichnet wurde, eher eine Art Einverständniserklärung dafür zu sein, dass man für die Wirtschaft eine beliebige Zahl von Leben aus der vulnerablen Bevölkerungsgruppe opfern darf.
Ich fände es daher nur richtig, wenn die SVP mit ihrer Forderung auch die Kosten an Menschenleben anführen würde, die sie bereit ist es die Schweizer Bevölkerung kosten zu lassen.

Es gibt Länder, wo es besser geht, und andere, wo es schlechter geht.
Die SVP soll sich entscheiden, welchen sie nacheifern möchte.

Den Zahlen des einen nacheifern mit den Methoden des anderen, so funktioniert das aber nicht.

Unsere Parteien in der Zeit der Corona

Je ein Screenshot der Webseiten unserer 16 wichtigsten Parteien (alphabetisch geordnet, warum auch nicht).

Die Herausforderungen, vor die uns Corona stellt, werden in den nächsten Wochen und Monaten noch grösser werden. Und die Bereitschaft unpopuläre aber notwendige politische Entscheidungen durchzusetzen, wird angesichts des Klimawandels auch in den nächsten Jahren noch gefragt sein.

Ich erwarte daher von der Politik und den Parteien, dass sie umdenken. Bisher bestand Politik hauptsächlich darin zu entscheiden, in welcher Farbe das Bundeshaus gestrichen werden soll, und das Ergebnis spielte überhaupt keine Rolle. Es machte zwar die einen glücklich und die anderen unglücklich oder die einen unglücklich und die anderen glücklich, doch alle, sowohl die einen wie auch die anderen, kamen früher oder später darüber hinweg.
In naher Zukunft wird die Aufgabe aber viel zu oft nicht mehr sein zu entscheiden, ob und wie etwas gemacht werden soll, sondern Wege zu finden, wie das, was gemacht werden muss, mit möglichst wenig murren getan wird.

Heute erklären die Parteien im Angesicht der Krise, dass sie hinter den Entscheidungen des Bundesrats stehen. Morgen müssen wir uns darauf verlassen können, dass sie auch dann bereits sind sich ungeachtet ihrer politischen Ziele bedingungslos der Expertise der Wissenschaft zu unterwerfen, selbst wenn die Situation noch nicht so dringend erscheint.

Zugegeben „sich der Expertise der Wissenschaft unterwerfen“ klingt ein bisschen rückgratlos. Doch wenn man bedenkt, dass die von der Wissenschaft vorgeschlagenen Strategien den Wünschen der Individuen und der Wirtschaft nicht allzu hohe Priorität einzuräumen scheinen, wird es eine Menge Charakter brauchen.

Schauen wir es uns anhand eines hypothetischen Beispiels an: Durch die wissenschaftliche Auswertung von medizinische Daten, fällt auf, dass bei überraschend vielen Vergiftung von Kleinkindern eine rosa Plastikente erwähnt wird. Man geht der Sache nach und findet heraus, dass die hübsche rosa Farbe der beliebten Ente für Kleinkinder toxisch ist. Die Firma, die die Enten herstellt möchte die Farbe nicht aus dem Verkauf nehmen, weil sie günstig in der Herstellung ist und sich super verkaufen lässt. Darüber hinaus haben sie herausgefunden, dass die Toxizität gänzlich verschwindet, wenn man beim Spielen Handschuhe anzieht. Und die Kinder lieben die Ente und schreien den Eltern die Bude ein, wenn man sie ihnen wegzunehmen versucht.
Ergo: Die Kinder haben ein grosses Interesse daran, dass die Enten weiter produziert werden. Genauso die Wirtschaft. Nur die Wissenschaft scheint etwas gegen sie zu haben.
Was soll jetzt die Politik machen? (Ja, in diesem Fall fällt die Sache unter ein anderes Gesetz, welches in solchen Fällen automatisch zur Anwendung kommt und die Ente vom Markt nimmt. Aber wir sind hier in einem Gedankenexperiment, das sich zu einer Zeit abspielte, wo dieses Gesetz noch nicht vorhanden war.)
Verschiedene Bereiche der Wissenschaft beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten des Problems. Die Chemie stellt die Toxizität des Stoffes fest und dessen Sterberate bei Kontakt mit der Farbe. Die Wirtschaftswissenschaften untersuchen die Auswirkungen eines Entenverbots auf die Wirtschaft in Form von einem Kurseinbruch. Und die Psychologie prognostiziert die Steigung der Scheidungs- und Selbstmordrate, verursacht durch den Stellenabbau der Firma und das Schreien von Kindern, denen das Spielzeug weggenommen wird.
Liegt es jetzt an der Politik zu entscheiden? Bevor wir das beantworten können, sollten wir uns noch folgende Frage stellen: Auf welcher Basis würde sie entscheiden?
Aufgrund ihres Parteiprogramms? Die Wirtschaftspartei hört sich die Wirtschaftsvertreter an und konsultiert die Studie der Wirtschaftswissenschaften und würde sich dann gegen ein Verbot aussprechen. Die, die sich den Schutz der Ehe und den Kampf gegen den Selbstmord auf die Fahne geschrieben hat, wohl auch. Nur Gwyneth Paltrows chemiefeindliche Partei würde sich für ein Verbot stark machen.
Dass sich jede Partei ein Kernthema für sich herauspickt, das ihrer Meinung nach nicht genug Beachtung findet, ist richtig und okay, aber in diesem Fall fatal. Denn die Wirtschaftswissenschaften untersuchten hier nur, was passiert, wenn eine konkrete Firma ihr Erfolgsprodukt vom Markt nehmen muss. Sie untersuchte nicht, was passiert, wenn es auf dem Markt bleibt und tausende Kinder sterben. Und die Psychologie beschäftigte sich mit der Frage, welche Konsequenzen ein Kurseinbruch einer einzelnen Firma hat kombiniert mit dem Geschrei von unzufriedenen Kindern. Sie hat sich aber nicht angeschaut, was geschieht, wenn der Kurs stabil bleibt, dafür aber Reihenweise Kinder sterben.
Erst wenn die verschiedenen Bereiche zusammenspannen und ein Model entwickeln, in welches alle diese Faktoren einfliessen, kann man eine gut fundierte Entscheidung treffen. Im Fall mit der Rosa Spielzeugente wird dort klar zeigen, dass nur eine Strategie ein akzeptables Ergebnis liefert: Enten vom Markt nehmen und Gesetze anpassen um ähnliches in Zukunft zu verhindern.
Parteien und Politik haben hier de fakto nichts mehr zu entscheiden.

Wenn verschiedene Szenarien zu ähnlich akzeptablen Ergebnissen führen, es also keine absehbare Rolle spielt, wie man sich entscheidet, können sich die Parteien gern mit ihren Parteiprogrammen wieder zu Wort melden. Wobei, wohlgemerkt, es die Wissenschaft ist, die beurteilt, ob die Ergebnisse ähnlich akzeptabel sind.

Bei Corona sind die Prognosen sehr klar. Beim Klimawandel ebenso. Es führt kein Weg an einer massiven Reduktion des CO2 vorbei. Die Aufgabe der Parteien kann daher nicht sein, die Interessen der Individuen und er Wirtschaft zu schützen. Denn tatsächlich können deren Interessen langfristig nur über die Abwendung des Klimawandels geschützt werden. Es ist auch nicht die Aufgabe der Parteien Wege zu finden, wie sich das CO2 im erforderlichen Zeitraum im erforderlichen Ausmass senken lässt. Denn die möglichen Wege, die zum Ziel führen könnten, wurden von der Wissenschaft bereits aufgezeigt. Die Politik kann diese nur noch umsetzen. Und die Parteien müssen sich darüber im klaren sein und mitspielen.

Gut möglich, dass eine der von der Wissenschaft vorgeschlagenen Strategien nicht hält, was sie verspricht, aber immerhin sind die Gründe für das Vertrauen in die Strategie und die Chancen, dass sie erfolg haben könnte, nachprüfbar besser als das Bauchgefühl von Politikern.

Nun ja, ganz machtlos ist die Politik aber auch wieder nicht. Sie ist es, die über die Finanzierung der Forschung verfügt.
Und das stellt uns vor eine interessante Situation: Entweder decken sich die Ansichten einer Partei mit jener der Wissenschaft, oder sie tun es nicht.
Wenn sie es aus Prinzip tun, ist alles okay.
Wenn sie es nur zufällig in einem ganz besonderen Fall tun, betrachten wir einfach einen anderen Fall.
Wenn sie es nicht tun, kann die Partei überzeugt sein, dass die Meinungsverschiedenheit allein darauf zurück zu führen ist, dass noch nicht genug geforscht wurde. In diesem Fall würde sich die Partei dafür einsetzen, dass mehr Geld in die Forschung fliesst. Wenn sie die dann besser fundierte Ansicht akzeptiert, ist alles okay.
Wenn die Partei aber überzeugt davon ist, dass Forschung nichts ausrichten kann oder dass mehr Forschung ihre Ansichten untergraben wird, dann kann sie die Forschungsgelder kürzen wollen. Damit würde sie die bisherigen Empfehlungen der Wissenschaft und die Notwendigkeit diese Umzusetzen zwar nicht aufheben, aber sie würde doch zumindest ihre Wissenschaftsfeindlichkeit öffentlich zur Schau stellen. Und das ist auch okay, denn auf diese Weise disqualifiziert sie sich selbst.

Wie gesagt. Wir müssen umdenken. Die Parteien müssen Farbe bekennen und sich hinter die Empfehlungen der Wissenschaft stellen. Bedingungslos und ohne Rücksicht auf ihr Parteiprogramm.
Wissenschaftsfeindliche Parteien haben in der Politik nichts zu suchen, denn die Wissenschaft als der Weg Fragen verlässlich bestmöglich zu beantworten ist die einzige Chance, die wir haben. Sowohl bei Corona als auch beim Klimawandel. Und eigentlich auch bei der Migrationspolitik, der Zeitumstellung und der Farbe des Bundeshauses.
Ich denke, dass Wissenschaftsfeindlichkeit sogar noch gefährlicher ist als Rassismus.

Oder denkt wirklich jemand ernsthaft, dass Covid-19 gänzlich ohne Mithilfe der Wissenschaft besiegt werden kann? Respektive auf eine Weise, die die Wissenschaft als untauglich oder ungenügend betrachtet?

Wie ist es eigentlich auf der gleichen Seite zu stehen wie die Arschlöcher?

Liebe gemässigte Christen

Nach dem Tod von Stephen Hawking geisterten verschiedene Beiträge fundamentalistischer Christen durch die sozialen Medien, in denen sich diese genüsslich darüber ausliessen, dass Hawking jetzt in der Hölle schmort. 

Euch ist schon klar, liebe Christen, dass das Eure Arschlöcher sind?

Ihr haltet diese Menschen doch für Arschlöcher, oder? Nicht bloss für ein bisschen unsensibel, weil sie laut aussprechen, was man eigentlich bloss denken sollten?

Ich persönlich halte jeden für ein Arschloch, der sich über das Leid anderer freut. Ob diese es nun verdient haben oder nicht, spielt dabei eigentlich kein Rolle. Und da die Hölle das ewige Leid ist, das man mit einem endlichen Leben noch nicht verdienen kann, spricht nichts dagegen jeden für ein Arschloch halten, dem der Umstand Freude bereitet, dass irgend jemand dorthin kommt.

Stephen Hawking akzeptierte nicht Jesus. Das bedeutet nach Eurer Überzeugung doch glasklar, dass für ihn die Sache gelaufen ist und er sich deshalb schon bald genau dort wiederfinden wird.

Wie ist es mit Euch, liebe Christen? Gibt es etwas erfreulicheres als wenn Gottes Wille geschieht? Und indem jemand, der Jesus den Rücken zukehrt, in die Hölle kommt, geschieht doch genau das… Freut also auch Ihr Euch darüber, dass Hawking in der Hölle schmort?

Natürlich wünscht ihr es niemandem (und sicherlich würdet ihr es auch nie jemandem auf eine so erbärmliche Art und Weise unter die Nase reiben), aber wer in die Hölle kommt, tut es – nach eurer Ansicht – aus freien Stücken. Und indem er Jesus nicht akzeptieren wollte (nicht akzeptieren können ist nach eurer Ansicht schliesslich keine Option, weil dann ja die Willensfreiheit nicht gegeben wäre), wünscht er sich ganz offensichtlich in die Hölle zu kommen.
Folglich hat sich nicht nur Gottes Wille, sondern auch Hawkings Wunsch erfüllt. Also ein Win-Win. Wenn das kein Grund zur Freude ist…
Und es ist ja auch nicht so, dass sich der Wunsch in einer für den Wünschenden überraschenden Form erfüllt hätte (vergleichbar mit der Art wie fiese Dschinns gern die Wünsche ihrer „Opfer“ erfüllen). Hawking wusste, was die Alternative zum Himmel ist. Nun ja, er scheint nicht gewusst zu haben, dass der Himmel real ist, aber er wusste sehr genau, dass er dort nicht hinkommen würde, wenn es diesen doch geben sollte.

Ja, Ihr mögt euch nicht so recht darüber freuen, aber dürft ihr das überhaupt? Euch nicht nicht so recht darüber freuen, meine ich. Damit würdet ihr ja zum Ausdruck bringen, dass der göttliche Plan Schwachstellen hat…

Gott hingegen darf darüber traurig sein, dass sein raffinierter Plan alle Menschen in den Himmel zu lotsen, wieder mal nicht aufgegangen ist. Er darf enttäuscht sein, dass nicht mal eine 2000 Jahre alte Androhung von Höllenqualen einen von ALS gezeichneten Astrophysiker dazu bewegen konnte, an ihn zu glauben.
Aber dürft das auch Ihr? Seine Geschöpfe, die ihr die Ewigkeit an seiner Seite verbringen wollt?

Natürlich dürft (und solltet) ihr entsetzt sein über diese Unfähigkeit Gottes!

Und natürlich dürft (und solltet) ihr offen dazu stehen, dass sein Plan Scheisse ist, wenn dieser zulässt, dass Leute ewiglich gefoltert werden!

Alles worauf es schliesslich ankommt, ist, dass ihr Jesus akzeptiert. Und das tut Ihr doch. Man kann auch Götter, die man für bescheuert hält, als Erlöser akzeptieren.

Schliesslich erlaubte es sich selbst der Papst ans Bein Gottes zu pinkeln als er im April 2018 dem achtjährigen Emanuele erklärte, dass sein kürzlich verstorbener, atheistischer Vater natürlich im Himmel sei. Schliesslich habe er seine vier Kinder taufen lassen und er sei, wenn man Emanueles Wort Glauben schenken darf, ein guter Mensch gewesen. Gott lässt seine Kinder schliesslich nicht im Stich…
Aber natürlich lässt Gott seine Kinder im Stich. Nämlich dann wenn sie nicht genau das tun, was er von ihnen verlangt. (Es lässt sich sogar sehr genau beziffern, wie viele Seelen es sind, die er in Stich lässt: Stand heute mindestens 107’999’856’000123.) Der Papst hat dreist gelogen und damit erfreulich deutlich zum Ausdruck gebracht, was er persönlich von Gottes Plan hält. Also dürft ihr das sicherlich auch.

Zugegeben, eine solche Einstellungen wird wohl eine Zeit lang für dicke Luft im Himmel sorgen, aber selbst euer jähzorniger Gott wird sich irgendwann einmal beruhigen4.

Das heisst, als Christen braucht ihr euch tatsächlich nicht zwingend darüber zu freuen, dass ein Atheist in der Hölle schmort. Sind die Arschlöcher vielleicht also doch nicht Eure?
Aber als Christen dürft ihr euch darüber freuen. Es sind also doch Eure. Sorry.
Das heisst, dass selbst wenn ihr den Arschlöchern noch so vehement widersprecht (wonach es von aussen übrigens nicht aussieht5), sind es Eure. Ihr seht daneben einfach etwas netter aus.

Ihr beide akzeptiert Jesus. Und ihr beide glaubt, dass es eigentlich nur darauf ankommt. Und dass man allein dadurch gerettet wird. Und Ihr beide befürchtet, dass auch der jeweils andere dieses Kriterium erfüllt haben könnte – trotz eurer gegenseitigen Antipathie (ja, die Chance ist gross, dass auch sie Euch für unsympathisch halten) – und dass ihr euch im Himmel begegnen werdet.

Und vielleicht solltet Ihr auch noch folgendes bedenken: Ihr seid beide Mitglieder der grössten Religion. Was schätzt Ihr, zu einem wie grossen Teil verdankt sich die Popularität Eures Glaubens wohl der Qualität, die Ihr in diesem erkennt? Und zu einem wie grossen der Möglichkeit sich darin als Arschloch voll entfalten zu können? Hm?

Und genau das wirft die eigentliche Frage dieses Artikels auf:

Was wenn meine Seite nur dank der Arschlöcher gewinnt?

Stellen wir uns folgendes hypothetische Szenario vor: Ich möchte, dass der Staat sich aus möglichst allem raus hält. Damit würde ich tendenziell ins rechte politische Spektrum gehören. Anderen mag das eigentlich egal sein, ihnen ist nur wichtig, dass ihr Volk möglichst reinrassig bleibt. Auch diese Position ist traditionell im rechten Spektrum angesiedelt.
Das heisst, wenn es um die Auswahl der politischen Vertreter für die Regierung geht, dann ist die Chance gross, dass die Kandidaten, die sich dafür einsetzen wollen, dass sich der Staat aus allem raus hält, auch die Fantasien der Rassisten zu erfüllen versprechen.
Was, wenn erst eine solche unheilige Allianz dem Kandidaten den Sieg ermöglicht?

Im Idealfall würde ich mir natürlich eine Partei suchen, die den Staat aus allem raushalten will und die die kulturelle Vielfalt zu schätzen weiss. Wenn es aber eine solche Partei nicht gibt, muss ich im Interesse meiner primären Interessen (Staat hält sich aus allem raus) eben Abstriche bei meinen sekundären Idealen (Multikulti) in Kauf nehmen6.

Doch wie werde ich mich gegenüber der Umsetzung der Forderungen meiner arschigen Verbündeten verhalten? Von Forderungen, die meinen Überzeugungen zutiefst zuwiderlaufen, denen ich aber mit meier Stimme den Weg bereitet habe. Was muss, resp. kann ich tun?
Oder würde ich deren Gefahr verharmlosen?

Ich meine, natürlich sind die Gefahren, die von einer Idee ausgehen, nie wirklich so gross, wie von den Gegnern befürchtet. Doch sind sie auch nie so vernachlässigbar, wie von den Befürwortern beteuert. Da frage ich mich dann aber, wo auf diesem Spektrum befinde ich mich wohl als Gegner, wenn ich in einer unheiligen Allianz mit den Befürwortern stecke? Ich glaube nicht in der Mitte.

Wenn ich also möglicherweise blind bin für die Arschlochigkeit meiner Verbündeten und folglich auch für die Absurdität ihrer Argumente, wie finde ich dann raus, dass Arschlöcher und die von mir tolerierten Ansichten verwerflich sind?
Woran erkenne ich, dass ich auf der falschen Seite stehe?

Das ist knifflig. Aber ich persönlich habe zumindest das Gefühl auf der gleichen Seite mit meinen Idolen zu stehen. Und auf der gegenüberliegenden Seite der Arschlöcher.
Das ist natürlich noch keine Garantie dafür, dass ich richtig liege, denn die, die meine Position gut repräsentieren, sind immer Helden und die Gegner immer Arschlöcher.

Aber nun ja, wenigstens stehe ich auf der gleichen Seite wie Stephen Hawking und auf der gegenüberliegenden von denen, die sich darüber freuen oder es auch nur für gerechtfertigt halten, dass er in der Hölle schmort. Und das ist zumindest schon etwas.

Wie ist es bei euch, liebe gemässigte Christen, nagt es nicht manchmal ein klitzekleines Bisschen am Vertrauen in Euren Glauben, dass es bei euch andersrum ist? Und würdet ihr im Himmel nicht lieber Stephen Hawking begegnen als diesen Arschlöchern? Hm?

Rumpeldipumpel, Eda

Brexit und der Tod der Demokratie

Der Youtuber Rationality Rules meint, dass ein zweites Brexit-Referendum nicht okay sei, weil man damit nicht den Willen des Volkes respektiere. Da ist schon was dran. Er meint auch, dass wenn schon, dass man erst mal die EU verlassen müsste, und dann erst wieder abstimmen könne, ob man wieder in die EU zurückzukehren wolle. Auch da hat er schon auch irgendwie recht. Und er fürchtet, dass ein zweites Brexit-Referendum den Tod der Demokratie bedeuten würde. Und genau hier, finde ich, liegt er falsch.

Er hat schon recht, man kann einen Volksentscheid nicht einfach ignorieren, nur weil er einem zufällig nicht passt. Prinzipien müssen auch gelten, wenn es weh tut.
Aber es gibt Sachen, die wichtiger sind als ein Volksentscheid. Die vom Völkerrecht garantierten Menschenrechte zum Beispiel.
Auch wenn das Volk Ja zur Todesstrafe für Homosexuelle sagen würde, dürfte eine solche Vorlage nicht umgesetzt werden. Punkt.

Brexit gehört allerdings nicht in diese Kategorie. Aus der EU auszutreten, verletzt keine höheren Prinzipien. Die Entscheidung, ob man in der EU bleiben will, sollte im Gegenteil tatsächlich vom Volk getragen werden1.

Dann gibt es da noch die interessante Frage nach dem Unterschied zwischen dem, was die Initianten wollen und dem, was der Gesetzestext tatsächlich besagt. Manchmal kann das deutlich auseinander gehen. Bei der Stripendiums-Vorlage ging es darum, dass man staatliche Universitätsstipendien für StrapsenträgerInnen einführen solle, irgendwie konnte der juristische Text, wie sich erst viel später herausstellte, aber auch dahingehend interpretiert werden, dass Montags schweizweit der Linksverkehr gelten müsse. Dies war von den Initianten nie beabsichtigt gewesen. Wenn die Vorlage nun angenommen worden wäre, hätte man diesen Aspekt bei der Umsetzung problemlos ignorieren können ohne damit der Demokratie in irgendeiner Weise zu schaden, weil ihn die Initianten weder beabsichtigt hatten noch im Wahlkampf je thematisierten.
Daran ändert auch nichts, wenn ein paar Leuten diese Interpretation aufgefallen wäre, sie nichts gesagt hätten und genau aus diesem Grund für das Stripendium gestimmt hätten.

Dass man diesen Punkt bei Brexit geltend machen kann, halte ich für fragwürdig. In der ganzen Diskussion über ein zweites Referendum war meines Wissens nie von unbeabsichtigten formaljuristischen Patzern die Rede sondern immer nur von sehr beabsichtigter Irreführung. Während bei der No-Billag Abstimmung vielleicht noch ein paar Leute denken konnten, es gehe dort allein darum, der Billag das Mandat zu entziehen, und nicht etwa um die komplette Abschaffung der „Zwangsgebühren“, gegen welche sie grundsätzlich gar nichts einzuwenden gehabt hätten, lässt der Name Brexit nur wenig Spielraum für andere Interpretationen als den britischen Exit.

Ja, man hätte irgendwie auf die Idee kommen können, dass man mit dem Geld, das wöchentlich in die EU fliesst, selbstverständlich das Gesundheitswesen sanieren könnte. Das liess aber niemanden vergessen, dass man dafür zuerst mal die EU verlassen musste um das Geld anders einsetzen zu können.
Ehrlich gesagt, bezweifle ich aber, dass irgendjemand dem Bus tatsächlich glauben schenkte. Was dann wiederum das Argument, dass sich viele von illusorischen Versprechungen blenden liessen, etwas arrogant erscheinen lässt.

Alle Politiker lügen oder biegen sich die Fakten ein bisschen zurecht. Man könnte es die po(l)etische (±) Freiheit nennen. In der Politik geht es nicht um die WAHRHEIT, sondern um Geschichten, die die Welt in eine bessere (oder zumindest weniger schlechte) Zukunft bringen sollen. Und das schaffen Fiktionen manchmal besser als Fakten – solange sie von den Fakten nicht allzu weit entfernt sind. Und das ist okay, sofern alle darum wissen. Und das tun sie.
Damit legitimiere ich aber in keinster Weise die Lügen. Ich vertraue darauf, dass sich Lügen auf lange Sicht nicht auszahlen und deshalb tunlichst vermieden werden – vor allem auch, weil es viel elegantere Mittel als die Lüge gibt um seinen Willen durchzusetzen2. Ich verurteile lediglich die Empörung, denn die ist immer etwas heuchlerisch.
Wenn die Lügen aber ein gewisses Mass an Dreistigkeit übersteigen, dann… ja dann sollte es vielleicht schon angemessene Konsequenzen haben. Ich denke da an einen hypothetischen Fall, wo ein Präsidentschaftskandidat nur durch höchst illegale Machenschaften seine Wahl gewinnt? In einem solchen Fall würde es eigentlich nicht reichen, den Präsidenten abzusetzen und ins Gefängnis zu werfen und an seiner statt den Vice, der vielleicht tatsächlich von alledem nichts wusste, regieren lassen, weil sich sowas viel zu einfach missbrauchen liesse.

Anyway3… was meines Erachtens Rationality Rules nicht genügend bedenkt, sind die Protestwähler. Wenn Abstimmung-Prognosen4 darauf hindeuten, dass das Ergebnis deutlicher rauskommt als die „Parteien“ es verdienen, dann kann man geneigt sein etwas anderes in die Urne zu werfen als wenn die Prognosen anders aussähen. So könnte ich beispielsweise eigentlich fürs Bleiben in der EU sein, doch auch überzeugt davon sein, dass da etwas fundamental falsch läuft. Wie lasse ich das die Politik wissen? Mit einem knappen Entscheid!
Die Politik müsste eigentlich anders laufen, wenn das Ergebnis sehr knapp war, als wenn es sehr deutlich war. Allein schon aus reinem politischen Selbsterhaltungstrieb.

Natürlich sind Protestwähler, welche den tatsächlichen Willen des Volkes in einer bestimmten Frage mehr oder weniger massiv verfälschen, kein Grund das Ergebnis einer Abstimmung für ungültig zu erklären5, doch ist damit die „seltsame“ Eigenschaft verknüpft, dass man seine Meinung ändern kann…
Und genau das ist mein eigentlicher Einwand gegen den unvermeidlichen Tod der Demokratie: Neue Informationen lassen uns manchmal eine Situation anders einschätzen als zuvor. Und wenn die Umsetzung einer Entscheidung lange dauert, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass man es am Tag der Umsetzung eigentlich lieber ganz anders haben möchte6.
Wieso wird das in der Demokratie nicht berücksichtigt? Weil es schwer umzusetzen ist? Und wenn schon! Es wäre nicht der Tod der Demokratie, sondern deren nächste Generation.

Es geht hier nicht darum, die gleiche Frage nochmals vors Volk zu bringen, sondern die Diskussion weiter zu führen und wenn nötig die daraus resultierenden Konsequenzen zu ziehen.
Wenn die Briten es sich also anders überlegt haben, dann sollte das berücksichtigt werden. (Wenn allerdings Europa es sich in der Zwischenzeit ebenfalls anders überlegt hat und dieses jetzt getrennte Wege vorziehen würde, dann müsste natürlich aus das bedacht werden.)

Das zweite Referendum, resp. das Referendum der zweiten Generation müsste daher lauten: „Angesichts der Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über Brexit und des ungewissen Ausgangs, wollen wir da die Sache nicht erst mal auf die Seite legen und so lange noch in der EU bleiben?“

Say Goodbye To Your History?

Die ein klitzekleines bisschen identitäre Vloggerin Lauren Southern meint in einem ihrer Youtube-Beiträge, dass an Trumps Bedenken, dass nach Lees Statue schon bald auch jene von Washington und Jefferson drankommen könnten, durchaus was dran sei, schliesslich hätten alle Menschen gute und schlechte Seiten. Und wenn man alle Statuen von Leuten abreissen würde, die Dreck am Stecken hatten, bliebe wohl keine mehr übrig. Die Idee von Denkmälern sei aber, die Leute daran zu erinnern, dass man aus der Geschichte lernen kann. Und das hätten wir bitter nötig.
Dem will ich gar nicht widersprechen. Es fragt sich nur, welche Lektion die Geschichte für einen bereit hält im Fall der Statue eines Südstaatengenerals?
(Und ob einem die wirklich in den Sinn kommt, wenn man in ihrem Schatten picknickt und/oder demonstriert?)

General Robert Edward Lee war ein hervorragender Stratege und Taktiker, der es regelmässig schaffte mit deutlich unterlegenen Kräften seinen Gegnern das Leben schwer zu machen. Seine Schlachten werden noch heute in Militärakademien als Fallbeispiele durchgenommen und seine Büste verdient an einem Ort, der Leichenberge zu schätzen weiss, sicherlich einen Ehrenplatz…

Es mag vielleicht noch okay sein, sich bei einem Picknick unter einem Denkmal über die hohen Verluste der Bolschewiken, Charlies, Krauts und Tommies zu amüsieren und sich dabei überlegen zu fühlen – sowas stärkt das nationale Selbstbewusstsein. Doch wenn die Toten Landsleute waren – und diese sich für nachweislich die bessere Sache eingesetzt haben, dann sollte man sich im Interesse eines harmonischen Zusammenlebens mit der Euphorie vielleicht lieber etwas zurückhalten.

Als Faustregel für Statuen könnte also gelten: An öffentlichen Plätzen lieber Statuen nur von jenen, die auf der siegreichen und/oder der moralisch richtigen Seite standen.

So zeigen Statuen von Siegern Stärke und Entschlossenheit, indem sie ein mahnender Finger für all jene sind, die mit dem Gedanken liebäugeln, irgendetwas mit Gewalt erzwingen zu wollen.
Und Statuen von Märtyrern zeigen Charakter1, weil sie uns daran erinnern, dass uns auch die drohende Niederlage nicht davon abhalten soll, das richtige zu tun.

Die Sache ist aber die, dass der Umstand, dass ein General, der vor 150 Jahren einen aussichtslos erscheinenden Krieg allein dank seines überragenden strategischen Geschicks gewann2 und damit die Zukunft des Landes massgeblich beeinflusst hat, zwar Geschichtsenthusiasten in Erregung versetzt, davon abgesehen aber nichts mehr bedeutet. Die Stärke und Entschlossenheit und auch der Charakter mögen vor 150 Jahren beeindruckend Gewesen sein, doch braucht davon in der Zwischenzeit nicht viel übrig geblieben sein.
Sicher, die Welt sähe heute anders aus, wenn er verloren3 hätte, aber das täte sie auch, wenn Jakob Jucker am 3. Juli 1863 Kohlsuppe gegessen hätte. (#Butterflyeffect)
Andererseits, er war ein Held und als ein solcher verdient er es, dass man sich seiner erinnert. Nicht weil er ohne Fehl und Tadel war, sondern weil er seinen Fehlern zum Trotz Grosses vollbrachte. (#Inspiration)

Bevor man aber eine Statue des Helden errichtet, sollte man sich vergewissern, dass er das Grosse schon aus den richtigen Gründen getan hat.
So wirft beispielsweise der Umstand, dass jemand die Sklaverei nur abschaffte, weil er bei einer Wette verloren hat, ein etwas schräges Licht auf unseres Helden.

Bei Washington, der als Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee die Britten besiegte und in seiner Funktion als erster Präsident vor allem um innenpolitische Stabilität bemüht war, ist der Besitz von Sklaven noch kein so grosser Anachronismus.
Bei Jefferson jedoch, der sich neben der Trennung von Religion und Staat, der föderalen Struktur der Vereinigten Staat auch sehr deutlich für die Freiheit des Einzelnen einsetzte, passt das nicht mehr zusammen. In einem solchen Fall sendet eine Statue tatsächlich sehr gemischte Signale aus, welche nicht umkommentiert gelassen werden sollten. Was jedoch auch eine Chance ist, denn um wie viel lehrreicher ist ein Denkmal, wenn man sich beim Betrachten desselben bewusst würde, dass selbst ein so intelligenter Menschen wie Jefferson einen so massiven Widerspruch zu seinen eigenen Prinzipien nicht bemerken wollte. (#Demut)

Ein Frage am Rande: Was wenn man die Skulptur eines berüchtigten Rassisten nimmt und auf einem Sockel mit der Inschrift „Hoch lebe die Multikulti!“ stellt?4
Die Statue würde Rassisten anlocken und der Sockel sie vertreiben. Ignorieren geht nicht. Und sich bei einem (teil-)demolierten Denkmal zu treffen ist auch komisch.

Man könnte natürlich auch gleich Statuen von „Bösewichten“ aufstellen. Als Mahnmal für die dunkeln Abgründe der menschlichen Existenz. Als Erinnerung an die allzu leichte Verführbarkeit.
Hier muss man aber höllisch aufpassen, dass da nichts verwechselt werden kann. Es besteht nämlich die akute Gefahr, dass man den Verführer versehentlich für den Helden hält – so wurde er ja überhaupt erst zum „Bösewicht“. Respektive weniger versehentlich, dass man die Stärke des bösen Herrschers für eine bessere Führung als die Milde des netten Herrschers hält.

In meinen Augen könnte ein unverwechselbares Mahnmal beispielsweise eine Szene darstellen, in der ein Herrscher ein Massaker an wehrlosen Menschen anstellt. Was könnte daran nicht als Warnung vor skrupellos machthungrigen Herrschern verstanden werden? Als eine Aufforderung sich solchen Menschen entgegen zu stellen, in welcher Form sie auch auftauchen mögen.

 

Narmer-Palette,
gefunden in Hierakonpolis,
Prädynastische Periode, um 3000 v. Chr.

 

Wenn man sich aber die Narmer-Palette anschaut, dann wird genau das Massaker an wehrlosen Menschen als eine bewundernswertes Symbol der Macht benutzt.
Was mich abstösst, kann andere also durchaus auch anziehen.

 

Robert E. Lee Statue in Charlottesville

 

Wofür also steht die Statue von Robert E. Lee und wie kann man sie interpretieren?

Er hat zwar Schlachten gewonnen, den Krieg aber verloren. Sie steht also nicht zum Andenken daran, dass der Süden Siegertypen hervorbringt.
Er hat auch nicht für die gute Sache gekämpft. Er kämpfte für das Recht der Staaten, Bundesgesetze, die ihnen nicht passen, nicht umsetzen zu müssen5 oder andernfalls die Union verlassen zu dürfen. Und das Gesetz, das er aus Prinzip nicht übernehmen konnte/wollte, war die Abschaffung der Sklaverei – obwohl er diese privat eigentlich für eine üble Sache hielt, die sich – wie er überzeugt war – früher oder später von alleine erledigen würde. Die Statue steht also nicht dafür, dass sich eine Demokratie nicht von einer Minderheit erpressen lassen darf.
Sie steht demzufolge auch nicht für die Einheit der Nation.
Und auch nicht dafür, dass einem weder Wirtschaft noch Stolz im Weg stehen sollen, wenn es darum geht die Sklaverei abzuschaffen.
Die Statue glorifiziert aber auch nicht die Sklaverei – zumindest nicht für die, die sich gegen deren Entfernung wehren – zumindest nicht notwendigerweise. Ich denke nämlich nicht, dass sich heute noch irgendwer die Sklaverei zurückwünscht. Apartheid durchaus, aber nicht die Sklaverei. Schliesslich speisst sich der Rassismus heute in vielen Fällen aus der Verzweiflung der Arbeitslosigkeit. Da wünscht man sich weniger Leute, die einem die Arbeit wegnehmen, nicht billigere.
Die Statue steht auch nicht für eine Gesinnung, „deren Fundament auf der großen Wahrheit ruht, dass der Neger dem weißen Mann nicht gleichwertig ist“6 – auch wenn jene, die sich gegen deren Entfernung wehren, in einer überwiegenden Mehrheit diese teilen.

Sie steht für die Souveränität und den Stolz der Staaten. Dafür, dass die Minderheit sich nicht um die Marschrichtung der Mehrheit zu scheren braucht.
Sie steht für die Freiheit ein Rassist sein zu dürfen.
Sie könnte auch für das Recht auf Abtreibung und die Homoehe stehen, wenn die Südstaaten gegen den Willen der Nordstaaten diese hätten legalisieren wollen. Doch das taten sie (zufälligerweise) nicht und deshalb scharen sich heute Faschisten um das Denkmal und protestieren aus Liebe zur „westlichen Kultur“ gegen Juden, LGBT, Abtreibung und Rassenvermischung.

Es ist die Statue eines bemerkenswerten Mannes, der in einer schwierigen Zeit die – aus heutiger Sicht – genau falschen Entscheidungen traf. Was eigentlich ein guter Grund wäre für ein Mahnmal mit einer sehr ausführlichen Beschreibung der Umstände. So eins mit Seiten und Buchdeckeln drumrum vielleicht.
Es sind nicht Statuen, welche die Geschichte bewahren, sondern Bücher!
Statuen nieder zu reissen, lässt uns die Geschichte noch lange nicht vergessen, geschweige denn zerstören.
Im Gegenteil neigen Statuen eher dazu die Geschichte zu verzerren. Sie stellen die Helden als letztendliche Sieger dar.
Und Statuen reduzieren die Geschichte. Sie machen uns bloss darauf aufmerksam, dass es da mal einen Robert E. Lee gab. Was es mit ihm auf sich hatte, wird aber der Recherchefähigkeit oder der Fantasie des Betrachters überlassen.
Ist eine solche Verzerrung und Reduktion nicht viel eher eine Zerstörung der Geschichte?

Was zerstört die Geschichte wohl mehr? Keine Statue oder eine Hollywoodverfilmung der Geschichte?

Und so will ich auch mit Lauren Southerns Worten enden:

Destroy history and you will lose your sense of it,
Lose your sense of history and you’ll blindly repeat it.

Was wir um jeden Preis nicht mehr wiederholen wollen, ist der Aufstieg des Faschismus.
Dessen erster Schritt der Schutz der westlichen Kultur ist.
Für den sich die Identitären und Lauren Southern so engagiert einsetzen.

 

Aber seien wir ehrlich. Eigentlich geht es hier gar nicht um die Statue.
Nicht denen, die verhindern wollen, dass sie abgerissen wird, denn diesen geht es um den Schutz der „westlichen Kultur“, für die Lee nicht wirklich ein Vorreiter war.
Und auch nicht denen, die verhindern wollen, dass verhindert wird, dass sie abgerissen wird, denn diesen geht es darum, die Idee von der bedrohten „westlichen Kultur“ als eine faschistische blosszustellen, welches darauf ausgelegt ist die Menschenrechte auszuhebeln.
Die Statue ist lediglich der Ort, wo die Kameras stehen.

Stoppt ALLE Kriege !!

 

ALLE Kriege stoppen??
Geht das überhaupt?

Aufhören die Anderen umzubringen. Das ist machbar. Sogar ziemlich schnell. Einfach die Waffen nicht mehr benutzen. Und diese – nur für alle Fälle – in die (dafür vorgesehenen Recycling-)Tonnen werfen. Dafür braucht es keine 365 Tage.
Aufhören die Anderen umbringen zu wollen. Das ist der schwierige Teil.

Selbst wenn wir das Problem, dass womöglich zu viel geschehen ist, um dem Anderen einfach so verzeihen zu können, beiseite lassen, so bleibt doch die Meinungsverschiedenheit bestehen, welche – weil sie nicht auf eine für alle Seiten akzeptable Weise aufgelöst werden konnte – überhaupt erst zum Krieg geführt hat. Die Meinungsverschiedenheit kann darüber bestehen, wem ein gewisser Landstrich gehört, wieviel ein verzweifelt benötigtes Produkt kosten darf, welchen Gott man anbeten soll oder ob man eine unbeliebte Bevölkerungsgruppe einfach eliminieren kann.
Ich will nicht bestreiten, dass man sich in viel zu vielen Fällen nicht genug Mühe gegeben hat, einen Kompromiss zu finden. Manchmal gibt es allerdings auch keinen Raum für Kompromisse. Wenn ein Land alle Juden vernichten will, dann ist auch selbst nur die Hälfte nicht akzeptabel.

Oder vielleicht doch?
Die Organisation, in welcher der Freund, der am 1. Januar auf Facebook den Aufruf alle Kriege zu stoppen gepostet hat, als Funktionär tätig ist, hält beispielsweise den an den Amalekitern verübten Genozid für okay. Und diese Organisation wird gemeinhin als Hüter der Moral des Abendlandes betrachtet! Was dann wohl heisst, dass wenn es darum geht eine verfahrene Meinungsverschiedenheit beizulegen, der moralisch akzeptable Handlungsspielraum erstaunlich gross sein kann…

Wenn wir also den Krieg mit dem IS beenden wollen, welche Kompromisse sind wir bereit dafür einzugehen?
Opfern wir die Frauen- und die Schwulenrechte?
Kein Problem. Die sind dem Hütern der Moral eh schon lange ein Dorn im Auge.
Übernehmen wir Sharia und den Wahabismus?
Sharia okay, schliesslich umfasst sie mehr oder weniger die gleichen Regeln, wie sie auch im Handbuch jener Organisation zu finden sind. Aber zum Islam konvertieren? Ausgeschlossen! Nicht mal wenn sich damit ein Blutbad verhindern liesse! Oder vielleicht sogar eben gerade deshalb nicht, weil es ein Blutbad verhindern würde? Nichts unterstreicht schliesslich Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit besser der geschundene, blutige Körper eines Märtyrers.

Von daher bin ich mir – ehrlich gesagt –  nicht ganz sicher, wie ernst das mit dem Frieden gemeint ist. Getötete Missionare heilig zu sprechen, erscheint mir nicht gerade förderlich für den bitter nötigen Dialog, wenn diese von der anderen Seite als Provokateure betrachtet werden.

Nun ja, vielleicht sollten wir uns lieber nicht an Religionen orientieren, wenn wir Kriege beenden wollen. Schliesslich verdankt sich ihr kompromissloses Einstehen für den Frieden weniger ihrer Menschenliebe, als viel mehr dem Umstand, dass man es ihnen seit der Aufklärung einfach nicht nicht mehr erlaubt, offen zur Gewalt aufzurufen…

 

ALLE Kriege stoppen??
Klar! Aber zu welchem Preis?

Es gibt bekanntlich Dinge, die man nicht tolerieren darf.
Darin sind sich alle einig. Nicht ganz so einig sind sich alle jedoch darin, welche Sachen das konkret sind, die nicht toleriert werden dürfen. Das unterscheidet sich von „Kultur“ zu „Kultur“. Was dem einen bis zum äussersten schützenswert erscheint, mag für den anderen bis zum äussersten nicht tolerierbar sein.
Und da gibt es schnell mal keinen Spielraum für Kompromisse.

Allerdings – quasi als Silberstreifen am Horizont – neigen die Menschen im grossen und ganzen zum Prinzip „Leben und Leben Lassen“. Wenn man sie nicht zum Gegenteil anstachelt (sei es aus wirtschaftlichen, folkloristischen oder religiösen Gründen), ist es ihnen eigentlich ziemlich egal, was die Anderen treiben.
Die Anderen sind übrigens alle, die nicht zur Familie gehören. Und das ist im übertragenen Sinn die dunkle Wolke vor dem Silberstreifen am Horizont, denn die Anderen können das eine oder andere moralisch nicht so gefestigte Familienmitglied auf doofe Gedanken bringen. Und in einem solchen Fall muss man aktiv werden. Dass Fremde den Weg zur Hölle beschreiten, ist zwar bedauerlich, aber sie sind frei, es zu tun. Wenn aber einem Schutzbefohlenen eine solche Gefahr droht, sieht die Sache gaaanz anders aus…

Um alle Kriege zu stoppen, muss man alle auf die gleiche Seite kriegen. Man muss dazu nicht in jedem Punkt einer Meinung sein, aber die Spielräume für Kompromisse der Meinungen müssen eine Schnittfläche haben.
Ich mag mich irren, aber mir scheint es plausibel, dass dafür Meinungen prädestiniert sind, die einen grossen Spielraum für Kompromisse haben. Und auch wenn Religionen selbst den Genozid an von Gott gehassten Völkern zu akzeptieren bereit sind, denke ich, dass sie grundsätzlich zu eher engen Spielräumen neigen…

 

ALLE Kriege stoppen??
Indem wir diesen Auftrag nicht nur liken, sondern teilen! ♥♥♥

Ich nehme an, weil einen Facebook-Posts zu teilen wesentlich schneller den Frieden herbeiführt als wenn man ihm bloss likt. Wohl weil Teilen eine christliche Tugend ist?
Ich frage mich, über welchen Mechanismus das funktionieren soll?
Wenn der Post ein simples Rezept für ein waffenzersetzendes Gas enthalten würde, könnte ich es mir vorstellen.
Oder wenn das Bild mittels neurolinguistischer Programmierung die Aggressivität beim Betrachter nachhaltig senken könnte.
Aber einfach durch das Teilen eines Mems, dem wir eh alle eigentlich grundsätzlich zustimmen? Wohlgemerkt, das Mem enthält nicht den geringsten Anhaltspunkt darüber, wie man das konkret bewerkstelligen soll. Auf die übliche Weise, also dass man den Krieg ein für alle Mal zu beenden gedenkt, indem man ihn gewinnt, funktioniert es ja offensichtlich nicht so gut.

Also durchs Teilen/Liken! Was sowas wie Beten ist: Man unterstreicht dadurch seinen dringenden Wunsch und hat das Gefühl etwas Gutes getan zu haben ohne dabei selbst aktiv werden zu müssen.
Allerdings… Teilen/Liken wird im Gegensatz zum Beten nachweislich erhört!
Nicht von den Kriegstreibern (zu denen wir mit unseren wirtschaftlichen Interessen eigentlich auch selbst gehören.) Auch nicht von Gott. Aber durchaus von den Algorithmen… Und die antworten sogar. (Noch) nicht indem sie den gewünschten Frieden herstellen, dafür aber indem sie uns mehr von solchem Zeug und dazu passender Werbungen zeigen…

 

Aber okay, stoppen wir ALLE Kriege!!
Wir haben 365 Tage Zeit dafür.
Wieso nicht 234 Tage?
Oder 42?

Die LIEBE Schweiz

 

Abschaffung aller Hausaufgaben
Einstellung aller Waffenproduktionen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Aufnahme von Flüchtlingen
Vaterschaftsurlaub
Tierrechte
1 : 12

 

Die Ideen mögen verrückt sein und vielleicht sogar verhängnisvoll, doch ändert das nichts daran, dass sie LIEB sind.
Ich denke nicht, dass das irgendwer bestreiten würde.
Doch Vorsicht, nicht jede Idee, mit der man nur das Beste für die Menschen und die Schweiz will, ist auch LIEB. Jeder denkt das zwar von seinen Ideen – bloss stimmen dem nicht alle zu. Das Burkaverbot beispielsweise hilft nach den Vorstellungen der Initianten die Werte der Schweiz zu sichern und es befreit auch muslimische Frauen aus der Unterdrückung einer archaischen Religion. Edle Absichten, doch die Kritiker bezweifeln diesen Effekt.
LIEBE Ideen sind hingegen solche, auf die ausschliesslich mit „WER SOLL DAS BEZAHLEN?“ reagiert wird. Eine Reaktion die bei Kritikern des Burkaverbots eigentlich nie zu hören ist.

Würden wir nicht alle gerne LIEB sein?
Wenn wir es uns leisten könnten…..

Wenn man sich diese Ideen genauer anschaut, dann sind sie auf einmal nicht ganz so umfinanzierbar, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint.

Warum probieren wir sie dann nicht einfach?
Wenn es sich jemand leisten kann LIEB zu sein, dann doch die Schweiz?
Okay, sie kann es sich leisten, weil sie es in der Vergangenheit nicht war. Aber das ist kein Argument, dass man nicht auch auf LIEBE Weise prosperieren kann!

Wenn wir es umsetzen, wird man uns für unseren Mut bewundern. Uns um unsere Güte beneiden. Und sicher auch für verrückt halten, weil wir so leichtsinnig unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unseren Wohlstand riskieren. Doch man würde es uns gönnen, wenn es klappt. Und sicherlich schon bald nachziehen.

Lasst und utopisch sein!
Lasst es uns versuchen!
Schliesslich wollen doch alle LIEB sein, oder etwa nicht?

Zugegeben, die Kommentarsektionen in Online-Medien vermitteln eher den Eindruck, dass es den Leuten zutiefst zuwider läuft, wenn es anderen gut geht. Insbesondere wenn diese nichts dafür zu tun brauchen1. Allerdings fürchten diese Leute bloss, dass in diesem Fall sie dafür aufkommen müssen und dass es am Ende einem, der nichts tut, besser geht als einem, der sich den Arsch aufreist. Das wäre natürlich durchaus falsch. Wenn es jedoch jenem besser geht, ohne dass es diesem dadurch schlechter geht, dann wäre nichts dagegen einzuwenden. Nun ja, auch nicht ganz. Dem, der mehr dafür tut, dass es ihm gut geht, sollte es schon besser gehen als dem, der weniger dafür tut. Was auch durchaus vernünftig klingt – auch wenn diese Forderung allein für sich schon utopisch ist.
Insofern denke ich nicht, dass die Leute nicht LIEB sind. Sie sind bloss auch GERECHT. Zwei Konzepte, die bekanntlich nicht so problemlos unter einen Hut zu bringen sind. Schliesslich ist Verzeihen ein Wesensmerkmal der LIEBE und gleichzeitig eine Suspension der GERECHTIGKEIT.

Dass die obigen Forderungen auch GERECHT umgesetzt werden können, bestreitet niemand. Bloss ihre Finanzierbarkeit.

Von daher…

Lasst uns utopisch sein!
Lasst es uns versuchen!
Lasst uns die Vorreiter sein!
Ist es nicht sympathischer, wenn man etwas LIEBES probiert und dabei scheitert, als wenn man in allem LIEBEN stets nur (viel zu spät) nachzieht?

Gruppen und ihre politischen Präferenzen

Gruppen. Es gibt viele verschiedene Gruppen. Alles was Menschen verbindet, macht sie zu einer Gruppe. Männer sind eine Gruppe. Blonde auch. Brillenträger und Postbooten sind Gruppen. Schwangere, Volvo-Fahrer, Stiere im Sternzeichen und Tennisspieler ebenso. Und auch Philatelisten und Rassisten.

Wenn ein Politiker eine Gruppe komplett hinter sich zu scharen vermag…
dann stinkt da was!

 

Ausgenommen sind natürlich sehr kleine Gruppen, weil es da schon mal zufällig passieren kann.
Und natürlich auch die Gruppe derer, die diesen Politiker gewählt haben.

Politik und Lügen

Man kann durchaus meinen, dass die Grenzen zu verriegeln und alle Muslime zu überwachen, das Leben der Amerikaner sicherer macht. Das halte ich zwar für ausgemachten Blödsinn und ich kann gerne darlegen, warum ich es für ausgemachten Blödsinn halte, aber man kann es tatsächlich meinen. Und wenn man das meint, können einem Trumps Handlungen als Präsident durchaus sinnvoll und richtig erscheinen. Das will ich gar nicht bestreiten.
Doch wie um alles in der Welt kann man nicht den Kopf über das Lügen schütteln?

Okay, vielleicht schütteln auch seine treuesten Anhänger darüber den Kopf, genau wie sie über Trumps Pussy Gate den Kopf geschüttelt haben. Das sei falsch, das hätte er nicht tun und sagen dürfen, aber hey, wenn seine politischen Entscheidungen die richtigen sind, sei’s drum. Es gibt wichtigeres. Das kann ich nachvollziehen.
Nicht ganz so gut kann ich zwar nachvollziehen, dass die gleichen Leute, die heute grosszügig über solche unmoralischen Ausrutscher hinwegsehen, vor noch gar nicht so langer Zeit sehr empört darüber waren, dass ein Präsident über einen ausserehelichen Blowjob log und die Frau eines anderen Präsidenten ein ärmelloses Kleid trug, aber hey, in diesen beiden Fällen waren auch die politischen Entscheidungen der Präsidenten offensichtlich nicht die richtigen und so haben die Präsidenten weder durch gute Arbeit noch durch Ehrlichkeit (respektive durch angemessen gekleidete Begleitung) die hohen Werte der USA zu repräsentieren geschafft.

Hinzu kommt, dass Präsidenten manchmal keine andere Wahl bleibt als zu lügen. Sei es um Agenten zu schützen. Oder um eine Massenpanik zu verhindern. Oder auch nur um die Leute zu etwas wichtigen zu motivieren. Das ist zwar nicht ganz koscher, aber es ist von allen schlechten Wegen womöglich der am wenigsten schlechte. Ich bin daher gern bereit hier den „Benefit of the doubt“ gelten zu lassen.

Aber – und das ist ein grosses Aber – die Lügen sollte so stichhaltig sein, dass sie erst rauskommen, nachdem sie ihren (guten!!!) Zweck erfüllt haben.
Also beispielsweise erst nachdem der Irak vom üblen Despoten befreit und ein stabiles politisches System etabliert wurde. Dann kann sich gern herausstellen, dass da nie Massenvernichtungswaffen waren. Wie gesagt, das ist nicht okay, ganz und gar nicht, aber wenn das Ergebnis besser ist als alles, was man von allen denkbaren Varianten hätte erwarten können, dann soll es mir recht sein.
Wohlgemerkt, das Ergebnis des Irakkrieges war nicht gut. Aber zumindest hat man damit gerechnet oder zumindest inständig gehofft, dass es gut rauskommt. Der Wille war da. Und die Lüge verschaffte die zur Erfüllung erforderliche Zeit.

Aber hier und heute? Trump sagt Dinge, die an Ort und Stelle offensichtlich nicht der Wahrheit entsprechen. Damit kauft er keine Zeit.
Darf man wirklich so leichtfertig mit der Wahrheit umgehen?
Okay, vielleicht sind es Nebelgranaten, mit denen er von den wichtigen Dingen ablenkt… Was dann gewissermassen eine Lüge 2. Ordnung wäre, welche der Regierung Zeit verschaffen soll, damit sie die (guten!!!) Ergebnisse erzielt, bevor sie durch die Aufmerksamkeit verunmöglicht werden. Vielleicht ist das Vertrauen in die Politik inzwischen so geschwächt, dass man die Lüge 2. Ordnung braucht, weil die der 1. Ordnung eh nicht mehr abgekauft wird?

 

Allerdings… Ich bin mir nicht sicher, ob es „das gute Ergebnis“ wirklich gibt, welches man mit den bedenklichen Methoden errungen hat.
Klar, das Unrechtsregime wurde ersetzt durch ein so vorbildliches, wie man es sich nur wünschen kann. Alle Kriterien für einen Erfolg sind mehr als übertroffen, doch man weiss, dass es mit einem Trick erreicht wurde, was das Vertrauen in die Politik schmälern wird. Was einen dann womöglich den nächsten Erfolg kosten wird. Man erkauft sich damit den Erfolg auf Kosten der zukünftigen Erfolge. Das ist nicht nachhaltig.
Mit einem Trick zu gewinnen, funktioniert, ist aber nicht nachhaltig.

Deshalb sollten Politiker und Präsidenten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie beim Lügen erwischt werden. Selbst dann, wenn es gut raus gekommen ist. Damit will ich den Politikern nicht ihre politische Immunität streitig machen, denn die brauchen sie natürlich. Es ist ihr Job, wenn nötig, auch sehr unpopuläre Entscheidungen umsetzen. Doch sie müssen belegen können, dass sie stets nach besten Wissen und Gewissen gehandelt haben. Und das tun sie indem sie die Gründe für ihre Entscheidungen offen legen. Und wenn sie lügen, also falsche Gründe angeben, und für diese Lügen, wenn die dann mal ans Licht kommen, keine wirklich guten Gründe anführen können (welche es durchaus geben kann), dann untergraben sie damit das Vertrauen in Politiker insgesamt und das sollte strafbar sein. Strafbar in einer Art und Weise, dass die Bevölkerung das Gefühl hat, dass die zu erwartenden Konsequenzen die Politiker vom Lügen abhalten werden und damit das Vertrauen in deren Ehrlichkeit wiederherzustellen fähig sind. Weil wir können es uns nicht leisten, den Politikern nicht zu trauen.

Trump – Was wenn er einen hervorragenden Job macht?

Das Problem mit Trump ist, dass WENN er die Wahl gewinnt und sich entgegen allen Erwartungen als ein hervorragender Präsident erweist, dann kann das langfristig dennoch verheerend sein, eben weil er entgegen den Erwartungen ein hervorragender Präsident wurde und damit alle Hoffnungen zunichte machte, anhand nachvollziehbarer Kriterien unter den Kandidaten den fähigen zu erkennen1.

Er mag klug und besonnen sein, doch das, was er von sich gibt, ist von dem, was ein Verrückter sagen würde, nicht zu unterscheiden. Woran hätten wir also erkennen können, dass er das Zeug zu einem grossartigen Präsidenten hat?

Klar, er hat uns immer und immer und immer wieder gesagt, dass er der einzige ist, der die Probleme lösen kann, und er flehte uns geradezu an ihm zu glauben, aber im Grunde tut das ja jeder Kandidat.

Wodurch unterscheidet er sich also von allen anderen Kandidaten?

Sicher nicht durch das Wahlprogramm, denn das erweckt zumindest den Anschein solid republikanisch zu sein2. Deshalb können auch „vernünftige“ Republikaner hinter ihm stehen und über die Absurditäten hinwegsehen, die im Wahlkampf offenbart wurden.

  • Was ihn von den anderen Kandidaten unterscheidet, ist, dass er kein Politiker ist.

Das stimmt. Und das war wahrscheinlich auch der wichtigste Grund für seinen Sieg. Die Hoffnung auf einen Wandel. Aber macht ihn die Unerfahrenheit in der Politik auch verlässlich erfolgreicher? Nicht unbedingt. Vielleicht sogar im Gegenteil. Für eine Herzoperation ist es besser sich für einen Herzchirurgen zu entscheiden als für einen Immobilienmogul – auch wenn letzterer vielleicht tatsächlich neue Ideen einbringt.
In den Augen mancher Leute ist die Verkommenheit der Politik (oder Medizin) dermassen umfassend, dass für sie jede Veränderung gut und wünschenswert ist. Ich denke dagegen, dass neue Ideen nicht notwendigerweise gute Ideen zu sein brauchen – insbesondere dann nicht, wenn einem das fachspezifische Know how fehlt, gute von schlechten Ideen zu unterscheiden.
Das ist ein witziges Phänomen unserer Gesellschaft: Es gibt Berufe, bei denen man andächtig schweigt, wenn deren Vertreter aus dem Nähkästchen plaudern, und es gibt andere, wo jeder mitreden zu können glaubt. Einem Herzchirurgen oder Physiker redet man in der Regel nicht rein, einem Philosophen oder Politiker jedoch unentwegt. Doch auch dort gibt es eine Lernkurve, die man erstmal meistern muss, bevor man was brauchbares zustande bringt.
Aber natürlich hindern verdrehte Vorstellungen niemanden daran dennoch die richtigen Entscheidungen zu treffen, schliesslich findet auch ein blindes Huhn mal ein Korn, es wäre aber keine sehr gute Strategie, die meisten richtigen Entscheidungen bei jenem Kandidaten zu erwarten, der die verdrehtesten Vorstellungen besitzt.

  • Was ihn auch noch von den anderen Kandidaten unterscheidet, ist, dass er reich und nicht von Spenden abhängig ist.

Das stimmt zwar auch, aber das heisst nicht, dass er deswegen keine Interessenkonflikte hätte. Und um die geht es bei diesem Punkt ja vor allem. Wenn es beispielsweise darum geht eine Entscheidung zu treffen, welche die Ölindustrie empfindlich treffen würde, was beeinflusst einen dann mehr, der Umstand, dass die Ölindustrie mir dabei half Präsident zu werden, oder der Umstand, dass ein grosser Teil meines Vermögens in in diesem Sektor angelegt ist?
Wenn man einfach nur einen Haufen Geld unter der Matratze hat, sonst aber keinerlei Investitionen in was auch immer. Dann ist man unabhängig. Aber sonst?
Genau deshalb verdienen Politiker schliesslich grosszügig. Um sie unabhängig von anderweitigen Einnahmequellen zu machen.
Hinzu kommt, dass die Industrie den Kandidaten unterstützt, der ihren Anliegen ohnehin schon nahe steht und so oder so eine ihnen genehme Politik betrieben hätte. Sie verhalfen ihm nur zum Sieg, nicht zu seiner Position. Der Interessenkonflikt ist daher vielleicht kleiner, als man befürchtet.
Auch nicht unterschätzen sollte man, dass es nicht nur zwei Wege gibt, von denen der schlechtere grundsätzlich von finanzstarken Interessengruppen propagiert wird.
Unabhängigkeit und Reichtum sind also auch keine Garantie für Erfolg.

  • Was ihn ganz besonders von seinen Konkurrenten unterscheidet, ist, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt.

Das kann man auf zwei Arten verstehen.
Zum einen, dass man sich politische Korrektheit schenkt und sich nicht scheut auch mal jemanden vor den Kopf zu stossen. Das ist zweifellos erfrischend und sicherlich oft auch nötig um einem Problem auf den Grund zu gehen.
Und zum anderen, dass man sagt, was sich richtig anfühlt und sich nicht gross darum schert, ob es auch wirklich stimmt. Ganz nach dem Motto „man wird das doch noch sagen dürfen“. Das ist leicht mit der ersten Art zu verwechseln, hier versucht man sich damit aber der Verantwortung für die Konsequenzen zu entziehen. Als Privatperson sind die Konsequenzen einer Falschaussage gering, als Prominenter und insbesondere als Politiker können sie fatal sein, weil eine Falschaussage die Gesellschaft leicht zu realer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskrimination führen kann. Oder anders rum: Je korrekter die Einschätzung einer Situation, desto vorhersagbarer das Resultat bei einer Intervention. Und je falscher die Einschätzung, desto zufälliger das Ergebnis. Und je näher die Situation bereits am Optimum ist, desto fataler wird ein zufälliges Ergebnis mit grosser Wahrscheinlichkeit sein. Falschaussagen sind deshalb ebenfalls kein Garant für Erfolg.

Politifact.com unterziegt die Aussagen der Kandidaten einem Fakten-Check und kommt bei Trump zu einem verheerenden Ergebnis:

politifact trump vs clinton
Quelle: http://www.politifact.com/

Trumps Verteidiger versuchen sich hier gern damit heraus zu reden, dass es nicht um wahr oder falsch geht, sondern darum, ob es sich richtig anfühlt. Und selbst wenn es faktisch nicht stimmen mag, so holt man die Leute dort ab, wo sie sind. Sprich er stellt die richtigen Fragen. Die Fragen, die die Leute beschäftigen.
Da ist durchaus was dran. Man muss die Sorgen der Leute adressieren, auch wenn sie unbegründet sind. Man sollte einfach solche Fragen, auf die es bereits eine Antwort gibt, nicht unnötig offen lassen, nur weil das Publikum die Antwort nicht mögen würde. Und man sollte das Publikum nicht auf neue Fragen aufmerksam machen, die auf falschen Voraussetzungen basieren3, nur weil sie den Hass auf den Gegner schüren. Und vor allem sollte man mit reisserischen Fragen nicht von den wirklich wichtigen Fragen ablenken, die sich aus den Evidenzen ergeben.
Als Persönlichkeit mit politischem Einfluss ist man moralisch verpflichtet, die Fakten zu kennen. Über die Interpretation kann man streiten, die Fakten aber müssen korrekt sein.
Ich denke nicht, dass Trump diese evidenz-leugnende Entwicklung in Gang gesetzt hat. Ich denke nur, ihn interessieren Evidenzen schlicht nicht und das kam ihm in einem Klima, wo wichtiger ist, was für wahr gehalten wird, als was tatsächlich wahr ist, wunderprächtig zugute.

In gewissem Sinne macht den Trump die Eigenschaft kein Blatt vor den Mund zu nehmen also in höchsten Masse unfit fürs Amt, weil er sich der Tragweite seiner Meinung nicht bewusst ist.
Und sollte es nur kalkulierte Wahlkampf-Taktik war, dann macht es die Sache auch nicht besser, denn woher sollte man das wissen? Dass es nur eine Strategie war, die er gleich nach Amtsantritt wieder ablegen würde? Insbesondere, wo man ihn nie irgendwo in seiner diplomatischen, selbstbeherrschten Rolle gesehen hat.

  • Was ihn von den anderen Kandidaten unterscheidet, ist, dass er für die einfachen Leute spricht.

Dass er wie ein 9-jähriger spricht und von den einfachen Leuten verstanden wird, heisst nicht zwangsläufig, dass er auch im Interesse der einfachen Leute spricht. Und selbst wenn er und sie tatsächlich überzeugt davon sind, dass er die Interessen der einfach Leute vertritt, bedeutet das nicht, dass er das auch tatsächlich tut.
Das Dilemma ist hier, dass jeder Politiker überzeugt davon ist, langfristig den einfachen Leuten zu helfen.
Aber es stimmt schon, die einfachen Leute haben zu wenig Gehör in der Politik. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es wirklich die vernünftigste Strategie ist, einen Reichen dorthin zu schicken um für sie zu reden. Okay, dieser würde sicherlich besser behandelt und ernster genommen werden als ein waschechter Joe der Klempner und kurzfristig höchstwahrscheinlich mehr Ziele umsetzen, allerdings wären damit die einfachen Leute mit ihren Interessen nicht wirklich in die Politik eingebunden.
Für besser halte ich es, wenn die Leute selbst in die Politik gehen. Wenn die anderen lernen müssen mit ihnen nicht nur auf theoretischer Ebene zu verhandeln sondern auch auf praktischer.
Allerdings ist nicht gesagt, dass es dann auch so aussehen würde, als ob die einfachen Politiker tatsächlich den Interessen der einfachen Leute dienen würden. Das ist das Dilemma mit der Lernkurve vom ersten Unterschied weiter oben. Wenn sie sich in die Materie eingearbeitet haben, sehen sie vielleicht vielversprechendere Wege als die, für die sie gewählt wurden. Und auch hierbei wäre es von Vorteil ein einfacher Mensch zu sein, wenn man den Interessen der einfachen Leute dienen will.
Dass Trump von den einfachen Leuten angehimmelt wird, bedeutet, dass er sagt, was sie hören wollen, es heisst aber nicht, dass er es aus dem gleichen Grund denkt, wie die einfachen Leute. Und entsprechend ist dann auch nicht gesagt, dass er, vor veränderte Tatsachen gestellt, immer noch gleich handeln würde, wie die einfachen Leute es sich wünschen. Also auch hier kein Garant für Erfolg.

  • Was ihn von den anderen Kandidaten unterscheidet, ist, dass wirklich alle gegen ihn sind.

Das stimmt. Aber das ist kein Qualitätsmerkmal. Das macht es viel mehr noch schwerer den Erfolg zu erkennen, geschweige denn anzuerkennen.

  • Was ihn von den anderen Kandidaten unterscheidet, ist, dass er ein wirklich erfolgreicher Geschäftsmann ist.

Ob das wirklich stimmt, darüber spalten sich die Geister. Er sagt ja, andere sagen nein. Fakt ist, dass er mit verschiedenen Firmen bankrott gegangen ist, sich immer wieder hoch gerappelt hat und irgendwie keine Steuern zahlt. Aber okay, nehmen wir einfach an, dass er wirklich ein fähiger Geschäftsmann ist. Ist das aber ein Grund ihn zu wählen? Sind die Fähigkeiten, die jemanden zu einem guten Geschäftsmann machen, die gleichen wie die, die jemanden zu einem guten Staatsmann machen?
Ich bin mir da nicht so sicher. Allein schon weil es sehr unterschiedliche Formen von Unternehmen gibt und sehr verschiedene Arten, was diese unter Erfolg verstehen. In manchen Fällen ist Erfolg ein hoher Ertrag für die Teilhaber. In anderen die Nachhaltigkeit sowohl der Produktion wie auch der Personalentwicklung. Wenn also ein in einer Art von Firma erfolgreicher Chef nicht automatisch auch in anderen Arten von Firmen erfolgreich sein wird, dann wird der Umstieg in die Politik vielleicht auch nicht so einfach sein. Führen und Verhandeln können Firmenchefs, doch mit welchem Ziel im Auge?
Und lässt sich wirklich jeder Aspekt der Unternehmensführung in die Politik übertragen? Wahrscheinlich nicht. Das macht aber eigentlich auch nichts, sofern man weiss, was sich übertragen lässt und was nicht. Hier stellt sich aber die Frage, wie fähig Geschäftsleute darin sind zu erkennen, wo ihre Strategie nicht angewendet werden sollte[4- Wenn man nur einen Hammer hat, sieht dann nicht jedes Problem aus wie ein Nagel?]?
Geschäftsleute als Berater einstellen. Auf jeden Fall. Ihnen blind das Steuer überlassen? Eher nicht. Schliesslich ist es eine der Hauptaufgaben der Politik, gerade die Wirtschaft, weil sie so wichtig ist, beispielsweise im Interesse der Umwelt in Schach zu halten.
Es ist gut, wenn Geschäftsleute wie auch alle anderen Berufsgruppen in der Politik eingebunden werden, dass eine besondere unter ihnen besonders fähig wäre, kann man aber nicht sagen. Von daher ist der Umstand, dass Trump ein erfolgreicher Geschäftsmann ist, noch kein Grant dafür, dass er seinen Job gut machen wird.

Hinzu kommt noch, dass nirgends mehr als in der Geschäftswelt Schein mehr zählt als Sein. Und nirgends ist Sein nötiger und Schein verheerender als in der Politik. Auch wenn es nicht die politische Erfolge schmälert…

  • Was ihn von den anderen Kandidaten unterscheidet, ist der Glamourfaktor!

Okay. Da ist vielleicht was dran. Das könnte tatsächlich ein Erfolgsgarant sein.
Der Glamourfaktor erspart es einem, etwas leisten zu müssen, um erfolgreich zu sein. Egal was man auch tut, mit einer Prise Glamour erscheint alles gleich viel erfolgreicher.
(Genau deshalb wiegt in der Impfdebatte, die im Grunde eine politische ist, Jenny McCarthys Meinung mehr als die eines renommierten Immunologie.)

Und das bringt uns zum bizarrsten Punkt: Was genau wäre denn der Erfolg, durch den sich Trump als hervorragender Präsident erweisen könnte?

Mehr als 4 von 10 Demokraten und Republikaner halten die Politik der anderen Partei für fehlgeleitet und für eine ernste Gefahr für die Nation4 und sie macht ihnen Angst5. Das ist keine Basis für Kompromisse, die beide Seiten akzeptieren könnten.
Klar ist Trump ein Ekel, denkt sich der Republikaner, aber ist zumindest keine Gefahr für die NATIONALE SICHERHEIT6
Der Demokrat denkt dagegen, dass Trump auch eine Gefahr für die NATIONALE SICHERHEIT darstellen würde, auch wenn er kein Ekel wäre.

Wie um alles in der Welt könnte da eine Lösung für ein beliebiges Problem aussehen, welches beide Seiten als Erfolg betrachten könnten?

Umweltpolik: Trump wendet den Klimawandel ab. Demokraten applaudieren, Republikaner monieren, dass diese überflüssige Anstrengung auf die Kosten der Wirtschaft ging.
Kriminalität: Trump senkt die Kriminalitätsrate drastisch. Wenn er es mit Law & Order macht, applaudieren die Republikaner und die Demokraten beklagen die Missachtung der Menschenrechte. Wenn er es mit Kuscheljustiz und Waffengesetzen schafft, applaudieren die Demokraten und die Republikaner ärgern sich über fehlende Rache Gerechtigkeit und Freiheit.
Internationale Konflikte: Trump beseitigt sie. Die Demokraten applaudieren, die Republikaner halten es für ein finanzielles und spirituelles Risiko.
Homophobie: Wenn Trump die Rechte von LGTB beschneidet, applaudieren die Republikaner und die Demokraten buhen. Wenn er die Rechte ausbaut, ist es umgekehrt.
Zugegeben, die Beispiele sind ein bisschen grob skizziert, aber die Richtung sollte klar sein.
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, es einer ernstzunehmenden Mehrheit Recht zu machen.

Ausser eben mit dem Glamour-Bonus…
Wenn es egal ist, was man macht, sofern man es mit Klasse macht…

Trump…

Wie gesagt, wenn sich Trump als hervorragender Präsident erweist, dann erwischt uns das mit runtergelassener Hose.
Und wir haben keine Ahnung, woran wir den würdigen Nachfolger erkennen sollen.

Der TV-Film «Terror – Ihr Urteil»

Das Urteil

84% der Zuschauer hätten den Kampfpiloten freigesprochen, der ein Passagierflugzeug mit 164 Passagieren abschoss, um 70’000 Menschen in einem Fussballstadion zu retten.

Es ist das klassische Trolley-Problem1:

trolleyproblem

zumindest fast:

Hier sind nämlich noch etwas zu berücksichtigen:

  • Weder die Beweggründe, noch der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung waren besonders verwerflich.

Wodurch eine Mordanklage eigentlich etwas fehl am Platz ist. Über Todschlag könnte man aber reden.

Doch genau das ist ja das Dilemma bei Trolley-Problem ist: dass man mit beiden Varianten gegen das Gesetz verstösst. Denn sowohl eine Handlung, die zum Tod einer Person führt, wie auch das Unterlassen einer Handlung, die einen Menschen retten würde, stehen unter Straffe.
Und so lange es keine verbindliche Richtlinie gibt, die das regeln würde, kommt man aus dem Dilemma nicht raus.

In unserem Szenario gibt es aber diese Richtlinie, wodurch es noch einige weitere Punkte zu beachten gilt:

  • In der Verfassung steht ausdrücklich geschrieben, dass in einem solchen Fall nicht geschossen werden darf, weil man Leben nicht gegeneinander aufwiegen darf.
  • Der Pilot weiss um den obigen Punkt, hat sich intensiv mit ihm auseinander gesetzt und hält die Entscheidung für falsch.
  • Der Pilot ist ein Soldat und handelte gegen den ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten, die sich an die Verfassung halten.

Wie gesagt, all das berücksichtigend, sprachen ihn 84% der Zuschauer von der Mordanklage frei.

Ich frage mich – und darauf will ich eigentlich hinaus -, wie sich das Verhältnis verändert hätte, wenn man ein paar Details verändert hätte. Wobei wir weiterhin voraussetzen, dass der Pilot auch weiterhin für den Tod aller ums Leben gekommener verantwortlich gemacht worden wäre, selbst wenn es nicht wirklich Sinn macht.

Wie viele hätten den Piloten von der Anklage freigesprochen, wenn sie Situation wie folgt ausgesehen hätte:

Ein von (islamistischen / christlichen / veganen / einfach nur verrückten) Terroristen entführtes Flugzeug voller (normaler Leute / Schweizer / schwangerer Frauen / Wirtschaftleute / Politiker / Kleriker / Ärzte / Lehrer / Journalisten / Juristen / Wissenschaftler / Flüchtlinge / Häftlinge) fliegt auf ein Stadion in (der Schweiz / Deutschland / Indien, Syrien) voller (normaler Leute / Schweizer / schwangerer Frauen / Wirtschaftleute / Politiker / Kleriker / Ärzte / Lehrer / Journalisten / Juristen / Wissenschaftler / Flüchtlinge / Häftlinge) zu. In der Maschine sitzen 164 todgeweihte Menschen, im Stadion (7’000’000 / 700’000 / 70’000 / 7’000 / 700 / 70 / 7). Die einzige Möglichkeit die Leute im Stadion zu retten, ist das Flugzeug abzuschiessen. Die Verfassung schreibt für diesen Fall (den Nichtabschuss / den Abschuss) vor, die Vorgesetzten geben dem Befehl zum (Nichtabschuss / Abschuss) und der Pilot, der ein (Soldat / ehemaliger Soldat / Zivilist) ist, schiesst. Noch zu erwähnen ist, dass die Familie des Piloten (ganz weit weg / im Flugzeug / im Stadion) ist.

Das sind 4 x 13 x 4 x 13 x 7 x 2 x 2 x 3 x 3 = 681’408 Varianten und wenn es ums Prinzip geht, müsste das Ergebnis eigentlich immer das gleiche sein. Es müsste das gleiche sein, weil die 164 Menschen im Flugzeug in diesem Szenario auf jeden Fall sterben würden. Dadurch ist es auch nicht mehr so wichtig, wie viele Leute im Stadion sind. Zum Tragen käme die Zahl nur, wenn die Leute im Flugzeug im Fall eines Absturzes ins Stadion irgendwie garantiert überleben würden. Dann würde man nämlich Menschenleben gegeneinander aufwiegen, was man laut der Verfassung im Film eben nicht darf.

84% sprachen den Piloten frei. Das heisst, für die Mehrheit sind die Konsequenzen wichtiger als die Gesetze.
In der Gesprächsrunde schien das vor allem bei den Konservativen (Hurter, Müller) der Fall gewesen zu sein, während die Liberalen (Galladé, Lang) sich lieber nach dem Gesetz richten wollten.

Wenn die Passagiere den Terroranschlag irgendwie garantiert überlebt hätten und man Menschenleben gegeneinander abwiegen müsste, hätte das die Position der Liberalen wohl nicht geändert. Vor die Wahl gestellt, hätten sie sich der Entscheidung zwischen Menschenleben abzuwägen entzogen und sich an den geltenden Regeln orientiert.
Für die Konservativen dagegen würde das Urteil vermutlich sehr von den Umständen abhängen. In manchen Konstellationen zweifellos zu Recht. Beispielsweise je nach dem, ob 70’000 oder 7 Menschen im Stadion wären. Oder ob die Familie des Piloten in der entführten Maschine sitzt. In anderen Konstellationen wäre es jedoch äusserst bedenklich. Wenn es beispielsweise davon abhängen würde, welche Art von Menschen im Stadion und im Flugzeug sind (normaler Leute / Schweizer / schwangerer Frauen / Wirtschaftleute / Politiker / Kleriker / Ärzte / Lehrer / Journalisten / Juristen / Wissenschaftler / Flüchtlinge / Häftlinge).

Wir gingen jetzt immer davon aus, dass der Pilot unter allen Umständen geschossen hätte. Und wir fragten uns, welchen Einfluss die Umstände auf das Urteil gehabt haben.
Man könnte sich aber auch fragen, wie das Urteil ausgesehen hätte, wenn er nicht geschossen hätte. Und welchen Einfluss die Umstände dann auf das Urteil gehabt hätten, wenn er wegen „Mord“ in 70’000 Fällen angeklagt worden wäre.
Ich denke – und das ist das faszinierende am Trolley-Problem -, dass auch wenn die Handlung moralisch geboten sein mag, das Unterlassen der Handlung nicht wirklich übel genommen werden kann. Was in sich schon wieder ein Dilemma darstellt.

Auch ungeklärt bleibt die Frage, ob für einen Soldaten, der Befehlen gehorchen muss, welche aus strategischen Gründen durchaus auch Opfer kosten können, andere Regeln gelten als für einen Zivilisten, dem der „Weitblick“ fehlt und seine Entscheidung auf der Basis wesentlich kurzfristigerer Konsequenzen treffen muss.

 


 

Und dann, eine Woche später:

Reimann kritisiert, dass Besko die Schweiz verlassen musste.«Es ist eine verpasste Chance.» Der ausgeschaffte Rapper hätte junge Migranten positiv beeinfussen können. «Man muss abwägen: er nützt uns hier mehr als in Kosovo.» Reimann interveniert sogar schriftlich beim Chef des Staatssekretariat für Migration, Mario Gattiker. Zwar sei er immer noch für eine strenge Haltung bei der Ausschaffung von kriminellen Ausländern. «Aber was, wenn nicht das, ist ein Härtefall?»
SVP-Reimann unterstützt ausgeschafften Rapper – 20min

Lukas Reinmann scheint aus dem TV-Film «Terror – Ihr Urteil» gelernt zu haben, dass die Konsequenzen schwerer wiegen als die Buchstabentreue.
Und der beliebteste Leser-Kommentar zu diesem Artikel war der folgende:

20min-reimann_unterstuetzt_rapper

Ich weiss zwar nicht, wofür „murrli“ beim Fernsehexperiment war, aber ich vermute sehr für Freispruch.
Und ich unterstelle jetzt mal verwegen, dass „murrli“ Galladé und Lang es da ziemlich übel nahm, dass sie lieber 70’000 Menschen sterben liessen als das bestehende Gesetz nicht anzuwenden.

Macht nur mich das stutzig?