Nonnen und andere Cosplayer

Wenn ich Nonnen und Mönche sehe, weckt das bei mir immer ein bisschen Mitleid. Doch eigentlich ist das gar nicht nötig. Im Gegenteil. Sie leben ihre Fantasie hauptberuflich aus, während die anderen Cosplayer es nur in ihrer Freizeit tun.
Okay, es ist schon ein bisschen traurig, dass sie Fantasie nicht von Realität unterscheiden können, aber solange sie von der Gesellschaft nicht stigmatisiert werden, leidet niemand darunter. Vorausgesetzt natürlich, dass sie nicht aufgrund ihrer Rolle qualvoll sterbenden Menschen ihre schmerzlindernden Medikamente vorenthalten, sondern sich stattdessen lieber irgendwelchen magischen Beschwörungen hingeben.
Etwas traurig finde ich auch, dass sie ihre Charaktere nicht etwas „ausschmücken“. Cosplay-Rüstungen beispielsweise sind in der Regel nicht wirklich funktional, dafür aber sexy. Diese Art von Verspieltheit fehlt bei Nonnen und Mönchen fast gänzlich.

Was Priester betrifft, regt sich bei mir weniger das Mitleids sondern eher ein bisschen Wut. Auch bei ihnen ist die Hingabe ans Cosplay zweifellos bewundernswert, doch übertreiben sie es regelmässig, wenn sie die Sinplayer1 in ihren Hallen zusammenrufen und sie mit ins Spiel hinein zu ziehen versuchen. An der Comic-Con mag sowas noch okay sein, aber wenn sie damit Straftaten zu vertuschen versuchen und gleichzeitig mit ihren antiken und diskriminierenden Ideen den aktuellen politischen Diskurs zu beeinflussen versuchen, geht mir das definitiv zu weit.

Man darf mich nicht falsch verstehen. In einer Demokratie finde ich es eigentlich durchaus okay, wenn die Leute entsprechend ihres Cosplay Genres ihre Wahlzettel ausfüllen. Ein bisschen Steam Punk Ästhetik an öffentlichen Gebäuden würde sicherlich nicht schaden. Ein bisschen Minne im Eherecht auch nicht. Doch ich bezweifle, dass irgend ein Steam Punker ernsthaft für den kompletten Ausstieg aus der Elektrizität zugunsten der Dampfkraft wäre. Oder irgendein Mittelalter-Enthusiast für die Übernahme der Kosten für Keuschheitsgürtel von Frauen während der Geschäftsreise ihrer Männer durch die Krankenkassen.
Bei den Cosplayern der Genres Shotacon2 bin ich mir jedoch nicht so sicher, ob sie – wenn man sie lassen würde – ihr LARP Regelwerk nicht gern für alle verbindlich und wortwörtlich umsetzen würden…

Brexit und der Tod der Demokratie

Der Youtuber Rationality Rules meint, dass ein zweites Brexit-Referendum nicht okay sei, weil man damit nicht den Willen des Volkes respektiere. Da ist schon was dran. Er meint auch, dass wenn schon, dass man erst mal die EU verlassen müsste, und dann erst wieder abstimmen könne, ob man wieder in die EU zurückzukehren wolle. Auch da hat er schon auch irgendwie recht. Und er fürchtet, dass ein zweites Brexit-Referendum den Tod der Demokratie bedeuten würde. Und genau hier, finde ich, liegt er falsch.

Er hat schon recht, man kann einen Volksentscheid nicht einfach ignorieren, nur weil er einem zufällig nicht passt. Prinzipien müssen auch gelten, wenn es weh tut.
Aber es gibt Sachen, die wichtiger sind als ein Volksentscheid. Die vom Völkerrecht garantierten Menschenrechte zum Beispiel.
Auch wenn das Volk Ja zur Todesstrafe für Homosexuelle sagen würde, dürfte eine solche Vorlage nicht umgesetzt werden. Punkt.

Brexit gehört allerdings nicht in diese Kategorie. Aus der EU auszutreten, verletzt keine höheren Prinzipien. Die Entscheidung, ob man in der EU bleiben will, sollte im Gegenteil tatsächlich vom Volk getragen werden1.

Dann gibt es da noch die interessante Frage nach dem Unterschied zwischen dem, was die Initianten wollen und dem, was der Gesetzestext tatsächlich besagt. Manchmal kann das deutlich auseinander gehen. Bei der Stripendiums-Vorlage ging es darum, dass man staatliche Universitätsstipendien für StrapsenträgerInnen einführen solle, irgendwie konnte der juristische Text, wie sich erst viel später herausstellte, aber auch dahingehend interpretiert werden, dass Montags schweizweit der Linksverkehr gelten müsse. Dies war von den Initianten nie beabsichtigt gewesen. Wenn die Vorlage nun angenommen worden wäre, hätte man diesen Aspekt bei der Umsetzung problemlos ignorieren können ohne damit der Demokratie in irgendeiner Weise zu schaden, weil ihn die Initianten weder beabsichtigt hatten noch im Wahlkampf je thematisierten.
Daran ändert auch nichts, wenn ein paar Leuten diese Interpretation aufgefallen wäre, sie nichts gesagt hätten und genau aus diesem Grund für das Stripendium gestimmt hätten.

Dass man diesen Punkt bei Brexit geltend machen kann, halte ich für fragwürdig. In der ganzen Diskussion über ein zweites Referendum war meines Wissens nie von unbeabsichtigten formaljuristischen Patzern die Rede sondern immer nur von sehr beabsichtigter Irreführung. Während bei der No-Billag Abstimmung vielleicht noch ein paar Leute denken konnten, es gehe dort allein darum, der Billag das Mandat zu entziehen, und nicht etwa um die komplette Abschaffung der „Zwangsgebühren“, gegen welche sie grundsätzlich gar nichts einzuwenden gehabt hätten, lässt der Name Brexit nur wenig Spielraum für andere Interpretationen als den britischen Exit.

Ja, man hätte irgendwie auf die Idee kommen können, dass man mit dem Geld, das wöchentlich in die EU fliesst, selbstverständlich das Gesundheitswesen sanieren könnte. Das liess aber niemanden vergessen, dass man dafür zuerst mal die EU verlassen musste um das Geld anders einsetzen zu können.
Ehrlich gesagt, bezweifle ich aber, dass irgendjemand dem Bus tatsächlich glauben schenkte. Was dann wiederum das Argument, dass sich viele von illusorischen Versprechungen blenden liessen, etwas arrogant erscheinen lässt.

Alle Politiker lügen oder biegen sich die Fakten ein bisschen zurecht. Man könnte es die po(l)etische (±) Freiheit nennen. In der Politik geht es nicht um die WAHRHEIT, sondern um Geschichten, die die Welt in eine bessere (oder zumindest weniger schlechte) Zukunft bringen sollen. Und das schaffen Fiktionen manchmal besser als Fakten – solange sie von den Fakten nicht allzu weit entfernt sind. Und das ist okay, sofern alle darum wissen. Und das tun sie.
Damit legitimiere ich aber in keinster Weise die Lügen. Ich vertraue darauf, dass sich Lügen auf lange Sicht nicht auszahlen und deshalb tunlichst vermieden werden – vor allem auch, weil es viel elegantere Mittel als die Lüge gibt um seinen Willen durchzusetzen2. Ich verurteile lediglich die Empörung, denn die ist immer etwas heuchlerisch.
Wenn die Lügen aber ein gewisses Mass an Dreistigkeit übersteigen, dann… ja dann sollte es vielleicht schon angemessene Konsequenzen haben. Ich denke da an einen hypothetischen Fall, wo ein Präsidentschaftskandidat nur durch höchst illegale Machenschaften seine Wahl gewinnt? In einem solchen Fall würde es eigentlich nicht reichen, den Präsidenten abzusetzen und ins Gefängnis zu werfen und an seiner statt den Vice, der vielleicht tatsächlich von alledem nichts wusste, regieren lassen, weil sich sowas viel zu einfach missbrauchen liesse.

Anyway3… was meines Erachtens Rationality Rules nicht genügend bedenkt, sind die Protestwähler. Wenn Abstimmung-Prognosen4 darauf hindeuten, dass das Ergebnis deutlicher rauskommt als die „Parteien“ es verdienen, dann kann man geneigt sein etwas anderes in die Urne zu werfen als wenn die Prognosen anders aussähen. So könnte ich beispielsweise eigentlich fürs Bleiben in der EU sein, doch auch überzeugt davon sein, dass da etwas fundamental falsch läuft. Wie lasse ich das die Politik wissen? Mit einem knappen Entscheid!
Die Politik müsste eigentlich anders laufen, wenn das Ergebnis sehr knapp war, als wenn es sehr deutlich war. Allein schon aus reinem politischen Selbsterhaltungstrieb.

Natürlich sind Protestwähler, welche den tatsächlichen Willen des Volkes in einer bestimmten Frage mehr oder weniger massiv verfälschen, kein Grund das Ergebnis einer Abstimmung für ungültig zu erklären5, doch ist damit die „seltsame“ Eigenschaft verknüpft, dass man seine Meinung ändern kann…
Und genau das ist mein eigentlicher Einwand gegen den unvermeidlichen Tod der Demokratie: Neue Informationen lassen uns manchmal eine Situation anders einschätzen als zuvor. Und wenn die Umsetzung einer Entscheidung lange dauert, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass man es am Tag der Umsetzung eigentlich lieber ganz anders haben möchte6.
Wieso wird das in der Demokratie nicht berücksichtigt? Weil es schwer umzusetzen ist? Und wenn schon! Es wäre nicht der Tod der Demokratie, sondern deren nächste Generation.

Es geht hier nicht darum, die gleiche Frage nochmals vors Volk zu bringen, sondern die Diskussion weiter zu führen und wenn nötig die daraus resultierenden Konsequenzen zu ziehen.
Wenn die Briten es sich also anders überlegt haben, dann sollte das berücksichtigt werden. (Wenn allerdings Europa es sich in der Zwischenzeit ebenfalls anders überlegt hat und dieses jetzt getrennte Wege vorziehen würde, dann müsste natürlich aus das bedacht werden.)

Das zweite Referendum, resp. das Referendum der zweiten Generation müsste daher lauten: „Angesichts der Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über Brexit und des ungewissen Ausgangs, wollen wir da die Sache nicht erst mal auf die Seite legen und so lange noch in der EU bleiben?“

Erbauliches Zitatplakat

Die Agentur C erfreut die Schweiz immer mal wieder mit nem erbaulichen Zitatplakat:

Gott gibt den Müden Kraft…
Die Bibel: Jesaja 40,29

Sie könnte aber, wenn sie die Zitate zufällig picken würden, auch weniger erbauliche Zitate aufhängen. Respektive erbaulich nur für die Hälfte der Bevölkerung:

Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann herrsche, sondern sie sei still.
Die Bibel: 1. Timotheus 2,12

Sie könnten die Schweiz aber auch mit Zitaten aus anderen Werken zukleistern:

Es liegen die Eier des Kolumbus zu Hunderttausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben seltener zu finden.
Mein Kampf: 2. Kapitel

Wäre es okay, wenn die Agentur C auch solche Plakate aufhängen würde? Der Satz ist lustig und könnte durchaus zum Nachdenken anregen. Bloss der Kontext – so heisst es – sei ein klitzkleines bisschen problematisch. Reicht das um ein durchaus originelles Zitat lieber nicht aufhängen? Und wenn ja, warum? Weil man durch die Anerkennung der Qualität einer Textstelle automatisch auch die einer anderen des gleichen Autors im gleichen Kapitel anerkennt?

Zum Beispiel diesem:

So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“
Mein Kampf: 2. Kapitel

Wie er bloss auf die Idee gekommen ist…

Du wirst alle Völker vertilgen, die der HERR, dein Gott, dir geben wird.
Die Bibel: 5. Mose 7,16

Okay, das brauchen ja aber nicht unbedingt gleich als erstes die Juden zu sein, oder?

Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die das Böse tun, zuerst der Juden und auch der Griechen.
Die Bibel: Römer 2,9

Vielleicht ist die Vorstellung, dass Gott den Müden Kraft gibt, doch gar nicht so erbaulich… wenn sie erschöpft sind vom Massakrieren von Juden, Schwulen und
Ehebrechern.

Der große Schwindel vom schwarzen Loch


Das erste Bild von einem schwarzen Loch. Es befindet sich im Zentrum der Galaxie Messier 87.

Frédéric Schwilden wirft in seinem Artikel in der welt.de einen nicht ganz so euphorischen Blick auf die Veröffentlichung des ersten Fotos von einem schwarzen Loch und leistet sich dabei den einen und den anderen Fehlschluss.

Schauen wir uns den Text jetzt mal Abschnitt für Abschnitt an.

„Am Ende wissen wir immer noch nicht, wie ein schwarzes Loch aussieht“, müsste die Meldung eigentlich richtig heißen. Aber stattdessen titeln Nachrichten mit „Forscher zeigen erstmals Foto von einem schwarzen Loch“ und verbreiten damit knallharte Falschmeldungen. Nicht, was Sie jetzt denken. Das sind keine Fake News. Aber es ist trotzdem falsch.

Je nach dem, wie tief in die Philosophie Frédéric Schwilden hier einzutauchen gedenkt, könnte er schon irgendwie recht haben.
Ich meine, was wir hier sehen ist die Wirkung des Schwarzen Lochs auf das Licht in seiner Umgebung (irgendwo ganz weit, weit weg) und das ist tatsächlich nicht wirklich das Schwarze Loch. Andererseits ist das, was wir sehen, wenn wir einen Stuhl betrachten auch nur die Wirkung des Stuhls auf das Licht in seiner Umgebung.
Ich halte es daher nicht für zu verwegen, das, was ich sehe, wenn ich in die Richtung eines Objekts schaue, als das Aussehen dieses Objektes zu bezeichnen.

Foto ist die Kurzform von Fotografie. Und Fotografie wiederum leitet sich aus dem Griechischen ab und heißt so viel wie Zeichnen mit Licht.

Ich bin mir nicht sicher, wieso das wichtig wäre. Ist ja nicht so, dass die Griechen den Begriff geprägt und damit ausschliesslich die analoge Fotografie gemeint hätten und nicht die digitale…

Ich weiß nicht viel, aber ich weiß, was ein Foto ist.

Das suggeriert doch, als ob das vom schwarzen Loch keins wäre, oder kommt nur mir das so vor? Ausführen tut er seine Kritik aber nicht. Ich kann nur annehmen, dass es damit zusammenhängt, dass man es an verschiedenen Orten aufgenommen und dann mit dem Computer zusammengesetzt hat.

Ein schwarzes Loch wiederum ist ein Ding im Weltraum, das einen so krassen Sog hat, dass nichts aus ihm herauskommen kann. Auch kein Licht.

Kann man gelten lassen.

Und kein Licht kann man nicht fotografieren.

Okay, der ist gut!
Wenn das der Kronzeuge seines Arguments ist, dann muss man es wohl oder übel gelten lassen. Überführt durch eine semantische Spitzfindigkeit.

Was wir auf dem Bild sehen oder sehen sollen, ist ein sehr schnell rotierender Strudel an Materie, der durch die Rotationsgeschwindigkeit so heiß wird (es ist von Millionen Grad heißem Gas die Rede), dass er eben glüht. Wäre das schwarze Loch ein Auto, wäre etwa so getitelt worden: „Erstmals Foto des schnellsten Autos der Welt gelungen“, und man würde darauf nur aufgewirbelten Staub auf einer Straße sehen. Aber kein Auto.

Wenn ich zum Himmel rauf schauen und den Kondensstreifen eines Flugzeugs sehe, ist das dann kein Flugzeug?
Ist das nicht bloss Wortklauberei?

Das sind aber nur Details.

Dann sind wir uns ja einig.

Es geht um etwas anderes. Da setzen sich also Frauen und Männer (A.d.R. die Wissenschaftler, die das Foto präsentieren) […] vor eine aufgestellte Leinwand. […]
Und dann sagen die da auf der Konferenz Dinge wie, dass sie sehr viele Radioteleskope zu einem „virtuellen Teleskop“ zusammengebaut hätten, dass die Teleskope über mehrere Atomuhren synchronisiert wurden und dass dieses gebaute virtuelle Teleskop einer einzelnen Antenne von einem Durchmesser von 8000 Kilometern entspräche und dass man deswegen das schwarze Loch so detailliert sehen könne.

Ja, das kommt so ungefähr hin.

Und dann das Foto vom schwarzen Loch! […] Und ich warte die ganze Zeit darauf, dass irgendwo bekannt gegeben wird, dass das Ganze ein Gag von Jan Böhmermann war oder die Guerilla-Werbekampagne für einen Film mit Eddie Murphy als verrücktem Wissenschaftler.

Also doch Fake News?

Wir leben in einer Welt, in der wir erwarten, dass alles überprüft und belegt werden kann.

Jap. Und sollte!

Als Journalisten prüfen wir Aussagen auf ihre Richtigkeit, wir nennen das Factchecking.[…]

Jap.

Aber das schwarze Loch ist unüberprüfbar.

Da wäre ich mir jetzt nicht sooo sicher…
Mag sein, dass das alles ein riesen Schwindel ist und es sich tatsächlich um die
„unscharfe Handyaufnahme eines Power-Knopfes eines rot leuchtenden Gaming-Computers aus den Neunzigern“ handelt. Und selbst wenn diese konkrete Überprüfung nicht gültig wäre, bedeutet aber nicht, dass die Sache grundsätzlich nicht überprüfbar sein kann. Das ist leider ein Fehlschluss.

Es ist ein Gegenstand, der so weit weg ist, dass man sich nicht vorstellen kann, wie weit das ist, ein Gegenstand, der so abstrakt ist, dass ihn sich außer den fünf Wissenschaftler*innen aus den USA und 100 irren Nerds niemand denken kann. Ich kann es nicht. Und meine Fantasie ist wirklich unbegrenzt.

105 Menschen können sich die Sache also denken und überprüfen. Was hat da der Umstand, dass der Autor, der sich selbst eine Fantasie ohne Grenzen attestiert, es nicht kann, noch für ein Gewicht? Wenn auch nur ein einziger Mensch den „Dreifachen Lindy“ kann, dann ist er nicht unmöglich.

[…]
Alles an dem schwarzen Loch und der Entdeckung ist genial. Weil alles dazu nur Aussagen sind, die aus einem System heraus kommen, das einzig und allein die Deutungshoheit über die Gegenstände dieses Systems hat.
Am Ende ist es kein Unterschied mehr, ob Katholiken über Gott oder Wissenschaftler über ein Loch reden. Für Menschen außerhalb des Systems ist es absolut unverständlich, unbeweisbar …

Das stimmt schon. Über schwarze Löcher kann man nur ernsthaft diskutieren, wenn man das Äquivalent einiger Semester Physik-Studium auf dem Buckel hat. Laien haben da keine Chance Factchecking zu betreiben und können daher auch kaum unterscheiden, ob eine bestimmte Aussage solide oder woo-hoo ist.

… und damit auch nicht existent.

Nur weil ich etwas nicht verstehe und die Belege für dessen Gültigkeit nicht nachvollziehen kann, ist es deshalb noch lange nicht inexistent. Ich meine ich habe keine Ahnung wie Gartenbau funktioniert und ich kann auch nicht abschätzen ob ein bestimmten Handgriff nützlich ist. Daraus zu schliessen, dass es demzufolge gar keinen Garten geben kann, ist dann doch etwas weit her geholt.
Okay, wenn Frédéric Schwilden damit meint, dass schwarze Löcher keinen Einfluss auf sein Leben hat und deshalb für ihn genauso gut nicht existent sein könnten, dann könnte er damit schon recht haben. Ich bin mir da aber nicht so sicher.

Das schwarze Loch existiert nur durch den Glauben daran, denn mehr als glauben können die meisten Leute der Welt nicht, wenn es um schwarze Löcher geht.

Nein, er meint es tatsächlich so. Er stellt den Glauben an schwarze Löcher mit dem Glauben an einen Gott gleich – dessen Existenz man selbst nach einem Studium der Theologie nicht beweisen kann – und das bei der Gelegenheit, wo ein Foto von Gott ich meine dem schwarzen Loch der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Oder meint er vielleicht doch „Das schwarze Lich existiert für den Laien nur durch den Glauben daran.“? Sprachlich wäre eine solche Interpretation zwar schon möglich, aber dann hätte er sich sehr schlecht ausgedrückt.

Mein Vater war übrigens Professor. […] Ich habe absolut keine Ahnung, was er wirklich gemacht hat. […]

Dann waren die Ergebnisse der Arbeit seines Vaters also auch nicht existent? Und haben Laien nicht geholfen? Schade, wo sein Vater doch Anästhesiologe war…

Jedenfalls hat mein Vater gesagt: „Je mehr man erforscht und je mehr man weiß, desto mehr Fragen tauchen auf, die niemand mehr beantworten kann, ohne das Wort Gott oder ein irgendwie geartetes Äquivalent zu gebrauchen.“

Oh ja, da hat er sicher recht. Mit jeder Antwort tun sich Duzende neue Fragen auf. Das heisst aber nicht, dass man weniger weiss. Das behauptet er aber auch gar nicht.
Er stellt nur fest, dass sie niemand mehr beantworten kann. Was ein bisschen dramatisch klingt, im Grund aber ein Tautologie ist. Eine neue Frage kann zum Zeitpunkt ihres Auftauchens nie sofort beantwortet werden – sonst wäre es ja keine neue Frage.
Und in solchen Fällen fällt das Wort Gott womöglich tatsächlich überdurchschnittlich häufig. So im Sinne von: „Mein Gott, das hätte ich jetzt aber echt nicht erwartet.“

Unter dem Strich ist das „Bonmot“ aber natürlich quatsch. Würde es stimmen, würde die Wissenschaft inzwischen von Gottesreferenzen überquellen – was sie nicht tut.

Die Sache mit Gott in der Wissenschaft ist, dass er das Ende markiert. Er bedeutet, dass es weiter nicht erklärt werden kann und man sich einem anderen Thema zuwenden soll.

Wissenschaft ist am Ende Religion. Und ich glaube gern daran.

Nein. Und daran ändert auch nichts, wenn Leute das inbrünstig glauben.

Fazit (alias Nachtrag)

  • Man kann ein schwarzes Loch nicht fotografieren, weil kein Licht von diesem reflektiert wird. Das Foto aber zeigt das, was man sieht, wenn man davor steht. Genau wie bei einem (vantaschwarzen) Stuhl.
  • Für Laien ist das Konzept eines schwarzen Lochs nicht von einem magischen Objekt in einem Märchen zu unterscheiden. Wenn man sich jedoch lange genug mit dem Thema beschäftigt, erkennt man, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht.
  • In der Religion macht zwar ebenfalls alles umso mehr Sinn, je länger man sich damit beschäftigt. Hier liegt es aber an einem psychologischen Schutzmechanismus, der verhindert, dass man verzweifelt, weil man zu viel Zeit mit dem ganzen Blödsinn verschwendet hat. In der Wissenschaft stellt sich demgegenüber trotz des nachweislich unglaublichen Wissenszuwachs und des damit verbundenen technischen Fortschritts dennoch gern das sokratische Gefühl ein, dass man eigentlich doch gar nichts weiss. Und während man in der Wissenschaft irgendwann einmal den magischen Schleier lüftet und ein Foto des aus der Theorie abgeleiteten Objekts vorweisen kann, kommt die Religion nicht vom Fleck – wobei die Wissenschaft vorausgesagt hat, dass man so ein Foto irgendwann mal würde präsentieren können, während die Religion uns versichert, dass das im Fall von Gott sicher nie geschehen wird.
  • Hinzu kommt, dass auch die Früchte der Forschung für Laien oft nicht wirklich klar ersichtlich sind und dass man da schnell mal am Sinn der massiven Investitionen zweifeln kann. Dies ist so, weil die kausale Verbindung beispielsweise zwischen Relativitätstheorie und GPS nicht gerade offensichtlich ist.

Wenn der Artikel dies zum Ausdruck bringen wollte und damit für mehr Vertrauen in die Wissenschaft und für eine qualitativ hochstehende Wissenschaftskommunikation  plädieren wollte, dann ist er ein wenig begabter Autor.
Und wenn er der Religion den Rücken stärken wollte, dann erwies er ihr einen Bärendienst, denn er argumentierte hier für einen Gott der Lücken, welche von der Wissenschaft nach und nach geschlossen werden.


Und so schliesse ich mit dem folgenden Zitat


Wissenschaft ist das Beseitigen von falschen Vorstellungen.
Religion ist das Festhalten an Vorstellungen, die zu hinterfragen angeblich einfach nicht möglich sein soll.

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Ian Hazelwood