Pontifex-Dialoge: Gottes Führung

Seit mir der Papst für ein Twitter-Follow einen Ablass vom Fegefeuer offeriert hat, führe ich von Zeit zu Zeit kleinere Dialoge mit dem Pontifex. Dies ist ein weiterer davon:

22. Mai 2014

PontifexPapst Franziskus @Pontifex_de
Eine Seele, die sich von Gott führen lässt, wird nicht enttäuscht und verirrt sich nicht.

Eda Gregr @meskinaw
@Pontifex_de Wenn Gott uns führen will, warum hat er uns den freien Willen gegeben? Macht das Führen willenloser Schafe nicht genug Spass?

Dass es „geiler“ ist Menschenmassen statt eine Herde willenloser Schafe zu führen, will ich ja gar nicht bestreiten, doch halte ich diese Präferenz für allzu menschlich. Eines Gottes nicht würdig.
Insbesondere dann nicht, wenn ein Teil der Menschen darunter leiden wird.
Höchstwahrscheinlich wird es für einen Menschen aufgrund seiner mentalen Fähigkeiten  ein grösseres Vergnügen sein sich im Antlitz Gottes zu sonnen als für ein Schaf, doch wirklich sicher können wir uns da nicht sein. Insbesondere da sich Glück nicht wirklich steigern lässt, respektive man im Glückszustand nicht das Gefühl hat, das Glück noch steigern zu müssen.
Wenn man naiv ist wie ein Schaf und zufrieden ist mit einem Mund voll Gras und der Wärme Gottes im Fell, dann wird man sich allein aufgrund der intelektuellen Kapazität nicht die Laune verderben lassen vom Umstand, dass einige Brüder und Schwestern gerade am Spiess gebraten werden. Unsere Empathie sollte eine solche Gleichgültigkeit jedoch nicht zulassen. Wir können nicht glücklich sein, wenn andere gleichzeitig leiden. Und wenn wir es doch sind, dann wurde uns etwas zentrales, was uns überhaupt erst menschlich macht, genommen.

Eine andere Sache ist, dass wir nur unsere Welt kennen und den freien Willen wie wir ihn schon und die Schafe ihn nicht haben. Wie sich ein freier Wille in einer anderen Welt entfalten würde, wissen wir nicht.
Die begrenzten Ressourcen machen vielen schönen Ideen einen Strich durch die Rechnung und lassen uns bisweilen die falsche Entscheidung treffen. Wie würde die Sache aussehen, wenn es unbegrenzte Ressourcen gäbe? Gemessen an den bescheidenen Bedürfnissen von Schafen, was die Ressourcen beinahe unbegrenzt erscheinen lässt, könnte man annehmen, dass ein freier Wille sich nicht gross auf deren Verhalten auswirken würde.
Wir wissen nicht, was sonst noch möglich gewesen wäre, insofern können wir auch nicht wissen, dass die Variante, für die sich Gott entschieden hat, die liebenswürdigste ist.

Er gibt uns einen freien Willen, doch er will uns führen.
Er will, dass wir an ihn glauben, doch um das zu tun, müssen wir einige der ureigensten menschlichen Fähigkeiten überwinden.

Also mir scheint es so, dass Gott sich höllisch Mühe gegeben hat, die Sache so einzurichten, dass möglichst viele sich verirren – ohne dass man ihm die Schuld dafür geben kann.


Mal abgesehen davon, ist es wirklich „geiler“ wenn 1000 Menschen nach meiner Pfeife tanzen als wenn es 1000 Schafe oder Roboter tun? Ich meine, mit welcher Variante kriegt man wohl mehr Youtube-Clicks?

Was der Wirtschaft hilft, ist gut für alle

20min fragt, warum die Schweizer auf Mindestlohn und mehr Ferien verzichten?
Und Experten antworten, dass diese offenbar eine gewisse ökonomische Vernunft walten liessen.
Es wird das Bild des arbeitsamen Schweizers heraufbeschworen, der im Interesse der Wirtschaft auch bereit ist auf gewisse Dinge zu verzichten, weil er ja wisse, dass was der Wirtschaft hilft, auch gut für alle sei.

Die Sache ist aber die, dass jeder Mensch seine eigene Position für die vernünftige hält. Und selbst wenn er die Entscheidung per Münzwurf gefällt hat, so ist er immerhin davon überzeugt, dass es sich dabei um eine vernünftige Strategie handelt.
Wenn die Experten also zum Schluss kommen, dass die Schweizer Vernunft walten liessen, dann nicht, weil sie die kognitiven Prozesse der Stimmenden analysiert hätten, sondern allein weil sie das Ergebnis für die vernünftigere Variante halten.
Damit suggerieren sie aber auch, dass das andere Ergebnis der Wirtschaft geschadet hätte. Darin, ob dem wirklich so ist, gehen aber die Meinungen auseinander.
Niemand will der Wirtschaft schaden. Auch die Befürworter von Mindestlohn und mehr Ferien sind überzeugt davon, dass diese Massnahmen der Wirtschaft und damit allen geholfen hätten. Und entsprechend werden diese bei der Einschätzung, wie viel ökonomische Vernunft die Schweizer haben walten lassen, zu einem etwas anderen Ergebnis gelangen.

Aber es stimmt schon, die Schweizer sind ihrer Linie schon treu, doch ich fürchte, die treibende Kraft dahinter ist nicht die Verinnerlichung von vernünftigem, unternehmerischem Handeln.

Die erste Reaktion auf all diese utopisch anmutenden Gedanken ist immer: Wer soll es bezahlen?
Unsere Experten werden darin zweifellos die wirtschaftliche Besorgnis erkennen, doch genauso gut  könnte es die Furcht davor sein, dass sie selbst es tun werden müssen.
Ökonomisch wäre diese Frage allerdings nur, wenn der Fragende es sich nicht leisten könnte.
Wenn aber nur ein moderates Stutzen des eigenen Wohlstandes droht, ist die Frage egoistisch.
Die Schweizer wollen nicht, dass auf ihre Kosten anderen geholfen wird. Diese Einstellung wird auch durch die stets präsente Furcht vor Schmarotzern bestätigt.

Man könnte jetzt daraus schliessen, dass es den Schweizern wichtiger ist, anderen nicht zu helfen, als selbst auch davon zu profitierten. Das würde das Abstimmungsverhalten zwar noch etwas besser beschreiben als der Homo oeconomicus, doch so weit möchte ich nicht gehen. Ich denke, es ist ein Mittelweg. Man weiss, dass man bisweilen dem Erfolg der Wirtschaft etwas opfern muss. Und was liegt da näher als auf Dinge zu verzichten, die man gar nicht hat? Wie beispielsweise die eine zusätzliche Woche Ferien.

Warum die Schweizer auf Mindestlohn und mehr Ferien verzichten?
Weil es mehr schmerzt einen Tag Ferien abzugeben als es freut eine Woche zusätzlich zu bekommen. Dieses emotionale Missverhältnis ist die treibende Kraft und nicht die Vernunft.

Im Interesse eine utopischen Politik sollten wir daher nicht darüber abstimmen, ob wir etwas haben wollen (von dem wir übrigens noch gar nicht mit Sicherheit sagen können, ob es sich bewähren würde), sondern man sollte es einführen und nach einer gewissen Zeit fragen, ob man es lieber wieder abschaffen will, weil es sich nicht bewährt hat.

Satire und Religionen

Giacobbo / MüllerIn der Facebookgruppe des Islamischen Zentralrates Schweiz (IZRS) geht es aufgrund eines Beitrags von Giacobbo / Müller zur Zeit gerade ziemlich stürmisch zu und her.
Die beiden Satiriker Viktor Giacobbo und Mike Müller machten sich in ihrer Sendung vom 4.5.2014 lustig über die religiösen Bedenken der Staatsbehörde für Islamische Angelegenheiten in den Vereinigten Arabischen Emiraten, welche eine Fatwa gegen eine mögliche One-Way-Marsmission ausgesprochen hat.
Der IZRS glaubt in den satirischen Kommentaren des Duos einen Akt des #Rassismus0 zu erkennen: „Muslime werden in nie dagewesener Klarheit kollektiv als dumm, rückständig und gefährlich karikiert.“ Und ein paar unserer muslimischen Mitbürger unterstreichen dessen Empörung mit markigen Kraftausdrücken, während andere muslimische Mitbürger die tobenden muslimischen Mitbürger ermahnen keine Fluchwörter zu benutzen, was aber wiederum andere muslimische Mitbürger nicht davon abhält die Witze eigentlich ganz witzig finden.

Wer sich den Beitrag ansehen will, er fängt ab Minute 27:40 an:

Ich frage mich, was die tobenden muslimischen Mitbürger wohl gesagt hätten, wenn die Satire von einem muslimischen Mitbürger stammen würde?
Vielleicht hätten es einige als blasphemisch bezeichnet1, doch in der Regel würde man eher erwarten, dass man mehrheitlich drüber gelacht hätte, denn über die eigene Kultur darf man sich bekanntlich lustig machen.
(Es gibt doch islami(sti)sche Satire, oder?)
Problematisch ist es einzig, wenn man sich über andere Kulturen lustig macht.

Man sagt, die Satire halte der Gesellschaft einen Spiegel vor – auf dass sie über sich selbst erschrickt und sich idealerweise zum besseren wandelt. Er zeigt nämlich Dinge, die eigentlich falsch sein sollten, es aber leider nicht wirklich sind. Und indem man darüber lacht verschwindet die Aura der Unantastbarkeit und man kann sich daran machen die Sache in Ordnung zu bringen.
Da ist schon was dran, nicht umsonst fürchten Diktaturen die Satire wie der Teufel das Weihwasser, schliesslich sind sie mit dem gegenwärtigen Zustand ganz zufrieden und sehen keinen Bedarf an irgendwelchen Reformen. Zumindest nicht jenen, die die Satire nahelegen würde.
(Oder gibt es Satire, die sich über zu viel Menschenwürde lustig macht?)

Wieso ist es aber so wichtig wichtig, wer den Spiegel hochhält?

Man lässt sich von anderen naturgemäss nicht gern belehren, sondern neigt dann instinktiv zu einer Abwehrhaltung, welche einen daran hindert überhaupt in den Spiegel zu schauen. Abgesehen davon, ist es aber eigentlich völlig egal, wer den Spiegel hochhält. Die Frage ist einzig, ob man sich selbst drin wiedererkennt.
In einem Spiegel sollte man das eigentlich immer, doch in Tat und Wahrheit ist die Satire gar kein Spiegel, sondern ein aus Klischee gezeichnetes Bild. Ein Spiegel ist es gewissermassen nur dann, wenn man es dem Porträtierten vorhält.
Wenn man es jemand anderem zeigt, dann macht es sich nur über den Abgebildeten lustig, was – nun ja – nicht unbedingt nett ist. Denn im schlimmsten Fall zementiert es die Klischees statt sie aufzuweichen.

Fazit:
Das heisst, ich darf zwar Witze über Juden machen, aber ich sollte nicht über diese lachen, wenn ich nicht selbst ein Jude bin.

Das klingt jetzt zugegeben etwas seltsam, doch so schlimm, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint, ist es gar nicht, denn wir sind alle selbst „Juden“ genug um auch uns darin erkennen zu können. Sei es, dass wir ähnliche Eigenheiten haben, oder dass wir erkennen, dass wir uns von den unterstellten Eigenheiten die Sicht vernebeln lassen.

Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt – meines Erachtens der wichtigste. Wenn das Publikum durchmischt ist und alle herzhaft lachen2 , dann verbindet das gemeinsame Lachen mehr als der Spott trennt.
Und genau diesen Punkt haben unsere muslimischen Mitbürger vom IZRS irgendwie übersehen.
Wir lachen bei Giacobbo / Müller, weil wir insgeheim wissen, dass wir selbst auch solche Baustellen haben. Kann es sein, dass der IZRS von irgendwelchen Baustellen einfach nichts wissen will.


0 Der Islam ist keine Rasse. Insofern kann sich über ihn lustig zu machen zwar unhöflich sein, jedoch nie uns nimmer Rassismus.

1 und den Häretiker gesteinigt.

2 Witzigerweise ist das selbst dann gegeben, wenn ein Jude sich in einem Stadion voller Antisemiten befindet – zumindest, wenn dieser es ist, der auf der Bühne die Witze erzählt.

3 Worüber man sich nicht alles lustig machen kann: George Carlin About Rape