Ein offenes Buch

Wenn ich mit jemandem sehr vertraut bin, so kann ich doch auch sagen, er sei für mich ein offenes Buch. Nun sind manche Menschen etwas einfacher gestrickt und andere tragen schickere Klamotten. Müsste ich dann nicht viel eher sagen, er sei für mich ein offenes Comic-Heft? Oder eine offene Modezeitschrift?
Diskoflyer- und Autoprospektmenschen werde ich in der Regel kaum so gut kennen lernen, dass sie sich vor mir öffnen würden. Und Unterwäschekatalogfrauen wohl leider auch nicht.
Es wäre natürlich töricht anzunehmen, dass jemand, der für mich ein offenes Kunstbuch ist, demzufolge ein Künstler oder ein Kunstwerk sein müsste, oder einer, der eine offene Felsenmalerei ist, ein Neandertaler. Es geht bei dieser Metapher nicht so sehr um den Inhalt des Mediums als viel mehr um dessen innere Struktur.
Ein Freund, der für mich ein offenes Kochbuch ist, braucht, wie gesagt, weder ein Koch, ein Gourmet oder fett zu sein, sondern vielmehr lässt sich sein Leben am besten mit Metaphern aus der Welt des Kochens beschreiben: Alles, was er macht, tut er nach einem klaren Rezept. Doch er kocht auch nur mit Wasser. Er lässt nichts anbrennen und verbrennt sich doch immer wieder die Finger. Er lässt seine Feinde schmoren, haut sie in die Pfanne und versalzt ihnen die Suppe.
Wenn mir also die Metaphorik eines Malennachzahlenbüchleins, eines Münztelefons oder einer DVD kategorisch fremd ist, so werde ich wohl auch nie die Tiefen von diesen Seelen ergründen können. Und wer keine Piratenschatzkarte zu lesen weiss, wird im Gegenzug mich nie verstehen. Oder war es eine Postkarte aus Entenhausen?